Bis man ihn sah, hatte man Clint Eastwood für den bedeutendsten Schweiger Hollywoods gehalten. Natürlich gab es für Harry Dean Stanton ein Filmleben vor „Paris, Texas“ – immerhin war er 58 Jahre alt, als ihn Wim Wenders engagierte –, aber ehrlich gesagt war er uns in „Fahr zur Hölle, Liebling“, „Alien“ oder „Die Klapperschlange“ nicht weiter aufgefallen. Ein B-Schauspieler eben. Und dann das.
Über Nacht wurde der Mann aus Kentucky eine Weltberühmtheit. Er war Travis Henderson. Der hagere Typ mit dem staubigen roten Cap. Der Mann, der durch die texanische Wüste irrte und nicht mehr wusste, wer er war. Der kurz vor dem Verdursten eine Tankstelle sah. Sich gierig ein paar Eiswürfel in den Mund stopfte und dann zusammenbrach. Stanton war der Mann, dem Nastassja Kinski das Herz gebrochen hatte.
Über-Nacht-Star
„Paris, Texas“ wurde 1984 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, für die Oscars erhielt er keine einzige Nominierung. (Abräumer war Milos Formans „Amadeus“.) Aber Wenders’ Über-Nacht-Star Stanton wurde anschließend von Meisterregisseuren wie Martin Scorsese („Die letzte Versuchung Christi“) und David Lynch („Wild at Heart“) engagiert. Am Ende umfasste seine Filmografie eine eindrucksvolle Liste von rund 250 Spiel- und Fernsehfilmen.
Er arbeitete bis zum Schluss. Zuletzt sah man ihn in der Fortsetzung der „Twin Peaks“-Serie (war bei uns ab Mai auf Sky zu sehen); die Kinopremiere von „Lucky“ steht noch aus. Die Tragikomödie war gerade auf dem Filmfest von Locarno zu sehen und soll im März 2018 in unsere Kinos kommen.
Es ist irgendwie eine Heimkehr. Lucky (Stanton) lebt irgendwo in der Wüste, sein Leben besteht aus Zigaretten, Kaffee, Gymnastik, Kreuzworträtseln, Bloody Marys und Countrysongs. Seine Kollegin Olivia Wilde twitterte am Freitag, nachdem Stantons Tod bekannt geworden war: „ Harry Dean Stanton war die Definition der Coolness.“ Und fügte hinzu: Er wäre nie gegangen, ohne dir zu sagen: ‚Love ya. Mean it.‘“
Als junger Mann im Krieg
Geboren wurde Stanton am 14. Juli 1926 in West Irvine. Während des Zweiten Weltkriegs erlebte er als Marinesoldat im Pazifik die blutige Schlacht um die japanische Insel Okinawa. „Ich habe japanische Kamikazeflieger gesehen, aber ich hatte das Glück, nicht getötet zu werden“, sagte er später. Aus dem Krieg zurückgekehrt, studierte er zunächst an der Universität von Kentucky, später am renommierten Pasadena Playhouse in Los Angeles, an dem auch Charles Bronson, Gene Hackman oder Dustin Hoffman ihre Ausbildung erhielten.
Stanton debütierte 1954 in der Fernsehserie „Inner Sanctum“, danach war er 30 Jahre lang auf Nebenrollen abonniert. „Jahrelang durfte ich nur Killer oder Bullen spielen“, klagte er später. „Wie frustrierend! Es ist schrecklich, immer wieder dieselben Gefühle zu mimen.“ Bis Wenders kam. Der Rest ist Kinogeschichte.
Wer schweigt, lebt länger. Harry Dean Stanton wurde 91 Jahre alt.