Heinrich von Brentano als Person - Demokratiegeschichten
Demokratiegeschichten

Heinrich von Brentano als Person

Dieser Artikel ist eine Fortsetzung des Artikels „Heinrich von Brentano – Bildungsbürger, Patriot und Europäer im Auswärtigen Amt“ vom 6. Mai.

Ob Heinrich von Brentano für das Kanzleramt geeignet war, darf aber in einigen Punkten in Zweifel gezogen werden. Ihm fehlten manche der Eigenschaften, die zum Beispiel Adenauer so erfolgreich machten. Zum einen war er für einen Politiker sehr sensibel, verschiedenen Personen gegenüber gar schüchtern, und konnte die Kritik von Leuten, insbesondere wenn er sie schätzte und bewunderte, nur schwer verkraften.

Dies zeigt sich in seinem Verhältnis zu Konrad Adenauer. Dieser sah Brentano als loyalen und fähigen Kopf, den man für gewöhnlich leicht kontrollieren konnte. Brentano hingegen schaute zu dem alten Kanzler auf und tat sein Möglichstes, um dessen Anerkennung zu erlangen.  Adenauer versuchte das auszunutzen und kritisierte Brentano oft scharf in der Hoffnung, dass dieser einknicken würde. Man kann in den Briefen Brentanos an den Kanzler sein innere Schwanken erkennen, dass er den Kanzler unterstützen will, tief von dessen scharfen Worten getroffen wurde, sich aber trotzdem verantwortlich fühlte, im Zweifel auf seiner Meinung zu beharren.

Gerüchte um sein Privatleben

Ein Gerücht, welches die gesamte politische Laufbahn Brentanos begleitete und zu dieser Zeit bedrohte, war der Vorwurf, er sei homosexuell. In einer Zeit, in der man gemäß des Paragraphs 175 StGB noch für homosexuelle Handlungen zu Gefängnisstrafen verurteilt werden konnte, war das ein schwerer Vorwurf, zumal gegen einen konservativen Politiker und praktizierenden Katholiken. Gemessen an den moralischen Vorstellungen der 50er Jahre hätte das für Brentano große Probleme bedeuten und seine politische Karriere beenden können. In Gesprächen mit Vertrauten machte er deutlich, wie sehr ihn die Debatten um sein Privatleben trafen.

Über Gerüchte und das damit verbundene Medienecho hinaus wurde nie etwas über das Privatleben Brentanos bekannt. Die Andeutungen waren aber brisant genug, dass unter anderem auch der Spiegel über die Frage berichtete. Hier war jedoch klar, dass trotz mancher zweideutigen Bemerkung seitens des Kanzlers, Brentano auf die Rückendeckung Adenauers vertrauen konnte, sodass sich das Thema nicht zu einem größeren Skandal ausdehnte.

Zeit seines Lebens blieb Brentano Junggeselle und es sind auch keine Berichte über Beziehungen bekannt. Auch wenn die Regenbogenpresse einige Male versuchte, Gerüchte über Verhältnisse oder eine bevorstehende Verlobung zu verbreiten.

Bundesaußenminister

1955 wurde Brentano schließlich als Bundesaußenminister vereidigt. Genau wie Adenauer setzte er sich für die Westbindung, enge Beziehungen zu Frankreich und den USA und für die Wiedervereinigung ein. Den Sozialismus osteuropäischer Machart lehnte er vehement ab. Brentano gilt als einer der entscheidenden Köpfe hinter der Hallstein-Doktrin, die diplomatische Beziehungen mit Ländern ausschloss, die gleichzeitig im Austausch mit Ostberlin waren.

Allgemein lag ihm seine neue Rolle. Als weitgereister, polyglotter Intellektueller und Großbürger konnte er gekonnt auf dem internationalen Parkett auftreten – selbstbewusster als in seinem Umgang mit Adenauer. Er tat sich durch eine umfangreiche Reisetätigkeit hervor, traf sich mit vielen führenden Figuren des westlichen Bündnisses und trug damit zur Normalisierung der deutschen Diplomatie nach den Schrecken des Weltkrieges bei.

Konfliktfrei verlief seine Amtszeit jedoch nicht. Ein Streit spitzte sich zwischen Brentano und Adenauer über die Frage zu, ob Deutschland auch nach der Wiedervereinigung automatisch Teil des westlichen Bündnisses wäre. Adenauer sah diese Frage als nebensächlich an, da Deutschland in jedem Fall einer engen Bindung zum westlichen Bündnis bedurfte. Er befürchtete, dass eine Diskussion über dieses Thema das Verhältnis zu den westlichen Verbündeten, insbesondere zur USA, beschädigen konnte. Brentano sah die Angelegenheit vor allem aus der Perspektive der Souveränität. Deutschland wäre erst dann wirklich souverän, wenn es nach der Wiedervereinigung frei über seine Zugehörigkeit zum westlichen Bündnis entscheiden könne. Hier setzte sich Brentano gegen den Kanzler durch und konnte auch gegenüber den Amerikanern seine Forderung behaupten.

Engagement für Europa

Ein persönlicher Schwerpunkt seiner Arbeit lag in seinem Engagement für die europäische Einigung. Schon bei den frühesten Konferenzen, an denen deutsche Mandatsträger teilnehmen durften, war er dabei und setzte sich in der deutschen Politik für eine möglichst umfassende politische Union in Europa ein.

Hier spielte auch sein persönlicher Hintergrund eine große Rolle. Die Vergangenheit seiner Familie, die aus Italien stammend Deutschland zu ihrer Heimat gemacht hatte, prägte ihn dabei sehr. Für ihn war Europa vor allem ein Kulturraum, der durch seine christliche Prägung zusammengehalten wurde. Damit setzte er sich durchaus von anderen proeuropäischen Politikern ab, da er Europa vor allem als Träger der christlichen (katholischen) Kultur verstand. Dabei hätte sich Brentano stets als deutscher Patriot bezeichnet. Ähnlich wie Adenauer verstand er die europäische Einigung nicht als Preisgabe der deutschen Nation, sondern vielmehr als Methode, sie auch langfristig im Konzert der Völker zu erhalten. 

Das Ende seiner Karriere

Das Ende seiner Amtszeit stellte sich mit der Bundestagswahl 1961 ein. Seit 1957 hatte die Union mit absoluter Mehrheit regiert und benötigte nun nach Verlusten bei der Wahl wieder einen Koalitionspartner. Die FDP stand zwar zur Verfügung, wollte jedoch einen anderen Kanzler als Adenauer. Dieser konnte sich nur im Amt halten, in dem er den Freien Demokraten große Zugeständnisse machte, darunter auch den Posten eines Staatsministers im Auswärtigen Amt. Heutzutage ist es durchaus üblich, dass im Kanzleramt oder auch im Auswärtigen Amt Staatsminister wirken, die einer anderen Koalitionspartei zugehören als der Kanzler oder der Außenminister. Brentano jedoch empfand diese Forderung als schallende Ohrfeige und als Versuch der FDP, einen Aufpasser für ihn in sein eigenes Ministerium zu setzen. Trotz diverser Überzeugungsversuche Adenauers und anderer Politiker entschloss Brentano sich zum Rücktritt als Minister und kehrte an die Spitze der Bundestagsfraktion zurück.

Hier erlebte er die letzten Jahre der Ära Adenauer und den Beginn der kurzlebigen Kanzlerschaft Ludwig Erhards. In seiner wiedererlangten Aufgabe konnte er aber nicht mehr den gleichen Einfluss auf die deutsche Politik gewinnen. Dies hatte neben der veränderten Machtverteilung in der Koalition vor allem mit seiner Gesundheit zu tun. Denn zu diesem Zeitpunkt war Brentano schon ein von Krankheit gezeichneter Mann. Als langjähriger schwerer Raucher erkrankte er im Jahr 1963 an Lungenkrebs, an dem er im November 1964 sterben sollte. Seine beiden Brüder Bernard und Clemens folgten ihm binnen Jahresfrist.

Das Erbe Heinrich von Brentanos

Brentano bleibt eine Person der Widersprüche. In ihm vereinen sich Traditionalismus und politische Innovation. Er war ein katholischer Konservativer, der zeitweise offen für eine linke Politik war. Dem Interesse an den großen Fragen der Zeit stand eine umfassende Arbeit an politischen und rechtlichen Detailfragen gegenüber. Zu seinem großen persönlichen Ehrgeiz und diplomatischen Geschick gesellte sich eine gewisse Zurückhaltung im persönlichen Umgang gegenüber Adenauer und anderen Parteifreunden hinzu.

Was aber macht Heinrich von Brentano noch heute zu einer denkwürdigen Person? Da wären meines Erachtens drei Aspekte besonders wichtig:

1. Signal der Kontinuität

Heinrich von Brentano steht wie nur wenige andere Politiker der frühen Bundesrepublik für den Wiederaufgriff der deutschen Kultur und der liberalen deutschen Tradition vor 1933. Das ist zuerst einmal nicht sein eigener Beitrag gewesen. Aber es war und ist ein bedeutendes Symbol, dass in den frühen Jahren der Bundesrepublik ein Abgeordneter und Minister ein Spross einer Familie war, die über Jahrhunderte die deutsche und europäische Kultur in vielfacher Weise mitgeprägt hat. In ihm lag eine Kontinuität, die durch die 12 Jahre NS-Herrschaft nicht beeinträchtigt wurde. Insbesondere, da er zu den Nazis stets auf Distanz blieb, sofern es ihm irgendwie möglich war. Sein Eintreten für die Demokratie und die Republik stand nie zur Debatte.

2. Vater des Grundgesetzes

Das Grundgesetz und die hessische Landesverfassung sind durch ihn mitgeprägt worden. Es gab diverse Abgeordnete, die sich in einzelnen Sachfragen mehr hervortaten als er. Als promovierter Verfassungsjurist kannte er sich aber wie kaum ein anderer Abgeordneter der Union mit den rechtlichen Grundlagen des werdenden Grundgesetzes aus. In den Sitzungen der Unionsfraktion im Parlamentarischen Rat war er eine der führenden Figuren. Gerade im letzten Schliff unserer heutigen Verfassung war er eine der insgesamt entscheidenden Figuren im Parlamentarischen Rat.

3. Ein Europäer im Auswärtigen Amt

Bedingt durch die Geschichte seiner Familie stand Heinrich von Brentano einem geeinten Europa sicher offener gegenüber als manche seiner Fraktionskollegen. Dennoch ist es spannend zu beobachten, dass gerade Brentano, der so oft die Wiedererlangung der deutschen Souveränität einforderte, einer der ausdrücklichsten Befürworter der europäischen Einigung war. Das christliche Europa war für ihn nur dann vor der Sowjetunion sicher, wenn es zusammenarbeitete und die Gräben seiner kriegsbehafteten Vergangenheit überwindete. Damit wurde er aber auch zu einer Gattung Politiker, die heute nahezu ausgestorben scheint: dem Politiker, der in den Ideen des Patriotismus und eines vereinigten Europas keinen Widerspruch sah. Für Brentano schien klar, dass Deutschland nur dann wieder ein glückliches Land werden kann, wenn es sich seinen europäischen Nachbarn öffnet.

So bleibt Heinrich von Brentano auch heute noch in seiner Biographie für unsere Politik und Gesellschaft aktueller denn je.

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Über uns 
Björn Höfer ist Mitglied von Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. und promoviert in St Andrews und Potsdam im Bereich "Politischer Katholizismus zwischen Weimar und Bonn".

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