Neues Buch: Die Dohnanyis: das Sittengemälde einer Familie - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Regionales
  3. Hamburg
  4. Neues Buch: Die Dohnanyis: das Sittengemälde einer Familie

Hamburg Neues Buch

Die Dohnanyis – Sittengemälde einer Familie

Die Autorin Dorothee Röhrig lebt seit vielen Jahren mit ihrem Mann, Hubertus Müller-Burckhardt, in Eppendorf Die Autorin Dorothee Röhrig lebt seit vielen Jahren mit ihrem Mann, Hubertus Müller-Burckhardt, in Eppendorf
Dorothee Röhrig widmet sich in ihrem Buch ihrer Herkunft aus einer Familie des NS-Widerstandes
Quelle: Bertold Fabricius
Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.
Ihr Großvater war der von den Nazis ermordete Widerstandskämpfer Hans von Dohnanyi, ihr Onkel ist Hamburgs Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi. Über die Frauen der Familie hat Dorothee Röhrig nun ein sehr persönliches und historisch aufschlussreiches Buch geschrieben.

Wie schwer Familientraditionen wiegen können, unermessliche moralische Überlegenheit verunsichern kann und Traumata vorheriger Generationen sich fortpflanzen können, das zu begreifen, hat fast das ganze Leben von Dorothee Röhrig gedauert. Denn ihre Familie ist nicht irgendeine, die Traumata keine gewöhnlichen, noch weniger die moralische Überlegenheit. Röhrigs Familie trägt die Namen von Dohnanyi und Bonhoeffer.

Lesen Sie auch

„Für mich waren sie alle vor allem als Kind ganz normale Verwandte“, erzählt die 1952 in Tübingen geborene Röhrig in einem Gespräch mit WELT. Und doch spürte sie früh die moralische Last. „Es war einfach der zwangsläufige Gang eines anständigen Menschen“, lautet ein gängiger Satz ihrer Familie, vor allem wenn es um ihren Großvater Hans von Dohnanyi (1902–1945) und ihrem Großonkel Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) geht. Beide spielten zentrale Rollen im deutschen Widerstand, beide wurden nach langer Haft und Folter kurz vor Ende des Krieges von den Nazis hingerichtet.

Lesen Sie auch

Es sind Personen der deutschen Geschichte, ebenso wie Röhrigs Onkel Klaus, Jurist und Politiker, Hamburgs Erster Bürgermeister von 1981 bis 1988. Ihr Onkel Christoph ist der bedeutende Dirigent und Intendant. Über die Dohnanyi/Bonhoeffer-Frauen aber ist nur wenig bekannt. Röhrigs Großmutter, Christine von Dohnanyi, geborene Bonhoeffer (1903–1965), war ebenso aktiv im deutschen Widerstand wie ihr Mann und ihr Bruder. Und Röhrigs Mutter, Barbara (1926-2016), war die ältere Schwester von Klaus und Christoph von Dohnanyi, die Stütze der Mutter, die die Last der Familiengeschichte an ihre Tochter weitergab. Röhrig hat darüber ein sehr persönliches, historisch aufschlussreiches Buch geschrieben. „Du wirst noch an mich denken“, heißt es, im Untertitel „Liebeserklärung an eine schwierige Mutter“.

Lesen Sie auch

„Ich will mit diesem Buch die Männer meiner Familie nicht beschädigen, sondern der Geschichte einen weiblichen Blick hinzufügen und den Frauen den Platz einräumen, der ihnen zusteht“, sagt Röhrig. Und in der Tat ist es keine Abrechnung, sondern eine psychologische Annäherung an ihre Großmutter und ihre Mutter, die eine Stärke entwickelten, um so viel Leid zu ertragen und dafür oftmals in einer distanzierten Abkapselung ihre einzige Chance sahen.

„Ich sehe sie nicht weinen. Niemals.“, schreibt Röhrig an einer Stelle über ihre Mutter. Es ist eine Kindheit und Jugend ohne viel Zärtlichkeit und Nähe, dafür mit vielen Vorwürfen gegenüber nachgeborenen Generationen. „Ihr habt ja keine Ahnung“, ist so ein geflügeltes Wort ihrer Mutter, das die junge Dorothee oft stumm werden lässt, vor den Kopf stößt.

Röhrigs Buch ist ein Sittengemälde einer Familie, ein Porträt einer vom Krieg gezeichneten Generation, einem intellektuellen Großbürgertum, in dem das Denken wichtiger ist als das Fühlen, man nicht nach außen trägt, was nach innen quält. Die Kunst des Doppellebens sich vererbt, um zu überleben, Vertuschungen, Irritationen nicht vorkommen können, Eigenschaften, die ihrer Großmutter Christine möglicherweise das Leben gerettet hat, ihrer Mutter und ihren beiden Onkeln vermutlich auch.

Streng chronologisch geht Röhrig im Aufbau ihres Buches vor. Berichtet von ihrer Kindheit in Wuppertal, wie sie mit ihrer Großmutter, ihrem früh verwitweten Onkel Klaus und dessen Sohn Johannes in einer Villa in Köln aufwächst, weil ihre Mutter von mehreren Fehlgeburten körperlich und mental geschwächt ist. Diese Erinnerungen verwebt sie mit dem Leben ihrer Vorfahren, wie ihre Großmutter Diptherie-Erreger im Joghurt verrührt ins Gefängnis schmuggelte, damit sich ihr Mann infizierte und in ein Krankenhaus verlegt wird. Wie ihre Mutter geheime Botschaften in die Zelle bringt. Auch wie ihr Onkel Klaus ihr nach einem Sturz im Skiurlaub mit auf den Weg gibt: „Die Zähne zusammenbeißen und durchhalten.“

Lesen Sie auch

Es ist eine Kindheit und Jugend, in der Röhrig liebevolle, verständnisvolle Zuwendung vermisst, Extravaganzen wie ein Petticoat oder Ballettunterricht nicht geduldet werden. Es ist die Härte ihrer Mutter, mit der Röhrig ein Leben lang hadert, die sie aber im Laufe ihres Lebens immer besser zu verstehen und von der sie sich abzugrenzen lernt.

Röhrigs Buch, die lange als Journalistin für Frauenzeitschriften arbeitete – für ihre Mutter ein belangloser Job – und viele Jahre Chefredakteurin des Hamburger Magazins „emotion“ war, was ihre Mutter ebenfalls abschätzig kommentierte, ist privat aber nicht intim. Und doch gibt Röhrig eine Menge preis ohne explizit zu werden. „Unfehlbar, arrogant, überheblich: So werden manche meiner Verwandten charakterisiert“, schreibt sie. Wer und was genau gemeint ist, will sie nicht sagen und doch ahnt man, dass es die Männer sind. Es ist wohl eine (weibliche) Familieneigenschaft, von der sie so viele erwähnt, gezielt Spitzen zu verteilen und Geschichten für sich sprechen zu lassen, die Hintergründe im Verborgenen zu lassen.

Dorothee Röhrig entdeckte nach dem Tod ihrer Mutter ein Foto der beiden aus Kindheitstagen. Es löste den Wunsch aus, ihre Mutter, Tochter von Hans von Dohnanyi und seiner Frau Christine, besser zu verstehen
Dorothee Röhrig entdeckte nach dem Tod ihrer Mutter ein Foto der beiden aus Kindheitstagen, da sie zu einer neuen Auseinandersetzung inspirierte.
Quelle: via Dorothee Röhrig
Anzeige

Etwa, warum Onkel Klaus seinen Sohn Johannes, der jahrelang wie ein großer Bruder von Dorothee in der Familie aufwuchs, aus dem Auto zerrt, und ohne Erklärung seiner Umgebung entreißt. Oder wie sie als Jugendliche von ihrem Onkel, dem Dirigenten, nach San Francisco eingeladen wird, sich dort aber als Kindermädchen ihrer kleinen Cousins ausgenutzt fühlt. Röhrig lässt Anekdoten sprechen ohne anekdotisch zu werden.

„Ich will die Geschichte meiner Mutter, die auch meine ist, nicht als Einzelschicksal darstellen, sondern exemplarisch für eine ganze Generation“, sagt Röhrig, die mit ihrem dritten Mann, dem Moderator und Journalisten Hubertus Meyer-Burckhardt, in Eppendorf lebt. Außergewöhnlich ist diese Geschichte dennoch, in Röhrigs Annäherung dabei allzu menschlich und dadurch umso berührender.

Dorothee Röhrig: „Du wird noch an mich denken“ ist bei dtv erschienen
Dorothee Röhrig: „Du wird noch an mich denken“ ist bei dtv erschienen
Quelle: dtv

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema