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Hermann Müller (1876–1931)

Sozialdemokrat und Kanzler der Zeitenwende

Hermann Müller prägte die Weimarer Republik. Er brachte die revolutionäre Rätebewegung auf einen parlamentarischen Kurs, unterzeichnete als Reichsaußenminister den Friedensvertrag von Versailles, beseitigte die Verwerfungen des Kapp-Lüttwitz-Putsches, sicherte die Verständigungspolitik mit Frankreich und lenkte als Reichskanzler zwei Kabinette durch Krisenzeiten. Mit dem Young-Plan von 1929 bewirkte er die endgültige Regelung der Reparationszahlungen. Als letzter parlamentarisch legitimierter Reichskanzler der Weimarer Republik war er eine Schlüsselfigur der jüngeren deutschen Geschichte.

Müller wurde am 18. Mai 1876 als Sohn eines Schaumweinfabrikanten in Mannheim geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters musste er 1892 die Schule ohne Abitur verlassen. Es folgten eine kaufmännische Lehre, der Eintritt in SPD und Gewerkschaft. Statt einer kaufmännischen Tätigkeit konzentrierte sich Müller auf die gewerkschaftliche Organisation von Handlungsgehilfen. Parallel dazu arbeitete er als Journalist, zuletzt in Görlitz, wo er auch Stadtverordneter und Vorsitzender des SPD-Unterbezirks war. Als der SPD-Vorsitzende August Bebel auf ihn aufmerksam wurde, begann Müllers politische Karriere, die ihn 1906 in den Reichsvorstand der SPD führte. Aufgrund seiner Fremdsprachenkenntnisse wandte sich Müller den internationalen Parteikontakten zu und versuchte während des Ersten Weltkrieges noch mehrfach, gemeinsame Friedensresolutionen mit den europäischen Schwesterparteien der SPD auszuloten. Innerparteilich war er mit Ausbruch des Krieges nach rechts gerückt und unterstützte die Burgfriedenspolitik. 1916 zog er in den Reichstag ein, wo er sich angesichts der zunehmenden Spaltung seiner Partei für eine Politik des Ausgleichs starkmachte.

Nach der Novemberrevolution 1918 setzte sich Müller innerhalb der Arbeiter- und Soldatenräte für die Position der Mehrheitssozialdemokratie und damit für baldige Wahlen zur Nationalversammlung ein. Gemeinsam mit Otto Wels wurde er im Juni 1919 zum Reichsvorsitzenden der SPD gewählt. Er gehörte der Nationalversammlung und bis zu seinem Tod im Jahr 1931 dem Reichstag an. Trotz der in Deutschland mit Empörung aufgenommenen Friedensbedingungen übernahm Müller im Juni 1919 den undankbaren Posten des Reichsaußenministers und unterzeichnete in dieser Funktion den Versailler Vertrag. Von der nationalistischen Rechten wurde er deswegen als „Landesverräter“ diffamiert. Nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch stellte er sich im März 1920 als Reichskanzler einer Übergangsregierung zur Verfügung, die lediglich bis Juni 1920 amtierte.

Erst 1928 konnte die SPD nach Gewinnen bei der Reichstagswahl wieder einen Kanzler stellen. Nach harten Koalitionsverhandlungen wurde Müller Chef einer Großen Koalition aus SPD, DDP, DVP, BVP und Zentrum. Mit Hartnäckigkeit und Verhandlungsgeschick erreichte er die vorzeitige Räumung des Rheinlandes und eine endgültige Regelung der Reparationsfrage. Trotz der außenpolitischen Erfolge gab es jedoch massiven innenpolitischen Streit, der Müllers Regierung belastete. Auch gesundheitlich war er angeschlagen. Eine Gallenblasenentzündung machte eine Notoperation erforderlich. Gegen den Willen seiner Ärzte trat Müller jedoch nicht kürzer. Noch hatte der Young-Plan die Frontlinien in der Koalition überdecken können, aber das Bündnis platzte nun an Haushaltsfragen. Vordergründig ging es um eine viertelprozentige Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, hinter den Kulissen bemühten sich die Rechtsparteien und die Entourage um Reichspräsident Hindenburg jedoch schon länger darum, die SPD aus der Regierungsverantwortung zu drängen und die parlamentarische Regierungsweise zu beenden. In der SPD setzte sich nun der prinzipientreue linke Flügel durch. In der Folge verweigerte die Reichstagsfraktion Müller ihre Unterstützung und die SPD ließ sich damit die Schuld für das Scheitern der Regierung in die Schuhe schieben. Die unmittelbare Folge war der Rücktritt von Hermann Müller. Im Rückblick bedeutete dieser 27. März 1930 eine der folgenschwersten Zäsuren in der Geschichte der Weimarer Republik. Die Phase der relativen Stabilität war beendet und mit den Präsidialkabinetten begann die Auflösungsphase der ersten deutschen Demokratie.

In den folgenden Monaten gehörte Müller weiterhin dem Reichstag an. Vom Reichspräsidenten fühlte er sich hintergangen, von seiner eigenen Partei war er enttäuscht. Um das Schlimmste zu verhindern und in der Hoffnung, irgendwie die parlamentarische Regierungsweise zu retten, rief er seine Fraktion dazu auf, das Präsidialkabinett unter Kanzler Heinrich Brüning zu tolerieren. In dieser Phase brach Müllers altes gesundheitliches Leiden auf. Er starb mit nur 54 Jahren am 20. März 1931 in Berlin an den Folgen einer Gallenoperation. In einem großen Trauerzug erwies ihm die SPD die letzte Ehre. Reichspräsident Hindenburg lehnte ein offizielles Staatsbegräbnis ab.


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Anregungen zum Weiterlesen:

  • BRAUN, Bernd: Hermann Müller (1876–1931), in: DERS.: Die Weimarer Reichskanzler. Zwölf Lebensläufe in Bildern, Düsseldorf 2011, S. 134–167.

  • BRAUN, Bernd: Hermann Müller (1876–1931) – Kanzler der Zeitenwende, in: Reinhold WEBER/Ines MAYER (Hrsg.): Menschen, die uns bewegten. 20 deutsche Biografien im 20. Jahrhundert, Köln 2014, S. 42–51.

  • HOFFEND, Andrea: Mut zur Verantwortung. Hermann Müller. Parteivorsitzender und Reichskanzler aus Mannheim, Mannheim 2001.

  • HOFFEND, Andrea: Hermann Müller (1876–1931), in: Reinhold WEBER/Ines MAYER (Hrsg.): Politische Köpfe aus Südwestdeutschland, Stuttgart 2005, S. 126–136.

  • REICHEL, Peter: Der tragische Kanzler. Hermann Müller und die SPD in der Weimarer Re-publik, München 2018.

     

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