Hildegard Hamm-Brücher: Eine Münchner Grande Dame | Abendzeitung München

Hildegard Hamm-Brücher: Eine Münchner Grande Dame

Am Dienstag wäre Hildegard Hamm-Brücher 100 Jahre alt geworden. Hier erinnert AZ-Reporterlegende Karl Stankiewitz an eine FDP-Politikerin, die sich immer treu geblieben ist - und an ein Skirennen Hamm-Brüchers gegen seine Tochter.
| Karl Stankiewitz
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Ein Leben lang eine überzeugte Liberale: Hildegard Hamm-Brücher auf einem Foto aus dem Jahr 1999.
Ein Leben lang eine überzeugte Liberale: Hildegard Hamm-Brücher auf einem Foto aus dem Jahr 1999. © imago/teutopress

München - Von allen Seiten, besonders von der rechten und manchmal auch aus der eigenen Partei, hat sie Sticheleien, Beleidigungen und Prügel einstecken müssen. Doch sie hat auch kontern können.

Nachdem Dr. Hildegard Brücher im Mai 1948, angeregt durch den späteren Bundespräsidenten Theodor Heuß, für die FDP in den Münchner Stadtrat gewählt wurde, war sie mit 23 Jahren das jüngste Mitglied dieses Herrenclubs.

Außerdem Redakteurin unter Erich Kästner in der amerikanischen "Neuen Zeitung", jedoch obendrein: eine Protestantin und, wie man spöttelte, "a Preiß", obgleich sie in Essen geboren wurde, am 11. Mai 1921 - zwei Tage nach Sophie Scholl.

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Zeitweise gilt sie als Bayerns einzige Opposition

Nun steht also am Dienstag auch Hildegard Hamm-Brüchers 100. Geburtstag an. Mit dem Umkreis der Weißen Rose kam die 22-Jährige in Kontakt, als sie in München Chemie studierte. Ihr Doktorvater, der auch von den Nazis anerkannte Nobelpreisträger Heinrich Wieland, konnte sie vor der Gestapo schützen.

München blieb ihre Hauptwirkstätte. Für ältere Stadträte war sie erstmal nur "das Madl" (ähnlich wie für einen Bundeskanzler seine spätere Nachfolgerin).

Ein CSU-Kollege belegte sie sogar mit dem Spottnamen "Krampfhenne" (den schon Hitler gegenüber dem britischen Außenminister für angebracht hielt). 1954 heiratete Hildegard Brücher den Krankenhausreferenten Dr. Erwin Hamm.

Drei Parlamente und zahlreiche Ehrenämter

Bei einem Skirennen auf dem Zugspitzplatt erlebte ich die Jungliberale erstmals persönlich. Dass nicht sie, die hervorragende Ski- und Schwimmsportlerin, sondern meine 17-jährige Tochter gewann, rang ihr eine spitze Nettigkeit über "die Kleene" ab.

Ja, diese Allround-Politikerin war ehrgeizig und selbstbewusst. Sie war liberal, tolerant bis auf die Knochen, aber sie wollte auch immer die Erste sein. So hat sie sich durchgeboxt ein langes Leben lang, bis zu ihrem Tod am 17. Dezember 2016.

In drei verschiedenen Parlamenten wie in hohen Staats- und in zahlreichen Ehrenämtern. Hier, statt einer Kurzbiografie, ein paar miterlebte, kaum bekannte Streiflichter aus ihrer frühen Kampfzeit.

Palastrevolte von rechts

Juli 1962: Die bayerische FDP erlebte eine Palastrevolte von rechts. Eine Handvoll damals sogenannter Jungtürken ergriff die Macht in ihrer Münchner Partei. Hinter verschlossenen Türen begannen Nationalliberale die Altliberalen kaltzustellen.

Begeisterte Skifahrerin - auch das war Hildegard Hamm-Brücher.
Begeisterte Skifahrerin - auch das war Hildegard Hamm-Brücher. © imago/Sven Simon

Die Heckenschützen zielten vor allem gegen zwei profilierte Persönlichkeiten: den ehemaligen Wirtschaftsminister Dr. Otto Bezold und die auf Kultur- und Verbraucherpolitik spezialisierte Landtagsabgeordnete Dr. Hildegard Hamm-Brücher. Die habe eine jüdische Großmutter und sei ein "hysterisches Weib", hieß es.

Ellbogenpolitik männlicher Parteifreunde

Sie hatte einmal auf die Ellbogenpolitik männlicher Parteifreunde mit Tränen reagiert. Doch nun war sie gar nicht zimperlich, sondern beschimpfte einige der Jungmänner als "Braunhemden".

Abgestraft wurde sie von der neuen, vom bäuerlichen Bundestagsabgeordneten Sepp Ertl tolerierten Mehrheit, indem sie auf den aussichtslosen Platz 18 der Landesliste versetzt wurde.

Vehement verfochtene Kulturpolitik

Raue politische Sitten, über die ich seinerzeit zu berichten hatte. Sie irritierten sogar die mächtige CSU, die plötzlich nicht mehr recht wusste, "welche Politik man von dieser neuen FDP-Garnitur zu erwarten hat".

So viel war immerhin sicher, dass für die angestrebte erneute Koalition der bisher gröbste Reibungspunkt, die von Frau Hamm-Brücher vehement verfochtene Kulturpolitik, zugunsten der Agrikultur in den Hintergrund gerückt werden sollte.

Wiesbaden, Bonn - schließlich zieht es sie wieder nach Bayern

Häufelstimmen verhalfen der Kandidatin dennoch erneut ins Maximilianeum, wo sie bald von Zeitungen als "einzige Opposition im Landtag" gelobt wurde. Dort und auch auf der Straße stritt die Linksliberale für die Gleichstellung der Gemeinschaftsschule, notfalls durch ein Volksbegehren.

Sodass ihr ein CSU-Kollege nahe legte, sie solle doch aus Bayern auswandern. Diesen Gefallen tat sie ihren Gegnern zwar nicht, aber sie sah sich in der Welt um, informierte sich und die Öffentlichkeit sogar über die Bildungssysteme in der Sowjetunion und der DDR.

"Haupt des Linksliberalismus"

Als die FDP im Herbst 1966 durch die NPD aus dem bayerischen Landtag verdrängt wurde, ließ sie sich von der hessischen SPD-Regierung als Staatssekretärin im Kultusministerium abwerben.

Und als in Bonn eine sozial-liberale Koalition - ein alter Wunschtraum von ihr - gebildet wurde, wechselte sie mit gleichem Rang ins Bundeswissenschaftsministerium.

1970 trat sie mit reichem Erfahrungsschatz und kaum gebändigtem Temperament wieder in die weißblaue Arena, um erneut die Rolle zu übernehmen, die ihr einst von CSU-Seite zugeschrieben worden war: "Haupt des Linksliberalismus".

2002 trat Hamm-Brücher aus der FDP aus

1991 zog sich die vielfach geehrte Hildegard Hamm-Brücher aus dem aktiven politischen Leben zurück, veröffentlichte zahlreiche Bücher, engagierte sich in Initiativen wie "Gegen das Vergessen". 1994 zog sie ihre FDP-Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten im dritten Wahlgang zurück.

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2002 trat sie aus der Freien Demokratischen Partei aus, nachdem diese von Guido Westerwelle als "Partei der Besserverdienenden" definiert worden war. 2010 stimmte sie als Wahlfrau der hessischen Grünen bei der Kür des Bundespräsidenten für Joachim Gauck.

Späte Würdigung durch die Stadt München

Die deutsche Nachkriegs-Demokratie wäre ärmer gewesen ohne sie. Dass 2018 draußen in Freiham eine Straße und ein Bildungscampus nach ihr benannt wurden, ist ein späte Würdigung der Stadt, in der die Grande Dame des europäischen Liberalismus groß geworden ist.

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