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Warum Truman den Abwurf der Atombombe befahl

Während man in Potsdam um die Neuordnung Europas rang, entschied US-Präsident Truman den Atomwaffen-Einsatz. Das militärische Ziel war Japan, aber der eigentliche Adressat war ein anderer.
„Der russische Premier zeigte kein besonderes Interesse“: US-Präsident Harry S. Truman (1884-1972) fällte am 25. Juli 1945 eine folgenschwere Entscheidung „Der russische Premier zeigte kein besonderes Interesse“: US-Präsident Harry S. Truman (1884-1972) fällte am 25. Juli 1945 eine folgenschwere Entscheidung
„Der russische Premier zeigte kein besonderes Interesse“: US-Präsident Harry S. Truman (1884-1972) fällte am 25. Juli 1945 eine folgenschwere Entscheidung
Quelle: pa/dpa/Landov

Der General bestand auf einem schriftlichen Befehl: „Man berichtet mir, ich soll losziehen und da draußen das ganze südliche Ende der japanischen Inseln in die Luft jagen“, sagte Carl Spaatz, der Chef der strategischen US-Bomber im Pazifik, zu Thomas Handy, dem stellvertretenden Stabschef der US-Streitkräfte, und fuhr fort: „Bei Gott, ich habe noch kein Stück Papier bekommen, und ich finde, ich brauche ein Stück Papier.“

Handy, der formal als Generalleutnant sogar einen Rang unter dem Viersternegeneral Spaatz stand, antwortete: „Ja, da gebe ich Dir recht. Ich glaube, Du brauchst ein Stück Papier, und ich nehme an, ich bin der Dumme, der es Dir geben soll.“

So kam am 25. Juli 1945 der Befehl zustande, der direkt zum Abwurf von zwei Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki führte: Spaatz forderte ihn, und Handy stellte ihn aus.

Thomas T. Handy hatte als stellvertretender Chef des US-Generalstabes eine Schlüsselstellung
Thomas T. Handy hatte als stellvertretender Chef des US-Generalstabes eine Schlüsselstellung
Quelle: Wikimedia / Public Domain

„Die 509. Bomber-Gruppe wird ihre erste Spezialbombe nach dem 3. August 1945, sobald wie das Wetter einen Angriff auf Sicht ermöglicht, abwerfen auf eines der folgenden Ziele: Hiroshima, Kokura, Niigata oder Nagasaki“, lautete die eigentliche Weisung.

Ferner hieß es im selben Befehl: „Weitere Spezialbomben werden auf die genannten Ziele abgeworfen, sobald der Projektstab sie fertig gestellt hat.“ US-Kriegsminister Henry Stimson hatte die grundsätzliche Entscheidung nach Washington durchgegeben, nachdem ihn früher an diesem 25. Juli 1945 der seit gerade einmal drei Monaten amtierende Präsident Harry Truman angewiesen hatte, die ersten Atombomben einzusetzen.

Truman befand sich an diesem Tag in Potsdam-Babelsberg, in einer scherzhaft „Little White House“ genannten Villa oberhalb des Griebnitzsees. Seit einer Woche konferierte der US-Präsident mit dem sowjetischen Diktator Josef Stalin und dem britischen Premier Winston Churchill über die künftige Weltordnung.

In sein Tagebuch schrieb Truman an diesem Mittwoch: „Ich habe Stimson angewiesen, die Bombe so zu benutzen, dass militärische Anlagen, Soldaten und Seeleute die Ziele sind, nicht Frauen und Kinder.“

Und er fügte hinzu: „Auch wenn die Japaner wild, ruchlos, unbarmherzig und fanatisch sind – wir als Führer der freien Welt können diese furchtbare Waffe nicht auf die alte Hauptstadt abwerfen oder auf die neue.“ Darin stimmte ihm, laut seinem Tagebuch, Stimson ausdrücklich zu. Das Ziel solle „rein militärisch“ sein. Außerdem wollte Truman den Japanern vor dem Abwurf eine unmissverständliche Warnung zukommen lassen.

Doch weder Hiroshima noch Kokura, weder Niigata noch Nagasaki waren „rein militärische“ Ziele. Im Gegenteil hatten sie zwischen 150.000 und 300.000 Einwohner, vor allem Familien. In allen Städten lagen zwar Kasernenanlagen und Rüstungsfabriken, in denen Zehntausende – meist koreanische – Zwangsarbeiter schuften mussten, doch stets überwog der zivile Anteil.

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Das wusste vermutlich auch Truman. Manches spricht dafür, dass die Notiz vom 25. Juli in seinem Tagebuch vor allem für die Nachwelt gedacht war. Denn natürlich wusste der US-Präsident, dass spätere Generationen jede seiner Handlungen kritisch durchleuchten und bewerten würden.

Seit 70 Jahren wird nunmehr über Trumans Entscheidung gestritten, tatsächlich Atombomben einzusetzen und damit zwei Städte einzuäschern. Mindestens 125.000 Menschen starben bei den Angriffen sofort, wahrscheinlich aber knapp doppelt so viele. Über die Zahl der langfristigen Opfer wird heftig gestritten.

Vor 70 Jahren explodierte die erste Atombombe

Vor 70 Jahren wurde in New Mexico in den USA die Atombombe erstmalig „erfolgreich“ getestet. Das verheerende Ausmaß war nicht einmal für ihren Entwickler Robert Oppenheimer absehbar.

Quelle: N24

Warum aber befahl Truman den Abwurf der beiden Bomben? Vordergründig eine leicht zu beantwortende Frage: Die Kämpfe zwischen US-Marines und japanischen Verteidigern auf den Pazifikinseln Iwo Jima und Okinawa hatten deutlich gemacht, mit welchem Fanatismus eine Invasionsarmee auf den Hauptinseln Japans rechnen musste. Mit Verlusten von mehreren Hunderttausend GIs war zu rechnen.

Wiederholt hatten die USA Japan zur bedingungslosen Kapitulation aufgefordert, doch das stolze Land weigerte sich. In dieser Lage war die Entscheidung, die ungeheure Gewalt der am 16. Juli 1945 erstmals getesteten Kernspaltungswaffe tatsächlich einzusetzen, nachvollziehbar: Sie diente dem Schutz der eigenen Soldaten.

Mindestens genauso wichtig aber war die politische Dimension. Denn die Entscheidung für den Abwurf der beiden Atombomben fiel nicht, wie in normalen militärischen Fragen, in einem Generalstab. Im Gegenteil waren führende Offiziere wie Generalstabschef George Marshall höchstens beratend beteiligt – oder erfuhren wie Carl Spaatz, immerhin oberster Chef aller US-Bomberverbände, erst im Nachhinein von dem Entschluss.

Josef Stalin und Harry Truman während der Potsdamer Konferenz auf Schloss Cecilienhof in Potsdam
Josef Stalin und Harry Truman während der Potsdamer Konferenz auf Schloss Cecilienhof in Potsdam
Quelle: picture-alliance / akg-images

Denn Truman, der erfahrene Kriegsminister Stimson und der neue Außenminister James F. Byrnes hatten gemeinsam den Einsatz beschlossen. Und sie hatten dabei nicht nur Japan im Blick, sondern auch die Sowjetunion. Seit dem Tod von Franklin D. Roosevelt am 12. April 1945 hatte sich die Stimmung in der US-Regierung deutlich gewendet.

Die imperialistische Macht unter Stalin war dabei, ein Kolonialreich in Ostmittel- und Südosteuropa zu errichten. In allen von der deutschen Besatzung befreiten Ländern wurden kommunistisch gelenkte Regimes etabliert. Bis an die Elbe reichte das von der Roten Armee beherrschte Territorium bereits; die Staaten West- und Südeuropas waren akut gefährdet von ihrem Expansionsstreben.

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Mit der Atombombe hatte Truman die passende Waffe, um Stalin von weiterem Vordringen abzuschrecken. Am frühen Abend des 24. Juli 1945 hatte Truman am Ende der Verhandlungsrunde im Potsdamer Schloss Cecilienhof den sowjetischen Diktator beiseite genommen.

„Ich erwähnte Stalin gegenüber beiläufig, dass wir eine neue Waffe von ungeheuerlicher Zerstörungskraft hätten. Der russische Premier zeigte kein besonderes Interesse. Alles, was er sagte, war, er freue sich, das zu hören, und hoffe, wir würden ,guten Gebrauch davon gegen die Japaner machen‘.“

Nach dieser extrem beherrschten Reaktion konnte Truman nicht mehr anders, als die Atombomben tatsächlich einzusetzen. Wahrscheinlich war er vorher schon entschlossen, doch nun gab es keine andere Möglichkeit mehr.

Der Befehl von Thomas T. Handy an Carl Spaatz, zwei Atombomben auf Japan abzuwerfen
Der Befehl von Thomas T. Handy an Carl Spaatz, zwei Atombomben auf Japan abzuwerfen
Quelle: Wikimedia / Public Domain

Doch längst nicht alle Verantwortlichen in der Führung der USA und ihres Militärs sahen das ähnlich. Deshalb verlangte General Spaatz den formalen, schriftlichen Befehl von General Handy. Nun konnte nur noch eine sofortige, bedingungslose Kapitulation Japan vor der atomaren Urkraft verschonen.

Am 26. Juli 1945 richteten Truman und Churchill genau diese Forderung an Tokio. Sollte Japan nicht aufgeben, würde eine „unermesslich größere Gewalt“ als gegen Nazi-Deutschland eingesetzt. Es gehe um die völlige Vernichtung des japanischen Militärs und die Verwüstung des ganzen Landes.

Zwei Tage später erfolgte die Antwort von Premierminister Kantaro Suzuki: Die Erklärung sei es nicht wert, beraten zu werden. Nichts konnte jetzt den Untergang von mindestens zwei japanischen Städten noch aufhalten: Carl Spaatz schickte sich an, „das ganze südliche Ende der japanischen Inseln in die Luft zu jagen“.

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