Als das ZDF im Jahr 2006 „Unsere Besten“ suchte, stand er bei den Schauspielern ganz klar auf Platz Eins: Heinz Rühmann (1902 bis 1994). Mario Adorf und Romy Schneider folgten. Niemand weiß, wie diese Wahl heute ausfallen würde, aber ausgeschlossen ist es nicht, dass der Mann seinen posthumen Triumph wiederholen könnte. In Dutzenden von Kino- und Fernsehproduktionen überzeugte er vor der Kamera, ohne auf eine Paraderolle festgelegt zu sein.
Doch selbst wenn er wie 1958 einen Kommissar spielte, der einen Kindermörder (Gert Fröbe) jagt, hatte er jene humane Aura, die verströmte, dass der Mensch ein Geschöpf ist, das oft nicht kann, wie es will, aber trotzdem immer weitermachen sollte. Das war etwas, das jeder verstand – wohl, weil es eine ganz alltägliche Erfahrung widerspiegelt. Dumm daran ist nur: Es gibt Schauspieler, für die nichts als die Darstellung zählt; Überzeugungen kommen in ihrem seelischen Haushalt nicht vor. Und nach allem, was man über Heinz Rühmann weiß, hat er in diese Kategorie gehört.
Der Film, der am 16. Dezember 1941 in die Kinos kam, ist ein Paradebeispiel für Vieles, was Rühmann auszeichnet und ihn gleichzeitig problematisch macht: „Quax, der Bruchpilot“, das verriet schon der Trailer, war eine Komödie, die den Deutschen in einem Krieg gute Laune machen sollte, der nun auch schon mehr als zwei Jahre dauerte und trotz aller Erfolge schon hunderttausende Mütter ihre Söhne und Frauen ihre Männer gekostet hatte.
Die Story ist entsprechend überschaubar: Otto Groschenbügel, genannt Quax und kleiner Angestellter eines Verkehrsbüros, gewinnt 1928 bei einem Preisausschreiben eine kostenlose Sportfliegerausbildung in Bergried. In seinem Heimatort Dünkelstedt macht ihn das schlagartig berühmt. Nun ist er ein ängstlicher Mensch mit Hang zur Prahlerei. Aber es nützt nichts – um sein Gesicht zu wahren, muss er zur Flugschule. Dort legt man dem Möchtegern allerdings rasch nah, die Ausbildung lieber abzubrechen.
Trotzdem feiern ihn die Dünkelstedter nach seiner Heimkehr zunächst als Helden, hier hat keiner eine Ahnung, was passiert ist. Um dem gerecht zu werden – und weil ihm seine Partnerin während seiner Abwesenheit untreu geworden war – kehrt er nach Bergried zurück. Diesmal setzt er sich durch. Und weil das Schicksal ein netter Begleiter für Menschen ist, die immer strebend sich bemühen, gibt es für Quax die nette Marianne auch noch obendrauf. Zwei Jahre später ist Otto Groschenbügel dann zum verantwortungsbewussten Fluglehrer geworden.
Auf den ersten Blick ist der Streifen unpolitisch. In Sachen Darstellung lohnt es sich zu erwähnen, dass der begeisterte Hobbypilot Rühmann die zum Teil gewagten Manöver in der Luft selbst ausführte. Aber „Quax, der Bruchpilot“ war nicht umsonst ein Film, den sich Adolf Hitler wiederholt voller Genuss ansah: Denn neben dem komödiantischen „Alles halb so wild“ mitten im Krieg war das Werk ohne jeden Zweifel gespickt mit propagandistischen Botschaften. Die platteste und damit wirksamste lautete: Jeder Volksgenosse – Juden und ähnlich „rassisch minderwertige“ Gesellen natürlich ausgenommen –, jeder Volksgenosse also kann von einem Aufschneider zum (kriegs-)wichtigen Teil der Volksgemeinschaft werden. Wenn er denn will.
Heinz Rühmann wies stets strikt zurück, mit dem Film Propaganda betrieben zu haben. Der 1902 geborene Sohn des Betreiber-Ehepaars der Bahnhofsgastwirtschaft in Wanne im Ruhrgebiet fiel schon als Kind dadurch auf, Gedichte auf einzigartige Weise rezitieren zu können – schnell dann auch sehr zum Vergnügen der Stammgäste. Nach dem Scheitern eines größeren Hotel-Projekts zog die Familie 1916 nach München. Die Mutter hatte gehört, dort sei das Leben besonders günstig. Seinem Ziel, als Darsteller groß herauszukommen, näherte sich Rühmann zunächst auf Theaterbühnen, unter anderem in Hannover und Bremen.
Als in den 1920er-Jahren der Film immer wichtiger wurde, bekam er zunächst für die Hauptrolle in „Charleys Tante“ gute Kritiken. So wurde die Produktionsfirma Ufa in Form des mächtigen Erich Pommer auf ihn aufmerksam, und spätestens 1930 schaffte Rühmann mit „Die drei von der Tankstelle“ seinen Durchbruch. Doch als es nach dem 30. Januar 1933 zum Schwur kam, erwog er offenkundig keinen Moment lang, ins Exil zu gehen. Seine Strategie sah vor, sich öffentlich aus allem Politischen herauszuhalten und ansonsten seine Verbindung zu dem Mann zu festigen, der schon bald die Entscheidungsgewalt über den deutschen Film übernehmen sollte: Dr. Joseph Goebbels.
Der Historiker Felix Moeller schreibt in seinem Buch „Der Filmminister. Goebbels und der Film im Dritten Reich“, es sei 1936/37 trotzdem einmal ein wenig eng für den Mimen geworden. Er war mit der Jüdin Maria Bernheim verheiratet, befand sich bei manchen Entscheidern auf einer „Abschussliste“ und durfte nur noch mit Sondererlaubnis drehen. Ein Problem, das Rühmann löste, indem er sich 1939 scheiden ließ, um auf die „Ordentliche Liste“ zu gelangen. Einen großen Unterschied machte es nicht, Rühmann war ohnehin immer gut im Geschäft gewesen.
Zu Goebbels unterhielt er bald ein Verhältnis, das man als nahezu innig bezeichnen könnte. Das bedeutete einerseits, dass er sich eine gewisse Renitenz leisten konnte. Andererseits sind da Dinge wie der 43. Geburtstag des Großmeisters zerstörerischer Propaganda am 29. Oktober 1940. Laut Goebbels’ Tagebuch überraschte der Schauspieler seinen Gönner mit einem „lustigen Geburtstagsfilm“, den „Heinz Rühmann mit den Kindern gedreht hat, zum Lachen und zum Weinen, so schön.“
Unwahrscheinlich ist Moeller zufolge die Geschichte, laut der Rühmann hinter Goebbels‘ Rücken Hitler und Hermann Göring versuchte davon zu überzeugen, die Schulkomödie „Die Feuerzangenbowle“ (1944) in die Kinos zu bringen. Laut Tagebuch des NS-Chefpropagandisten war das gar nicht nötig: Hitler hatte Goebbels angewiesen, den Streifen trotz Protesten aus der Lehrerschaft aufführen zu lassen, die um das Ansehen der deutschen Schule fürchtete. Es wundert also nicht, wenn der Filmwissenschaftler Karsten Witte den Schauspieler als „systemstabilisierenden Komödianten“ einstufte.
Trotz dieser Tatsachen kam Rühmann nach dem Zusammenbruch recht bald wieder gut ins Geschäft. 2001 wurde bekannt, dass er auch mit der Gruppe Ulbricht – Namensgeber war der später mächtigste Mann der DDR – in beratender Verbindung stand. Die allererste Ausgabe einer deutschen Zeitung in der Sowjetischen Besatzungszone berichtete bereits über Rühmann, der jedem am Wiederaufbau Beteiligten „Freude und Entspannung“ wünschte. Am 28. März 1946 wurde im Rahmen der Entnazifizierung festgestellt, es bestünden „keine Bedenken gegen eine weitere künstlerische Betätigung des Herrn Rühmann“. Vorher war er mit einem Auftrittsverbot belegt worden.
In den 1950er-Jahren gelang es Rühmann, an seine alten Erfolge anzuknüpfen. Meist waren es Unterhaltungsfilme wie der sentimentale „Wenn der Vater mit dem Sohne“, aber er brillierte auch in anspruchsvollen Rollen wie „Der Hauptmann von Köpenick“. Und jedes Mal gelang es ihm, die Balance so zu halten, dass nichts ins total Kitschige abglitt – dafür muss man ein großer Schauspieler sein.
Heinz Rühmann starb am 3. Oktober 1994 am Starnberger See. Im Januar desselben Jahres hatte er einen Auftritt bei „Wetten, dass..?“. Das Publikum feierte ihn mit stehenden Ovationen. Dem Mann, dessen Darstellungskunst in allen politischen Systemen funktionierte, kamen vor Rührung die Tränen.
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