Zum 80. Geburtstag von Bundespräsident a. D. Horst Köhler
Schloss Bellevue, 6. März 2023
Abendessen anlässlich des 80. Geburtstag von Bundespräsident a. D. Horst Köhler – Bundespräsident Steinmeier und Bundespräsident a. D. Horst Köhler
© Sebastian Bolesch
Jeder ehemalige Bundespräsident geht mit dem Ende seiner Amtszeit einem unabwendbaren Schicksal entgegen: Er darf von Zeit zu Zeit, bei runden Geburtstagen oder zu anderen Gelegenheiten, die Würdigung durch seine Amtsnachfolger ertragen. Und umgekehrt steht jeder aktive Bundespräsident von Zeit zu Zeit vor der Aufgabe, ehrende Worte über seine Vorgänger zu finden – und bitte nicht dieselben wie beim letzten Mal. Ich versuche das heute sehr gerne wieder, denn es gibt einen Aspekt, der für Ihr Leben und Wirken, lieber Horst Köhler, einer der wichtigsten ist und der vor fünf Jahren, bei Ihrem Fünfundsiebzigsten, in meiner Laudatio noch nicht so im Vordergrund stand.
Liebe Gäste, unter den vielen, oft wunderbar eigenartigen und seltsamen Bildern des Malers René Magritte gibt es ein besonders irritierendes. Man sieht darauf – und zwar eindeutig, da ist gar kein Zweifel möglich – eine Pfeife. Und gleichzeitig liest man auf demselben Bild den Satz: "Ceci n’est pas une pipe"
– das hier ist keine Pfeife.
Bis heute sind die Betrachter dieses Bildes irritiert wegen des Widerspruchs zwischen dem begleitenden Text und dem, was man offensichtlich wahrnimmt. Ähnlich irritiert, lieber Horst Köhler, dürften 2014 die Hörerinnen und Hörer Ihrer Rede gewesen sein, die Sie, im März vor neun Jahren, bei den Afrika-Tagen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gehalten haben. Sagten Sie doch ganz am Anfang, und Sie sprachen von sich in der dritten Person: "Horst Köhler ist kein Afrika-Experte."
Da werden die Zuhörer nicht schlecht gestaunt haben, so wie man wohl auch heute staunt, dass Sie selber das gesagt haben sollen. Horst Köhler ist doch in den Augen der meisten politischen Beobachter derjenige, der wie kein zweiter deutscher Politiker aus der ersten Reihe Erfahrung und Erkenntnisse über Afrika gesammelt hat, die ihresgleichen suchen. Und der gleichzeitig mit unermüdlichem Engagement für Afrika wirbt und Verständnis zu wecken sucht für Afrikas Krisen und für Afrikas Chancen.
Spätestens seit Sie in Ihrer Antrittsrede als Bundespräsident gesagt haben, "für mich entscheidet sich die Menschlichkeit der Welt am Schicksal Afrikas"
, gelten Sie als Anwalt, Fürsprecher und eben auch als ausgewiesener Kenner des afrikanischen Kontinents.
Ich glaube, damals bei der Rede anlässlich der Afrika-Tage ist es vor allem Ihre von Lob und Kritik unbestechliche Wahrhaftigkeit gewesen, die Sie sagen ließ, "kein Afrika Experte"
zu sein. Sie fügten hinzu, dass dieser Titel "in neunzig Prozent der Fälle entweder Schmeichelei oder Selbstüberschätzung"
bedeute – und damit sagten Sie zugleich etwas Wesentliches über sich. Denn für gewöhnlich schenken Sie weder der Schmeichelei Gehör, noch neigen Sie zur Selbstüberschätzung.
Hier sind wir, vom Thema Afrika einmal abgesehen, schon bei einem zentralen Wesenszug des Menschen Horst Köhler: Wahrhaftigkeit. Das hat auch den Bundespräsidenten Horst Köhler ausgezeichnet und ihn der großen Mehrheit der Menschen in Deutschland sympathisch gemacht. Sie selbst sagten noch vor Kurzem in einem Interview: "Ich glaube, dass es in unserem Volk mehr Gefühl für Anstand und Wahrhaftigkeit gibt, als mancher Politiker oder Journalist vermutet."
Wahrhaftigkeit, gepaart mit nüchterner Selbsteinschätzung: Ihr politisches Leben hatte bedeutende, auch internationale Stationen, auf die Sie zu Recht stolz sind; und selbstbewusst mischen Sie sich immer wieder in aktuelle, politische Debatten ein. Bei all dem – sowohl in Ihrer aktiven Zeit als auch danach – haben Sie es sich nie einfach gemacht. Und gerade bei wichtigen Entscheidungen sind Sie immer mit einer Gewissenhaftigkeit vorgegangen, die weder Sie selbst noch Ihre Mitarbeiter und Ratgeber schonte. In Ihrer Zeit als Bundespräsident waren das zum Beispiel zu überprüfende Gesetze, die Sie dann in zwei Fällen nicht unterschrieben haben, oder die Frage der Bundestagsauflösung oder die Frage der möglichen Begnadigung von Terroristen. Wenn Sie aber einmal entschieden hatten und entschieden waren, dann galt es, und jeder konnte sich darauf verlassen.
Die genannte Rede über Afrika, in der Sie dementieren, ein Afrika-Experte zu sein, hat selber einen paradoxen Titel. Sie heißt nämlich "Von der Unmöglichkeit, über Afrika zu sprechen"
und handelt dann – dreißig Minuten lang – von nichts anderem als von Afrika, von unserem Verhältnis dazu, von Kolonialismus und Instrumentalisierung, von Ausbeutung und Freiheitsbewegung, von eurozentrischen Deutungsmustern und von der Notwendigkeit, sich von Stereotypen zu verabschieden. Von neuer Partnerschaft schließlich und von Begegnung auf Augenhöhe.
Von etwas zu reden, weil es ja unbedingt notwendig ist, aber sich beim Reden immer bewusst zu sein, dass man die Wirklichkeit nur sehr fragmentarisch trifft – das führt, wie Sie in dieser Rede sagten, zu Demut: "Die Ehrfurcht vor der Vielfalt dieses Kontinents muss unser Sprechen über Afrika Demut lehren."
Wo aber ohne solche Demut gesprochen werde, da werde unser Sprechen "in einer hilflos vermurksten Version selektiver Wahrheit enden"
. Und Sie fügten noch hinzu: "Afrika ist nichts für Adepten der Eindeutigkeit."
Aus dieser "Unmöglichkeit"
, über Afrika zu sprechen, zogen und ziehen Sie die Konsequenz, mit Afrika, mit den Afrikanern zu sprechen. Bei diesem Dialog geht es Ihnen immer auch darum, die Mitschuld des Westens an unhaltbaren Zuständen zu formulieren, und Sie wählen dabei gelegentlich eine fast klassenkämpferische Sprache, die sicher manche verwundert, etwa wenn Sie vom "globalen Kleptokraten-Kapitalismus"
sprechen, der Afrika "obszön gigantische Summen von Kapital"
entziehe.
Wie wichtig der Dialog mit den afrikanischen Ländern ist, das sehen wir doch an den großen, den drängenden Themen der Gegenwart. Ja, wir müssen noch stärker hinschauen, auch hinhören bei den Fragen, die im globalen Süden die Menschen bewegen. Dazu gehört die lange Kolonialgeschichte, dazu gehört die Erfahrung von Unterdrückung und Entrechtung. Dazu gehören die dramatischen Folgen des Klimawandels mit Extremwetter, Dürren, Ernteausfällen und Hunger. Und dazu gehören, ganz aktuell, die auch in Afrika spürbaren Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, besonders die stark gestiegenen Preise für Energie, Nahrungsmittel und Dünger. Wir brauchen eine neue Partnerschaft, eine Kooperation auf Augenhöhe mit den Ländern Afrikas. Sie, lieber Herr Köhler, haben immer wieder und unermüdlich dafür geworben.
Kein Zweifel: Sie sind ein verlässlicher, ein leidenschaftlicher Freund Afrikas. Dieser Kontinent ist Ihre Herzensangelegenheit. Und wir können Ihnen und uns und natürlich den Afrikanerinnen und Afrikanern nur wünschen, dass Ihre Worte gehört und Ihre Argumente beherzigt werden und dass Ihre Leidenschaft immer wieder ansteckend wirkt.
Ich möchte aber, gegen Ende dieser kurzen Würdigung, noch einmal auf Ihre Worte zurückkommen, Afrika sei nichts "für Adepten der Eindeutigkeit"
. Ich frage mich: Gilt das nicht für sehr viele Felder der Politik, die uns zurzeit beschäftigen?
Müssen wir nicht in vielen Bereichen sagen, dass wir oft in sehr komplexen Zusammenhängen nur zögernd und tastend richtige Lösungen finden werden? Gilt nicht auch in vielen anderen Zusammenhängen, dass wir, wie Sie sagen, "den eigenen Maßstab nicht zum Maß aller Dinge machen"
sollten? Dass in einigen Fragen des jetzigen oder künftigen Zusammenlebens auf dieser Erde, aber auch hier bei uns, in unserem Land, gilt, was Sie über Afrika sagten: "Wir müssen aufhören mit den Lektionen, mit den Urteilen, müssen das Zuhören lernen, müssen eine Kultur des gleichberechtigten Gesprächs entwickeln."
Im Grunde wissen wir ja auch, dass das gut wäre, aber wir handeln dann doch oft nicht danach. Insofern ist es gut und auch notwendig, sich immer wieder daran zu erinnern.
Ein achtzigster Geburtstag, so denke ich wenigstens, lässt noch einmal anders auf das Leben zurückblicken als ein fünfundsiebzigster, den wir gemeinsam vor fünf Jahren begangen haben. Auch heute sind viele Lebenszeugen versammelt, Wegbegleiter aus Ihren verschiedenen beruflichen Stationen, aber vor allem auch Ihre Familie. Ich kann nur ahnen, wie viel Stärke und Halt Ihnen Ihre Frau, Ihre Kinder und Enkel gegeben haben, damit Sie für uns und unser Land der sein konnten und können, der Sie sind. Ich freue mich, dass wir gleich, beim Essen und danach, miteinander ins Gespräch kommen können. Nicht nur über früher, sondern – wie ich Sie kenne – auch über Pläne und Projekte für morgen.
Lieber abwesender René Magritte, liebe anwesende Gäste, das hier ist ein Glas. Tatsächlich. Auch Sie haben alle eines vor sich. Erheben wir unser Glas auf Horst Köhler und wünschen ihm gemeinsam auch weiterhin gute und erfüllte Jahre.