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Politik Heinrich Lübke

Wie ein Staatsoberhaupt zur Zielscheibe wurde

Während seiner Amtszeit wurde Bundespräsident Heinrich Lübke von vielen Seiten Falsches zum Vorwurf gemacht. Trug er selbst die Schuld daran?

Wer erinnert sich an Heinrich Lübke, Bundespräsident von 1959 bis 1969? Gelegentlich geistern noch Witze umher. Kabarett-Szenen. Bei einer Afrika-Reis 1962 habe er ein Ansprache mit den Worten: „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger“ begonnen – eine Erfindung.

Bei einem Staatsbesuch in Frankreich soll er hartnäckig darauf bestanden haben, bei der Gegeneinladung de Gaulles in den Räumen der Deutschen Botschaft den Gast mit einer sauerländischen Schlachtplatte zu beglücken – dies konnte ihm ausgeredet werden, schreibt Botschafter Erwin Wickert in seinen Erinnerungen.

In der Tat, der Respekt vor dem Staatsoberhaupt, gerade erst im Fall des Häftlings Klar mit moralischem Oberton eingefordert, schien zumindest in der zweiten Amtsperiode Lübkes dahin, verflogen, in Gelächter aufgelöst. Schließlich des KZ-Baracken-Baus angeklagt, wollte man den zweiten Bundespräsidenten nach dem beliebten und geachteten Theodor Heuss nur noch als verkalkten Versager betrachten – die Zeit schien danach.

Ein Politiker, der unterschätzt wurde und wird

Die lange Adenauer-Ära neigte sich dem Ende zu, gegen Ludwig Erhard intrigierten die „eigenen“ Leute, die erste große Koalition breitete die Fittiche aus, eine eigenartige, antiautoritär, antirestaurativ aufgeschwängerte Luft durchwehte die Republik. Der erste Staatsrepräsentant bot sich als Zielfläche an. Wer immer einen politischen Schießstand hatte, ballerte los. Scherz, Satire, Ironie hatten tiefere Bedeutung.

Traf es einen Schutz- und Ahnunglosen, ein vollnaives Gemüt?

Lübke wurde und wird unterschätzt. Er war in unauffälligen, landwirtschaftlich orientierten Berufen groß geworden, Vermessungs-, Kulturingenieur, Volkswirt bei der Deutschen Bauerschaft und der Siedlungsgesellschaft Bauernland, das seit 1932 als Zentrums-Politiker Abgeordneter im Preußischen Landtag.

Lübke wurde ins Amt gedrängt

Mit Hitlers Heraufkunft galt er als katholisch-sauerländischer Feind, verlor alles, kam dann wieder als Vermessungsingenieur und Bauleiter unter. Nach dem Krieg wurde er Landwirtschaftsminister in NRW. Dort galt er als „roter Lübke“, stand bei der Bodenreform gegen den Großgrundbesitz („Güterschlächter“). Adenauer mochte den Dickschädel nicht, holte ihn 1953 dennoch als Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in sein Kabinett und war von dem Reformer, der die landwirtschaftlichen Einkommen hob und mit seinem „Grünen Plan“ für Aufsehen sorgte, doch sehr angetan.

Sein Aufstieg zum Bundespräsidenten war mit einer Niederlage Adenauers verbunden, der 1959 selbst Staatsoberhaupt werden wollte, um das „Heft der Zukunft“ außenpolitisch in der Hand zu behalten, was die Frage aufwarf, ob Juristen (Adenauer war einer) das Grundgesetz immer richtig lesen. Als Alternaive standen Heinrich Krone im Gespräch, der sich aber als Fraktionsvorsitzender der Union nicht vom Platz wegbewegen wollte, und Carl Schmid, der brillante Rhetoriker von der falschen Partei (SPD). Lübke selbst drängte sich nicht vor, sondern wurde ins Amt gedrängt, repräsentierte die Republik auf seine nüchterne, sehr trockene Art. Nur eines fiel sofort auf: Er war ein Freund der großen Koalition. Zudem war er, auf seine guten Berufsjahre zurückblickend, ein treuer Berliner.

Am Ende der Amtszeit erlahmten die Kräfte

Diese Kombination sollte ihn in der Zeit der Adenauer-Dämmerung seit 1961 innenpolitisch über Gebühr positionieren. Als Anhänger des Adenauerschen Europa-Kalküls war er kein Freund des de-Gaulle-skeptischen Erhard und des aufstrebenden Innenministers Gerhard Schröder, der Berlin einmal als Objekt westlicher „Frontbegradigung“ bezeichnet haben soll. Zweimal setzte er dazu an, die Ernennung Schröders zum Außenminister, zu verweigern, zweimal musste er sich belehren lassen, dass er in einem folgenden Verfassungskonflikt unterliegen werde. Der „liberale“ CDU-Mann Schröder wurde Nachfolger Heinrich von Brentanos und blieb es nach Erhards Wahlsieg 1965, obwohl der Altkanzler in einem Brief den Bundespräsidenten „anflehte“, die Unterschrift unter die Ernennungsurkunde abzulehnen.

Die Union war in „Gaullisten“ und „Atlantiker“ gespalten – Adenauer kokettierte mit Herbert Wehner, der sich dem „Alten“ gegenüber sogar als Freund der Atombewaffnung andiente, um seiner SPD endlich den Platz in einer Regierung der großen Koalition zu sichern. Lübke saß nicht zwischen den Stühlen, nein, der Präsident mischte innenpolitisch kräftig mit. Als Erhard 1966, von vielen gestoßen, den Kanzlerstuhl räumte, begrüßte der Bundespräsident das Gespann Kiesinger/Brandt mit großer Herzlichkeit. Das Ende seiner Amtszeit erreichte er nicht. Drei Monate vor der Ziellinie musste der Freund einer sozial ausgeglichenen Politik und Verfechter großzügier Hilfen für die (damals so genannte) Dritte Welt zurücktreten. Nicht wegen der Verleumdungen, sondern wegen des Erlahmens seiner Kräfte.

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