Der Weg in den Krieg: Der britische Premier hat nur Irland im Sinn - WELT
Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Geschichte
  3. Der Weg in den Krieg: Der britische Premier hat nur Irland im Sinn

Geschichte Der Weg in den Krieg

Der britische Premier hat nur Irland im Sinn

22. Juli 1914: Gegenüber Frühstücksgästen redet Herbert Henry Asquith Klartext: Zwar sei die Lage auf dem Balkan „überaus ernst“, aber wirklich schlimm stehe es in Großbritannien selbst.
Leitender Redakteur Geschichte
Der britische Premier Herbert Henry Asquith (1852-1928) verschwendet auf die neue Balkan-Krise kaum einen Gedanken, sondern konzentriert ganz sich auf den geplanten Autonomiestatus Irlands Der britische Premier Herbert Henry Asquith (1852-1928) verschwendet auf die neue Balkan-Krise kaum einen Gedanken, sondern konzentriert ganz sich auf den geplanten Autonomiestatus Irlands
Der britische Premier Herbert Henry Asquith (1852-1928) verschwendet auf die neue Balkan-Krise kaum einen Gedanken, sondern konzentriert ganz sich auf den geplanten Autonomiestatus... Irlands
Quelle: Public Domain; Montage Stefan Eisenberg

Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Frau am 28. Juni 1914 in Sarajevo setzte hektische politische Aktivitäten in Gang. Sie sind unter dem Begriff „Juli-Krise“ in die Geschichte eingegangen. Dass am Ende der Ausbruch eines Weltkrieges stehen würde, war keineswegs ausgemacht. Politiker und Diplomaten suchten nach Lösungen für eine ganze Reihe von Konflikten, deren Tragweite und Verflechtungen sie kaum zu überblicken vermochten.

Als „Schlafwandler“ beschreibt der australische Historiker Christopher Clark die Akteure von 1914: von Albträumen geplagt, aber unfähig, die Realität der Gräuel zu erkennen, die sie in Kürze in die Welt setzen würden. Damit hat er eine neue Debatte über die Ursachen des Kriegsausbruchs angestoßen. Andere finden den Begriff „Zocker“ treffender. Zahlreiche Bücher, Ausstellungen und Tagungen treiben das Thema weiter. Lesen Sie auf welt.de/themen/juli-krise, wie im Sommer 1914 die Chance auf Frieden vertan wurde und wann die Entscheidung zum Krieg fiel.

Ein ganz gewöhnliches Frühstück

Was kleine Sorgen sind und was große, ist eine Frage der Perspektive. Oder kann zumindest so scheinen, solange die zugrunde liegenden Probleme noch in der Schwebe sind.

Um den Frieden in Europa jedenfalls machte sich der britische Premier Herbert Henry Asquith am 22. Juli 1914 kaum Sorgen. Er empfing wie gelegentlich eine Gruppe internationaler Gäste zum ausgedehnten mittäglichen Frühstück, eigentlich eher einem Lunch.

Dabei waren die beiden Franzosen Paul Cambon, ein Diplomat, und Paul-Gabriel Graf Haussonville, ein Schriftsteller. Außerdem gaben sich der russische Sänger Feodor Schaljapin, eine Inderin aus der britisch geprägten Oberschicht – und der Deutsche Harry Graf Kessler die Ehre.

Für den polyglotten Weltbürger, dank seiner Herkunft in der europäischen Elite bestens vernetzt, war das ein ganz gewöhnlicher Termin. So plauderte er offen mit seinem Gastgeber und hielt seine Eindrücke direkt danach in seinem Tagebuch fest.

Asquith kam von einer morgendlichen Besprechung mit König George V. zu seinen Gästen in die Downing Street Nr. 10. Doch nicht die Spannungen zwischen Österreich-Ungarn und Serbien hatten den Monarchen und seinen Premierminister zur Krisensitzung zusammengeführt, sondern ein ganz anderer Konflikt.

Asquith überließ die Außenpolitik Edward Grey

Die britische Politik drehte sich seit Mitte Mai 1914 eigentlich nur um das Irland-Problem. Das Unterhaus hatte den katholisch geprägten Provinzen Irlands weitgehende Autonomie zugestanden, doch das traditionsbewusste Oberhaus lehnte diese Initiative ab. Druck hatten vor allem die Vertreter der neun überwiegend anglikanischen Provinzen in Ulster ausgeübt, dem Norden Irlands.

Doch der liberale Premier Asquith war auf die Stimmen der irischen Nationalisten angewiesen, um sich gegen die Konservativen zu behaupten. Deshalb musste er ihre Wünsche berücksichtigen. Der Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken in Irland drohte zum Bürgerkrieg zu eskalieren – kein Wunder, dass dazu in Juni und Juli 1914 eine Besprechung die nächste jagte.

Anzeige

In seinen täglichen Briefen an seine 35 Jahre jüngere, wohl platonische Geliebte Venetia Stanley spielten in den ersten drei Juliwochen die internationalen Verwicklungen infolge des Attentats von Sarajevo praktisch keine Rolle. Offenbar drangen sie kaum in Asquiths Bewusstsein vor – er überließ die Außenpolitik in dieser Zeit vollständig seinem Außenminister Edward Grey.

Und sogar das Ulster-Problem spielte Asquith seinen Gästen gegenüber herunter. Kessler jedenfalls wunderte sich: „Trotz der ernsten Lage in Irland schien er so heiter, als ob er keine Sorge in der Welt hätte“, notierte der Graf irritiert in sein Tagebuch.

Auch der Orient bereitet Sorgen

Da seine Gäste das durchaus nicht genauso sahen, kam es doch zu einem Meinungsaustausch über die europäische Politik, angestoßen von Graf Haussonville. Doch zu viel mehr als der Bemerkung, die Lage sei „very serious“, also „überaus ernst“, ließ sich Asquith nicht bewegen. Überall scheine es zu gären.

Dabei hatte der Premier offenbar weiter vornehmlich Irland im Blick, denn er fügte hinzu, „auch der Orient“ mache ihm Sorgen. Aus britischer Perspektive bedeutete das: der Balkan, also der Konflikt zwischen Serbien und Österreich. Aber eben nur „auch“.

Nach diesem kurzen Wortwechsel schwenkte das Gespräch wieder anderen Themen zu. Elisabeth Asquith, die 17-jährige Tochter des Premiers, klagte bei Kessler, sie werde von der Londoner Oberschicht geschnitten.

Tatsächlich hatte der deutsche Graf für seine Einladung zum Lunch am folgenden Tag die Absage einer äußerst konservativen Lady bekommen, weil er den Premier eingeladen hatte. Der Streit über Irland sandte Schockwellen in die bessere britische Gesellschaft; der Konflikt auf dem Kontinent spielte demgegenüber kaum eine Rolle.

Die Juli-Krise Tag für Tag auf welt.de/themen/juli-krise

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema