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Geschichte Terrorist Hans-Joachim Klein

„Ein so netter Bursche. Schade, dass er jetzt weg ist“

Wie kaum jemand stand Hans-Joachim Klein für die Kontakte zwischen linksradikalem Establishment und linksextremistischem Terror in Deutschland. Zu seinen Helfern zählte Daniel Cohn-Bendit. Für Dreifachmord kam Klein mit fünf Jahren Haft davon.
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Das Archivbild vom 12.04.1974 zeigt den mutmaßlichen Terroristen Hans-Joachim Klein (M) mit dem französischen Philosophen Jean-Paul Sartre (l) und dem Baader-Mainhof-Anwalt Klaus Croissant (auf dem Rücksitz) bei einem Besuch im Stammheimer Untersuchungsgefängnis (Archivbild). Der am 08.09.1998 in Sainte-Honorine-La-Guillaume in der Normandie festgenommene Klein ist mit seiner Auslieferung nach Deutschland einverstanden. Die Anklagekammer des Landgerichts Caen in Nordfrankreich hat entschieden, einem deutschen Antrag zu entsprechen, teilte die Justiz am Donnerstag (15.10.1998) mit. dpa (Nur s/w, zu dpa 0383 vom 15.10.1998) +++ dpa-Bildfunk +++ Das Archivbild vom 12.04.1974 zeigt den mutmaßlichen Terroristen Hans-Joachim Klein (M) mit dem französischen Philosophen Jean-Paul Sartre (l) und dem Baader-Mainhof-Anwalt Klaus Croissant (auf dem Rücksitz) bei einem Besuch im Stammheimer Untersuchungsgefängnis (Archivbild). Der am 08.09.1998 in Sainte-Honorine-La-Guillaume in der Normandie festgenommene Klein ist mit seiner Auslieferung nach Deutschland einverstanden. Die Anklagekammer des Landgerichts Caen in Nordfrankreich hat entschieden, einem deutschen Antrag zu entsprechen, teilte die Justiz am Donnerstag (15.10.1998) mit. dpa (Nur s/w, zu dpa 0383 vom 15.10.1998) +++ dpa-Bildfunk +++
Hans-Joachim Klein als Chauffeur Jean-Paul Sartres und des Terroranwalts Klaus Croissant (auf dem Rücksitz) in Stammheim im Dezember 1974
Quelle: picture-alliance / dpa
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Der Moment der Wahrheit kam genau um 19.15 Uhr. Um diese Zeit am 8. September 1998 betraten zwei Männer und zwei Frauen im normannischen Dorf Sainte-Honorinela-Guillaume das Lokal „La Coulande“. In dem 327-Seelen-Ort lebte schon seit fünf Jahren ein zugewanderter Deutscher namens „Dirk Clausen“, und auch an diesem frühen Abend saß er als zunächst einziger Gast an der Bar vor einem Bier. Doch diesmal wurde ihm eine Frage gestellt, die er schon lange gefürchtet hatte: „Sind Sie Hans-Joachim Klein?“

Als er bestätigte (er wusste, dass Leugnen aussichtslos war), klickten Handschellen. Nach mehr als 22 Jahren hatten Zielfahnder des Bundeskriminalamtes (BKA) in enger Abstimmung mit der französischen Polizei seine Flucht beendet. Nachbarn hatte der vermeintliche „Clausen“ übrigens erzählt, er sei Journalist – man hielt das offenbar für denkbar. Serge Clerembaux, der Bürgermeister von Sainte-Honorinela-Guillaume ließ sich mit den Worten zitieren: „Ein so netter Bursche. Schade, dass er jetzt weg ist.“

Der Ex-Terrorist Hans-Joachim Klein (3. v. l.) wird am Donnerstag (20.05.1999) von Beamten des Bundeskriminalamts und des Bundesgrenzschutzes auf dem Frankfurter Flughafen in Empfang genommen. Der 51 Jahre alte Klein, der im September 98 in Frankfreich festgenommen wurde, muß sich voraussichtlich wegen des Terroranschlages auf die Wiener Opec-Konferenz im Jahre 1975 vor Gericht verantworten. dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Hans-Joachim Klein (3. v. l.) kehrte am 20. Mai 1999 nach Deutschland zurück – in Handschellen.
Quelle: picture-alliance / dpa

Hans-Joachim Klein war nicht irgendein Gesuchter und erst recht kein „netter Bursche“, weder vor noch während und auch nicht nach seiner Zeit im engsten Kreis der „Revolutionären Zellen“ (RZ) und an der Seite des linken Terrorsöldners „Carlos“ alias Ilich Ramirez Sanchez. Wie kaum jemand anderer stand er für die Kontakte zwischen deutschem linksradikalem Establishment und dem linksextremistischen Terror.

Nach einer Kindheit und Jugend in schwierigen Verhältnissen war der 1947 geborene Klein Anfang der 1970er-Jahre zur „Putzgruppe“ in Frankfurt gestoßen, einer Truppe gewalttätiger junger Männer, die (wie später und bis heute der „schwarze Block“) bei Demonstrationen Polizisten angriff. Solche Gruppen gab es in der Bundesrepublik nach 1968 einige, doch die Frankfurter waren durch ihren zeitweiligen Anführer besonders relevant – der hieß nämlich Joschka Fischer.

Doch Klein kannte nicht nur Fischer, sondern auch Daniel Cohn-Bendit, den deutsch-französischen Aktivisten der Mai-Aufstände 1968 in Paris, und Klaus Croissant, den Terroranwalt und späteren Stasi-Spitzel. Der Öffentlichkeit erstmals bekannt wurde Klein im Dezember 1974, als er den fast blinden französischen Denker Jean-Paul Sartre zu einem offiziellen Besuch beim angeblich „isolierten“ Terroristen Andreas Baader ins Gefängnis Stuttgart-Stammheim fuhr – und dabei gefilmt und fotografiert wurde.

Terrorüberfall mit Geiselnahme auf die im OPEC-Haus (Wiener Ringstraße) tagenden Erdölminister. Abtransport des verletzten Geiselnehmers Hans-Joachim Klein. 22. Dezember 1975.
Der verletzte Geiselnehmer Hans-Joachim Klein wird 1975 aus dem Wiener Opec-Hauptquartier ins Krankenhaus abtransportiert
Quelle: picture alliance / brandstaetter images/Votava

Sein zweiter Auftritt vor der Weltöffentlichkeit war dann mit drei Toten verbunden: Klein gehört zu dem Terrorkommando, mit dem „Carlos“ am 21. Dezember 1975 gegen 11.45 Uhr das Hauptquartier der Organisation der Erdöl exportierenden Staaten (Opec) in Wien überfiel. Ein Österreicher, ein Iraker und ein Libyer wurden umgehend erschossen. Gegen 11.52 Uhr hatten die sechs Angreifer mehr als 60 Geiseln in ihrer Hand.

Bei einem Schusswechsel mit österreichischen Polizisten wurde Klein getroffen und schwer verletzt: Ein Geschoss traf ihn im Bauch und blieb neben seiner Wirbelsäule stecken. Daraufhin bot „Carlos“ eine „Feuerpause“ an, um ihren verwundeten Genossen medizinisch versorgen zu lassen. Gegen 13.25 Uhr wurde Klein abgeholt und ins Allgemeine Krankenhaus eingeliefert, wo man ihn umgehend operierte. Am folgenden Morgen wurde er auf einer Trage direkt zum Flugzeug gebracht, das „Carlos“ für den Abflug mit 33 Geiseln erpresst hatte. Die DC-9 landete in Algier, wo alle Geiseln unversehrt freikamen. „Carlos“, seine Mittäter und auch Hans-Joachim Klein tauchten unter.

Nach seiner Genesung sagte sich Klein vom Terror los und schickte sogar 1977 – ein dramatischer Effekt! – eine Waffe mit seinen Fingerabdrücken an das Büro Rom des Hamburger Magazins „Der Spiegel“. An seiner Gesinnung jedoch änderte sich nichts: Er sprach von der Bundesrepublik als der „westdeutschen Wanzenrepublik“.

Der grüne Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit (r) reibt sich am 23.11.2000 zu Beginn des Prozesses um den Wiener OPEC- Anschlag in Frankfurt die Augen. In einem emotionalen Zeugenauftritt nahm der führere Studentenführer den Angeklagten Klein in Schutz. Der des dreifachen Mordes angeklagte Hans-Joachim Klein sei von führenden Mitgliedern der «Revolutionären Zellen» (RZ) in den Terrorismus hineingezogen worden, sagte er. Cohn-Bendit blieb bei seiner Darstellung, dass sich Klein kurz vor seiner Festnahme in der Normandie im Jahr 1998 hatte stellen wollen. Bei der Schilderung der letzten Gespräche mit Klein zu diesem Thema brach der Zeuge in Tränen aus, so dass die Sitzung unterbrochen werden musste.
Der Zeuge Daniel Cohn-Bendit brach bei seiner Aussage im Prozess gegen Klein in Tränen aus
Quelle: picture-alliance / dpa

Ein „JEMAND“ (das Wort war tatsächlich großgeschrieben) habe ihn aus der Terrorszene herausgeholt. Erst viele Jahre später wurde bekannt, dass ein solcher „Jemand“ Cohn-Bendit gewesen war – ob auch Joschka Fischer, blieb ungeklärt.

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Klein stilisierte sich in einem „Spiegel“-Gespräch 1978 zum geläuterten Aussteiger, ließ sogar ein peinlich weinerliches Buch mit dem Titel „Rückkehr in die Menschlichkeit. Appell eines ausgestiegenen Terroristen“ folgen, natürlich mit einem Nachwort von Cohn-Bendit. Doch die einzig relevanten Schritte zur Reue machte er nicht: Weder stellte er sich, noch gab er sein Wissen preis. Stattdessen blieb Klein untergetaucht – in Frankreich, wie viele Jahre später klar wurde.

In der linksextremen Szene galt Klein bald als Phantom. Alles Mögliche wurde ihm nachgesagt, bis hin zu einer aktiven Zusammenarbeit mit dem israelischen Geheimdienst Mossad in Counterterrorism. Tatsächlich lebte er illegal in Frankreich und hatte mit einer Einheimischen zwei Kinder. Allerdings traf er sich zweimal, jeweils in Paris, mit einem Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, 1988 und 1993. Zum Aufgeben war Klein aber noch nicht bereit.

Der wegen Mordes angeklagte Ex-Terrorist Hans-Joachim Klein vor Beginn des Prozesses um den Terroranschlag auf die Wiener Opec-Konferenz am 17.10.2000 im Frankfurter Landgericht. Bei dem Überfall auf die Ölministerkonferenz im Jahr 1975 waren drei Menschen ums Leben gekommen. Der 52-Jährige schilderte unter anderem seine frühen Kontakte zur RAF. Er war dabei mit dem internationalen Top-Terroristen «Carlos» zusammengetroffen, der das Wiener Terror-Kommando angeführt hatte. Brisant könnte der politische Hintergrund des Verfahrens werden. Als Auftraggeber hat Klein den libyschen Staatschef Muammar Al-Gaddafi genannt.
Hans-Joachim Klein vor Beginn seines Prozesses im Jahr 2000
Quelle: picture-alliance / dpa

Ab Mitte der 1990er-Jahre sondierte Klein Möglichkeiten, einen Deal mit den deutschen Behörden auszuhandeln. Wieder war es Daniel Cohn-Bendit, der ihm half und 1997 einen Kontakt zu einem versierten Strafverteidiger herstellte. Doch statt sich schlicht zu stellen, suchte Klein den großen Auftritt. Er nahm Kontakt zu der Hamburger Illustrierten „Der Stern“auf, um ein Exklusivinterview und eine Bilderstrecke zu verabreden – Vorbereitung für sein Wiederauftauchen aus der Illegalität.

Das Kalkül: Telefone von Journalisten abzuhören ist im Rechtsstaat untersagt. Doch die Ermittler kamen auf juristisch saubere Weise an die Verbindungsdaten, stellten so fest, welches Telefon in Frankreich Klein benutzt hatte – und diese Nummer durfte abgehört werden. Nun kreisten die Zielfahnder den Gesuchten schnell ein – bis am 8. September 1998 die Handschellen klickten.

Die Anklage vor dem Landgericht Frankfurt lautetete auf Mittäterschaft bei dreifachem Mord, das an sich erwartbare Strafmaß „lebenslänglich“, was bei ähnlich belasteten Terroristen zu 15 bis 20 Jahren hinter Gittern geführt hatte. Doch Hans-Joachim Klein entschied sich, als Kronzeuge auszusagen. Er belastete einen anderen RZ-Terroristen schwer – doch seine Angaben stimmten nicht, sodass dieser Mann aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden musste. Hatte Klein die Justiz vorgeführt? Viel spricht dafür, doch beweisbar war es nicht.

Einige Menschen betreten am 9.9.1998 die Bar "La Coulande" in dem Dorf Sainte-Honorine-la-Guillaume (Departement Orne) in der Normandie, in dem der deutsche Ex-Terrorist Hans-Joachim Klein am Vortag festgenommen worden war. Klein (50) sitzt nun in französischer Auslieferungshaft. Klein hat offenbar kurz vor seiner Festnahme in der Normandie in Frankreich mit seinem Anwalt Details seiner geplanten Aufgabe erörtert. Unter Berufung auf den Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit schreibt die linksliberale Zeitung «Liberation» am 10.9., das Treffen habe zwei Tage vor der Festnahme in Paris stattgefunden. «Wurde der Anwalt beschattet?», fragt das Blatt.
In der Bar "La Coulande" in dem Dorf Sainte-Honorine-la-Guillaume in der Normandie wurde Hans-Joachim Klein festgenommen
Quelle: picture-alliance / dpa

So profitierte er von der Kronzeugen-Regelung, obwohl seine Angaben nichts aufgeklärt hatten. Statt der wegen seiner unstrittigen, von Fernsehkameras dokumentierten Beteiligung am Dreifachmord in Wien eigentlich zwingenden Strafe „lebenslänglich“ erhielt er nur neun Jahre wegen dreifachen vollendeten Mordes, Mordversuchs und Geiselnahme. Schon 2003, nach nur fünf Jahren hinter Gittern, kam der vermeintlich geläuterte Terrorist wieder frei. Ein weiteres Mal verlud er die Justiz mit falschen Aussagen gegen eine RZ-Terroristin 2013.

Nach seiner Entlassung aus der Haft kehrte Hans-Joachim Klein nach Sainte-Honorinela-Guillaume zurück, wo er am 9. November 2022 im Alter von fast 75 Jahren starb. Mit dem Vorzeige-Grünen Daniel Cohn-Bendit soll der Terrorist bis zuletzt befreundet gewesen sein.

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