Rede zum Verabschiedungsappell ISAF – Logistikbataillon 141

(Es gilt das gesprochene Wort)

Sehr geehrter Herr Oberst Schneider,
sehr geehrter Herr Oberstleutnant Schreiber,
sehr geehrte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister,
sehr geehrter Herr Kollege Lechner,
liebe Soldatinnen und Soldaten,
liebe Angehörige, Freunde und Bekannte,

es ist mir eine große Ehre heute, an einem für das Logistikbataillon 141 so wichtigen Tag, zu Ihnen sprechen zu dürfen. Vielen Dank, dass Sie mir die Möglichkeit dazu gegeben haben.

Eines möchte ich gleich zu Beginn betonen: der Deutsche Bundestag steht mit einer überwältigenden Mehrheit hinter Ihnen und Ihrem Einsatz, darauf können Sie sich verlassen. Damit Sie sehen, dass das nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, war es mir ein großes Anliegen, Ihnen heute persönlich, trotz einer Sitzungswoche im Bundestag, meine besten Wünsche mit auf den Weg zu geben. Ich verpasse daher leider hochwertige Debatten, beispielsweise zum Künstlersozialabgabestabilisierungsgesetz.

Vor allem ist es mir wichtig, Ihnen meine Hochachtung vor Ihrer Einsatzbereitschaft auch im Ausland und in einer angespannten und zum Teil noch immer gefährlichen Situation den Dienst zu tun, auszudrücken. Ihr Rückverlegungseinsatz, den Ihr Bataillonskommandeur so salopp mit „160 Soldaten gehen rein, packen zusammen und kommen dann wieder zurück“ beschrieben hat, nötigt mir den allerhöchsten Respekt ab.

Im Februar haben wir im Deutschen Bundestag zum letzten Mal die Verlängerung des ISAF-Mandats beschlossen. Nach nunmehr zwölf Jahren geht damit der längste, härteste - und auch das muss man leider sagen - der opferreichste Kampfeinsatz der Bundeswehr zu Ende.

Erinnern wir uns daran, weshalb wir uns überhaupt in Afghanistan engagieren: Im Jahr 2001 töten islamistische Attentäter bei den Anschlägen auf das World Trade Center 3000 Menschen. Es folgen weitere Anschläge in Casablanca, Djerba und Bali. Auch in Europa macht der Terror keinen Halt - im März 2004 in Madrid und im Juli 2005 in London kommen bei Anschlägen hunderte Zivilisten zu Tode. Fast überall sind auch deutsche Staatsbürger unter den Opfern. Was bleibt, ist das Gefühl von Unsicherheit und Angst vor Anschlägen auch in unserer Heimat.

Wir haben uns damals konsequent zu einem militärischen Eingreifen in Afghanistan entschieden, weil Afghanistan weltweit der Hauptumschlagspunkt für Terroristen war und wir zusammen mit unseren Bündnispartnern den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger sicherstellen mussten. Der ehemalige Verteidigungsminister Struck sagte zum Afghanistan-Einsatz: „Deutschlands Freiheit wird am Hindukusch verteidigt.“ Auch wenn er damit eine intensive Debatten auslöste: Er hatte meines Erachtens recht.

Eines der wichtigsten Ziele, nämlich dass Afghanistan nicht länger die zentrale Ausbildungsstätte des islamistischen Terrorismus bildet, haben wir erreicht. Wenn wir einen Blick auf das Land, die Strukturen und auch die Situation der Menschen dort werfen, dann stellen wir schnell fest, dass sich auch in dieser Hinsicht vieles zum Besseren entwickelt hat.

Als wir im Jahr 2002 unser Engagement in Afghanistan starteten, waren die Zustände in großen Teilen Afghanistans katastrophal. Der ISAF-Einsatz hat in den letzten zwölf Jahren dazu beigetragen, dass es den Menschen besser geht:

o die Kindersterblichkeit hat sich halbiert
o die Lebenserwartung der Bevölkerung hat sich erhöht
o Brunnen, Straßen und Schulen wurden gebaut
o 10 Millionen Kinder gehen zur Schule – davon 40% Mädchen
o das BIP hat sich verdoppelt
o Strom und Internet stehen immer mehr Menschen zur Verfügung
o freie Präsidentschafts- und Provinzratwahlen wurden durchgeführt
o im deutschen Gebiet wurde ein Flughafen gebaut, der nun zivil genutzt werden kann.

Das alles hört sich positiv an – die Bilanz ist politisch wie gesellschaftlich jedoch sehr umstritten. Wir alle haben noch das Zitat einer deutschen Bischöfin im Ohr, die sagte: „Nichts ist gut in Afghanistan.“ Meine persönliche Einschätzung ist: Für die Menschen in Afghanistan hat sich dank Ihres Einsatzes vieles zum Besseren gewendet. Und so fern diese Mission zunächst von hier aus scheinen mag, so spürbar sind die Konsequenzen auch bei uns in Deutschland. Weil Sie sich seit Jahren so couragiert für uns einsetzen, leben wir in relativer Sicherheit!

Die Frage ist, wie es jetzt in Afghanistan weitergehen wird. Um ehrlich zu sein, kann das zu diesem Zeitpunkt noch niemand sagen. Klar ist: am 31.12.2014 endet das Mandat. Bis dahin ist noch viel zu tun, die Entwicklung nach unserem Abzug ist unklar. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass die enormen Fortschritte, die wir erzielen konnten, eine gute Ausgangslage für eine erfolgreiche Weiterentwicklung des Landes unter der eigenen Führung geschaffen haben.

Das zeigt sich auch an den Wahlen, die kürzlich stattgefunden haben: die Menschen sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Knapp sieben Millionen Menschen haben im April bei den Präsidentschaftswahlen ihre Stimme abgegeben. Außerdem wurden Wahlen der Provinzräte durchgeführt. Das Ergebnis wird für den 7. Juni erwartet. Dann entscheidet sich, wer neuer Präsident wird und ob es eine Nachfolgemission der ISAF geben wird. Dabei wird es vor allem darum gehen, die Afghanen zu unterstützen und zu beraten, um selbständig und nachhaltig alles bis dahin Erreichte zu sichern. Das ist ein langwieriger Entwicklungsprozess, bei dem die afghanischen Institutionen, die jahrelang von der Bundeswehr ausgebildet und trainiert wurden, die Chance haben, sich zu beweisen.

Erst wenn diese Entwicklung absehbar ist, kann auch der ISAF-Einsatz abschließend beurteilt werden. Damit die Ausgangsvoraussetzungen möglichst gut sind, ist die Übergabe natürlich von großer Bedeutung. Es ist daher ein Irrglaube, dass der wichtigste Teil des Einsatzes bereits hinter uns liegt. Ihr Einsatz ist mindestens genauso wichtig für eine nachhaltig erfolgreiche Entwicklung Afghanistans. Wie wichtig die deutschen Truppen für den ISAF-Einsatz und nicht nur für die Rückverlegung des militärischen Gerätes sind, zeigt die Tatsache, dass bereits 2013 etwa 75 Prozent der NATO-Logistik über den deutschen Verantwortungsbereich in Nordafghanistan abgewickelt wurde. Das ist beeindruckend. Darüber hinaus war die Bundeswehr oftmals auch als Berater tätig. Der enge Kontakt mit Armee und Polizei hat maßgeblich dazu beigetragen, dass neue Strukturen etabliert, Sicherheitskräfte ausgebildet wurden und Vertrauen geschaffen wurde – in die internationale Gemeinschaft aber auch in die eigenen Institutionen, die fortan auf eigenen Füßen stehen sollen.

Letzteres ist kein Grund zur Sorge, sondern vielmehr ein Grund zur Freude – so ist es doch das, wofür Sie und Ihre Kameradinnen und Kameraden so hart gearbeitet haben und woran Jahre lang nicht zu denken war: Afghanische Selbstbestimmung!

Ein weiterer Punkt ist mir wichtig:
Als Soldaten haben Sie es heutzutage nicht immer leicht, da gesellschaftliche Gruppen, die sich gegen alles und jeden stemmen auch die Bundeswehr in Misskredit zu bringen versuchen – das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der ganz überwiegende Teil unserer Bevölkerung, und übrigens auch der Bundestagsabgeordneten, geschlossen hinter Ihnen stehen. Sie haben das Ansehen Deutschlands in der Welt seit vielen Jahren durch Ihre ebenso konsequente wie menschlich eindrucksvolle Arbeit positiv geprägt.

Um der Bedeutung Ihres Berufs und auch Ihrer Lebenswirklichkeit gerecht zu werden, gehört auch immer ein kritischer Blick auf bestehende Strukturen. Deshalb wurde die Neuausrichtung der Bundeswehr beschlossen. Sicherheitspolitisch, finanzpolitisch und demografisch ist dies ein notwendiger Schritt gewesen. Seit meinem Eintritt in die Bundeswehr 1992 als Grundwehrdienstleistender bis heute, wo ich als Reserveoffizier Wehrübungen ableiste, gab es allerdings keine Zeit, in der nicht tiefgreifende Strukturreformen durchgeführt wurden.

Man kann aber festhalten, dass die jetzige Reform dazu beiträgt, dass die Bundeswehr, insbesondere ihr gesellschaftliches Bild, einen neuen Anstrich erhält. Mögen einige Maßnahmen auf den ersten Blick ungewohnt wirken, so sind sie für eine erfolgreiche Neuaufstellung der Bundeswehr unentbehrlich. Den Kritikern, die sagen, die Bundeswehr müsse sich stärker auf ihre Kernthemen fokussieren, sage ich: Ja, aber wer sich über Kinderbetreuung und flexible Arbeitszeitmodelle lustig macht, der übersieht die bestehenden Probleme. Es gilt den Beruf des Soldaten wieder attraktiver zu gestalten, damit er sich in Konkurrenz zu anderen Berufen nicht zu verstecken braucht. Deshalb werden wir die folgenden Kernpunkte entschlossen angehen:

o weniger Versetzungen und frühzeitige Karriereplanungen
o bessere Ausstattung der Kasernen
o mehr Teilzeitarbeitsmöglichkeiten
o mehr Flexibilität durch Telearbeit, neue IT und Zeitguthaben
o mehr Kinderbetreuung und Beratungsangebote
o bessere Weiterbildungsmöglichkeiten
o bessere Gesundheitsvorsorge und regelmäßige Checks.

Das sind zentrale Punkte, um einerseits Ihre persönlichen Arbeitsbedingungen noch weiter zu verbessern und andererseits die Attraktivität der Bundeswehr insgesamt deutlich zu erhöhen. Ich bin mir sicher, dass das was Sie tagtäglich leisten transparenter wird und wieder mehr in den Fokus gerät, damit Sie dafür die nötige Anerkennung und einen noch größeren Rückhalt in der Bevölkerung bekommen. Wer sich die Zeit nimmt und sich intensiv mit Ihrer Arbeit beschäftigt, der kann nur seinen Hut vor Ihnen ziehen.

Allen Kameraden die in den Einsatz gehen, allen Kameraden die hier vor Ort diesen Einsatz sicherstellen und allen Familienmitgliedern, die ihren Lieben so viel Kraft und Rückendeckung geben gilt mein besonderer Dank.

Für Ihren Einsatz wünsche ich Ihnen viel Soldatenglück und Gottes Segen. Kommen Sie gesund zurück!


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