Kassel: Iran-Journalistin Natalie Amiri bekommt „Glas der Vernunft“
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Kassel: Iran-Journalistin Natalie Amiri bekommt „Glas der Vernunft“

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Arbeitet mit hohem persönlichen Einsatz: Journalistin Natalie Amiri.
Arbeitet mit hohem persönlichen Einsatz: Journalistin Natalie Amiri. © Fabian Sommer/dpa

Für ihre Berichterstattung aus dem Iran erhält die Journalistin Natalie Amiri den Kasseler Bürgerpreis „Glas der Vernunft“.

Kassel – Sie gibt denen eine Stimme, die sonst keine Stimme haben: Als „Brückenbauerin zwischen den Welten“ wird die iranisch-deutsche Journalistin Natalie Amiri in diesem Jahr mit dem Kasseler Bürgerpreis „Das Glas der Vernunft“ ausgezeichnet. Das gab der Vorstand des 435 Mitglieder umfassenden Vereins gestern bekannt. Vorsitzender Wilfried Sommer hebt die „Integrität“ Amiris hervor, die sich in ihrer Berichterstattung stets mit ihrer ganzen Persönlichkeit für ihre Geschichten einsetzt.

Sie beweise bei der Recherche viel Mut und schaffe es, über das Erzählen von menschlichen Schicksalen, die Protestbewegung im Iran dem deutschen Publikum nahezubringen. „Das hat uns besonders berührt“, sagt Sommer. Die Entscheidung sei in der Findungskommission einstimmig gefallen, ergänzt Stellvertreterin Barbara Ettinger-Brinckmann.

Amiri sei bereits mit einigen journalistischen Preisen ausgezeichnet worden, beim „Glas der Vernunft“ gehe es nun um die „humanistische Blickrichtung ihrer Berichterstattung“. Natalie Amiri übernehme Verantwortung dafür, dass der Schrei der Iranerinnen und Iraner nach Freiheit nicht verhallt, sondern hierzulande gehört werde.

Es gehe bei der Preisentscheidung somit auch darum, dass man als Gesellschaft durch Amiri lernen könne, „wie man durch Integrität einer Berichterstattung Fanatismus bekämpfen und gesellschaftlichen Zusammenhalt stiften kann“. Auch wenn die 44-Jährige keine Politik mache, sehe die Gesellschaft der Freunde und Förderer des Preises sie als Vordenkerin einer feministischen Außenpolitik.

Natalie Amiri wurde am 11. Juli 1978 in München geboren. Sie ist Tochter einer Deutschen sowie eines Iraners. Stets war es ihr Wunsch, nach Teheran zu reisen. So absolvierte Amiri bereits 1996 in der elften Klasse ein Praktikum in einem iranischen Krankenhaus. Zwei Jahre später arbeitete sie bei einer regimekritischen Zeitung, die 2000 verboten wurde. Im Studium der Orientalistik und Islamwissenschaft in Bamberg kam sie durch ein Stipendium nach Teheran und Damaskus.

Amiri spricht sechs Sprachen, darunter Farsi und Arabisch. Aufgrund ihrer Sprachkenntnisse konnte sie nach ihrem Studium zwei Jahre in der deutschen Botschaft von Teheran arbeiten. Anschließend war sie ab 2007 als Korrespondentin aus Teheran bei der ARD tätig. 2011 kehrte Amiri nach Deutschland zurück und arbeitet bis heute bei der „Tagesschau“ und für Hörfunksender. Sie moderiert den „Weltspiegel“ im Ersten.

Ihre Arbeit im ARD-Studio Teheran musste Amiri 2020 aus Sicherheitsgründen aufgeben. Jedes Wort musste sie gegen das Regime in Teheran verteidigen und lief jederzeit Gefahr, von den Geheimdiensten bespitzelt oder verhaftet zu werden. Daher hatte sie eine fertige WhatsApp- Nachricht mit den Worten „Jetzt haben sie mich“ auf ihrem Handy, die sie im Notfall verschicken konnte, erzählt Wilfried Sommer.

Dennoch berichtet sie weiter über die bedrohliche Lage in Afghanistan, Syrien oder im Iran. Amiri ist auch als Autorin tätig, 2021 wurde ihr Buch „Zwischen den Welten“ über ihr Leben zwischen den Kulturen zum Bestseller.

Preisverleihung am 8. Oktober im Opernhaus, am Vortag Symposium für Schüler und Studierende an der Universität.

Das Glas der Vernunft

Der Kasseler Bürgerpreis „Das Glas der Vernunft“ wird seit dem Jahr 1991 jährlich an Politiker, Wissenschaftler, Künstler und Aktivisten verliehen, die sich um Vernunft und Toleranz als Ideale der Aufklärung verdient gemacht haben. Anlass der Stiftung war die deutsche Wiedervereinigung gewesen. Verliehen wird der Preis, der aus 10 000 Euro sowie einem vom Kasseler Künstler Karl Oskar Blase gestalteten Glasprisma besteht, von der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Kasseler Bürgerpreises. Erster Preisträger war 1991 der FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher.

Zu den weiteren Preisträgern gehören:

  • Pavel Kohout (Schriftsteller; Preisträger 1995)
  • Lea Rabin (israelische Politikerin; 1999)
  • Klaus von Dohnanyi (Politiker; 2004)
  • Harald Szeemann (Kurator/documenta-Leiter; 2005)
  • Ayaan Hirsi Ali (niederländische Frauenrechtlerin; 2006)
  • Joachim Gauck („Gauck-Behörde“, 2009; später Bundespräsident)
  • Ai Weiwei (chinesischer Künstler; 2010)
  • Jürgen Habermas (Philosoph; 2013)
  • Edward Snowden („Whistleblower“; 2016 in Abwesenheit verliehen)
  • Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ (2017)
  • Chimamanda Ngozi Adichie, Autorin und Feministin, Nigeria/USA (2019)
  • Reporter ohne Grenzen (2021)
  • Bénédicte Savoy; Kunsthistorikerin, Vorreiterin der Bewegung zur Rückgabe widerrechtlich angeeigneter Werke (2022)

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