Das vorliegende Buch setzt sich mit der medialen Inszenierung von Architektur in der ersten Nachkriegsdekade auseinander. Dieser Moment des Aufbruchs ist mit vielen Zukunftsvisionen verbunden. Architektur als Medium des Zukünftigen weist auf, welche Möglichkeiten von Zukunft es gab. Zukunft bedeutet Gestaltung, also hat Architektur – im weitesten Sinne verstanden – eine besondere Relevanz für das Thema: Architektur strahlt aus, schafft Resonanzen und erfasst alle Bereiche von der Typografie bis hin zu Stadtimagekampagnen.

Jedes Kapitel in Architektur als Medium des Zukünftigen findet seinen Weg zu kleinen Ereignissen, ephemeren Phänomenen und abseitigen Beispielen und bietet prismatische Berührungspunkte mit der als „mainstream“ definierbaren Kunst der späten 1940er Jahre. Dazu gehören der Termitenlärm im fünften Traum von Günter Eichs bekanntestem Nachkriegshörspiel Träume (1951), die auf drei Ausgaben limitierte Architekturzeitschrift BAU. Zeitschrift für wohnen arbeiten sich erholen (1947) und der 15-minütige Wiederaufbaufilm Stein auf Stein. Ein Land baut auf (1949), der für einen einmaligen Aufführungsanlass produziert wurde und danach im Archiv verschwand, weil sich die Gelegenheit zu einer weiteren Aufführung wohl verflüchtigte. Daran lässt sich auch ablesen, welche Arten von Zukünftigkeit den Werken selbst eingeschrieben sind.

Die Zukunftsorientiertheit der hier besprochenen Werke muss im Zusammenhang mit der Latenz der Nachkriegszeit und den Kontinuitäten von Strukturen und Eliten aus der Zeit des Nationalsozialismus gelesen werden. Anhand der Auswahl und Zusammenstellung der Werke wird sichtbar, wie sich avantgardistischer Traum, kulturelle Utopie und tiefstes politisches Trauma in dieser schwierigen Zeit so unheimlich miteinander vermischen. Zukunft wird bereitgehalten, zeitgleich aber abgewehrt. Die Zukunftsentwürfe werfen immer einen Blick in die Vergangenheit, während sie temporal nach vorne schauen.

Vor dem Hintergrund der damaligen Ressourcenknappheit, der Medienregulierung und Lizensierungspolitik der alliierten Besatzer oder der Konzentration auf das „Machbare“ zeigen sich in den hier untersuchten frühen Werken Momente des Exzesses, die über sich hinausweisen. Was auf den ersten Blick wie eine Mikrostudie wirken mag, birgt sehr viel Potenzial. Denn gerade die kleinen Formate sind für die Beschreibung eines allgemeinen Zustands relevant. Der Wert des Mikrobereichs wird im Ausleuchten des Singulären und Partiellen offenbar, da so die Verflechtungen der undichten, nur unsauber voneinander zu trennenden Bereiche (Architektur, Literatur, Grafik, usw.) anschaulich werden.

Zudem werden Konzepte wie „Oberfläche“ oder „Topologie“ verhandelt, die aussagefähige Perspektiven auf die Architektur im Medienzeitalter werfen. Diese weisen voraus auf den in den 1950er Jahren folgenden Umbruch im modernen Mediengefüge, zu dem das Fernsehen als neues Medium hinzukam und in denen es zur Wirkungsverstärkung der Einzelmedien kam, die ein weiteres Medium beinhalten, es modifizieren und darauf zurückweisen.Footnote 1 Außerdem zeigen sich Abstraktionstendenzen, die als ein weiteres Merkmal der Medienentfaltung der 1950er Jahre gelten. In unterschiedlicher Weise befragen die untersuchten Werke die Tiefe des Raumes oder die Existenz eines Innen. Feste, statische Körper und Raumbilder werden von der Eigenbewegung der Texturen, der grafischen und architektonischen Elemente ergriffen, führen zu einem Kräftespiel, das die Architektur aus herkömmlichen Zwängen befreien soll.

In seinem autobiografischen Buch Nach 1945. Latenz als Ursprung der Gegenwart (2012) beschreibt der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht die zeitliche Charakteristik der Nachkriegszeit, in der die latente Wirkung der NS-Zeit spürbar ist und gleichzeitig der Ursprung der aktuellen historischen Periode erkennbar wird.Footnote 2 Gumbrecht „bezeichnet als subjektive ‚Stimmung‘ wie als objektive Gegebenheit das ‚Einfrieren der Zeit‘, das aus der fortdauernden Last der Vergangenheit wie aus der gegenwärtigen Blockierung durch den Kalten Krieg samt seinen Folgen (wie der deutschen Teilung) resultiert und sich als eine versperrte Zukunft ohne Handlungsperspektiven darstellt.“Footnote 3 Im Buch arbeitet der Literaturwissenschaftler drei ästhetische und erkenntnistheoretische „Konfigurationen von Topoi“Footnote 4 heraus, die für ihn „Resultate beziehungsweise Reaktionen auf die besondere Latenzsituation nach dem Zweiten Weltkrieg“Footnote 5 darstellen. Diese Konfigurationen verdeutlicht Gumbrecht unter anderem an Beispielen von Autor*innen des ersten Nachkriegsjahrzehnts sowie alltags- und populärkulturellen Quellen. Die erste Konfiguration einer gleichzeitigen Eingangs- wie Ausweglosigkeit enthält eine räumliche Komponente: ein „[…] Gefühl des Eingeschlossenseins in einem Raum ohne Ausgang mit der gegenteiligen Obsession zusammen, sich außerhalb eines Raums zu befinden […]“.Footnote 6 „Der ersehnte Raum bleibt „Objekt der Begierde“Footnote 7 und wird zu einem „Latenzraum“.Footnote 8 Die zweite Gruppe bezieht sich auf ein Gefühl der „Unwahrhaftigkeit“Footnote 9 der Welt, das mit immer neuen „Befragungsrituale[n]“Footnote 10 verbunden ist, „[…] in denen es darum geht, verborgene oder latente Wahrheiten ans Licht zu bringen.“Footnote 11 Der dritte Leittopos bezieht sich auf „[…] Situationen der Entgleisung (oder von Bewegungen, die außer Kontrolle geraten) […]“Footnote 12 und die gleichzeitige „[…] Sehnsucht nach Strukturen, welche existenziellen Schutz bieten könnten […]“Footnote 13 sowie die „Unsicherheit der Formen“Footnote 14 („Behälter“Footnote 15, Hohlräume, Gefäße). In der Verwendung des Terminus vom „Zukünftigen” möchten diese Konfigurationen mitgedacht werden – sie tragen dazu bei, dass die impliziten Forderungen an das Kommende ambivalent artikuliert werden.Footnote 16

In diesem Buch finden sich, abhängig von den Machtinteressen der verschiedenen Akteure und deren Erwartungen an die Zukunft, partielle, konkurrierende, zum Teil widersprüchliche Zukunftserschließungen, von einer dystopisch gefürchteten bis zur utopisch gewünschten Zukunft. Diese beinhalten auch den Anspruch der Avantgarde-Bewegungen an die Architektur, die Lösung für alle sozialen und gesellschaftlichen Problemlagen bereitzuhalten.Footnote 17 Im Kontext der Diskussion über Sinn und Zielsetzung einer zeitgemäßen Formgestaltung für den Wiederaufbau durchziehen moralische Positionen den Architekturdiskurs der damaligen Zeit. Stadt- und Bauformen werden moralisch kodiert und ihnen wird die Rolle eines Konfliktlösungsmediums zugewiesen.Footnote 18 Die „gute Form“ im Produktdesign und in der architektonischen Gestaltung waren Metaphern für eine gelungene Lebensgestaltung und eine humane Gesellschaft.Footnote 19

In der Nachkriegszeit existierten drei Haltungen im Umgang mit der „leeren“ Fläche und der Gliederung des Raums, die sich in den von mir analysierten Werken wiederfinden und sich zum Teil gegenseitig durchdringen. Für die wiederaufbauende Rekonstruktion und die Wiederherstellung des vertrauten Stadtbildes stehen musterhaft Städte wie Münster oder Freudenstadt mit giebelständigen Häusern.Footnote 20 Zentral war außerdem ein technokratischer Ansatz, den das Leitbild der autogerechten Stadt repräsentiert, für den das effiziente Funktionieren entscheidend war und bei dem die Entstehung qualitätvollen Raums dem Zufall überlassen blieb. Beispiele hierfür sind der Ausbau der Stadt Bonn zur Bundeshauptstadt und die sog. „Brückenfamilie“Footnote 21 der Stadt Düsseldorf, deren Wiederaufbauplanung als besonders fortschrittlich galt. Drittens findet sich eine Avantgarde-Haltung, für die Hans Scharoun mit seiner Neuplanung für Berlin steht. Sie war eine der wenigen modernistischen Planungen, die von einem deutschen Stadtplaner erarbeitet wurde. Hierzu zählen auch die utopischen Entwürfe des Planerteams der französischen Militärregierung im teilautonomen Saarland, die zentral für die von mir behandelte Architekturzeitschrift BAU sind, darunter das Aufbauprojekt von Georges-Henri Pingusson für die Stadt Saarbrücken.Footnote 22 Als es in den 1980er Jahren zu einer Neubewertung der Architektur der 1950er Jahre kam, rückten die kontroversen Konzeptionen und Tendenzen des städtebaulichen Wiederaufbaus in den Fokus. Hiltrud Kier, damalige Leiterin des Kölner Amtes für Denkmalschutz, brachte die Architektur der 1950er Jahre ins Bewusstsein von Kunsthistoriker*innen, Landeskonservator*innen und Forscher*innen. In ihrer 1990 erschienenen Monografie Architektur der 50er Jahre. Bauten des Gerling-Konzerns in Köln setzt sie sich sehr persönlich mit den eigenen Berührungsängsten und ihrer Verweigerungshaltung gegenüber dem problematischen und belasteten baulichen Erbe des Nationalsozialismus auseinander. Ende der 1980er Jahre erschien das inzwischen zum Klassiker gewordene zweibändige Werk Träume in Trümmern. Planungen zum Wiederaufbau zerstörter Städte im Westen Deutschlands 1940–1950 von Werner Durth und Niels Gutschow. Darin weisen die Autoren u. a. auf die Kontinuität der Planungen für die luftschutzgerechte Stadt im Dritten Reich als Leitideal der gegliederten und aufgelockerten Stadt der Nachkriegszeit hin. Ebenso zum Kanon gehört Werner Durths Deutsche Architekten. Biografische Verflechtungen 1900–1970, eine Aufarbeitung der Biografien der für den Wiederaufbau in Deutschland verantwortlichen Architektenschaft.

Inwieweit Architektur in dieser Zeit prägen kann oder sie selbst vom Trauma geprägt ist, lässt sich an der medial inszenierten Nachkriegsarchitektur im vorliegenden Buch diskutieren. Sie ist Symptom einer „Baukultur der Bewusstlosigkeit“Footnote 23. Der Architektur der Nachkriegszeit haben sich das Trauma des Nationalsozialismus und die Folgen des Zweiten Weltkriegs eingeprägt, die vor allem in Deutschland für die Entstehung einer gedächtnislosen Stadtgestaltung ausschlaggebend waren.Footnote 24 Im Zusammenhang mit ihrer Theorie des kulturellen Gedächtnisses schreibt Aleida Assmann: „Der Preis für den sozialen und wirtschaftlichen Sprung nach oben ist der Verlust der eigenen Vergangenheit.“Footnote 25 Die funktionalistischen Trabantensiedlungen als Langzeitfolge der Nachkriegsplanungen kritisiert Alexander Mitscherlich in Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden (1965). Nach ihm prägt sich Architektur dem Menschen ein; Gebäude sind mediale Konstrukte mit Platzhalterfunktion für traumatische Erfahrungen. Die inhumane räumliche Umgebung und ihre Bauten formen die Bewohner*innen wie „Prägestöcke“Footnote 26, die sie in eine bestimmte psychische Verfassung zwingen. Zudem soll sich wiederum Sprache im Diskurs der Nachkriegszeit der Architektur einprägen.

Wie sich hier bereits andeutet, ist die Position der Nachkriegsarchitektur von Verschiebungen und Ablösungen gekennzeichnet. Architektur verschiebt sich selbst und findet immer neue „Spielräume“; dies zeigt sich am Topos der Oberfläche oder an Architekturen, die vom Boden abgehoben werden sollen.

Indem der gebaute Raum als Medium der Übertragung erforscht wird, schließt sich das vorliegende Buch an ein medientheoretisches Architekturverständnis und den erweiterten Architekturbegriff der kulturwissenschaftlichen Architekturforschung an, der über die materielle Realität von Gebäuden und die Baupraxis hinausgeht. Im Sinne einer kulturwissenschaftlichen Architekturforschung kann Architektur als „Zeichen und Medium untersucht und konzeptualisiert werden, als Artefakt und Dispositiv, als kultureller Speicher oder als Gedächtnisort.“Footnote 27 Architektur als gebautes „schweres“ MediumFootnote 28 und gesellschaftliches Phänomen ist omnipräsent. Sie hat eine soziale Funktion, indem sie Beziehungen zwischen Menschen bahnt und ordnet. Durch Teilen und Öffnen, durch Ein- und Ausgrenzen gliedert sie den gesellschaftlichen Raum und regelt den Zugang zu universellen Ressourcen.Footnote 29 Die Definition als Medium resultiert aus der Eigenlogik von Architektur als vermittelnder Form und damit einer Rahmung, der Möglichkeiten und Zweckmäßigkeiten zugeordnet werden können.Footnote 30 Die Baukörpergrenze der Architektur impliziert den Einschluss eines Raumes und gleichzeitig eine Grenzziehung zwischen Innen und Außen. In klassischen medientheoretischen Texten, wie beispielsweise des Vertreters der Toronto School Marshall McLuhan, ist der gebaute Raum wiederkehrende Bezugsgröße, mit der elementare Medienoperationen durchgespielt werden – sei es als Kanalsystem, das Ströme lenkt, als kommunikative Oberfläche, mit der interagiert werden kann, oder als sich adaptierende und anschmiegende Hülle des menschlichen Körpers.Footnote 31

Mit diesen metaphorischen Übertragungen soll ein eindringliches Bild für die Effekte zunehmender Vernetzung und Beschleunigung gezeichnet werden, das das materielle Verschwinden der Architektur ankündigt.Footnote 32 Bei Paul Virilio mündet das Verschwinden zeitlicher Dauer und das Auslöschen von Distanzen in einer „technischen Apokalypse“, die er als Fortsetzung des Kriegs der Menschheit gegen sich selbst in eine Erzählung bringt.Footnote 33 Jüngere wissenschaftliche Ansätze gehen von Gebäuden als Medien im Kittler’schen Sinne aus und von „medialen Operationen und deren architektonischen Materialisierungen“.Footnote 34 In seinem Essay „Eine Stadt ist ein Medium“ (1988) denkt Friedrich Kittler den städtischen Raum als mediale Konfiguration der Ausbreitung eines Systems sich überlagernder und teilweise unsichtbarer technischer Netze.Footnote 35 Als Pionierin architekturtheoretischer Beschäftigung mit der medialen und kommunikativen Nutzung und Verbreitung von Architektur sei hier Beatriz Colomina genannt, die seit Ende der 1980er Jahre Bildmedien eine zentrale theoretische Position einräumt und die traditionelle Rollenzuschreibung der Architektur als elitärer künstlerischer Praxis in Abgrenzung von der Massenkultur hinterfragt. In Clip, Stamp, Fold. The Radical Architecture of Little Magazines 196X to 197X untersucht Colomina die Rückkopplung von Architektur und Medien in den 1960er und 1970er Jahren, als weltweit eine Vielzahl unabhängiger, limitierter „little magazines” entstanden, die an die Manifestproduktion und „kleinen“ Literaturzeitschriften der klassischen Avantgarden anknüpfen. Colomina zufolge stehen gebaute und mediale Realität in einem reziproken Verhältnis. Jenseits der Baustelle sind die parallel zur modernen Architektur entstehenden neuen Massenmedien des 20. Jahrhunderts „the true site within which modern architecture is produced.“Footnote 36 Medienprodukte wie Architekturausstellungen oder Printprodukte wie Zeitschriften gewannen als Teil einer sich ausbreitenden Bildkultur zunehmend an Relevanz und verselbständigten sich gegenüber der eigentlichen Bautätigkeit. In dem Artikel „Medienarchitektur oder Von der Architektur des Bildes“ zeigt Colomina auf, dass die sich wandelnde Berufspraxis von Architekt*innen mit einer verstärkten Hinwendung zu den Bildmedien zusammenhängt. „The perception of space is not what space is but one of its representations: in this sense built space has no more authority than drawings, photographs, or descriptions.“Footnote 37 Anhand der Inszenierung von Mies van der Rohes Entwurf für ein Glashochhaus an der Berliner Friedrichstraße, das mittels Fotomontage in die Berliner Stadtlandschaft mit historischer Bebauung eingebettet wird - um deren Wirken im Kontext simulieren zu können - wird umso deutlicher, dass das Bild zum eigentlichen Anliegen des architektonischen Schaffens wird.Footnote 38

Mein Buch soll keine umfassende Aufarbeitung der medialen Repräsentation von Architektur in der Nachkriegszeit leisten. Vielmehr will es einen weiteren Baustein der Erkenntnis liefern, wie sich der Architekturdiskurs in den Massenmedien gestaltet hat. Im Fall der Architekturzeitschrift sowie des Films lagen zum Zeitpunkt der Entstehung noch keine Forschungsarbeiten vor, so dass es hier zunächst einmal darum ging, die Quellen zu erschließen, deren Entstehungsgeschichte zu zeigen und die Basis zu legen für die weitere Durchdringung der behandelten Themen und Motive. Für das Hörspiel wurden bereits einzelne relevante Aspekte wissenschaftlich erarbeitet, allerdings zu wenig mediengerecht und nur punktuell im Hinblick auf die radiophonen Besonderheiten.

Den einzelnen Kapiteln des Buches sind jeweils die Medien Radio, Zeitschrift und Film zugeordnet. Das erste Kapitel konzentriert sich auf den Klangraum als Medium im McLuhan’schen Sinn. Für McLuhan ist Architektur, die er als dritte Haut versteht, primär eine subjektiv erfahrbare Umgebung, eine Umhüllung des menschlichen Körpers. Das Radio als technisches Medium ist als Expansion des menschlichen Körpers und des Nervensystems zu verstehen.Footnote 39 Veränderungen der Architektur in der Moderne lassen sich seinem Verständnis zufolge auf Effekte neuer, technischer Medien zurückführen.Footnote 40 In Eichs Hörspiel wird die menschliche Haut als metaphorisches Denkkonzept verwendet und mit den Motiven Hülle und Haus verknüpft. Das Membranmotiv, mit dem die Architektur der Nachkriegszeit eher nicht in Verbindung gebracht wird, taucht als avantgardistisches Element im Hörspiel auf und weist auf Architekturkonzeptionen der 1960er Jahre, wie u. a. pneumatische Hüllen, voraus.

In diesem Kapitel wird auch der akustische Raum des 1951 erstmalig ausgestrahlten Nachkriegshörspiels Träume anhand eines einzigen ausgewählten Traums untersucht. Der Handlungsschauplatz des fünften Traums ist ein Hochhaus im New Yorker Stadtteil Manhattan, das von Termiten zerfressen wird. Sukzessive werden die Bewohner*innen des Hochhauses der Macht eines Geräusches ausgesetzt, das sie zu identifizieren und zu verorten versuchen. Meine Soundanalyse konzentriert sich auf die technische Realisation des (Termiten-)Geräuschs, das ich mit der zu Anfang der 1950er Jahre in Deutschland einsetzenden Entwicklung der elektronischen bzw. elektroakustischen Musik in Verbindung bringe, die aber auch mit der Dronemusik der 1960er Jahre verknüpft werden kann. Drone kann hierbei auf das Wort threnos (altgriechisch: Trauer- oder Klagelied) zurückgeführt werden. Die Klanglandschaft des Hörspiels ordne ich zudem in das Begriffsfeld von Resonanz ein. Eich inszeniert Medienkultur als Kultur der Paranoia und schließt damit zum einen an das Katastrophenhörspiel des frühen europäischen Radios an, weist aber beispielsweise auch auf die „Insect Fear“ Filme des amerikanischen Kinos der 1950er Jahre hin (z.B. Formicula oder Them, Regie: Gordon Douglas), die im Kontext der atomaren Bedrohung entstanden. Akustische Gewalt und akustisches Trauma sind inhärente Konfigurationen des Hörspiels, die bisher noch nicht wissenschaftlich aufgearbeitet wurden. Zur Codierung von akustischer Gewalt beziehen sich meine Ausführungen u. a. auf den britischen Musiktheoretiker und Kulturwissenschaftler Steve Goodman, der sich in Sonic Warfare. Sound, Effect and the Ecology of Fear mit akustischer Kriegsführung als sonotraumatischem Ereignis beschäftigt. Zudem ist Eichs Hörspiel von der Dynamik triadischer Konstellationen geprägt und Kommunikation als Beziehungsspiel gegen, mit und um ein Drittes inszeniert. Um das Dritte im Kommunikations- und Informationsraum des Hörspiels als Mediengeflecht von Text, Musik und Geräusch besser einordnen zu können, bietet sich Michel Serres Medientheorie an. Der französische Philosoph und Wissenschaftshistoriker erklärt den Parasiten zum symbolischen Träger von Kommunikation und orientiert sich dabei an dem französischen Wort parasite und dessen drei Grundbedeutungen: physikalisches Rauschen, kleines Tier und soziale Konfiguration.

Das Hochhaus ist ein Ort der „gestörten Orientierung“ und der unklaren Kommunikation der Protagonistinnen, die Eich zu (Medien-)Konsumentinnen macht. In Eichs Dystopie zeigen sich Effekte, die Mitscherlich in seiner Analyse der funktionalistischen Nachkriegsplanung beschreibt und die er auf das Versagen der Kommunen in der Nachkriegszeit zurückführt. Diese förderten den Umbau zur konsumorientierten Stadt und schafften Raum für „Erlebnis“, wobei die Individuen zu Konsument*innen degradiert wurden. Mit dem in Manhattan lokalisierten Hochhaus schließt Eich aber auch an antiamerikanistische Tendenzen an, die nach 1945 in Allianz von linker bis rechter Kulturkritik vertreten wurden. Sie waren von der Angst beherrscht, dass der mit der demokratischen Ordnung einhergehende Massenkonsum eine Bedrohung für Elitismus und „die eigene Tradition“ darstellt.Footnote 41 Im Hörspiel wird der technisch handelnde dem schöpferischen Menschen gegenübergestellt und u. a. anhand des Umgangs der Frauen mit dem Radio thematisch aufgegriffen. Im ersten Kapitel werden außerdem Eichs Biografie und seine Karriere als Rundfunkautor im Nationalsozialismus sowie sein künstlerisches Schaffen erneut zur Disposition gestellt. Damit wird an die in den 1990er Jahren besonders von Axel Vieregg eingeleitete Debatte über Eichs Verstrickungen im Dritten Reich angeschlossen.

Auch wenn sich das Buch nicht zum Ziel setzt, die Verbindung zur Kybernetik herzustellen, sollte man beim Lesen des ersten Kapitels und im Zusammenhang mit dem Motiv der Insekten die Kybernetik im Hinterkopf behalten. Der Zeitpunkt 1946 bis 1949 fällt mit dem Aufkommen der „Kybernetik zweiter Ordnung“, d. h. einer nicht mehr mechanischen Form der Selbstregulierung von Programmen und Maschinen, in den USA und darüber hinaus zusammen. Die berühmten interdisziplinären Macy-Konferenzen, bei denen Mathematiker*innen, Ingenieur*innen, Psycholog*innen, Anthropolog*innen und sogar Designer*innen zusammenarbeiteten, fanden von 1946 bis 1953 statt. Der Diskurs über Insekten, sowohl Ameisen als auch Termiten, bietet eine Möglichkeit, über kybernetische und systemische Verarbeitung zwischen Organismen zu sprechen.Footnote 42 Wie im zweiten Kapitel angedeutet, hat die Umwandlung von Trümmern in Gebäude durch eine massive Mobilisierung derjenigen, die den Krieg überlebt haben, etwas Ameisenhaftes.Footnote 43

Des Weiteren soll an dieser Stelle noch auf die Sammlung und Deutung von Träumen aus der Zeit des Nationalsozialismus Das dritte Reich des Traums der deutsch-jüdischen Journalistin Charlotte Beradt aufmerksam gemacht werden, die Eichs Träume[n] vorausgeht und die die Forschung bisher noch nicht mit Eichs fünftem Traum in Verbindung gebracht hat. Beradt dokumentierte zwischen 1933 und 1939, dem Jahr ihrer Flucht ins New Yorker Exil, die Träume von etwa 300 Personen unterschiedlichster Milieus. Über eine Radiosendung des Westdeutschen Rundfunks im Jahr 1963 wird das gesammelte Material erstmalig auch in Deutschland verbreitet.Footnote 44 Bei ihrer Traumsammlung ging es Beradt nicht darum, dass die Träume auf individueller Ebene gedeutet werden, sondern um die Beeinflussung der Träumer*innen durch die sie umgebende politische Gegenwart.Footnote 45 Im zweiten Kapitel der Sammlung mit der Überschrift „Der Umbau der Privatperson oder ‚Das wandlose Leben‘“ berichtet ein Arzt von einem Traum im Winter 1934: „Während ich mich nach der Sprechstunde, etwa gegen neun Uhr abends, mit einem Buch über Matthias Grünewald friedlich auf dem Sofa ausstrecken will, wird mein Zimmer, meine Wohnung plötzlich wandlos. Ich sehe mich entsetzt um, alle Wohnungen, soweit das Auge reicht, haben keine Wände mehr. Ich höre einen Lautsprecher brüllen: ‚Laut Erlaß zur Abschaffung von Wänden vom 17. des Monats.‘“Footnote 46 Das Motiv der Wandlosigkeit wird hier wie in Eichs Hörspiel widergespiegelt. Allerdings verschiebt sich der Fokus bei Eich hin zum Thema der Vernetzung über eine globale Kommunikation und Kommunikationstechniken, die ein absolutes und anonymes Kontroll- und Überwachungssystem ermöglichen.

Auch auf das bereits 1946 erschienene Buch Hitler in uns selbst des Schweizer Arztes und Kulturphilosophen Max Picard soll im Zusammenhang mit Eichs Werk verwiesen werden. Es handelt sich hierbei um eine der ersten Diagnosen des Nationalsozialismus, die dem Einzelnen eine „Wegweisung zur kritischen Selbstanalyse“Footnote 47 geben wollte. Im Denken Picards wird der Nationalsozialismus aber letztlich als Krankheitssymptom der modernen Gesellschaft und Kultur gedeutet.Footnote 48 Schon lange vor 1933 hätten sich „Strukturen, in denen sich der Nationalsozialismus festsetzen und verbreiten konnte in der Bevölkerung aufgebaut“.Footnote 49 Im Kapitel „Der Mensch und das Radio“ formuliert Picard seine Kritik am Radio als technischem Medium, das für die fehlende „innere Kontinuität“Footnote 50 des Einzelnen verantwortlich gemacht werden muss: „Beim Radio aber ist nur noch die menschenlose Apparatur vorhanden, die alles zusammenhangslos aufreiht.“Footnote 51 Und weiter heißt es: „Alles ist abgerissen im Innern und abgerissen im Äußern, dauernd ist nur das andauernde Geräusch des Radios.“Footnote 52 Er stellt fest: „Das ist die Wirklichkeit für den Menschen von heute: der Bericht des Ereignisses im Radio, nicht die unmittelbare Wirklichkeit“Footnote 53. Schließlich taucht auch der Traum als Motiv auf: „Der Deutsche heute hat also nicht darum zur Wirklichkeit keine Beziehung, weil er ein Träumer ist, sondern es ist umgekehrt: er ist auch kein Träumer mehr, weil er keine Wirklichkeit mehr hat. Der Traum heute hat gar keine Wirklichkeit unter sich, die er durchsichtig machen und lockern könnte. Der Traum hat hier gar nichts mehr zu vollbringen; die Wirklichkeit ist schon gelockert heute, aber nicht durch den Traum, sondern durch die Auflösung.“Footnote 54 Der Argumentationsgang von Picards medienkritischer Rundfunktheorie erinnert an Eichs Hörspielproduktion, die die Konstruktion und Inszenierung von Wirklichkeit durch Massenmedien vorführt und bewusst mit den Grenzen von fiktionaler Realität und fiktionalem Traumgeschehen vor dem Hintergrund einer konsumorientierten und medial geprägten Nachkriegsgesellschaft spielt.

Im Fokus des zweiten Kapitels steht die Architekturzeitschrift BAU. Zeitschrift für wohnen arbeiten sich erholen die in der frühen Nachkriegszeit in der deutsch-französischen Grenzregion publiziert und von der französischen Militärbehörde unterstützt wurde. Die BAU bewarb deren architektonisches Erziehungsprogramm und besprach ausführlich die ambitionierten urbanistischen Planungen, die im Auftrag der Besatzungsbehörde von einem Team renommierter französischer Architekten und Städtebauer für das teilautonome Saarland entwickelt wurden. Die BAU sollte in den frühen Nachkriegsjahren mitbestimmen, in welche Richtung sich das Bauen entwickelt und die Leser*innenschaft mit den Leitbildern des funktionalistischen Städtebaus vertraut machen. Dabei sollte die Zeitschrift die experimentellen Entwürfe im damaligen lokalen Architekturbetrieb vermitteln und nahm gleichzeitig Teil an einer europäischen Debatte um die Gestalt und Organisation der modernen Stadt. Der Herausgeber Otto Renner versucht mit der Zeitschrift BAU die französischen Urbanisten an der Saar als neue Bewegung in der Öffentlichkeit zu etablieren und verfolgt gleichzeitig einen eigenen künstlerischen Anspruch und seine Autonomie. In einer avantgardistischen Geste zeigt er auf, in welche Richtung sich die Architektur entwickeln soll. Dabei greift er auch auf problematische moderne Konzepte Le Corbusiers zurück und verfolgt eine doppelte Strategie: einerseits die kritische Übernahme einer von den Nationalsozialist*innen verfemten Tradition und andererseits die Rekolonialisierung. Überdies versucht Otto Renner, in seiner Ambivalenz und beruflichen Verstrickung mit der NS-Vergangenheit, seinen Vater, den von den Nationalsozialist*innen geächteten Typografen Paul Renner, zu rehabilitieren, ihn aber zugleich mit der Zeitschrift zu überwinden. Otto Renner knüpft an die Vorkriegsavantgarde an, um den Funktionalismus der Nachkriegsjahre herzuleiten und sich als Autorität zu etablieren. Er will daraus insofern auch bleibenden Wert schöpfen, indem er bestimmt, was als Vermächtnis gilt. Der gedruckten Zeitschrift schreibt Renner bereits ein Potenzial als Speicher zu und arbeitet dem „oberflächlichen“ Medium entgegen, das selbst durch Serialität, Betonung des Visuellen für flüchtige Wahrnehmung und Konsum charakterisiert ist. Die BAU als ephemeres Medium ist vom Bestreben gekennzeichnet, Persistenz sicherzustellen und gültige Werte zu festigen. Die sich darin zeigende Instabilität zwischen Permanenz und Ephemeralität gilt heute als charakteristisch für das Digitale. Die Hinwendung zum Ephemeren, zum Flüchtigen als medialem Prinzip eigener Existenzberechtigung vollzieht sich jüngst im Rahmen der Forschung zur digitalen Kultur. Die Technik des Speicherns kann nicht mehr selbstverständlich als Standard der Medienpraktiken vorausgesetzt werden; stattdessen werden das Löschen, das Verschwinden und das Entziehen als Spezifik und Signum digitaler Medien reflektiert.Footnote 55

Letztlich stehen die aktuelle Information, die zeitnahe Berichterstattung und die Aktualität, die mit dem technischen Medium Zeitschrift verbunden sind, einer „Persistenzerwartung“Footnote 56 entgegen, so dass wir es mit einer Paradoxie des „fortdauernd Ephemeren“ zu tun haben. Die Zeitschrift als Medium „bringt die Zeitlichkeit aller Existenz erst vollkommen zum Erscheinen“Footnote 57, ist nicht „Medium des Ewigen, sie erweist ihre Aktualität vielmehr in einem radikalen Ja zur Vergänglichkeit […]“.Footnote 58

Mit Otto Renner als Herausgeber der BAU hat sich die französische Militärregierung explizit für einen Architekten entschieden, der ambitionierter Medienexperte war. Renner, wie viele andere Kolleg*innen mit NS-Karrieren, nutzte die Architekturzeitschrift als Gelegenheit, in der Krise der Nachkriegszeit und in Ermangelung von Bauaufträgen sich neu zu erfinden und zu etablieren. Renner, dessen Biografie zum Entstehungszeitpunkt dieser Schrift nur rudimentär bekannt war, arbeitete Ende der 1920er Jahre im Pariser Atelier Le Corbusiers und profilierte sich anschließend beruflich mit seiner Tätigkeit unter Albert Speer für die NS-Baupropaganda. Bei der Rekonstruktion seiner Architektenbiografie habe ich mich an Werner Durths Deutsche Architekten. Biografische Verflechtungen 1900–1970 orientiert, in der der Architekturhistoriker bis dahin unbekannte personelle Verflechtungen in Architektur und Stadtplanung vor und nach 1945 umfangreich aufgearbeitet hat. Durths Biografien beruhen auf zahllosen Interviews mit damals noch lebenden Protagonist*innen, deren berufliche Entwicklung er als fortlaufende Erzählung, epochenübergreifend und über die unterschiedlichen politischen Systeme hinweg einbettet und zur Debatte stellt. Anders als zeitgleich in den westlichen Besatzungszonen erschienene Architekturzeitschriften wie Alfons Leitls (1909–1975) Monatszeitschrift Baukunst und Werkform, die ab 1947 wortlastig, aber „bescheiden“ unter amerikanischer Lizenz auftrat, wagte es Renner schon sich mit der BAU wieder in Szene zu setzen. Im ersten Heft behauptete Leitls Baukunst und Werkform mit einem Artikel von Rudolf Lodders demonstrativ, dass es im Industriebau während der NS-Diktatur eine „Zuflucht“Footnote 59, also einen separaten Bereich, eine Nische gegeben hätte, in der Architekten weiterhin modern bauen konnten. Wie Leitl, ehemaliger Mitarbeiter Herbert Rimpls bzw. Lodders, entlasteten sich mit diesem Argument politisch viele der im NS-Industriebau und Militärbau tätigen Architekten, darunter Herbert Rimpl, Ernst Neufert oder Egon Eiermann und leugneten, dass die Baukomplexe von zentraler Bedeutung für das NS-System waren, deren Architektursprache im Einklang mit der Baupolitik des NS-Regimes stand und die, wie beispielsweise das Volkswagenwerk in Wolfsburg, propagandistisch genutzt wurden.Footnote 60

Obwohl Architekturzeitschriften mittlerweile auch im deutschen Sprachraum und im Umfeld der Nachkriegsmoderne gut recherchiert sind, fiel die Zeitschrift BAU aus der wissenschaftlichen Forschung weitestgehend heraus.Footnote 61 Nur vereinzelt und verstreut finden sich flüchtige Hinweise auf das Dokument mit sehr kurzer Erscheinungsdauer. Daher war vorrangig, zunächst die Publikationsgeschichte der Zeitschrift und die Hintergründe zur Entstehung zu erforschen. Als taktisches Instrument operiert die Architekturzeitschrift innerhalb eines Machtgefüges, sowohl im kleinen, lokal begrenzten Maßstab als auch in einem weitläufigen transnationalen Netz, das mit einem Wandel der Regierungsform verbunden ist und mit der Reorganisation und („Neu“-)Verteilung des städtischen Raums einhergeht. Daher werden im zweiten Kapitel historische Aspekte sowie politische Maßnahmen, Bildökonomien und Strategien der Repräsentation stärker gewichtet, mit denen Definitionsmacht erlangt werden soll, Grenzziehungen erfolgen und Positionierungsmanöver einhergehen.

Es geht weniger um gebaute Endergebnisse als vielmehr um medial geführte Verhandlungsprozesse. Das Bauprogramm der französischen Regierung drohte bereits 1948 zu scheitern und die meisten hier besprochenen Entwürfe sind Papierarchitekturen. Außerdem werden Blickdispositive sowie die visuelle Strategie betrachtet, mittels derer eine transnationale Identitätspolitik betrieben wird. Die BAU als Medienverbund aus zirkulierenden und wiederaufbereiteten Fotografien, Zeichnungen, Text und Typografie ist angebunden an französische Architekturzeitschriften, die Otto Renner als „Steinbruch“ bzw. Materiallieferanten nutzt. Diese bieten nicht nur die Möglichkeit der Trennung und des Ablösens, sondern auch das Potenzial der Neuordnung und Herstellung einer Narration. Mit der Bricolage einer supranationalen Industrielandschaft bewegt sich Renner beispielsweise weg vom architektonischen Einzelobjekt hin zur Gestaltung einer transnationalen, kollektiven Situation, die seine späteren Entwürfe und seine Aktivitäten für die Gestaltung von Saarbrücken als Hauptsitz der Montanunion vorbereiten. Dabei verlieren sich die besonderen Merkmale der Fabrik innerhalb gemeinsamer, allgemeiner Merkmale.

Nicht nur die Zeitschrift als Medium, sondern auch die für eine Analyse ausgewählte medial repräsentierte Architektur sind als „operative Gefüge“Footnote 62 zu verstehen und bilden ein „ineinandergreifendes System aus Speicherungs-, Übertragungs- und Verarbeitungseffekten“.Footnote 63 Zu diesen „Prozessarchitekturen“Footnote 64 gehört ein von Le Corbusier entworfenes Bürohochhaus, das für die BAU eine Schlüsselrolle einnimmt und Baustein seiner Obus-Planung (1931–1942) für Algier als „Hauptstadt“ Afrikas ist. Anhand der spezifischen Gestaltungsmerkmale wie der Brise Soleil-Fassade oder der Innenarchitektur der Großraumbüros wird die Steuerung, Kontrolle und Weiterleitung von Material- und Kommunikationsflüssen erläutert, die wiederum den Kriterien funktionalistischen Bauens gerecht werden sollten.Footnote 65 Le Corbusiers Entwurf wird in der BAU nur oberflächlich topografisch verankert und wird stattdessen zur kontextfreien, städtebaulichen Übung und zum ortlosen Readymade.Footnote 66 Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gelten als Hochkonjunktur des sogenannten Systembaus, der bereits in den 1920er Jahren in Ländern wie Frankreich und Deutschland oder der Sowjetunion propagiert wurde. Daher wird hier auf von der BAU lancierte, mobile und industriell vorgefertigte Architekturentwürfe eingegangen, die weltweit zu Prototypen werden sollten. Deren Spezifika, ihre gesellschaftlichen Implikationen und Normierungsbemühungen, werden erklärt. Die „autonomen“, kontextunabhängigen Architekturentwürfe in der BAU sind in sich selbst widersprüchlich: Trotz serieller Produktion und Ästhetik sollten die Entwürfe Individualitätsansprüche geltend machen; sie hielten am Ideal des Einfamilienhauses fest.

Zudem ist in dem Kapitel wichtig, wie die klassische Moderne beispielsweise mit chorischen Figuren in der Antike eingebettet wird und die BAU an der gesamtdeutschen Reinszenierung des klassischen Altertums Anteil nimmt, die es bei Max Bill und der Hochschule für Gestaltung Ulm in den 1950er Jahren auch gibt. Über den Chor als sprachlich und grafisch bewegte Figur hinaus, wird Architektur mit dem Paradigma des Tanzes gelesen, über den ein Argumentationsfeld eröffnet wird. Dies soll der Klärung von Fragen helfen, die Mobilität (bzw. „movere“ als Schlagwort), Räumlichkeit, Zeitlichkeit sowie räumliche Körpererfahrungen betreffen. Es berührt aber auch den Rezeptionsmodus des Mediums Zeitschrift, der als flüchtiges Durchstreifen gedacht ist. Wie Gabriele Brandstetter bereits gezeigt hat, kommt dem Tanz die Bedeutung eines Schlüsselmediums aller Künste und Wissenschaften zu.Footnote 67 Tanz wird aber auch inhaltlich als Thema von der BAU aufgegriffen und in einem intermedialen Austausch mit der Architektur gekoppelt. Im zweiten Heft nimmt Renner beispielsweise den Umweg über das Bühnenbild, um weiter in die Architektur einzudringen. Darunter ist ein Bühnenbild für eine Ballettaufführung in Stuttgart. Zudem ist die Figur des Solotänzers aus dem Stuttgarter Ballett ein Alter Ego Renners, der als Herausgeber in ungemeiner Beweglichkeit widersprüchliche Positionen und architektonische Konzepte der Moderne sowie des Kolonialurbanismus vorführt und versucht, festgefahrene Positionen zu lockern. Insofern drückt sich Tanz als Denkfigur bzw. Bewegung im Denken aus, die permanente Orts- und Richtungswechsel vollzieht. Über das Stuttgarter Ballett, dessen Bühnenbild von Willi Baumeister entworfen wurde, knüpft Renner in diesem Punkt an die Tradition des Bauhauses an (man denke an Oskar Schlemmers experimentelles Ballett). In seinem Umgang mit der Typografie sowie Baumeisters Umgang mit dem Bühnenbild geht Renner über das vom Bauhaus inszenierte Konzept hinaus. Einerseits greift er hier zum tradierten Code des Balletts, das dem Körper Normierung auferlegt und dessen Bewegung auf Musterbildung basiert, andererseits macht er den Tänzer zum isolierten Subjekt und lässt den Körper transparent werden.

Das dritte Kapitel nimmt die Schnittstellen von Architektur, Städtebau und audiovisuellen Medien in den Blick. In erster Linie konzentriere ich mich dabei auf den Auftragsfilm Stein auf Stein. Ein Land baut auf, der wie die Zeitschrift BAU ebenfalls Ende der 1940er Jahre im deutsch-französischen Grenzgebiet entstanden ist. Da das filmische Material noch nicht wissenschaftlich erschlossen war, ging es zunächst darum, nach Zielen des filmischen Auftrags zu forschen. Die untersuchten Aspekte tragen der Geschichtlichkeit des Untersuchungsgegenstandes Rechnung, indem die Produktionsumstände und institutionellen Rahmenbedingungen herausgearbeitet werden, in denen der Film seinen Auftrag erfüllte. Andererseits wird untersucht inwiefern sich der Film, bei dem es sich um eine filmische Zwischenform handelt, in unterschiedlichste Muster einpasst – einschließlich der Kontinuitäten von NS-Zeit und Nachkriegslandschaft. Als Auftragsfilm ist Stein auf Stein ein Imagefilm, genauer: Selbstdarstellung einer staatlichen Institution und Leistungsschau des Wiederaufbaus. Auch wenn es im Folgenden nicht darum gehen soll, nach dem Kunstwert des Filmes zu fragen, der durch die Handschrift und Sichtweise des Fotografen Otto Steinert geprägt ist, werden stilistische Spezifika der Filmbilder hervorgehoben und eine flüchtige Verbindung zur „subjektiven fotografie“, als deren Begründer Steinert gilt, geknüpft. Er war der wichtigste Streiter für die Anerkennung der künstlerischen Fotografie in der Nachkriegszeit, wird mit dem Medium Film aber von der kunstwissenschaftlichen Forschung kaum in Verbindung gebracht. Auch Steinert war wie Eich und Renner NS-Karrierist. Er war im Zweiten Weltkrieg Stabsarzt und ab 1943 Referent im Generalstab des Heeres in Berlin. Nach 1945 wechselte er zur Fotografie, behielt aber sozusagen den „Röntgenblick“ bei. Im Motiv der Industrielandschaft, das in den Filmbildern teilweise abstrahiert und zum grafischen Muster wird, kommen visuelle Strategien zum Tragen, die in Steinerts Fotografien von der saarländischen und lothringischen Industrielandschaft vorliegen. Anhand des Industriemotivs im Film sowie in Steinerts „subjektiver fotografie“ werden Abwehrtendenzen, Verdrängungsmechanismen und Legitimationsproblematiken diskutiert. Es wird auch untersucht, inwiefern er mit seiner Fotoästhetik unterschwellig verteidigt, dass der Fotoapparat eine Maschine ist, und ob die Technikkritik (die die kunstwissenschaftliche Forschung zum Teil in seinen Bildern liest) in der Nachkriegszeit exkulpative Funktion übernimmt. Wie bei Otto Renner handelt es sich bei Steinert um einen transkulturellen Akteur. Die „subjektive fotografie“ fungiert als eine Art Schaufenster für die wieder erstarkte und metropolitane Kultur des Landes, das unter französischem Protektorat war. In dem Kurzfilm finden sich Spuren und Filmschnipsel der visionären französischen Planungen für das teilautonome Saarland, die seltenes filmisches Quellenmaterial darstellen und mit denen der Film einen Exkurs in die architekturtheoretischen Debatten der Zeit unternimmt, bei denen es um konkurrierende Vorstellungen vom Bauen in der unmittelbaren Nachkriegszeit ging und sich Massenwohnungsbau und Eigenheimideologie gegenüberstanden. Außerdem entstanden etwa zeitgleich mit der Filmminiatur 1948/49 Steinerts „Pariser Skizzen“, die für ein Fotobuch über Paris gedacht waren, das sich spezifisch urbanistischen Fragestellungen widmen sollte, jedoch unvollendet blieb.

Das Thema der Stadt als performativer Akt wird von dem männlichen Protagonisten der fiktionalen Rahmenhandlung des Films gedoppelt. Als Kriegsheimkehrer versucht er fortwährend Identität in der Bewegung zu finden, sich eine neue gesellschaftliche Position anzueignen und entgrenzt sich filmisch in den bzw. im Stadtraum. Über seine Arbeit als Maurer und die Rückkehr in den „Schoß“ der patriarchalen Kleinfamilie gelingt ihm die Integration in die Nachkriegsgesellschaft. Gleichzeitig untergräbt der Film die eigene Intention in den Momenten, in denen sich seine Bewegungen in unstimmigen Anschlüssen und sprunghaften Szenenwechseln verlieren, die Widersprüche und Lücken aufweisen. Dahingehend weist der Film auf die individualisierte und singularisierte Raumerfahrung der zukünftigen entpolitisierten kapitalistischen Stadt voraus. Am Film lässt sich bereits die Umstrukturierung der Städte über die Verlagerung des Wohnens aus der Stadt heraus und die Platzierung von Geschäften und Autos in die Stadt hinein ablesen. Das Motiv des Einpassens ist doppelt besetzt, zum einen in der fiktionalen Rahmenhandlung, und zum anderen im dokumentarischen Teil des Films, in dem die serielle industrielle Produktion motivisch aufgegriffen wird. Der Film ist additiv strukturiert und enthält flexible Elemente und wiederkehrende Grundmuster, statt ein unteilbares Ganzes zu sein. Daher werden im dritten Kapitel die Überschneidungen zwischen Fabrik und Kino anhand inhaltlicher sowie formaler Analogien herausgearbeitet. Mit den Prinzipien der Reihe, Reihung und Addition passt sich die filmische Zwischenform in die unmittelbare Nachkriegszeit und den konsumorientierten Aufbauplan ein.

Einerseits versucht der Film die alten Wahrzeichen der Stadt und ihr kulturelles Kapital wie das Theater mit dokumentarischen Bildern zu inventarisieren, andererseits verselbständigen sich die Oberflächen im Film, die mannigfaltig bespielt und zum Werbeträger werden. Die exzessive Bildökonomie des Films zeigt sich bereits im Vorspann, in dem alles zu beschreibbarer Oberfläche, Bildschirm und Abspielfläche wird. Damit gerät auch die Architektur aus dem kulturellen Handlungsbereich in den der Markenkommunikation. Physische Neubebauung und Wirtschaftsaufschwung gehen im Film Hand in Hand. Von der Oberflächenthematik des Films ausgehend bezieht sich das dritte Kapitel auf das Genre des Werbefilms. Ähnlich wie Ein Land baut auf. Stein auf Stein eigneten sich die Marshallplan-Filme verschiedene filmische Formate an, einschließlich Trick- und Animationsfilm. Auch die in der BRD ab 1950 entstandenen Städtebaufilme sind hybride Medienformate, die als weitere Referenz näher besprochen werden. Beim ersten Film dieser Reihe Stadtplanung für heute und morgen (1951) steht noch die Ordnung des Grund und Bodens thematisch im Vordergrund. Allesamt stellen sie wie Stein auf Stein und die Marshallplanfilme filmische Erziehungsversuche dar. Hinzu kommt ein stark ausgeprägter Antiurbanismus in den Filmen. Auch hier drückt sich wieder die ungeklärte Bodenfrage subkutan aus, und der Verkehr wird zum Sinnbild des Lebens. Andererseits sucht der Film, wie auch die Zeitschrift BAU, den Anschluss an die Vorkriegsavantgarde und das Muster der Stadtsinfonie, indem z.B. ein Filmmotiv imitiert wird. Walter Ruttmanns Filmarbeit ist ein Beispiel dafür, wie filmische Werbung und filmische Avantgarde in den 1920er Jahren zur Synthese gelangen. Der Filmwissenschaftler Michael Cowan zeigt dies in Walter Ruttmann and the Cinema of Multiplicity. Avant-Garde Film-Advertising-Modernity anhand von Ruttmanns abstrakten Opus-Filmen, wie Lichtspiel Opus 1 aus dem Jahr 1921. Solche Filme sind auf Formerziehung des Publikums angelegt und verwerten die zeitgenössischen Erkenntnisse der Werbepsychologie.Footnote 68 Ruttmann selbst war als Filmschaffender erfolgreich für das NS-Regime tätig, so dass es zu einer Kontinuität seines avantgardistischen Schaffens in der NS-Zeit kommt.

Das Konzept der Zukünftigkeit ist facettenreich und lässt sich aus verschiedensten Blickwinkeln betrachten. Mit den im vorliegenden Buch gewählten Beispielen von Zukunftsentwürfen in der Architektur wird das Potenzial von Architektur ausgelotet. Architektur erschafft nicht nur physische Strukturen, sondern vermittelt auch Geschichten und Vorstellungen von der Zukunft und ist damit narrative Form. In Futurity. Contemporary Literature and the Quest for the Past (2012), das stellvertretend für jüngere Untersuchungen zum Konzept der „futurity“ in der Literaturtheorie genannt sei, weist Eshel auf die enge Verbindung von „futurity“ mit ethischen Fragestellungen hin. Eshel argumentiert, dass Literatur, die „futurity“ thematisiert, die Leser*innen dazu anregen kann, über die Auswirkungen ihrer aktuellen Handlungen auf die Zukunft nachzudenken. Die literarische Auseinandersetzung mit der traumatischen Vergangenheit eröffnet für ihn gleichzeitig die Möglichkeit, Zukunft zurückzugewinnen, unser zukünftiges Sein zu beeinflussen und eine bessere Zukunft zu erschaffen.Footnote 69

Mir ist bewusst, dass in der vorliegenden Arbeit über bekanntere Texte hätte geschrieben werden können oder ähnliche Klangräume hätten aufgemacht werden können. Aber mir lag daran, eben diese ephemeren Medienräume aufzuzeigen, die ich letztlich als Textgrundlage gewählt habe. Daher konnte auch beispielsweise Ingeborg Bachmanns Hörspiel Der gute Gott von Manhattan (1957) im Haupttext nicht berücksichtigt und bearbeitet werden. Abschließend möchte ich nur kurz darauf eingehen, warum es mir wichtig ist, diese Zeit neu in den Blick zu nehmen. Ich versuche aufzuzeigen, dass Entwicklungen der 1960er und 1970er Jahre nicht vollkommen unvorbereitet abgelaufen sind. Architektur als Medium des Zukünftigen versucht diese Zeit anhand der besprochenen Werke, deren Motiven und visuellen Strategien neu lesbar zu machen, auch wenn – oder gerade weil – die Arbeiten subterran an problematisches Gedankengut anknüpfen.