Hans Koschnick, der Brückenbauer
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Hans Koschnick, der Brückenbauer

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Hans Koschnick. (Archivbild)
Hans Koschnick. (Archivbild) © dpa

Der frühere Bremer Bürgermeister widmete sich der Völkerverständigung, in den 1990ern arbeitete er als EU-Beauftragter in Bosnien. Nun ist Hans Koschnick im Alter von 87 Jahren gestorben.

Ein Glück, dass Hans Koschnick als 16-Jähriger nicht auf den Rat des Arbeitsamts gehört hat: Er könnte doch Maurer werden, bekam er 1945 zu hören, als seine Heimatstadt Bremen in Trümmern lag. Koschnick heuerte lieber als Rathaus-Lehrling an. Maurer wurde er also nicht - aber Brückenbauer: Als einer der großen Sozialdemokraten Deutschlands trug er immer wieder zur Aussöhnung in der Welt bei, sei es als „heimlicher Außenminister“ des SPD-Kanzlers Willy Brandt oder als EU-Administrator in Bosnien.

Ein SPD-Ortsverein warb 2008 sogar dafür, den langjährigen Bremer Bürgermeister für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen. Koschnicks Reaktion: Zu einem Bremer passe als einzige Ehrung der schlichte Satz „Er hat es nicht ganz schlecht gemacht“.

Als am Donnerstag die Nachricht vom Tod des 87-Jährigen bekannt wurde, hielt sich kein Laudator an diese Vorgabe. Bundespräsident Joachim Gauck würdigte ihn als „leidenschaftlichen Kämpfer für die Demokratie“. „Sein Denken, Fühlen und Handeln orientierten sich immer an seinem Gewissen und an dem Willen, Verantwortung für sich und für andere zu übernehmen.“ SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte ihn einen „Ausnahmepolitiker: geradlinig, entschlossen und mitreißend“, mit „tiefer Humanität“ und einem „Lebenswerk für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität“.  

Auch im Ausland genoss der Hanseat hohes Ansehen. Als langjähriges SPD-Bundesvorstandsmitglied gestaltete er Willy Brandts Ostpolitik mit. 1976 brachte er die erste deutsch-polnische Städtepartnerschaft zustande: mit Gdansk (Danzig). Seit 1985 war er dort sogar Ehrenbürger - in Bremen erst seit 1999.

Koschnick engagierte sich auch für die Aussöhnung mit Israel. Dort galt er als glaubwürdiger Vertreter eines neuen Deutschlands, auch deshalb, weil er aus einer von den Nazis verfolgten Kommunistenfamilie stammte.

Pflichtbewusstes Arbeitstier

1994 übernahm „Hans Dampf“, wie er auch genannt wurde, seinen schwierigsten Vermittlerauftrag: die Leitung der EU-Wiederaufbauaktion in der bürgerkriegszerstörten bosnischen Stadt Mostar. Der bewährte Brückenbauer ließ zwar Schulen und Stromnetze reparieren, doch den Hass zwischen den Volksgruppen konnte er nicht wegmoderieren - soviel Schnaps er auch trank mit seinen Verhandlungspartnern („Man muss die Leber für Friedensgespräche mit einbringen“). 1996 brach er seine Mission vorzeitig ab, weil er sich nach einem versuchten Lynch-Angriff nicht genügend von der EU unterstützt fühlte.

So kehrte er ernüchtert in seine Heimatstadt zurück, in der er seit 1945 Karriere gemacht hatte: Rathaus-Lehrling, Zwischenspiel als ÖTV-Gewerkschaftssekretär, unsportlicher Leiter des Sportamts, 1963 mit nur 34 Jahren Innensenator (als jüngster Minister Deutschlands) und seit 1967 Bremer Bürgermeister (als jüngster Regierungschef Deutschlands). 

18 Jahre lang prägte er Bremen, volkstümlich und trinkfest, aber manchmal auch autoritär und aufbrausend. Den „Großen Manitu“ nannte man ihn damals. Sein Motto: „Handeln und nicht so viel reden.“ Bei vier Bürgerschaftswahlen holte er für die SPD stets die absolute Mehrheit - heute unvorstellbar. 1985 trat er überraschend zurück, mitten in der Legislaturperiode. Sein zentraler Grund wurde erst 2009 in einer Koschnick-Biografie enthüllt. Er wollte kein zweites Mal erleben, was er kurz vor der Bürgerschaftswahl 1983 durchmachen musste: Als die Großwerft „AG Weser“ geschlossen werden sollte, fühlte er sich aus der Partei bedrängt, den Werftarbeitern falsche Zukunftshoffnungen zu machen. Er sagte ihnen lieber die Wahrheit, wurde dafür von den Arbeitern ausgebuht - aber mit absoluter Mehrheit wiedergewählt.

Nach seinem Abgang dachte der 56-jährige Skatspieler und Fußballfan aus dem Arbeiterstadtteil Gröpelingen noch lange nicht an Ruhestand. Zwei Wahlperioden lang saß er im Bundestag. Als 1993 das Asylrecht verschärft wurde, gehörte er zur Minderheit seiner Fraktion, die gegen die Grundrechtsänderung stimmte.

Ganz pflichtbewusstes Arbeitstier, ließ er sich immer wieder für Ehrenämter einspannen, nicht nur 1994 als EU-Vermittler in Bosnien, sondern auch 1998/99 als Bosnien-Beauftragter der Bundesregierung und mehrfach als Tarifschlichter im Öffentlichen Dienst.

66 Jahre lang hielt er der SPD die Treue

Der Mann mit der großen Hornbrille war ein großer Nuscheler und deshalb manchmal schwer zu verstehen. Aber wenn er etwas sagte, hatte das meist Gewicht. 2000 klagte er über den „leidigen Slogan vom ‚Schlanken Staat’“ und warnte vor einem „Rückfall in den früheren Manchester-Kapitalismus“. 2009 äußerte sich der SPD-Veteran „tief besorgt“ über den Zustand seiner Partei. Ihm fehlte das Entwickeln von Zukunftsperspektiven, auch bei den anderen Parteien. Mehr kritische Diskussionen führen und Gegenmeinungen hinnehmen, das war sein Rat.

62 Jahre lang war er mit derselben Frau verheiratet, der Gewerkschafterin Christine Koschnick. Länger blieb er nur der SPD treu: 66 Jahre lang.

Wenn seine Witwe, sein Sohn und dessen Familie nun bald an seinem Grab stehen, werden sie vielleicht daran denken, wie er mal mit spitzbübischem Lächeln einen großen Empfang zu seinem 80. Geburtstag abgelehnt hatte: „Wenn Reden über mich gehalten werden, kann das später an meinem Grab geschehen. Da muss ich dann nicht zuhören.“

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