Gäste enttäuscht: Trauerfeier für Hans Modrow ohne Repräsentanten des Staates

Gäste enttäuscht: Trauerfeier für Hans Modrow ohne Repräsentanten des Staates

Der DDR-Ministerpräsident sicherte den friedlichen Übergang und organisierte freie Wahlen. Eine offizielle Würdigung erfährt er nicht. Eine denkwürdige Feier.

Trauerfeier für Hans Modrow im Münzenbergsaal des ND-Gebäudes.
Trauerfeier für Hans Modrow im Münzenbergsaal des ND-Gebäudes.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Hans Modrow, Ministerpräsident der DDR vom 13. November 1989 bis zum 14. April 1990, hat doch noch eine würdevolle Trauerfeier bekommen. Wehmütig, aber auch ein bisschen heiter, mit Musik und vielen Bildern aus einem Leben, wie es nur im vergangenen Jahrhundert geschehen konnte – zwischen Zweitem Weltkrieg, sowjetischer Gefangenschaft, DDR-Aufbau und Aufstieg bis ins höchste Regierungsamt eines seinem Ende entgegen gehenden Staates.

Hans Modrow sicherte als Ministerpräsident mit SED-Parteibuch den friedlichen und gesitteten Übergang der DDR in das vereinigte Deutschland, organisierte die Wahlen, die in der Auflösung des eigenen Staates enden sollten, und versuchte bis zum letzten Tag, möglichst viel von dem hinüberzuretten ins neue Deutschland, was bewahrenswert war.

Dass vieles nicht gerettet werden konnte, lag nicht an ihm, sondern am steinernen Unwillen der Kohl-Regierung, irgendetwas von der DDR als bewahrenswert anzuerkennen – ob Berufsabschlüsse, Gesundheitssystem oder Kindergärten. Als Denkmal für den Verstorbenen wird das Modrow-Gesetz bleiben, mit dem er verhinderte, dass DDR-Familien aus ihren Wohnhäusern vertrieben wurden.

Schröder und Krenz trauerten gemeinsam

Auch in den neuen Verhältnissen verkroch sich Modrow nicht. Er, der ewig politische Mensch, arbeitete als Abgeordneter der Volkskammer, des Bundestags, des Europaparlaments und im Ältestenrat seiner Partei, der Linken. Frank Schumann, sein Freund und Verleger, nannte ihn „den am meisten unterschätzten Politiker Deutschlands“. Wie auch immer man zu seinem politischen Leben steht, auch zu jenem Teil als Funktionär der FDJ und der SED, der Anstand gebietet, sich vor Hans Modrows Lebensleistung zu verneigen.

Das haben Vertreter der Bundesrepublik nicht vermocht. Kein Einziger war am Mittwochnachmittag zu der Trauerfeier in Berlin erschienen, niemand von jenen, die mit ihm und seiner Regierung den Weg in die Zukunft gestalteten. Nicht einmal ein Kondolenzschreiben ging ein. Bis heute ist die politische Klasse der Bundesrepublik unfähig, die Leistungen Ostdeutscher für den friedlichen Verlauf des Vereinigungsprozesses anzuerkennen.

Gerhard Schröder und Egon Krenz, Alt-Bundeskanzler und ehemaliger Staatsratsvorsitzender trafen sich zum ersten Mal nach Jahrzehnten.
Gerhard Schröder und Egon Krenz, Alt-Bundeskanzler und ehemaliger Staatsratsvorsitzender trafen sich zum ersten Mal nach Jahrzehnten.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Gerhard Schröder, der mit seiner Frau So-yeon Schröder-Kim gekommen war, sprach minutenlang, aller drei Hände ineinandergelegt, mit Gabriele Lindner, Modrows Lebensgefährtin während der letzten 18 Jahre. Ihn, immerhin ehemaliger Bundeskanzler und also Regierungschef wie der Verstorbene, wird allerdings niemand als offiziellen Vertreter des Staates betrachten.

Egon Krenz, langjähriger Weggefährte Modrows, nahm die Verweigerung des letzten Respekts empört zur Kenntnis: „Das ist unerhört und würdelos“, sagte er. Angemessen wäre eine Kondolenz des Bundespräsidenten gewesen. Hans Modrow hätte der demonstrative Mangel an Respekt vermutlich nicht verwundert, er hat zahllose Demütigungen vonseiten seiner westlichen Gegenüber erfahren – und stellvertretend für die Bürger der DDR ertragen. Ein Trauerredner zitierte einen seiner Sprüche: „Knatsch haben alle, kommt drauf an, was man daraus macht.“

Egon Krenz und Gerhard Schröder saßen nebeneinander in der ersten Reihe, man plauderte freundlich miteinander – zum ersten Mal seit ungefähr 40 Jahren. „Als sei nichts gewesen“, sagte Krenz hinterher voller Erstaunen. Ein SED-SPD-Gipfel war das nicht, mit den jeweiligen Parteien hat der eine nichts mehr und der andere nur Unangenehmes zu tun. Aber beide waren angereist, um einer historisch verdienstvollen Persönlichkeit die letzte Ehre zu erweisen.

Die Linke – zersplittert

Weder die Partei Die Linke, deren Mitglied Hans Modrow bis zuletzt war und deren Entwicklung er zunehmend verzweifelt sah, noch die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung hatten es vermocht, eine Trauerfeier auszurichten. Das übernahm ein privater Freundeskreis. Hunderte Gäste waren gekommen, der Münzenberg-Saal im Gebäude des Neuen Deutschland war mit 250 Menschen beizeiten überfüllt, viele Menschen fanden Platz in einem anderen Saal und konnten der Feier per Video-Übertragung folgen.

Die erschienenen Vertreter der Partei Die Linke verteilten sich über den Saal, als ob größte Distanz gewahrt werden müsste. Sahra Wagenknecht blieb vier Reihen hinter dem Linke-Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch ganz unauffällig. In deutlichem Abstand saß der vom Anlass sichtlich mitgenommene Gregor Gysi. Irgendwo hinten waren auch Co-Parteichefin Janine Wissler, die zweite Fraktionsvorsitzende Amira Mohammed Ali und etliche andere auszumachen. Vor einem Jahr noch hatte Modrow flehentlich in einem Brief an die Parteispitze appelliert, die Existenz der Linken nicht aufs Spiel zu setzen.

Trauerredner Dietmar Bartsch: „Modrow bekam Strafrente statt Bundesverdienstkreuz“.
Trauerredner Dietmar Bartsch: „Modrow bekam Strafrente statt Bundesverdienstkreuz“.Markus Waechter/Berliner Zeitung

Dietmar Bartsch, „ein Fischkopp wie der Pommer Hans“, wie er sagte, hielt schließlich eine gute Trauerrede. Er würdigte Hans Modrow als „Mitgestalter des Jahrhunderts“, erinnerte an seine Nahbarkeit, Bodenständigkeit und Geradlinigkeit. Oft habe er zwischen allen Stühlen gesessen, von den SED-Oberen misstrauisch beäugt, vom BND jahrzehntelang „beobachtet“, in Bonn strikt abgelehnt, von seiner Partei skeptisch und von der Bevölkerung mit gemischten Gefühlen betrachtet. In der DDR als Hoffnungsträger gehandelt, im Westen gar als „Gorbatschow der DDR“ betitelt, sei er von den Meinungsführern im wiedervereinigten Deutschland zum „Schurken“ und „Ewiggestrigen“ gemacht worden, habe „Strafrente statt Bundesverdienstkreuz“ bekommen.

Bartsch erinnerte daran, dass Hans Modrow zu den Mitbegründern des FC Union Berlin gehörte, dass die Initiative zum Wiederaufbau der Dresdener Semperoper von ihm, seinerzeit SED-Bezirkssekretär, ausging. Zuletzt sei er, der ja schon einen Krieg mitgemacht hatte, bestürzt gewesen wegen der Entwicklungen in Osteuropa und im Nahen Osten. Im letzten Gespräch an Modrows 95. Geburtstag am 27. Januar 2023 habe dieser, vor allem mit Blick auf seine Familie aber auch gesagt: „Mit mir hat es dieses Leben gut gemeint.“

Christa Luft erlebte Kohls Demütigungen mit

Christa Luft, die Modrow zur Wirtschaftsministerin und seiner 1. Stellvertreterin ernannt hatte, berichtete aus den gemeinsamen Erfahrungen mit der Kohl-Regierung: „Die fanden den Wunsch, Zukunftsfähiges aus der DDR mitzunehmen, anmaßend.“ Modrow habe die demütigenden Anwürfe aus Politik und Medien „souverän pariert“. Daran schloss die Schriftstellerin Daniela Dahn an und berichtete über ihre Recherchen zum Ablauf der entscheidenden Phase in den Wochen vor den Volkskammerwahlen am 18. März 1990, über offenkundige Lügen des Kanzlerbeauftragten Horst Teltschik und das willfährige Verbreiten von Falschmeldungen über angebliches DDR-Chaos im Spiegel.

Blumen und Kränze im Foyer. Dort trugen sich Trauergäste auch in ein Kondolenzbuch ein.
Blumen und Kränze im Foyer. Dort trugen sich Trauergäste auch in ein Kondolenzbuch ein.Markus Waechter/Berliner Zeitung

Hartmut König, unter anderem als Sänger und Textes des „Oktoberklubs“ bekannt, trug ein Lied vor, das er, mittlerweile Ende 70, als 18-Jähriger geschrieben hatte: „Wasser fließt nicht von selbst bergauf, Kriege hören nicht von selber auf …“ und sprach damit den Wunsch nach Frieden aus, den Hans Modrow ganz gewiss mit der Mehrheit der Anwesenden teilte.

Der anständige Politiker und der Anstand

Das vom Politiker Modrow in öffentlichen Äußerungen am meisten benutzte Wort war sicherlich „Verantwortung“. Seine Lebensgefährtin Gabriele Lindner nannte in ihrer Rede ein weiteres, ihm sehr wichtiges: Anstand. Sprach er ein Verdikt aus, dann sagte er: „Das ist einfach unanständig.“ Das Gefühl hatte sicherlich auch Angela Merkel getrieben, als sie einem Land, das Flüchtlingen die Hilfe verweigern würde, den Anstand absprach. Nun könnte man mit Merkel sagen: Ein Land, das einem Menschen wie Hans Modrow die letzte Ehre verweigert, ist nicht mein Land. So vertieft man die Distanz zwischen Ost und West weiter. Auch Angela Merkel hat nicht nach dem Füllfederhalter gegriffen und ein kleines Kondolenzschreiben für einen beharrlichen, von allen Eitelkeiten freien Helden des friedlichen Übergangs verfasst.

Die Beerdigung fand bereits eine Woche zuvor im kleinsten Familienkreis statt. Das Grab ist zu finden auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof – genauer: Dorotheengarten, Reihe 5, Grab 5. Ein kleiner, bescheidener Grabstein ganz nach Modrow-Art.