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„Glied ab“ – Herbert Wehners beste Zwischenrufe

„Sie sind ein Schwein. Wissen Sie das?“ 34 Jahre saß Herbert Wehner im Bundestag, 14 Jahre davon führte er die SPD-Fraktion. In dieser Zeit trug er sich 77 Ordnungsrufe ein. Ein einsamer Rekord.
„Strolch“, „Quatschkopf“, „Dreckschleuder“, „Schleimer“: Für seine verbalen Attacken gegen politische Gegner brauchte Herbert Wehner (1906-1990) kein Rednerpult „Strolch“, „Quatschkopf“, „Dreckschleuder“, „Schleimer“: Für seine verbalen Attacken gegen politische Gegner brauchte Herbert Wehner (1906-1990) kein Rednerpult
„Strolch“, „Quatschkopf“, „Dreckschleuder“, „Schleimer“: Für seine verbalen Attacken gegen politische Gegner brauchte Herbert Wehner (1906-1990) kein Rednerpult
Quelle: picture-alliance / dpa

Die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit wäre nur halb so unterhaltsam gewesen ohne ihren Haudegen Herbert Wehner. Mit allen rhetorischen Wassern gewaschen, hält er den Allzeit-Rekord bei den Ordnungsrufen im Bundestag: 77. Diese Zahl nennt das Büchlein „Unglaublich, Herr Präsident. Ordnungsrufe Herbert Wehner“ von Schmidt Klaus und Ralf Floehr, das in den 1980er-Jahren zunächst im Verlag „Lafleur“ und anschließend bei Zweitausendeins erschien. Darin sind sie alle aufgeführt, samt der 70 Szenen, die ihnen vorangegangen waren – sieben mal wurde Wehner also gleich mehrfach gerügt. Schon als kommunistischer Abgeordneter im sächsischen Landtag während der Weimarer Republik hatte er über ein Dutzend Ordnungsrufe eingeheimst.

Die Liste zeigt legendäre Auftritte des langjährigen Vorsitzenden der SPD-Fraktion auf. So musste sich der CDU-Abgeordnete Möller einmal während seiner Parlamentsrede ansatzlos von Wehner provozieren lassen: „Waschen Sie sich erst einmal! Sie sehen ungewaschen aus.“ Zwei Minuten später wieder: „Waschen Sie sich erst einmal!“ Der CDU-Abgeordnete Wohlrabe wurde von Wehner nicht nur als „Übelkrähe“ beschimpft, sondern musste sich auch noch die Frage gefallen lassen: „Sie sind ein Schwein. Wissen Sie das?“

Als er es wieder einmal zu wild getrieben, seinen Ordnungsruf kassiert hatte und die Unionsfraktion dennoch den Plenarsaal verließ, bekamen sie nicht nur ein „Ich sage Ihnen Prost, weil Sie wahrscheinlich dahin gehen“ mit auf den Weg. In dem Moment, es war der 13. März 1975, wurde auch der zum geflügelten Wort avancierte, triumphierende Satz geboren: „Wer herausgeht, muss auch wieder hereinkommen.“

Gern mischte sich Wehner auch in Streitigkeiten zwischen Bundestagspräsidium um Kollegen ein. Als der SPD-Abgeordnete Farthmann einmal von Vizepräsident Jaeger ermahnt wurde: „Herr Abgeordneter, ich bitte, sich bei der Qualifikation der Zwischenrufe von Kollegen etwas zurückzuhalten“, verteidigte Wehner Farthmanns Einwurf lautstark mit den Worten: „Nur so kann man Ungeziefer abwehren, Herr Präsident.“ Damit war der CSU-Mann Jaeger gemeint, der zu den Politikern gehörte, die der Wiedereinführung der Todesstrafe das Wort redeten. Als „KopfabJaeger“, wie er daraufhin genannt wurde, einmal in der Debatte über die Pornografie das Wort ergriff, kommentierte Wehner trocken: „Glied ab!“

„Schönen Dank, dass Sie aufgewacht sind“

Es gab wohl kaum einen Parlamentarier, der so leidenschaftlich Öl ins Feuer gießen konnte, wie Wehner. Wenn man sich schon fast beruhigt hatte, setzte er noch eins oben drauf. Etwa als im April 1970 der CDU-Abgeordnete Rainer Barzel in einer Rede nebenbei meinte: „Ich habe nicht die Absicht, einen Pappkameraden hier aufzubauen, wie Sie das nannten.“ Wehner: „Sie sind ja selber einer!“ Das Protokoll vermerkt nun Heiterkeit bei der SPD und lebhafte Zurufe von der CDU/CSU: „Unerhört“.

Parlamentspräsident Schmitt-Vockenhausen fragt nach: „Herr Abgeordneter Wehner, haben Sie den Herrn Abgeordneten Dr. Barzel eben als Pappkameraden bezeichnet?“ Wehner bescheidet den Präsidenten kurz angebunden: „Lesen Sie das bitte im Protokoll nach, Herr Präsident!“ Schmitt-Vockenhausen gibt sich friedlich: „Ich werde es im Protokoll nachlesen.“ Rasner (CDU/CSU) ruft: „Ein unverfrorener Mensch“. Rösing (CDU/CSU) ist empört: „Sie sind ja selber einer, hat er gesagt.“ Langsam beruhigte sich dann die Atmosphäre im hohen Haus, Barzel fährt fort und meint dann irgendwann: „Bleiben wir also bei den Pappkameraden.“ Dann wieder Wehner: „Schleimer wäre richtiger“. Die Folge: ein erneuter Ordnungsruf.

Oft genug konnte sich sich Wehner, auch nachdem er einen Ordnungsruf erhalten hatte, noch lange nicht beruhigen. Als sein Fraktionskollege Seidel wegen des Begriffs „Heuchelei“ zur Ordnung gerufen wurde, wiederholte Wehner den Begriff „Heuchelei bleibt Heuchelei“, und, als er selbst deshalb gerügt wurde, noch einmal: „Ich danke Ihnen, aber Heuchelei bleibt Heuchelei.“ Es war ein kalkulierter Regelverstoß, denn erst eine dritte formelle Rüge hätte im Parlament Konsequenzen, nämlich den Ausschluss von der Debatte als Redner.

„Strolch“, „Quatschkopf“, „Dreckschleuder“, „Schleimer“, „einstudierter Pharisäer“ – immer wieder: Ordnungsruf für Wehner vom Parlamentspräsidenten. Auch dieser bekam, als er einmal ein „Lümmel“ von Wehner rügte, sofort sein Fett weg: „Schönen Dank, Herr Präsident, dass Sie aufgewacht sind.“ Der antwortete: „Ich rüge diese Bemerkung ebenfalls.“ So kam Wehner auf 77 Ordnungsrufe.

„Waschen Sie sich erst einmal! Sie sehen ungewaschen aus“ – Wehner beließ es nicht bei der einfachen Feststellung, sondern kassierte für die Wiederholung gleich noch einen Ordnungsruf des Bundestagspräsidiums
„Waschen Sie sich erst einmal! Sie sehen ungewaschen aus“ – Wehner beließ es nicht bei der einfachen Feststellung, sondern kassierte für die Wiederholung gleich noch einen Ordnungs...ruf des Bundestagspräsidiums
Quelle: picture-alliance/ dpa

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