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Film „Hitlerjunge Quex“

Der Mann, der den Nazi-Propagandafilm erfand

Filmredakteur
Kameraden besuchen den „Hitlerjungen Quex“ im Krankenhaus: Szene aus dem Film von 1933, mit dem um den im Jahr zuvor ermordeten Hitlerjungen Herbert Norkus ein Kult aufgebaut werden sollte. Selbst der Name seines Darstellers Jürgen Ohlsen (im Bett) wurde geheim gehalten Kameraden besuchen den „Hitlerjungen Quex“ im Krankenhaus: Szene aus dem Film von 1933, mit dem um den im Jahr zuvor ermordeten Hitlerjungen Herbert Norkus ein Kult aufgebaut werden sollte. Selbst der Name seines Darstellers Jürgen Ohlsen (im Bett) wurde geheim gehalten
Kameraden besuchen den „Hitlerjungen Quex“ im Krankenhaus: Szene aus dem Film von 1933, der um den ermordeten Hitlerjungen Herbert Norkus ein Kult aufbauen sollte. Selbst der Name ...seines Darstellers Jürgen Ohlsen (im Bett) wurde geheim gehalten
Quelle: picture alliance / akg images
Vor genau 80 Jahren hatte „Hitlerjunge Quex“ in München Premiere. Nun gibt es endlich eine Biografie des Regisseurs Hans Steinhoff, der zu einem der Starregisseure des Dritten Reichs aufsteigen sollte.

Am 20. April 1945, als Adolf Hitler im Führerbunker seinen letzten Geburtstag beging und die Rote Armee den östlichen Berliner Autobahnring erreichte, wartete in Tempelhof eine Maschine der Lufthansa auf das grüne Licht für ihren Linienflug nach Prag. Die Ju 52, Kennzeichen D-ANAJ, mit drei Motoren und Tarnanstrich, trug kein Balkenkreuz und war somit als Zivilobjekt kenntlich.

Laut Fahrplan hätte der Start um 15.45 Uhr erfolgen sollen, wegen „Feindbewegung“ entlang der Route wurde der Abflug jedoch immer wieder verschoben. Erst bei Einbruch der Dunkelheit bestiegen 17 Passagiere und drei Besatzungsmitglieder die Junkers, die um 20.20 Uhr endlich abhob. Unter den Passagieren befand sich auch der 63-jährige Hans Steinhoff, neben Veit Harlan und Karl Ritter der berüchtigtste Filmregisseur des Dritten Reiches.

Hans Steinhoff ist ein besonderer Fall. Er drehte den ersten großen Nazi-Propagandafilm „Hitlerjunge Quex“, sein „Der alte und der junge König“ etablierte eine direkte historische Linie zwischen dem „Alten Fritz“ und dem „Führer“, und sein „Ohm Krüger“ malte grell die Gräuel in Konzentrationslagern, allerdings britischen, im Burenkrieg.

Steinhoff drehte mehr Propaganda als Harlan

Andererseits schmettert Gustaf Gründgens in Steinhoffs „Tanz auf dem Vulkan“ ein aufrührerisches Lied, da schmieden Männer „aus Gesprächen Bomben/Rebellion, Rebellion/In den Katakomben!“ Und die französischen Filmhistoriker Courtade und Cadars erheben in ihrem Standardwerk „Geschichte des Films im Dritten Reich“ Steinhoff in den Rang eines „auteurs“, wie Hawks oder Hitchcock.

Es hat ein Dreivierteljahrhundert gebraucht, bevor sich ein Historiker dieser Figur annahm, und es war keiner aus dem deutschen wissenschaftlichen Establishment, sondern ein Außenseiter, der Österreicher Horst Claus, der an der Universität im englischen Bristol seit langem Medienwissenschaften lehrt. Das Ergebnis von drei Jahrzehnten akribischster Steinhoff-Forschung liegt nun vor, über 600 Seiten, und sie stehen für eine vollkommen andere Herangehensweise als bisher.

Nicht die Analyse seiner Filme steht im Vordergrund – die findet kaum statt, und er versucht auch nicht zu beweisen, sie seien weniger ideologisch gewesen als sie es waren –, sondern ihn interessieren die Person, die Zeit und die Umstände. Und zwar exzessiv.

Der Autor hat sein Objekt drei Jahrzehnte erforscht

So stellen sich andere Fragen, ergeben sich neue Antworten. Wie zum Beispiel, warum eigentlich „Hitlerjunge Quex“ entstand, der am 11. September vor 80 Jahren in München uraufgeführt wurde, acht Monate nach der Machtergreifung. Die simple Antwort würde „Weil Goebbels es wollte“ lauten. Die wäre nicht falsch, aber Claus macht daraus etwas Spannenderes: eine Fallstudie, wie eine Gesellschaft ihre Fahne nach dem Wind hängt.

Noch zur Jahreswende 1932/33 wäre bei der großen Ufa kein Mensch auf die Idee gekommen, einen NS-Propagandafilm zu drehen – und zwar nicht aus politischen Gründen. Claus hat vielmehr eine Untersuchung der Publikumspräferenzen ausgegraben, die die Ufa Ende 1932 durchführen ließ, eine „Marktanalyse“, wie man heute sagen würde. Danach wünschte die Kundschaft vor allem Operettenfilme mit spektakulärer Ausstattung und eingängigen Schlagern sowie Sensations-(sprich: Action-)Filme. Ausdrücklich abgelehnt wurden Filme im proletarischen Milieu, schwere Gegenwartstragödien und Beschäftigung mit tagespolitischen Fragen.

All das jedoch versprach „Hitlerjunge Quex“, der im Dezember 1932 als Roman erschienen war: Der Sohn eines kommunistischen Arbeiters schließt sich heimlich der Hitlerjugend an, informiert sie über ein geplantes Attentat der Roten und wird von denen ermordet.

Hitlerjunge Quex wird von den Roten ermordet

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Claus dokumentiert nun minutiös, wie die Ufa in den nächsten Monaten versucht, ihr Gewinninteresse mit dem neuen braunen Wind in Einklang zu bringen: die Kontaktaufnahme zur NS-Spitze über den Schriftsteller Richard Schneider-Edenkoben (einen Vetter von Hitlers persönlichem Rechtsanwalt Hans Frank), den Hinauswurf von jüdischen Mitarbeitern, das Anstimmen des Horst-Wessel-Liedes bei der 1.-Mai-Feier auf dem Ufa-Gelände, die Gründung einer staatlich kontrollierten Filmbank durch Ufa-Chef Klitzsch und Propagandaminister Goebbels.

In Folge rollt Claus die Produktionsgeschichte von „Hitlerjunge Quex“ auf, nach Heller und Pfennig, von Drehbuchfassung zu Drehbuchfassung, von Besetzungsvariante zu Besetzungsvariante. Es ist phänomenal, was Claus alles ausgegraben hat, und zuweilen wünscht man im Verlauf seiner 600 Seiten, er hätte auf ein paar Details verzichtet („Den Festakt zur Premiere eröffnete das im braunen Frack angetretene, 80 Mann starke, parteieigne Reichssymphonieorchester“).

Aber das Prinzip von Claus ist richtig: Es kann nicht mehr um reine Verdammnis gehen, sondern um die Erklärung, wie eine Gesellschaft sich in den Totalitarismus begibt, eben auch in vielen kleinen, alltäglichen Schritten, und dieses Bewusstsein ist doppelt wichtig heute, wo wir uns in einen neuen Totalitarismus zu begeben scheinen, den der allgegenwärtigen Überwachung.

Wie rutscht man in den Totalitarismus ab?

Diese Schrittchen gehen sich am leichtesten für Opportunisten, von denen Steinhoff anscheinend ein Prachtexemplar war, ein talentierter Geschichtenerzähler, aber auch ein Kandidat für das „größte Arschloch des Jahrhunderts“, als das ihn der grobe Hamburger Jung Hans Albers titulierte.

Claus entzaubert den (kleinen) Mythos Steinhoff, der auch darauf beruhte, dass er im Gegensatz zu Harlan und dem radikalsten NS-Propagandisten Karl Ritter (der schon 1925 in die NSDAP eingetreten war und noch 1970, im argentinischen Exil, die „Ausschaltung“ der Juden rechtfertigte) nach dem Krieg einfach nicht mehr vorhanden war, verschwunden am 20. April 1945.

Steinhoff war nie Parteimitglied, aber das macht ihn nicht zum verkappten Oppositionellen, so wenig wie Claus’ Entdeckung, dass Steinhoff noch drei Monate nach der Machtübernahme seinen Namen für einen Film hergab, der von dem inzwischen verfemten Juden Kurt Gerron inszeniert worden war; er half damit weniger Gerron als der Ufa, die den Film so nicht abschreiben musste. Auch Gründgens’ flammender Aufruf zum Widerstand gegen das despotische Regime von Karl X. in Frankreich in „Tanz auf dem Vulkan“ ist von niemandem mit dem NS-Regime in Verbindung gebracht worden; die Drehbuchautoren waren alte Parteigenossen.

Steinhoff floh im Flugzeug Richtung Prag

Als das Dritte Reich unterging, hat Steinhoff wie viele andere im von Luftangriffen verschonten Prag gedreht. Dorthin flog er auch am 20. April 1945 wieder. Zwanzig Minuten nach dem Start meldete der Pilot „Kursänderung wegen Feindberührung“, dann endete der Kontakt. Die Maschine stürzte ab, noch heute sind im Wald bei Luckenwalde Wracksplitter zu finden. Seitdem galt Steinhoff als vermisst. Horst Claus aber hat – obwohl keine Passagierliste des Fluges existiert – den einzigen Überlebenden aufgetrieben, 50 Jahre nach dem Absturz, und so Steinhoffs Schicksal geklärt. Das nennt man Forschergeist.

Horst Claus: Filmen für Hitler. Filmarchiv Austria, Wien. 639 S., 28,90 Euro

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