Ein Fremder taucht in einem Dorf auf und alle spielen verr�ckt: „Heute stirbt hier Kainer“ (HR) ist ein kraftvoller, komischer, sich bis zum bleihaltigen Showdown steigernder Irrsinn im Western-Style. Martin Wuttke als todgeweihter Einzelg�nger, der auf dem Land seine letzte Ruhe finden will, ist ein Ereignis. Dazu bev�lkern Langfilm-Deb�tantin Maria-Anna Westholzer (Drehbuch und Regie) und Michael Proehl (Drehbuch) ihre bizarre Geschichte mit herrlich abgedrehten Nebenfiguren. Verzweiflung, Hingabe, Gewalt und Tod vor stimmungsvoll fotografierter Landschaft, einfalls- und wendungsreich, manchmal auch einfach nur gaga, bis hin zum sinnfreien Finale mit simpler Freude am Ballern.
Foto: HRVieles bleibt im Dunkeln. Klar ist nur: Kainer (Wuttke) ist ein dem Tod Geweihter.
Der todkranke Ulrich Kainer will seine letzten Tage in aller Ruhe verbringen. Und dann den Zeitpunkt des Todes selbst bestimmen. Daf�r hat er sich einen Revolver besorgt – mit einer einzigen Patrone. Kainer will aufs Land fahren, weil er auf dem Land aufgewachsen ist. Aber wohin? Seine alte Heimat ist in einem Stausee versunken. Erst mal zum Bahnhof, mit einem Koffer ohne Klamotten, daf�r gef�llt mit Waffen-Zeitschriften, die ihm der Revolver-Verk�ufer im Billardsalon wortlos hineingesch�ttet hat. Auf dem Weg zum Bahnhof klappt Kainer zusammen, ein Obdachloser findet ihn, weist Kainers 100-Euro-Dankesschein zur�ck („hab gerade Mittagspause, da nehme ich nichts an“) und schenkt ihm stattdessen ein Ticket f�r eine einfache Fahrt aufs Land. Dort habe er eigentlich Urlaub machen wollen, sagt der Obdachlose, aber: „Hatte zu viele Gesch�ftstermine“. Also f�hrt Kainer nach Ober�hde, ein Kaff in der hessischen Provinz, in dem gerade der Besitzer des einzigen Supermarkts und der einzige Gastwirt im Ort um ein leer stehendes Ladenlokal streiten. Und weil der Gastwirt aus Italien stammt und seinem Kontrahenten gedroht hat, halten die Dorfbewohner den schweigsamen Fremden schon bald f�r einen Mafia-Killer – ein Ger�cht mit Folgen.
Foto: HREin Koffer, ein Revolver – Kainers offenbar letzter Gang f�hrt in seine alte Heimat.
Hauptdarsteller Martin Wuttke zieht das Publikum in den gro�artigen Eingangsszenen in den Film hinein. Wuttkes furchenreiches, ausdrucksstarkes Gesicht ist eine faszinierende Landschaft f�r sich, und auch seine tief knarzende Stimme, die in dem einf�hrenden Monolog aus dem Off zu h�ren ist, ebnet den Weg, macht uns Zuschauer vertraut mit diesem r�tselhaften Ulrich Kainer. Denn es gibt nur Andeutungen, keine Gewissheiten �ber den „Fr�hrentner“, der allein in der Stadt lebt und sich als „Profi f�r den Tod“ bezeichnet. Killer k�nnte schon sein, was auch bestens zu den zahlreichen, komisch gebrochenen Figuren passen w�rde. Ex-Killer Kainer kommt also ins Dorf, wird f�lschlicherweise f�r einen gedungenen Mafia-Killer gehalten, ist aber eigentlich der am wenigsten schie�w�tige Typ in Ober�hde. Wie man sieht, schrecken Maria-Anna Westholzer (Drehbuch und Regie) und Michael Proehl (Drehbuch) auch nicht vor Namens-Wortspielen zur�ck. �de wird es jedenfalls nicht, und dass in dem Kaff keiner sterben w�rde, l�sst sich auch nicht behaupten.
Foto: HRWunderbar lakonisch, ein wenig spr�de, aber ganz anders als der Ortsname Ober�hde vermuten l�sst. Die B�uerin (Britta Hammelstein) k�mmert sich um Kainer (Wuttke).
Das erste Opfer: ein Huhn. Erschossen von Emil (David Gr�ttner), dem kleinen, aber taffen Sohn der alleinerziehenden B�uerin Marie (Britta Hammelstein), die dem mal wieder in Ohnmacht gefallenen Kainer aufgesammelt und im G�stezimmer untergebracht hat. Nun hat der freche Emil leider Kainers Revolver aufgesp�rt, damit herumgespielt und prompt die einzige Patrone verpulvert. Kainer gibt sich abweisend, wird aber schon bald hineingezogen ins pralle Dorfleben. Die vor einem halben Jahr von ihrem Mann verlassene Marie scheint interessiert an dem geheimnisvollen Fremden. Gastwirt Cesare (Michele Cuciuffo) macht dem vermeintlichen Mafia-Killer ein Job-Angebot, das Kainer nicht annehmen will. Und der verzweifelte, stets betrunkene Heinz (Martin Feifel) bittet aus versicherungstechnischen Gr�nden darum, erschossen zu werden. Heinz' Tod, an dem Kainer letztlich nicht ganz unbeteiligt ist, ruft wiederum den Kommissar auf den Plan, den Justus von Dohn�nyi mit einiger Hingabe als wahres Ekelpaket spielt, der f�r Landleben nur Verachtung �brig hat.
Foto: HRDie deftige Provinz-Posse im Western-Style ist immer f�r eine �berraschung gut. In dem Fach kennt sich Justus von Dohn�nyi aus. Er machte den "Tatort – Das Dorf".
Das beachtliche Langfilm-Deb�t von Maria-Anna Westholzer ist eine deftige Provinz-Posse im Western-Style, tempo- und wendungsreich, mit skurrilen Dialogen und ohne Scheu vor blutigen Scherzen. Verzweiflung, Hingabe, Gewalt und Tod vor stimmungsvoll fotografierter Landschaft, dazu die zahlreichen pr�gnanten Nebenfiguren wie die drei aufmerksamen Rentner, die alles kommentieren und sich im Zweifel zu wehren wissen. Christian Redl als �beraufmerksamer J�ger und Jule B�we als ausgesprochen sympathische Gastwirtin geh�ren ebenfalls zu dem umfangreichen Ensemble. Und einen schwarzen Darsteller gibt es auch: Bless Amada spielt Tayo, der sich Kainer als „diagnostizierter Masochist“ vorstellt und ziemlich entt�uscht ist, weil ihm der vermeintliche Killer nicht das Messer in den Oberschenkel rammt. Tayo stellt sich seinen fiesen, wei�en Kumpels auch gerne als Punching-Ball zur Verf�gung und wird schon bei Kainers Hinfahrt im Zug hin und her geschubst.
Ein Schwarzer, der sich gerne von Wei�en verm�beln l�sst und „Sadist“ ruft, wenn ihm der Schmerz versagt bleibt? Immerhin spielt Bless Amada nicht das Stereotyp eines unterw�rfigen Opfers, sondern nur einen Typen mit eigenartiger Vorliebe – in einer durchgehend eigenartigen Dorfgemeinschaft. Im Kontext eines Films, der alles, nur nicht „realistisches“ Fernsehen sein will, muss man das wirklich nicht als rassistisch verurteilen. Am Ende l�uft die Sache dann vollends aus dem Ruder. Der neunmin�tige Showdown ist pures Genre-Vergn�gen um seiner selbst willen. Wer da warum auf wen schie�t, ist eigentlich nicht mehr wichtig.
Foto: HRIst Ulrich Kainer (Martin Wuttke) ein Killer? Hat er die Knarre nicht f�r sich dabei?
Thomas Gehringer, freiberuflicher Journalist aus K�ln, schreibt f�r epd medien, den "Tagesspiegel" und andere regionale Tageszeitungen, Mitglied in Jurys und Nominierungskommissionen des Grimme-Preises.