Vor sechseinhalb Jahren ist Hamburgs früherer Bürgermeister Henning Voscherau verstorben. Am Dienstag ist ein Buch über sein Leben erschienen. Der Titel lautet so geradlinig und schlicht wie viele Hamburger den SPD-Politiker erlebt haben: „Henning Voscherau“.
Autor Uwe Bahnsen nimmt die Leser des Buches mit zurück bis in das Jahr 1933, in dem Carl Voscherau, der Vater Henning Voscheraus, seine Anstellung in der Finanzverwaltung verlor, weil er als Mitglied der SPD als „politisch unzuverlässig galt“. Nach schwierigen Jahren fand Carl Voscherau eine Festanstellung an der Niederdeutschen Bühne von Richard Ohnesorg und arbeitete fortan als Schauspieler. Das Talent dazu, so sind sich Weggefährten einig, vererbte er an seinen 1941 geborenen ältesten Sohn Henning weiter.
Seine Reden seien von rhetorischer Brillanz gewesen, erinnert sich Christina Weiss, die Henning Voscherau 1991 als parteilose Kultursenatorin in seinen Senat holte. Besonders eingeprägt hätten sich ihr die Sitzungen der Senatskommission für Stadtentwicklung, erzählte Weiss bei der Vorstellung des Buches.
In der Kommission saßen Voscherau und seine zuständigen Senatsmitglieder mit den Bezirksamtsleitungen zusammen, um über die Projekte für die Stadt zu sprechen. Voscherau sei ein sehr guter Zuhörer gewesen, sagt Weiss. Doch, wenn er genug zugehört hatte, konnte er auch mit einer ihm eigenen Mischung aus Freundlichkeit und Härte die Argumente so zusammenfassen, dass sie seiner eigenen Linie entgegenkamen. „Das hat große Überzeugungskraft gehabt.“
In die SPD war Voscherau 1966 eingetreten. Der Partei sei er aus nostalgischen Gründen beigetreten, wird Voscherau im Buch zitiert – „nachdem alle meine Vorfahren, die in der Partei waren und für sie gearbeitet hatten, tot waren. Da hatte ich das Gefühl, die Reihe sei nun an mir.“ 1970 Mitglied wurde Voscherau Mitglied der Bezirksversammlung Wandsbek, 1974 wurde er in die Bürgerschaft gewählt, in der er 1982 zum SPD-Fraktionschef aufstieg.
Henning Voscherau steuerte als Erster Bürgermeister fast zehn Jahre lang die Geschicke Hamburgs. Von 1988 bis 1997 war er Präsident des Senats. Als die SPD bei der Bürgerschaftswahl mit 36,2 Prozent der Stimmen aus Voscheraus Sicht ein zu schlechtes Ergebnis erzielte, kündigte Voscherau noch am Wahlabend an, nicht mehr als Bürgermeister zur Verfügung zu stehen. Nach seinem Ausscheiden aus der Politik arbeitete Voscherau - ebenso wie vor seiner Zeit als Erster Bürgermeister - bis 2011 als Notar. Danach führte der promovierte Jurist bis zu seinem Tod mit seinem Sohn gemeinsam ein Rechtsanwaltsbüro.
Zu seinen größten Vermächtnissen zählt eine Reform der Verfassung. Für deutlich mehr Hamburger dürfte mit Voscherau jedoch auf ewig die Entstehung der HafenCity verbunden sein. Wenige Monate vor seinem Rücktritt hatte er im Frühjahr 1997 verkündet, dass er den Bau eines neuen Stadtteils an der Elbe anstoßen werde und eine Machbarkeitsstudie für den Bau der HafenCity vorgelegt. Von da an nahm das Projekt seinen Lauf. Heute ist der Großteil des ehemaligen Hafenareals bebaut.
Das sei ein Paukenschlag gewesen, sagt die damalige Kultursenatorin Weiss. „Alles war so genau geplant und so kreativ“. Nur wenige waren damals in die Pläne Voscheraus und seiner Mitstreiter wie etwa Architekt Volkwin Marg und dem früheren HHLA-Chef Peter Dietrich eingeweiht. Auch sie habe von den Vorhaben ihres Mannes nichts gewusst, erzählte Witwe Annerose Voscherau bei der Buchvorstellung.
Im gemeinsamen Sportclub Klipper THC hatten sich Annerose und Henning Voscherau kennen gelernt. Bei der Silvesterfeier des Vereins zum Jahreswechsel von 1967 auf 1968 wurden sie ein Paar. 1971 heirateten sie – am 13. August, dem Geburtstag Voscheraus. Der Leser seiner Biografie lernt, dass Voscherau das Datum wählte, um den Hochzeitstag nicht so leicht zu vergessen.
Es sind Anekdoten ähnlich wie diese, die das neue Buch über Henning Voscherau auch für jene lesenswert machen, die schon Vieles über den Alt-Bürgermeister wissen. Autor Uwe Bahnsen hat den früheren Bürgermeister über Jahrzehnte als politischer Journalist für WELT und WELT AM SONNTAG begleitet. „Man merkt dem Buch an, wie nah er am Rathaus dran war“, sagt Franklin Kopitzsch, der das Buchprojekt für die Reihe „Hamburger Köpfe“ der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius begleitet hat. Die Lücken aus der Zeit vor den Auftritten auf dem politischen Parkett füllte Bahnsen durch Gespräche mit Voscheraus Familie und frühen Weggefährten.
Die Reihe Hamburger Köpfe, angeregt von Altbundeskanzler Helmut Schmidt, erinnert an Frauen und Männer, die Hamburg beeinflusst haben - Politiker, Unternehmer, Wissenschaftler, Künstler. Die Biografie Voscheraus (Ellert & Richter, 192 Seiten, 19,95 Euro) beendet die Reihe, in der seit 1999 rund 40 Bücher erschienen sind.