Honoré Daumier im Städel Frankfurt: Am wunden Punkt der Monarchie
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Honoré Daumier im Städel Frankfurt: Am wunden Punkt der Monarchie

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„Nadar élevant la photographie à la hauteur de l’art“, 1862.
„Nadar élevant la photographie à la hauteur de l’art“, 1862. Foto: Privatsammlung © Privatsammlung

Spitz, spöttisch und im Dienste der Pressefreiheit: Honoré Daumier im Städel Frankfurt.

Der Generalstaatsanwalt, der Innenminister und der Kriegsminister in flagranti erwischt: Sie sind gerade dabei, die Trikolore auszuwaschen. Aber das Rot will nicht so recht, es klebt wie Blut, man schrubbt und schrubbt. Das Rot und das Blau stehen für Paris, die weiße Fahne für die Monarchie - die drei Weißwäscher arbeiten offensichtlich schwer daran, antirepublikanische Ziele durchzusetzen. Diese Karikatur, „Les Blanchisseurs“ von 1832, brachte Honoré Daumier (1808–1879) größten Ärger ein: Er ging dafür ins Gefängnis. Wie es dazu kam, erfährt man jetzt im Frankfurter Städel.

Mit einem Schlag sei das Museum zu einem Daumier-Zentrum geworden, sagt die Kuratorin Astrid Reuter. Der Frankfurter Mäzen Hans-Jürgen Hellwig überlässt dem Städelschen Museums-Verein zu dessen 125-jährigem Bestehen seine rund 4200 Werke umfassende Sammlung als Schenkung. Es sei eine der „wichtigsten Daumier-Sammlungen außerhalb Frankreichs“, sagt Reuter. Als Dauerleihgabe wird sie dem Museum übergeben und werde in Zukunft „sicherlich immer wieder für Überraschungen und neue Blickwinkel sorgen“. Die Ausstellung „Honoré Daumier“ präsentiert eine erste Auswahl dieses Konvoluts. 120 Werke, hauptsächlich Lithographien, daneben Zeichnungen und Plastiken, werden bei 50 Lux präsentiert; es ist etwas schummrig in den Räumen im Erdgeschoss; das Material ist sensibel. Um die Karikaturen, die dem damaligen Zeitgeist entspringen, zu verstehen, empfiehlt sich der Audioguide.

Honoré Daumier war ein etwas untersetzter Mann mit schütterem, längerem Haar und Schifferkrausenbart – so zeichneten ihn seine Zeitgenossen Félix Vallotton, Camille Corot oder Henri Guérard. Er kam aus bescheidenen Verhältnissen; die Familie war von Marseille nach Paris umgezogen, weil der Vater sich dort als Literat versuchen wollte. Doch der Erfolg blieb aus, Daumier musste früh Geld verdienen. Er arbeitete als Laufbursche, wurde Buchhändlerlehrling und erhielt dann Zeichenunterricht.

Schon mit jungen Jahren muss er ein politischer Mensch gewesen sein, sagt Reuter. Denn sonst hätte er nie bei der von Charles Philipon gegründeten Zeitung „La Caricature“ und der später von ihm herausgegebenen Zeitung „Le Charivari“ angeheuert. Es waren turbulente Zeiten. Als Folge der Julirevolution war Louis-Philippe I. zum „König der Franzosen“ ernannt worden. Als „Bürgerkönig“ war er ein liberaler Hoffnungsträger, doch er enttäuschte schnell. Daumier setzte sich in seinen Zeichnungen für republikanische und liberale Ideen ein, für die Presse- und Meinungsfreiheit, es ging um Gerechtigkeit (allerdings nicht für Frauen - zu ihnen hatte er wohl ein schwieriges Verhältnis, und sie waren auch selten Gegenstand seiner Kunst).

Daumier war also politisch engagiert, jung und besaß einen feinen, spitzen Sinn für Humor. Seine grotesken Überzeichnungen trafen den wunden Punkt der Julimonarchie. Ihnen zugrunde liegen genaue, scharfe Beobachtungen, wie beispielhaft bei „Le Ventre législatif“ (1834) zu sehen: Die Männer auf den Ministerbänken – beleibt, schlafend, niesend, desinteressiert, abgelenkt, quatschend. Arbeiten diese Herren etwa für das Wohlergehen Frankreichs?

Seine detailliert ausgearbeiteten Charakterköpfe zeichnete Daumier spiegelverkehrt und mit sicherer Hand auf den Lithographiestein, der vom Kurier schnell zum Verlag gebracht wurde. Statt mit zeichnerischen Vorstudien arbeitete Daumier mit plastischen Modellen, die er selbst aus Ton entwarf und die posthum in Bronze gegossen wurden. Die physiognomischen Eigenheiten der Politiker modellierte er in kleinen Büsten überspitzt heraus: lange Nasen, Knollengesichter, verfettete Kinn-, wulstige Stirnpartien.

Diese Kleinplastiken standen im Verlag, wo sie auch von anderen Zeichnern genutzt wurden, erzählt die Kuratorin. Das eigene Copyright abzugeben – eine uneitel erscheinende Geste –, diente der Sache: Jeder Politiker hatte somit in der Zeitung immer sein typisches, karikaturistisch verzerrtes Spiegelbild, das die Leser leicht wiedererkannten.

Daumiers Gespür für das Allzumenschliche und für gesellschaftliche Veränderungen ist nicht nur seinen politischen Karikaturen anzusehen, sondern auch seinen Zeichnungen auf Papier und seinen eher unverfänglichen Genrekarikaturen, die nach der Verschärfung der Zensur 1835 in „Le Charivari“ veröffentlicht wurden: Zwei angeheiterte Männer schwanken nachts bei strömendem Regen durch die Gassen und singen laut Titel des Bildes: „(Im Chor) Die Sonne ist so schön! …“ Nach Spitzwegs Bild vom „Armen Poeten“ zeichnete Daumier einen Mieter, der mit Regenschirm im Bett liegt, um sich vor dem durchs undichte Dach stürzenden Wasser zu schützen. „Halunke von einem Hausbesitzer …“ nennt er das Werk. Ganz ohne Sozialkritik ging es nicht.

Daumiers Anspruch war auch ein dokumentarischer. „Il faut être de son temps“ (Man muss seiner Zeit angehören) wurde Daumier vielfach zitiert. Er sei damit in gewisser Weise Vorläufer für die Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Cézanne, Monet und Degas gewesen, sagt Reuter.

Nach einem Massaker der Nationalgarde, die in einem Haus an der Rue Transnonain unschuldige Menschen erschoss, zeichnete Daumier einen Toten im Nachthemd, dessen schlaffer Körper aus dem Bett geglitten ist und in einer Blutlache liegt. Auf den zweiten Blick erkennt man weitere Leichen im Raum. „Rue Transnonain“ ist einer der großformatigen, besonders wertvollen Drucke, die auf hochwertigem weißem Papier, „sur blanc“, gedruckt wurden.

In der Ausstellung sind neben den „Sur blancs“ zahlreiche originale Zeitungsdrucke zu sehen, durch einige schimmert der Text der anderen Seite hindurch, andere sind handschriftlich betitelt – so kamen die Werke in den Druck. Auch ein paar nie in der Zeitung abgedruckte Werke werden präsentiert: Sie waren der Zensur zum Opfer gefallen.

Mit Rotstift ist ein „Non“ auf das Werk mit dem Titel „Nach rechts oder nach links? …“ geschrieben. Es ist ein scheinbar harmloses Motiv und zeigt einen Mann in Rückenansicht vor mehreren Wegweisern. Die Zeitgenossen erkannten darin unschwer den Politiker Émile Ollivier, der sich überraschend auf die Seite Napoleons III. schlug.

Großen Ärger handelte sich Daumier im Jahr 1831 ein, als er den „Bürgerkönig“ Louis-Philippe mit birnenförmigem Kopf als gefräßigen, auf einem hohen Thron sitzenden Riesen Gargantua darstellte, dem das Volk die letzten Habseligkeiten opfert. Der König verschlingt sie gierig – und scheidet sie als Gratifikationen für seine Bediensteten wieder aus. Das Blatt wurde verboten, Daumier, der Verleger Philipon und der Drucker zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt.

Es scheint Daumier nicht weiter gestört zu haben: Mit den eingangs beschriebenen „Weißwäschern“ legte er nach – und zog diesmal das Ticket ins Gefängnis. Allzu unbequem schien es da aber nicht zu sein, wie die Zeichnung „Erinnerung an Sainte-Pélagie“ von 1834 zeigt: Die Zelle ist eher ein gemütliches Lesestübchen, Wein und Tabak in Reichweite.

Nach der Flucht des „Bürgerkönigs“ wurde am 24. Februar 1848 die Zweite Republik ausgerufen. Es kam jedoch ein neuer autoritärer Herrscher an die Macht: Napoleon III., der mit umherziehenden Schlägertrupps die Bevölkerung einschüchterte. Daumier erschuf die zwielichtige Gestalt des „Ratapoil“; eine hagere Figur im Gehrock mit zerbeultem Hut und einem Schlagknüppel als Gehstock. Die plastische, aus Ton modellierte „Vorstudie“ ist als Bronzestatuette ausgestellt und ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie dreidimensional und bewegt Daumier seine Charaktere anlegte.

In den 1850ern und 1860ern beschäftigte sich Daumier mit zahlreichen weiteren Themen, etwa gesellschaftlichen und technischen Neuerungen – zum Beispiel Nadars fotografischen Experimenten –, den Tücken des Großstadtlebens, der Selbstbezogenheit des Kunstbetriebs und auch mit politischen Spannungen. Die Darstellung von Europa, die auf einer schon glimmenden, runden Granate balanciert, könnte auch aus der heutigen Zeit stammen. Daumiers letzte Zeichnung für „Le Charivari“ zeigte 1872 die Monarchie als Leiche im Sarg. Diesmal sollte sie ein für alle Mal auch dort bleiben!

Städel Museum Frankfurt: bis 12. Mai. staedelmuseum.de

„Le passé – le présent – l’avenir“, 1834 Foto: Privatsammlung
„Le passé – le présent – l’avenir“, 1834 Foto: Privatsammlung © Privatsammlung

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