Hans-Werner Sinn: "Das Leben wird empfindlich teurer"

16.03.2023 - Lesezeit: 7 Minuten

Hans-Werner Sinn: "Das Leben wird empfindlich teurer"
Prof. Hans-Werner Sinn

Die Inflation steigt, während Deutschland mit einer Rezession kämpft. Was tun gegen „die neue Stagflation“? Antworten hat Prof. Hans-Werner Sinn in seinem Vortrag vor Unternehmer:innen und Führungskräften im Asanta gegeben. Vorher sprach Thomas Killius, Bereichsleiter Firmenkunden der Berliner Volksbank, mit Deutschlands wohl bekanntestem Nationalökonomen. 

Thomas Killius: Stagnierende Wirtschaft trifft auf Inflation – schon haben wir eine Stagflation. Warum ist das schlimm?

Prof. Hans-Werner Sinn: Stagnation ist nicht schön, weil es dann nicht vorwärts geht. Inflation ist auch nicht schön, denn sie führt zu Verteilungsproblemen, bei denen einige wenige gewinnen und andere, gerade Sparer, verlieren.

Thomas Killius: Gehören Unternehmen ebenfalls zu den Verlierern der Inflation?

Prof. Hans-Werner Sinn: Anfangs zählen Unternehmen zu den Gewinnern, jedenfalls solange die Löhne noch nicht angepasst sind. Außerdem haben Unternehmen normalerweise Kredite laufen, sie werden durch die Inflation also auch als Schuldner entlastet.

Thomas Killius: Trotzdem sehen wir bei Unternehmern und Unternehmerinnen vor allem sorgenvolle Mienen. Warum freuen die sich nicht?

Prof. Hans-Werner Sinn: Die Situation ist komplex, weil die Inflation auf Stagnation trifft. Wir haben eine Situation, auf die wir nicht vorbereitet sind. In früheren Krisen hieß es: Wir müssen die Nachfrage stärken! Darum geht es aktuell nicht. Die Nachfrage ist vorhanden, es hakt an der Angebotsseite. Das führt zur Stagnation – und verbunden mit der Inflation zur Stagflation.

Thomas Killius: Warum hakt es an der Angebotsseite?

Prof. Hans-Werner Sinn: Das Angebot hat sich verknappt, weil Unternehmen nicht wie gewünscht produzieren und liefern können. Seit drei Jahren, also seit dem Beginn der Corona-Pandemie, gibt es Lieferengpässe. Seitdem füllen die Unternehmen ihre Lager mit Vorprodukten, um lieferfähig zu bleiben. Durch dieses Hamstern forcieren die Unternehmen eine weitere Verknappung. Die Situation entkrampft sich allmählich, aber das Facharbeiterproblem und die hohen Steuern tragen zu den angebotsseitigen Problemen wohl noch länger bei. Wenn das Problem auf der Angebotsseite liegt, braucht nicht einmal die Nachfrage zu steigen: Die Käufer überbieten sich gegenseitig und treiben damit die Preise in die Höhe.

Thomas Killius: Und dann steigen auch noch die Energiepreise dramatisch…

Prof. Hans-Werner Sinn: Richtig. Erst sind die Warenkosten gestiegen, dann die Preise für Energie. Für die Verbraucher wird das Leben empfindlich teurer, also werden in diesem Jahr in vielen Branchen die Löhne angehoben werden.

Thomas Killius: Das heißt: 2023 steigt die Inflation weiter an?

Prof. Hans-Werner Sinn: Wahrscheinlicher ist, dass sie sich auf einem hohen Niveau einpendelt. Viele Menschen hoffen, dass die Inflation sinkt, sobald sich Deutschland unabhängig vom russischen Gas gemacht haben wird. Diese Hoffnung trügt. Bereits jetzt ist die Kerninflationsrate – bei der die Energiepreise herausgerechnet werden – auf rund 7 Prozent gestiegen, und leider ist das Maximum in den Daten noch nicht sichtbar. Das bedeutet: Die Inflation hat sich von den Energiepreisen entkoppelt.

Thomas Killius: Und in dieser Situation fordern die Gewerkschaften jetzt Lohnerhöhungen von bis zu 15 Prozent …

Prof. Hans-Werner Sinn: Das ist natürlich absolut legitim. Wir sollten allerdings im Auge behalten, dass höhere Löhne für einen weiteren Inflationsschub sorgen. Das hat zwei Gründe. Zum einen können Unternehmen die Preise erhöhen, wenn die Verbraucher wieder mehr Geld im Portemonnaie haben. Zum anderen werden die Unternehmen die gestiegenen Lohnkosten an ihre Kunden weitergeben. Das alles hält die Inspirationsspirale am Laufen.

Thomas Killius: Wie kommen wir heraus aus dieser Spirale?

Prof. Hans-Werner Sinn: Angebot und Nachfrage stehen mittlerweile seit Jahren in einem Missverhältnis. Einen wirksamen Ansatzpunkt, um die Situation zu beruhigen, hat die Europäische Zentralbank, die EZB, mit ihrer Zinspolitik. Doch sie agiert meiner Meinung nach zu zögerlich und hat zu lange an ihrer Null-Zins-Politik festgehalten. Da war die Fed – die Zentralbank der USA – wesentlich rigoroser. In Europa ist es erst im Spätsommer 2022 zu einer Zinskorrektur gekommen. Diese Korrektur war längst überfällig: Je höher die Zinsen, desto geringer ist insbesondere das Interesse der Staaten der Europäischen Union, Kredite in Anspruch zu nehmen, desto geringer ist die von den Staaten ausgehende künstliche Stärkung der Kaufkraft, die eindeutig inflationär ist.

Thomas Killius: Inwieweit tragen denn die EU-Staaten eine Mitschuld an der Inflation?

Prof. Hans-Werner Sinn: Die Geldmenge im EZB-System hat sich dramatisch vergrößert, sie hat sich allein seit der Finanzkrise 2008 versechsfacht. Das Wachstum der Geldmenge ist weit größer als das Wachstum der Wirtschaftsleistung. Das zusätzliche Geld haben vor allem die EU-Staaten genutzt, denn sie haben ihre Staatspapiere an die Banken verkaufen können, die sie dann an die Zentralbanken verkauften. Ohne die Bereitschaft der Zentralbanken, die Papiere mit frisch gedrucktem Geld  zu kaufen, hätte es nicht so viel Staatsverschuldung und nicht so viel Inflation gegeben.  So wurden mit dem Geld frisch aus der Druckerpresse südeuropäische Länder vor dem Kollaps gerettet und später, während der Corona-Pandemie, Unternehmen und Verbraucher unterstützt. Das ist ehrenwert, kann aber auf Dauer nicht funktionieren. Für einen stabilen Euro und eine stabile Wirtschaft muss das Geld aus den Produktionsprozessen der Wirtschaft kommen – und nicht aus der Druckerpresse.

Thomas Killius: Der Ukraine-Krieg und die Explosion der Gaspreise ist also gar nicht verantwortlich für Inflation und Stagflation?

Prof. Hans-Werner Sinn: Der Zündfunke für die Stagflation war der Ausbruch der Pandemie, als die weltweiten Lieferketten zusammenbrachen. Bereits im Dezember 2021 lag die Inflationsrate bei einem historischen Höchststand von 5,3 Prozent – so hoch wie seit den 1970er-Jahren nicht mehr. Die Preissteigerungsrate der gewerblichen Erzeugerpreise war sogar auf dem Höchststand seit der Gründung der Bundesrepublik. Und da wusste außerhalb des Kremls niemand von einem Ukraine-Krieg! Auch wenn die Inflation durch die seit Mai 2022 rasant angestiegenen Gaspreise noch mal angeheizt wurde: Der Krieg ist eine bequeme Ausrede, die Schuld an der Inflation auf andere zu schieben.

Thomas Killius: Was sollte die EZB jetzt tun, damit wir herauskommen aus der Stagflation?

Prof. Hans-Werner Sinn: Jetzt ist ein feines Austarieren gefragt. Macht die EZB zu viel, kann die Wirtschaft abstürzen. Macht sie zu wenig, geht die Inflation weiter. Woran aber kein Weg vorbeiführt: Die Zinsen müssen entsprechend zu den steigenden Inflationsraten erhöht werden.

Thomas Killius: Was können parallel die Unternehmen tun, um bestmöglich mit der Stagflation umzugehen?

Prof. Hans-Werner Sinn: Da sehe ich zwei Ansätze. Vor allem sollten sie sich Arbeitskräfte sichern und sie gut behandeln, damit sie auch an Bord bleiben. Es spricht nichts dagegen, gute Leute auch mal über Tarif zu bezahlen, denn der Kampf um Arbeitskräfte wird noch härter werden. Wer jetzt mit einem guten und motivierten Stamm an Arbeitskräften die Zukunft anpackt, hat die besseren Aussichten.

Thomas Killius: Und der zweite Ansatz?

Prof. Hans-Werner Sinn: Unternehmen sollten keine Angst haben, Schulden zu machen, solange der Realzins negativ ist. Wenn ich für einen Kredit einen Zinssatz von beispielsweise 4 Prozent zahlen soll, mache ich bei einer mittelfristigen Inflationsrate von 7 Prozent ein Bombengeschäft.

Thomas Killius: Wofür sollten die Unternehmen Schulden machen, sprich: ihr Geld einsetzen?

Prof. Hans-Werner Sinn: Wo sollten die Unternehmen Schulden machen? Na, bei der Berliner Volksbank natürlich. Aber Spaß beiseite. Während der Corona-Jahre haben viele Unternehmen notwendige Investitionen aufgeschoben. Jetzt bietet sich die Gelegenheit, die verlorene Zeit aufzuholen.

Zur Person

Foto: Prof. Hans-Werner Sinn
Prof. Hans-Werner Sinn

Prof. Hans-Werner Sinn (75) ist der wohl bekannteste Nationalökonom Deutschlands. Er war bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2016 Präsident des ifo-Instituts und Direktor des Center for Economic Studies (CES) an der LMU München. Bekannt geworden ist der meinungsfreudige Volkswirt auch durch seine Präsenz in Talkshows und Bücher wie „Ist Deutschland noch zu retten?“. Auch sein neuestes Werk „Die wundersame Geldvermehrung“ hat es auf die Bestsellerlisten geschafft.

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