„Mein Kampf“: So hört sich Adolf Hitlers Hass an - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Literatur
  4. „Mein Kampf“: So hört sich Adolf Hitlers Hass an

Literatur Hitlers „Mein Kampf“

So hört sich der Hass in Hitlers Kampfschrift an

Redakteur im Feuilleton
Kann man dieses Buch entdämonisieren? Ja, und zwar am besten, wenn man Helmut Qualtinger heißt Kann man dieses Buch entdämonisieren? Ja, und zwar am besten, wenn man Helmut Qualtinger heißt
Kann man dieses Buch entdämonisieren? Ja, und zwar am besten, wenn man Helmut Qualtinger heißt
Quelle: Getty Images,dpa
Eine DVD-Edition beweist: Wenn der große Helmut Qualtinger aus „Mein Kampf“ liest, führt er Aberwitz und Schrecken des Machwerks vor. Und er erinnert daran, wie Hitler die „Lügenpresse“ erfand.

Er ist wieder da – und er steht sogar auf der Bestsellerliste. 4500 Exemplare umfasste die vom Münchner Institut für Zeitgeschichte publizierte Erstauflage der wissenschaftlichen Edition von Hitlers „Mein Kampf“. Das Buch landete bereits letzte Woche in den Charts. 4500 Verkäufe reichen also, um in einer ansonsten nicht weiter spektakulären Januarwoche in die Top 20 der meistverkauften Bücher zu kommen.

Was bei aller Debatte um den wissenschaftlichen Wert von 3700 Anmerkungen unterging: Dieser Tage erschien auch eine intelligente, nicht wissenschaftliche, nämlich allein durch Rezitation kommentierte Ausgabe: Pünktlich zur Gemeinfreiheit von Hitlers Kampfschrift hat der Suhrkamp-Verlag in seiner Filmedition eine DVD herausgebracht.

„Helmut Qualtinger liest ‚Mein Kampf‘“ (93 Minuten, 14,90 €). Die Rezitation fand 1985 im Audimax der Universität Wien statt, und sie war nicht die erste ihrer Art. Bereits im Januar 1973, zum 40. Jahrestag der NS-Machtergreifung, hatte Qualtinger im Hamburger Thalia-Theater erstmals aus „Mein Kampf“ gelesen und bestritt seither regelmäßig Auftritte. Skandalös?

Darf man mit diesem „Monstrum“ (so nennen es die Editoren vom Münchner Institut für Zeitgeschichte) überhaupt uneigentlich, also anders als hochseriös und bedenkenträgerisch-bierernst umgehen? Die Antwort hierauf ist faktisch: Ähnlich wie Hitler als Person hat auch seine Kampfschrift längst eine unernste und dabei nicht unaufklärerische Tradition der Parodie ausgebildet.

„Mein Krampf“

Schon 1930 kreierte Hans Reimann „Mein Krampf“. Jahrzehnte später gingen der deutschtürkische Schauspieler Serdar Somuncu und der Brecht-Schwiegersohn Ekkehard Schall mit „Mein Kampf“ auf Tour – nicht ohne begleitende Rechtfertigungszwänge.

Lächerlichkeit, heißt es dann gern, sei doch das Schlimmste, das dem Faschismus passieren kann. Stimmt. Und auch wieder nicht. Denn nur lachhaft ist „Mein Kampf“ ja gerade nicht. Eben deswegen überzeugt Helmut Qualtinger – dieses viel zu früh verstorbene Wiener Kabarettoriginal – in seiner Art, Hitlers Machwerk unkommentiert zu lesen: Sie betont die Melange aus Aberwitz und Schrecken.

Alles nur mit Laustärke und Stimmführung

Die ORF-Aufzeichnung von 1985 fängt Qualtinger mit nur einer Kamera ein, wohltuend konzentriert. Er liest aus einem Reader aus DIN-A4-Blättern. Die Rhetorik der Loseblattsammlung wird dabei meisterhaft ausgestellt. Immer wenn „Mein Kampf“ rassistisch oder antisemitisch wird („Rotte von Ratten“), explodiert Qualtingers Stimme.

Der fanatisierend ausgestellte Sprechduktus betrifft aber nicht nur erwartbare Kombinationen wie „Hass, Hass, Hass“ (gegen alle Juden und Marxisten). Auch Aversionen gegen alle „Gebildeten“ mit ihrer „humanen Moral“ macht Qualtinger in Hitlers maximaler Abscheu hörbar. Wie eng Größenwahnsinniges und Kleingeistiges in diesem Buch zusammenliegen, macht einem Qualtinger allein mit den Mitteln der Lautstärke und Stimmführung begreifbar.

Schon Hitler schimpfte auf die „Lügenpresse“

„Helmut Qualtinger liest ‚Mein Kampf‘“. Filmedition Suhrkamp, Berlin. 93 Minuten, 14,90 €.
„Helmut Qualtinger liest ‚Mein Kampf‘“. Filmedition Suhrkamp, Berlin. 93 Minuten, 14,90 €.
Quelle: Verlag

Fast leise stellt er Hitlers süßlich-sentimentales Pathos aus, wenn der erzählt, wie er im Morgengrauen seiner Rekrutenstube immer die Mäuse mit Brotkrümeln gefüttert und sich am „Vergnügen der kleinen Wesen“ ergötzt habe. Überhaupt die Tiervergleiche („Hausmaus geht zu Hausmaus. Feldmaus zu Feldmaus!“ So also geht Rassereinheit!) Die Stilblüten ( „Es liegen die Eier des Kolumbus zu hundertausenden herum, nur die Kolumbusse sind eben seltener zu treffen.“)!

Ganz abgesehen vom rhetorischen Vorführeffekt lassen einen die inhaltlichen Aha-Erlebnisse in Qualtingers Showprogramm schaudern: Wenn Hitler die sozialdemokratische Wiener „Arbeiterzeitung“ als „konzentrierte Lügenlösung“ beschimpft und später noch einmal die „balkenbiegende Lügenvirtuosität der Tagespresse“ pauschal diskreditiert, ist Pegida ganz nah.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema