Mehr Geld, mehr Urlaub: Was ein Gesetz für Tariftreue im Bund bewirkt – und was nicht | Vorwärts
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Mehr Geld, mehr Urlaub: Was ein Gesetz für Tariftreue im Bund bewirkt – und was nicht

Beschäftige mit Tarifvertrag verdienen mehr und haben mehr Rechte. Doch die Tarifbindung in Deutschland nimmt ab. Ein Gesetz soll das ändern. Was ein Tarfitreuegesetz bewirken kann, erklären wir hier.

von Vera Rosigkeit · 25. April 2024
Streik

Während Tarifverhandlungen haben Gewerkschaftsmitglieder das Recht, für ihre Forderungen die Arbeit niederzulegen und zu streiken.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert mit seinem diesjährigen Motto zum 1. Mai „mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit“. Vorausgegangen ist eine Tarifwendekampagne, die eine klare Botschaft auch in Richtung Bundesregierung beinhaltet, die Rahmenbedingungen für mehr Tarifbindung zu stärken. Denn die sinkende Tarifbindung in Deutschland sei auch ein politisches Thema, erklärt die Vorsitzende Yasmin Fahimi gegenüber dem „vorwärts“. Das im Koalitionsvertrag angekündigte Bundestariftreuegesetz müsse jetzt schnellstmöglich kommen, betont sie. 

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hatte bereits im vergangenen Jahr mehrfach ein Gesetz für mehr Tariftreue angekündigt, „damit öffentliche Aufträge des Bundes nur noch an die Unternehmen gehen, die tatsächlich tariflich bezahlen“, erklärte er beispielsweise auf dem 25. Ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall im Oktober in Frankfurt am Main. Bei einem Festakt der Hans-Böckler-Stiftung zu 75 Jahren Tarifvertragsgesetz kündigte er nun erneut an, das Tariftreuegesetz auf den Weg zu bringen: „Ich bin fest entschlossen, dass wir das miteinander hinbekommen, zumal das auch im Koalitionsvertrag klar vereinbart ist.“ 

Warum wollen SPD und Gewerkschaften ein Tariftreuegesetz und was kann es leisten? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Was ein Tariftreuegesetz ist
In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Ampel-Regierung zum Ziel gesetzt, die Tarifautonomie, die Tarifpartner und die Tarifbindung zu stärken. Dazu soll „die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden“ werden. Ein Tariftreuegesetz verfolgt somit sozialpolitische Zwecke, wenn es festlegt, dass öffentliche Aufträge des Staates nur an Unternehmen vergeben werden dürfen, die ein tariflich festgelegtes Gehalt zahlen oder andere Tarifvertrags-Bestimmungen einhalten. So unterstützt die öffentliche Hand als Auftraggeberin faire Arbeitsbedingungen und soziale Standards.

Wo es Tariftreuegesetze bereits gibt
In nahezu allen Bundesländern, ausgenommen in Bayern und Sachsen, gibt es gesetzliche Regelungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge. Sie unterscheiden sich in ihren Vorschriften, z.B. in der Höhe des Auftragswertes, ab dem die Regelung greift. Beispiel Bremen: Ein sogenanntes Tariftreue- und Vergabegesetz wurde hier bereits 2002 eingeführt, galt zunächst allerdings nur für das Baugewerbe und den öffentlichen Personennahverkehr. Geregelt wurde damit, dass öffentliche Aufträge nur an tariftreue Unternehmen vergeben werden dürfen. Seit 2023 werden in Bremen bei allen öffentlichen Bau- und Dienstleistungsaufträgen die Betriebe zur Zahlung von Tariflöhnen verpflichtet. Zweites Beispiel Saarland: Hier wurde 2021 ein Tariftreuegesetz eingeführt, „Fairer-Lohn-Gesetz“ genannt. Für die damals dort amtierende SPD-Wirtschaftsministerin und heutige Ministerpräsidentin Anke Rehlinger eine „kluge Erfindung“. Nach dem Beschluss des SPD-Parteivorstands zur Stärkung der Tarifbindung im Februar 2022 erklärte sie in einer Pressekonferenz: „Die öffentliche Hand kommt damit ihrem Vorbildcharakter nach und macht deutlich, dass mit Steuergeldern nur gute Arbeit finanziert wird.“

Was ein Tarifvertrag regelt
Verhandelt und abgeschlossen wird ein Tarifvertrag zwischen Arbeitgeber*innen und Gewerkschafter*innen. Darin geregelt werden Arbeitsbedingungen wie Lohn bzw. Gehalt, Sonderzahlungen, Arbeitszeit und Urlaubsanspruch. Diese Regelungen gehen zumeist über gesetzliche Mindeststandards hinaus. So weist der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) darauf hin, dass gesetzlich (laut Bundesurlaubsgesetz) ein Mindestanspruch von 24 Werktagen bezahltem Erholungsurlaub festgelegt ist, während ein tarifvertraglich geregelter Urlaubsanspruch meist 30 Tage umfasst. Liegen tarifvertraglich geregelte Arbeitszeiten je nach Branche zwischen 35 und 40 Wochenstunden, ist gesetzlich eine Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden möglich. Für Weihnachts- oder Urlaubsgeld gibt es gar keine gesetzlichen Vorgaben, sie werden ausschließlich in Tarifverträgen verhandelt. Dass Gewerkschaften und Arbeitgeber Tarifverträge eigenständig aushandeln (sogenannte Tarifautonomie), wurde 1949 mit dem Tarifvertragsgesetz geregelt. 

Welche Vorteile ein Tarifvertrag für Arbeitnehmer*innen hat
Aus den oben genannten Beispielen wird ersichtlich, dass ein Tarifvertrag deutliche Vorteile für Beschäftigte hat. Zahlen unterstreichen die Vorteile: So bekommen laut einer Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes (Sonderauswertung für den DGB, Stand: April 2022) Beschäftigte, die in einem Betrieb mit Tarifvertrag arbeiten, pro Monat im Durchschnitt 844 Euro brutto mehr als Arbeitnehmer*innen, die ohne Tarifvertrag arbeiten. Auch eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung belegt, dass Betriebe mit Tarifvertrag deutliche bessere Arbeitsbedingungen als vergleichbare Betriebe ohne Tarifbindung bieten. Danach arbeiten Vollzeitbeschäftigte in tariflosen Betrieben wöchentlich rund 54 Minuten länger und verdienen trotzdem elf Prozent weniger.

Wie sich die Tarifbindung in Deutschland entwickelt
Waren laut WSI im Jahr 2000 noch 44 Prozent der Betriebe und 68 Prozent der Beschäftigten in Tarifbindung, sank die Zahl der tarifgebundenen Betriebe bis 2022 auf 24 Prozent. Nur noch 51 Prozent der Beschäftigten arbeiteten mit Tarifvertrag.

Welche Nachteile die abnehmende Tarifbindung nicht nur für Beschäftigte hat
Der deutliche Rückgang der Tarifbindung bringt Nachteile nicht nur für Beschäftigte (geringerer Lohn, weniger Freizeit) mit sich. Er wirkt sich auch negativ auf die Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten aus und verringert die Einnahmen von Sozialversicherungen wie Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung sowie der öffentlichen Hand.

Warum SPD und Gewerkschaften ein Tariftreuegesetz fordern
Die SPD hat sich im Koalitionsvertrag mit dem Anheben des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro durchgesetzt. Dabei jedoch gleichzeitig betont, dass dies nur eine untere Haltelinie sein kann. Geringe Löhne seien in erster Linie Folge von zu geringer Tarifbindung, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem 15. Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Im vergangenen Jahr. Für ihn komme es nun darauf an, „dass wir die Tarifbindung wieder steigern“, erklärte er. Gute Tarifabschlüsse seien Ausdruck des Respekts für die Leistung der Beschäftigten, darum sei die Steigerung der Tarifbindung so wichtig. 

Auf dem Kongress der Dienstleistungsgewerkschaft verdi vergangenen September kündigte Hubertus Heil ein Tariftreue- und Tarifstärkungsgesetz in Deutschland an, wonach öffentliche Aufträge des Bundes künftig an Tarifbindung und tarifliche Bezahlung sowie Arbeitsbedingungen gekoppelt werden. Für ihn auch eine Frage innerhalb der Debatten um Verteilungsfragen. Wenn in der „Primärverteilung“ etwas schieflaufe – in diesem Zusammenhang ist die Verteilung zwischen unternehmerischen Gewinnen und Löhnen gemeint ­– dann „geht in diesem Land noch mehr auseinander und es ist schon zu viel auseinander gegangen“, betonte Heil. Auch in Zeiten der Transformation sei Tarifbindung wichtig, um den Wandel auszuhandeln, so Heil. Ansonsten würde der Ruf nach dem Staat, Dinge mit Gesetzen zu regulieren, immer größer, was eine Kritik an zu viel Bürokratie nach sich zöge. Für Heil hat es eine staatsentlastende Funktion für eine soziale Marktwirtschaft, „wenn wir mehr Tarifbindung haben“.

Für die Gewerkschaften geht es bei der Forderung nach mehr Tarifbindungen einerseits um die Vorteile der Beschäftigten (mehr Gehalt, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Rechte). Andererseits geht es aber auch um Macht. Denn Tarifverträge verschieben laut DGB das Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen zugunsten der Beschäftigten, indem sie Willkür Grenzen setzen. Tarifbindung schaffe zudem Transparenz, Sicherheit und Planbarkeit.

Was das geplante Gesetz für mehr Tariftreue in Deutschland bewirken kann
Für DGB-Chefin Yasmin Fahimi sind mit Blick auf die inzwischen seit zweieinhalb Dekaden sinkende Tarifbindung in Deutschland „klare politische Signale notwendig“, sagt sie gegenüber dem „vorwärts“. Deshalb müssten Rahmenbedingungen für mehr Tarifbindung gestärkt werden – „wir erwarten daher, dass das von der Bundesregierung angekündigte Bundestariftreuegesetz schnellstmöglich kommt“. Die ganz große Trendwende verspreche sie sich davon zwar nicht, „aber überall dort, wo der Staat Geld in die Hand nimmt, muss er seiner eigenen Vorgabe gerecht werden: Unsere Wirtschaftsordnung basiert auf der Funktionsfähigkeit des Tarifsystems.“ Die einfachste Form einer vertrauensvollen Zusage dieser Art seien Tarifbindung und Standortvereinbarungen mit den Gewerkschaften – „im übrigen auch für den Staat ausgesprochen unbürokratisch“. 

Warum die Tarifbindung auch die Demokratie stärkt
Für die Gewerkschaften ist das Tarifvertragsgesetz von 1949 ein Meilenstein für die deutsche Demokratie.  Es regelt grundsätzlich, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber Tarifverträge eigenständig aushandeln und damit die Demokratie in den Betrieben verankert und die Tarifautonomie zum Grundstein der deutschen Arbeitswelt macht. Dass Tarifverträge und Sozialpartnerschaft über Arbeitsbeziehungen hinaus eine wichtige Funktion für die Demokratie haben, besonders in Krisenzeiten, betonte zuletzt Hubertus Heil auf der Veranstaltung 75 Jahre Tarifvertragsgesetz im April in Berlin.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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