Heinrich Brüning: Posthume Zerstörung des eigenen Rufs - WELT
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Kopf des Tages Heinrich Brüning

„Die Monarchie muss am Ende der Reformen stehen“

Acht Monate nach seinem Tod erschienen 1970 die Erinnerungen von Heinrich Brüning, dem drittletzten Kanzler vor Hitler. Er galt als Vernunftsrepublikaner – doch das Buch offenbarte, dass er die Demokratie nicht retten wollte.
Leitender Redakteur Geschichte
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30. Mai 1932: Heinrich Brüning (1885–1970) muss als Reichskanzler zurücktreten
Quelle: gemeinfrei, picture-alliance / IMAGNO/Austrian Archives
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Posthum den eigenen Ruf zu zerstören, ist ein selten versuchtes Unterfangen; meist sollen Memoiren, ob nun vor oder nach dem Ableben publiziert, das eigene Ansehen aufpolieren. Vermutlich hatte das auch Heinrich Brüning vor, als er festlegte, dass seine Erinnerungen an die Zeit in der Politik erst nach dem Tode des Autors veröffentlicht werden dürfen. Immerhin war er vom 31. März 1930 bis zum 30. Mai 1932 Reichskanzler.

Knapp acht Monate nach seinem Ableben am Ostermontag 1970 erschienen seine Memoiren – und wären sie die gleiche Zeit vor seinem Tod auf den Markt gekommen, hätten wohl die meisten Ehrungen für den Verstorbenen ausfallen müssen. Denn Brüning gestand gewiss unabsichtlich, dass er eben kein Demokrat gewesen war, sondern im Gegenteil seine Aufgabe darin gesehen hatte, die demokratische Revolution von 1918/19 rückabzuwickeln und stattdessen die Monarchie in Deutschland zu restituieren.

Brüning-Memoiren
Der Schutzumschlag der Brüning-Memoiren, erschienen 1970
Quelle: Public Domain

Brüning schilderte nämlich zu Beginn des längsten und wichtigsten der vier Teile seines Buches ausführlich das entscheidende Gespräch, das ihn an die Spitze der Reichsregierung spülen sollte: „Die verabredete Unterhaltung mit Kurt von Schleicher fand nach Ostern 1929 in seiner Wohnung am Matthäikirchplatz beim Frühstück statt.“ Brüning galt damals als führender Kopf des konservativen Flügels der katholischen Zentrumspartei; der Generalmajor Schleicher war hauptamtlich als Chef des Ministeramtes der zweite Mann im Berliner Reichswehrministerium, faktisch jedoch viel mehr: Strippenzieher des antirepublikanischen, ja reaktionären Flügels der deutschen Politik.

Das Gespräch begann laut der Memoiren mit einer Beschwerde Schleichers: Brüning habe seit 1923 die Beziehungen zur Reichswehr nicht mehr gepflegt. Ein typisches Manöver wie aus einem (schlechten) Management-Handbuch: Das Gegenüber erst einmal attackieren und so in die Defensive bringen. Und tatsächlich gelang es dem General, Brüning zu verunsichern – er sah sich gezwungen zu erklären, „meine Erfahrungen im Jahr 1923 hätten mich daran gehindert“.

Kurt von Schleicher; 7 April 1882 – 30 June 1934) German general and the second to last Chancellor of Germany during the era of the Weimar Republic
General Kurt von Schleicher war ein antidemokratischer Strippenzieher in der Politik der ausgehenden Weimarer Republik
Quelle: picture alliance / Photo12/Ann R

Schleicher ging in die Offensive: Inzwischen habe sich alles geändert. Der 81-jährige Reichspräsident Paul von Hindenburg sehe die Gefahr, dass die gesamte Innen- und Außenpolitik im Sumpf verlaufe. Er sei „entschlossen, zusammen mit der Reichswehr und den jüngeren Kräften im Parlament die Dinge vor seinem Tode in Ordnung zu bringen“.

An dieser Stelle hätte ein Demokrat gewiss nachgefragt: Was denn genau mit „in Ordnung bringen“ gemeint sei? Brüning aber wollte nur wissen, ob „der Reichspräsident das mit oder ohne Parlament machen“ wolle? In der Gewissheit, einen Verbündeten vor sich zu haben, antwortete Schleicher laut Brünings Memoiren: Der Reichspräsident werde nicht die Verfassung verletzen, aber er werde das Parlament im gegebenen Augenblick für eine Zeit nach Hause schicken und die Sache in dieser Zeit mit Hilfe des Artikels 48 angehen, der Regelung für den inneren Notstand.

Spätestens nun hätte der Reichstagsabgeordnete und Chef der Zentrums-Fraktion aufstehen müssen, wenn er denn parlamentarisch gesinnt gewesen wäre. Doch Brüning fragte: „Wie lange schätzen Sie die für die Reformen notwendige Zeit ein?“ Schleicher antwortete: „Na, in sechs Monaten müsste man das schaffen.“

Bruening und Puender bei Wahl 1932 / Foto Bruening, Heinrich Politiker (Zentrum; 1930-32 Reichs- kanzler); 1885-1970. - Staatssekretaer Hermann Puender (links) und Reichskanzler Heinrich Bruening beim 2. Gang zur Reichspraesidentenwahl am 10. April 1932. - Foto.
Brüning mit seinem Staatssekretär Hermann Pünder (li.) bei der Wahl zum Reichspräsidenten am 10. April 1932
Quelle: picture-alliance / akg-images

Ein knappes Jahr später, am 30. März 1930, stand Brüning selbst an der Spitze der Reichsregierung. Die SPD hatte dem Kabinett ihres eigenen Kanzlers Hermann Müller wegen einer Nichtigkeit die Unterstützung entzogen. Damit kam der Intrigant Schleicher zum Zuge und schob seinen Mann in die Reichskanzlei – eben Heinrich Brüning.

In den folgenden 26 Monaten versuchte dieser, die ständig zunehmende Wirtschaftskrise mit den Mitteln des Artikels 48 zu bekämpfen – doch eigentlich leistete er nur ungewollt Unterstützung für linke und rechte Extremisten, für KPD und NSDAP. Bei den Wahlen in Brünings Amtszeit konnten mit ganz wenigen Ausnahmen nur diese beiden radikal antiparlamentarischen Kräfte zulegen.

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Was war das Ziel seiner Politik? Auch das beschrieb der 1885 in Münster geborene Brüning in seinen Memoiren anlässlich der Schilderung des Gesprächs mit Schleicher unmissverständlich: Im Zuge der für das Frühjahr 1930 anstehenden Räumung des Rheinlandes von französischen Besatzungstruppen dürfte auch bei der SPD ein „patriotischer Schwung“ aufkommen, der sie zur Akzeptanz einer „Situation wie in Ungarn“ bringen könnte. In Budapest regierte seit 1920 der frühere kaiserlich-königliche Admiral Miklos Horthy als „Reichsverweser“ autoritär. Schleicher antwortete: „Fantastisch, das ist ganz meine Idee.“

8-1931-9-27-A1 (1039283) Besuch v.Laval u.Briand in Berlin 1931 Berlin, 27.-29. September 1931. Besuch des französischen Minister- präsidenten Pierre Laval und des Außen- ministers Aristide Briand (erstmalig in dieser Konstellation seit 1878). - Galadiner in der Französischen Bot- schaft: V.l., Pierre Laval, Reichskanz- ler Heinrich Brüning und Aristide Briand. - / Foto.
Frankreichs MInisterpräsident Pierre Laval (li.) und Außenminister Aristide Briand in Berlin im September 1931. Zwischen den beiden Heinrich Brüning
Quelle: picture alliance / akg-images

Brüning bilanzierte: „Dann stimmen wir darin überein, dass die Monarchie unter keinen Umständen im Kampfe gegen die Masse der geschulten Arbeiterschaft eingeführt werden darf? Die Monarchie muss am Ende der Reformen stehen.“

Dass Brüning mit der Revolution 1918/19 nie glücklich gewesen war, galt im politischen Berlin als allgemein bekannt. Er hatte sich im Ersten Weltkrieg mit 30 Jahren trotz schwächlicher Konstitution und starker Kurzsichtigkeit freiwillig als Soldat gemeldet und für seinen Fronteinsatz in einer Maschinengewehrkompanie beide Eisernen Kreuze bekommen. Nach der Niederlage hatte er als Geschäftsführer der christlich-konservativen Gewerkschaften (der Konkurrenz zur sozialdemokratischen Arbeitnehmervereinigung ADGB) den Einstieg in die Politik gewagt.

Seit 1924 Abgeordneter, drängte er seine Partei in Richtung nationalkonservativ; das führte ihn an die Spitze der Regierung. Doch die besprochenen Ziele konnte er nicht durchsetzen. Am 30. Mai 1932 entzog ihm Kurt von Schleicher das Vertrauen – Brüning stürzte und der noch konservativere Franz von Papen, den selbst seine politischen Freunde als „das Fränzchen“ verspotteten, trat seine Nachfolge an.

Der Reichskanzler Heinrich Brüning spricht bei einer Hindenburg-Kundgebung im Sportpalast in Berlin. Photographie. Um 1931
Reichskanzler Brüning spricht bei einer Hindenburg-Kundgebung im Sportpalast in Berlin
Quelle: picture-alliance / IMAGNO/Schost

Nachdem Brüning als Kopf seiner Partei im Frühjahr 1933 noch versucht hatte, den neuen Reichskanzler Adolf Hitler einzubinden, verließ er im Mai 1934 Deutschland und ging ins Exil. Die folgenden 36 Jahre galt er, zunächst unter ebenfalls geflüchteten Hitler-Gegnern, ab 1949 in der bundesdeutschen CDU und sogar im Großteil der Geschichtswissenschaft, als zwar gescheiterter, aber aufrechter Verteidiger der Weimarer Republik gegen die Welle des Nationalsozialismus.

Mit dem postumen Erscheinen seiner Memoiren war das vorbei. Der Publizist Sebastian Haffner formulierte spitz, Brüning sei „sein eigener Tucholsky“ geworden. Zwar bezweifelt etwa der Mainzer Zeithistoriker Andreas Rödder mit durchaus bedenkenswerten Argumenten, dass die Erinnerungen die Abläufe 1929/30 korrekt wiedergäben. Unbestreitbar ist aber, dass Brüning sie selbst so dargestellt hatte. Insofern lag Haffner tatsächlich ziemlich richtig.

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