Nachruf auf Horst Ehmke: Schlagfertiger Spezialist für alles

Nachruf auf Horst Ehmke: Schlagfertiger Spezialist für alles

Köln - Horst Ehmke, der am Sonntag im Alter von 90 Jahren in Bonn gestorben ist, war einst einer der mächtigsten Politiker der sozialliberalen Koalition aus SPD und FDP, die 1969 die Große Koalition aus Sozialdemokraten und Union ablöste. Es waren Jahre des Aufbruchs und gesellschaftlichen Wandels in Deutschland, für den Willy Brandt stand, Bundeskanzler von 1969 bis 1974.

Eine liberale Gesellschaftspolitik, die die Erstarrung der 50er und 60er Jahre endgültig verließ, stand im Mittelpunkt. Nichteheliche Kinder wurden ehelichen weitgehend gleichgestellt, nicht mehr wie Straftäter behandelt und der Kuppeleiparagraf gestrichen. Er besagte, dass eine Zimmerwirtin sich der Kuppelei schuldig macht, die es ihrem Mieter gestattete, in seiner Studentenbude mit der Freundin die Nacht zu verbringen.

Die Schule galt als Schule der Nation und nicht mehr die Bundeswehr. Der „Super-Minister“ Karl Schiller (SPD), der für einige Jahre Wirtschafts- und Finanzressort vereinte, gab dieser Regierung einen von leichter Exzentrik durchsetzten populär-wissenschaftlichen Anstrich. Zentral war ebenfalls die neue Ost-Politik Brandts und des Außenministers Walter Scheel (FDP), die die Realitäten der Nachkriegszeit anerkennen wollte.

In diesem Kabinett war Horst Ehmke rechte Hand des Bundeskanzlers, eine Art grauer Eminenz. Er galt als Brandts wichtigster Vertrauter. Sein politisches Wirken entsprang wie bei vielen seiner Generation der Zeit als junger Mann. In Ehmkes Fall war sie von Krieg, Flucht und Vertreibung sowie nach dem Krieg Aufenthalten in den USA geprägt. Mit 16 Jahren wurde er 1943 Luftwaffenhelfer und kam nach dem Notabitur zu einer Fallschirmjägereinheit der Wehrmacht. Als 18-jähriger wurde er verwundet und geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft.

Nach dem Abitur 1946 studierte er, 1952 erfolgte die Promotion. Ehmke absolviert Studienjahre in Princeton (USA), später war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ford Foundation in Köln und Berkeley (USA) tätig. Justizminister Gustav Heinemann (SPD), der spätere Bundespräsident, wurde auf Ehmke aufmerksam, als der an der Uni Freiburg mit 34 Jahren zum Professor ernannt worden war. Er holte ihn 1966 als Staatssekretär in sein Ministerium. Horst Ehmke war schnell, gescheit, schlagfertig, belesen, frech, und es war kein Wunder, dass er Heinemann als Minister beerbte, als dieser Bundespräsident wurde.

An der Seite Willy Brandts

Seine entscheidenden Jahre indes erlebte er an der Seite Willy Brandts, in dessen Regierung er Bundesminister für besondere Aufgaben wurde. Er war der Schatten hinter dem Bundeskanzler, der „Spezialist für alles“, der sich indes nie mit der Rolle des stillen Ermöglichers zufrieden gab. Ehmke stritt und debattierte gerne unnachgiebig. Manchen in der eigenen Partei verärgerte er dadurch. In den TV-Sendungen der jungen Bonner Republik teilte Ehmke sich ohnehin eher als Intellektueller mit spöttischem Witz mit. In einer Zeit, in der Intellektualität durchaus noch als verdächtig gelten konnte, polarisierte der Chef des Kanzleramtes. Zudem teilte sich über den TV-Bildschirm nicht mit, was auch als seine Stärke galt: Ehmke war unterhaltsam, lebensfroh, neugierig und frei von Dünkel. So, wie man sich eigentlich einen Politiker wünscht.

In Vertriebenenkreisen galt der in Danzig geborene Politiker dagegen als Abtrünniger und als in den frühen 70er Jahren Brandts Ost-Politik die Gesellschaft spaltete, wurde ihm als Skandal angekreidet, dass er sich Hosen hatte ersetzen lassen, die er sich an einem Bürostuhl zerrissen hatte. Ebenfalls genüsslich ausgebreitet wurde, als er zum zweiten Mal heiratete.

Widersache Helmut Schmidts

Die Nähe zu Willy Brandt wurde auch zum Schicksal Horst Ehmkes. Als der Bundeskanzler wegen der Affäre Guillaume zurücktreten musste – Günter Guillaume, einer von Brandts engsten Mitarbeitern, wurde als DDR-Spion enttarnt – verließ auch Ehmke das Kabinett. Er galt zudem als Widersacher des Brandt-Nachfolgers Helmut Schmidt. Ehmke war Bundestagsabgeordneter und bekleidete Parteiämter – doch die großen Rollen besetzten nun andere.

1994 stieg er ganz aus der Politik aus. Ihm wird folgendes Bonmot zugeschrieben: Die Jüngeren werden nicht dadurch besser, dass die Älteren länger bleiben. Horst Ehmke begann ein neues Leben als Autor politischer Kriminalromane und suchte vielleicht auf diese Weise auch Ablenkung von dem Feld, dem er sich weiter verbunden fühlte, der Politik. Seine letzten Lebensjahre waren von schwerer Krankheit gezeichnet.

Horst Ehmke starb in einem Krankenhaus in Bonn, wie der frühere Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement jetzt im Namen der Familie mitteilte. Den Wahlspruch „Weder unbesonnen noch furchtsam“ aus dem Danziger Stadtwappen hat Horst Ehmke gerne zitiert. Er steht auch zu seinem Gedenken in der Todesanzeige, die an ihn erinnert.