Auf seine alten Tage wurde Helmut Schmidt eine Ehre zuteil, auf die er lange hatte warten müssen: Den Deutschen galt er nun als der „beliebteste“ oder gleich als der „beste Kanzler“. Zum ersten Mal 2005 und dann bis nach seinem Tod im November 2015 mindestens ein halbes Dutzend Mal kamen repräsentative Umfragen verschiedener Meinungsforschungsinstitute zu diesem Ergebnis.
Am 23. Dezember 2018 jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal. Grund genug, einen Blick auf die Entwicklung von Schmidts Popularität zu werfen.
Die in diesen Umfragen gemessene Zustimmung schwankt leicht, zwischen 22 und 28 Prozent. Der Zweitplatzierte ist fast immer der Gründungskanzler Konrad Adenauer, der aber mit den Jahren an Bewunderern einbüßt.
Sich selbst hielt Schmidt, das ist bestimmt keine Übertreibung, gewiss für den besten Inhaber des aufreibenden Jobs im Kanzleramt. Doch er hatte durchaus Grund für sein an Arroganz grenzendes Selbstbewusstsein: Schmidt war hochintelligent, hatte eine rasche Auffassungsgabe, großes strategisches Verständnis, behielt stets die Zügel in der Hand und geriet nie in Panik, wählte treffende Worte und brillierte oft rhetorisch.
Gern deuten Journalisten, Politologen und inzwischen auch Historiker Schmidts Popularität als Ergebnis seiner beiden wesentlichen politischen Leistungen: 1962 setzte er sich über juristische Bedenken hinweg, als Teile Hamburgs von einer Sturmflut unter Wasser gesetzt wurden. Stattdessen tat der damalige Innensenator der Hansestadt, was getan werden musste: Er rief die Bundeswehr und sogar Nato-Soldaten zur Hilfe.
1977 wiederum blieb der inzwischen zum Bundeskanzler aufgestiegene Schmidt, während des Amoklaufes der linksextremen Terroristen der Rote Armee Fraktion (RAF) standhaft und verteidigte den Staat. Auch als Härte gefragt war und als nach der Entführung der Lufthansa-Boeing „Landshut“ eine Katastrophe fast unausweichlich schien: Schmidt übernahm Verantwortung, tat das, was ihm richtig erschien, ohne auf Zustimmung etwa in den Medien zu schielen – und gewann am Ende: Die weitaus meisten Geiseln wurden gerettet.
Allerdings stieg Schmidt zum beliebtesten Kanzler erst lange nach seiner Amtszeit auf. Das zeigen seine Beliebtheitswerte, die einerseits die traditionsreichsten deutschen Meinungsforscher vom Allensbacher Institut für Demoskopie (IfD) ermittelten, andererseits die Experten von der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, die Umfragen für das ZDF-Politbarometer betreuen.
Das IfD misst seit 1950 mit immer derselben Frage die aktuellen Beliebtheitswerte des jeweiligen Bundeskanzlers. Neben dem Sonderfall Kurt Georg Kiesinger, dem Kanzler der ersten Großen Koalition, der heute nahezu vergessen ist, kam nur einer der bisher acht Inhaber des höchsten Regierungsamtes in der Bundesrepublik in drei aufeinander folgenden Jahren auf einen Wert von 50 oder mehr Prozent, die sich mit seiner (zuletzt ihrer) Politik einverstanden erklärten.
Das war Helmut Schmidt, und zwar 1978 bis 1980. Adenauer gelang das Kunststück 1954/55 nur für zwei Jahre, Ludwig Erhard und Willy Brandt sogar jeweils nur einmal: 1963 und 1970.
Umgekehrt musste kein Kanzler so lange so niedrige Zustimmungsraten ertragen wie Helmut Kohl: Sein bester Wert betrug 42 Prozent im ersten Regierungsjahr; selbst während des Vereinigungsprozesses kam er 1990 nur auf 41 Prozent, und meist schwankte der Anteil der zufriedenen Deutschen in seiner Amtszeit zwischen 27 und 33 Prozent.
Ähnlich entwickelte sich die Beliebtheit von Angela Merkel, bis der Wert 2018 stark sank. Doch die niedrigste Zustimmung aller Bundeskanzler hatte laut Allensbacher Daten 2003 Gerhard Schröder: 17 Prozent.
Hat die hohe und wachsende Zustimmung für Schmidt vielleicht vor allem mit der Enttäuschung über seiner Nachfolger zu tun? Das ist zumindest eine denkbare Erklärung für Schmidts Werte.
Andererseits zeigt eine weitere Umfrage der Allensbacher Forscher, dass durchaus nicht alle Meinungsforscher in den vergangenen Jahren Schmidt an der Spitze sahen: In den vergangenen 20 Jahren sahen sie stets Adenauer an der Spitze, gefolgt meist von Kohl oder Brandt. Nur einmal, 2009, stand Schmidt im Ranking des IfD auf dem zweiten Rang.
Eine andere regelmäßige Umfrage eines anderen Instituts hilft, dem Geheimnis von Schmidts Popularität auf die Spur zu kommen. Die Forschungsgruppe Wahlen bittet jeden Monat zufällig ausgewählte Deutsche, auf einer Skala von minus fünf bis plus fünf für führende Politiker Sympathiewerte zu vergeben; diese Angaben werden dann repräsentativ hochgerechnet.
Schmidts Werte bei dieser Umfrage bewegen sich in der Zeit seiner Kanzlerschaft zwischen ordentlichen 1,5 und sehr guten 3,1 Punkten. Die Detailwerte zeigen, dass anders als bei oft zu lesenden vorschnellen Analysen offenbar nicht die standhafte Reaktion des fünften Bundeskanzlers auf die Herausforderung des Linksterrorismus im Deutschen Herbst 1977 der wesentliche Faktor war.
Von seinem Tiefstwert 1,5 im April 1977, nach dem Mord am Generalbundesanwalt Siegfried Buback, stieg der Wert bis Dezember 1977, also nach der Niederlage der RAF gegen Schmidts Regierung, auf für ihn durchschnittliche 2,4. Dagegen erhielt er 1979/80 jeweils deutlich höhere Sympathie bis hin zu exzellenten 3,1.
Dieser Aufschwung dürfte an der Antipathie vieler Deutscher gegenüber dem damaligen Kanzlerkandidaten der CDU/CSU liegen, Franz Josef Strauß. Mit der Politik von Schmidt selbst hatte das vermutlich eher weniger zu tun. Diese Interpretation entspricht den Ergebnissen von Allensbach, nach denen Schmidt 1977 mit 41 Prozent Zustimmung einen schlechten Wert im Jahresdurchschnitt hatte, aber 1979/80 zu seinen besten Ergebnissen aufstieg.
Als Schmidts sozialliberale Koalition 1981 in Agonie geriet und die SPD am liebsten ihren eigenen Kanzler losgeworden wäre, wirkte sich das unmittelbar aus: Mit nur noch 37 Prozent Zustimmung laut Allensbach und Sympathiewerten um oder knapp unter einem Wert von 2,0 bei der Forschungsgruppe Wahlen nahm die Wertschätzung für den Macher-Kanzler deutlich ab.
Das änderte sich wieder nach dem Wechsel im Kanzleramt zu Helmut Kohl: Auf einmal stieg Schmidts Sympathie auf 2,8 Anfang Oktober und 2,6 Ende Oktober 1982. Seither wurde Helmut Schmidt, der seinen Rückzug aus der Politik erklärt hatte, nur noch sporadisch in solche aktuellen Umfragen einbezogen.
Wer mit Schmidts Popularität vor allem mit seiner großen Leistung im Terrorjahr 1977 erklärt, dürfte es sich zu einfach machen. Offenbar, das legen die Werte sowohl des IfD Allensbach als auch der Forschungsgruppe Wahlen nahe, ist der Vergleich mit anderen Politikern von großer Bedeutung. Vielleicht resultiert Schmidts zunehmende Beliebtheit in der Ära Merkel aus dem Kontrast eines als stets durchsetzungsstark wahrgenommenen Kanzlers mit seiner fast immer moderierend auftretenden Nachfolgerin?
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