„Schönheit ist Wahrheit“ | Unsere Zeit
Vor 75 Jahren starb Käthe Kollwitz

„Schönheit ist Wahrheit“

Kollwitz im Esszimmer – Leben mit ‚schwerer Kost‘ “ lautete der Titel einer Ausstellung im Kölner Käthe-Kollwitz-Museum im letzten Jahr. Wie bitte? Wer würde sich denn „Deutschlands Kinder hungern“ (1924). oder ihre Lithografie „Gefallen“ von 1920 als Dekoration ins Ess- oder Wohnzimmer hängen? Von einer wissen wir es genau: Kaiserin Auguste Viktoria fand Kollwitz‘ Plakat-Bildnis einer mageren Arbeiterfrau schlichtweg „abstoßend“. Auch wenn sich im Gesamtwerk von Käthe Kollwitz durchaus Farbigeres und „Schöneres“ findet wie zum Beispiel die innige Bronzeplastik „Mutter mit Zwillingen“ – der Zweck ihrer Kunst und ihr Schönheitsbegriff zielten zweifellos auf anderes.

Künstlerin wollte die Käthe werden und nur dies – ein verwegener Wunsch für ein junges Mädchen aus der ostpreußischen Provinz. Doch ihre fortschrittlichen Eltern förderten die 1867 Geborene und ihre jüngere Schwester Lise nach Kräften. Käthe ging beim Kupferstecher in die Lehre und zweimal auf Künstlerinnenschulen in Berlin und München. 1888 schloss sie sich der Berliner „Sezession“ an; nur diese Künstlergruppe nahm damals überhaupt Frauen auf. 1919 wurde die fast 50-Jährige als erste Frau zur Professorin der Preußischen Akademie der Künste ernannt.100 Jahre später hielt Käthe Kollwitz sogar Einzug in die berühmt-berüchtigte Ruhmeshalle der Deutschen, die „Walhalla“ – als vierzehnte Frau neben 180 Männern. Die weißmarmorne Büste von Uwe Spiekermann thront seit dem vergangenen Mai Seite an Seite mit Kaisern, Generälen, Dichtern, Forschern und Komponisten – als erste Bildhauerin in dieser eher fragwürdigen Runde der deutschen „Hall of Fame“ nahe Regensburg. Ob sich die Künstlerin, die ihr Schaffen den arbeitenden Menschen widmete, über diese Ehrung gefreut hätte?

Käthe Kollwitz (1867 bis 1945) gilt heute als eine der bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Mit ihren realistischen Zeichnungen, Druckgrafiken und Skulpturen entwickelte sie eine unverwechselbare Handschrift und stets neue Ausdrucksformen. Ihr verdanken wir die Radierung „Ein Weberaufstand“, Gerhart Hauptmanns Drama „Die Weber“ hatte die junge Bildhauerin zutiefst erschüttert. Ihr zweiter Zyklus „Bauernkrieg“ (1901 bis 1907) brachte internationalen Ruhm, mit Ausstellungen in London, Paris, Wien und Moskau. Zwei Mal, 1901 und 1904, besuchte sie Paris, traf den französischen Bildhauer Auguste Rodin und tauchte ein in die dortige Künstlerszene.

Zehn Jahre davor hatte sie ihre Jugendliebe geheiratet, den Armenarzt und späteren SPD-Stadtverordneten Dr. Karl Kollwitz, mit dem sie zwei Söhne hatte. Ähnlich wie ihr Mann verstand sie sich als Sozialistin und Pazifistin, sicher nicht unbeeinflusst von ihrem älteren Bruder, dem Ökonomen und Philosophen Konrad Schmidt, der Friedrich Engels noch persönlich kannte.

Ihr Hauptinteresse galt den Leiden und Kämpfen der Frauen und deren Stärke und Schönheit. Diese stellt Kollwitz in der für sie typischen, auf das Wesentliche reduzierten Form dar, so in Zeichnungen für die Münchner Zeitschrift „Simplizissimus“.

Nicht nur Kaiser Wilhelm II. rümpfte die Nase über die „Rinnsteinkunst“ der Kollwitz und ihrer künstlerischen Zeitgenossen wie dem Maler George Grosz (1893 bis 1959), der sich zusammen mit Käthe Kollwitz in der Arbeiterhilfe engagierte. Ihr gemeinsames Ziel war, zu „wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind“, so ihr Tagebucheintrag vom Dezember 1922. (Leider sind die Tagebuchaufzeichnungen vergriffen. 2017 erschien: „Ich sah die Welt mit liebevollen Blicken – Ein Leben in Selbstzeugnissen“ Käthe Kollwitz/Hans Kollwitz (Hrsg.), Wiesbaden; mit Zeichnungen.)

Schließlich wusste Käthe Kollwitz auch durch die Praxis ihres Mannes am Prenzlauer Berg um das unerträgliche Elend und die Kämpfe in den Arbeitervierteln. Sie unterstützt die Deutsche Liga für Menschenrechte und die Rote Hilfe. Die Oktoberrevolution von 1917 begrüßt sie öffentlich als neue Hoffnung. Es entstehen unzählige für die politische Agitation zentrale Werke, so das Plakat „Nieder mit dem Abtreibungsparagraphen!“ (1924), eine Auftragsarbeit für die KPD; die Lithografie „Helft Russland!“(1921), sowie zwei Drucke für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung: „Demonstration“ (1931) und „Solidarität“, Letzteres versehen mit ihrer Anmerkung „Wir schützen die Sowjetunion!“.

1914 hatte die anfangs patriotisch infizierte Kollwitz ein grauenhafter Schock getroffen: Ihr Sohn Peter war im belgischen Flandern gefallen. Fortan stürzt sie sich in die Arbeit an einem Antikriegsdenkmal und verstärkt ihr Engagement für den Frieden und gegen jedwede nationalistische und völkische Engstirnigkeit. Wer kennt nicht ihr Plakat „Nie wieder Krieg!“, das fast so bekannt geworden ist wie Pablo Picassos Friedenstaube?

Zusammen mit über 33 prominenten Persönlichkeiten warnt sie vor Hitler mit einer Plakataktion zur Reichstagswahl am 31. Juli 1932. Der „Dringende Appell“ ruft insbesondere SPD und KPD auf, „alle Kräfte zusammenzufassen, die in der Ablehnung des Faschismus einig sind“. Als sie die Aktion bei den Wahlen am 14. Februar 1933 wiederholen, ist Hitler schon Reichskanzler und die Liste der „Erstunterzeichner“ hat sich halbiert. Das Ehepaar Kollwitz bleibt dabei, neben Heinrich Mann, Albert Einstein und anderen. Prompt wurden sie und Heinrich Mann aus der Akademie der Künste ausgeschlossen. Ihrem Mann entzogen die faschistischen Behörden wegen „kommunistischer Tätigkeit“ alle Kassenpatienten und somit die Existenzgrundlage als Arzt.

Im Jahr davor hatte sie ihr Werk „Trauernde Eltern“ endlich abschließen und ausstellen können – in Stein gemeißelte Trauerarbeit über den Tod ihres Ältesten. Die öffentliche Wirkung war überwältigend. Enttäuscht war sie über die Kritik in der „Roten Fahne“; die KPD befand „die Antikriegsgeste“ als zu schwach ausgeprägt. Gleichzeitig fiel die Nazi-Presse über diese „entartete“ Künstlerin her; das „unvölkische“ Mahnmal flog aus der Ausstellung. Diese Figurengruppe mit den Gesichtszügen von Käthe und Karl fand nach 1945 ihren Platz auf dem belgischen Deutschen Soldatenfriedhof in Vladslo. Eine Kopie des Mahnmals wurde 2014 in Rschew an der Wolga aufgestellt, auf der Gedenkstätte für die Toten der Winterschlacht 1942, unter jenen auch ein Enkel der Familie Kollwitz.

Weiter arbeiten durfte die weltberühmte Künstlerin zwar auch nach 1933; auszustellen wurde indes immer schwieriger. Trotz Schikanen und materieller Notlage schuf die 65-Jährige eine letzte lithographische Folge „Tod“ und vollendete eine ihrer schönsten Plastiken: „Mutter mit Zwillingen“ (neuer Titel „Mutter mit zwei Kindern“). Der „Völkische Beobachter“ höhnte: „Keine deutsche Mutter sieht so aus, wie Kollwitz sie gezeichnet hat.“ Da arbeitete sie schon an ihrer nächsten Plastik „Turm der Mütter“ (1938), mit der sie die Heuchelei der NS-Familienpolitik anprangerte. In dieser Figurengruppe drängen sich Mütter schützend um ihre Kinder und bilden mit ihren Körpern ein Bollwerk des passiven Widerstands. Kaum ausgestellt, verschwand auch dieses Werk vorerst in der Versenkung.

Immer stiller wurde es um die Künstlerin, der 1929 als erster Frau der höchste Orden der Weimarer Republik, „Pour le mérite“, verliehen worden war. 1940 starb ihr Mann Karl; ihr blieb die Familie ihres zweiten Sohnes Hans. Bei einem Bombenangriff 1943 verlor Kollwitz mit ihrer Behausung auch einen Großteil ihrer Arbeiten. Kurz vorher war sie umgezogen, zuerst nach Nordhausen und später auf den „Rüdenhof“ in Moritzburg. 1995 wurde dort das „Käthe-Kollwitz-Haus“ eröffnet. Die Befreiung sollte sie nicht mehr erleben; sie starb am 22. April 1945.

Nach dem Krieg erhielt das Ehepaar Kollwitz ein gemeinsames Grab auf dem „Sozialistenfriedhof“ in Friedrichsfelde, unweit der Gräber von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Für ihn hatte die Künstlerin 1919 den Holzschnitt „Memorial für Karl Liebknecht“ geschaffen. Ihr großformatiges Gedenkblatt „Die Lebenden dem Toten. Erinnerung an den 15. Januar 1919“ zeigt dreizehn Männer und eine Frau mit einem Baby, die sich über den toten Reichstagsabgeordneten der KPD neigen. In Großauflage gedruckt, hing der Holzschnitt wie eine Ikone in zahllosen Arbeiterwohnungen. Auch so war Käthe Kollwitz bei denen präsent, denen sie mit ihrer Kunst „dienen“ wollte.

„Das eigentliche Motiv aber, warum ich von jetzt an zur Darstellung fast nur das Arbeiterleben wählte, war, weil die aus dieser Sphäre gewählten Motive mir einfach bedingungslos das gaben, was ich als schön empfand“, schrieb sie einmal in ihrem Tagebuch. „Ohne jeden Reiz waren mir Menschen aus dem bürgerlichen Leben. … Dagegen einen großen Wurf hatte das Proletariat.“

Vielleicht kannte Käthe Kollwitz das Diktum des englischen Poeten John Keats: „Schönheit ist Wahrheit – Wahrheit ist Schönheit.“ Die mutige Humanistin und Kämpferin für Frieden wurde 77 Jahre alt. Ihr Werk behält seine „Gültigkeit auch in der Zukunft“ – darüber waren sich die Mitwirkenden des Schulprojekts „Käthe goes Walhalla“ der Käthe-Kollwitz-Schule in Hannover einig.

Das hätte sich die kecke Göre aus Königsberg selbst in ihren kühnsten Träumen nicht ausmalen können.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"„Schönheit ist Wahrheit“", UZ vom 24. April 2020



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flugzeug.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit