Mia Maariel Meyer / Hanno Koffler [Interview] | Film-Rezensionen.de
Die Saat
Szenenbild aus "Die Saat"

Mia Maariel Meyer / Hanno Koffler [Interview]

Die Saat feierte 2021 auf der Berlinale Premiere und erzählt die Geschichte einer Familie, die immer weiter in finanzielle Schwierigkeiten abrutscht. Obwohl der Vater Rainer Matschek (Hanno Koffler) ständig auf der Baustelle arbeitet und sich keine Pause gönnt, kommen sie auf keinen grünen Zweig. Die große Hoffnung, er könnte bei einem wichtigen Projekt die Bauleitung übernehmen, zerschlägt sich bald. Und auch privat stehen Probleme an, welche zu einer großen Prüfung werden. Wir haben uns mit Hauptdarsteller Hanno Koffler und seiner Partnerin Mia Maariel Meyer unterhalten, die bei dem Film Regie geführt hat. Gemeinsam haben sie auch das Drehbuch verfasst.

Könnt ihr uns etwas zu der Entstehungsgeschichte von Die Saat verraten? Wie seid ihr auf die Idee zu dem Ganzen gekommen?

Mia Maariel Meyer: Das war ein ziemlich langer Prozess. Angefangen haben wir nach Treppe aufwärts vor fünf Jahren. Da habe ich das Drehbuch geschrieben und Regie geführt, Hanno war Schauspieler. Das war also die klassische Konstellation. Wir haben damals aber schon gedacht, dass wir unbedingt mal etwas miteinander schreiben müssen. Hanno war immer daran interessiert, eine Vater-Tochter-Geschichte zu erzählen. Mich hatte zu dem Zeitpunkt das Thema Gewalt interessiert. Woher entsteht Gewalt? Was macht Gewalt mit der Gesellschaft? Irgendwann haben sich unsere Themen dann gefunden und es entstanden daraus erste Fassungen. Später haben wir entschieden, dass der Film nicht über das Thema Gewalt an sich gehen sollte. Die entsteht nur als Folge gegen Ende hin. Stattdessen wollten wir über Leistungsdruck reden. Da sind viele Punkte und Begegnungen eingeflossen, die uns im Laufe der Jahre begegnet sind.

Dieser Leistungsdruck ist etwas, das sich durch alle Bereiche unseres Lebens und die meisten Berufe durchzieht. Warum habt ihr die Baubranche als Hintergrund für Rainer genommen?

Mia Maariel Meyer: Meine Eltern sind in dem Bereich tätig als Architekten. Dadurch hatte ich selbst viele Berührungspunkte und war schon früh fasziniert. Später erkannte ich dann, welche Hierarchien und welche Kämpfe es dort gibt. Aber auch welche Solidarität und Loyalität es dort gibt. Und das wollten wir in dem Drehbuch noch weiter vertiefen und die Baustelle zu einem Mikrokosmos machen, in dem wir über diesen Leistungsdruck sprechen, aber auch die schwierige Balance aus Familie und Beruf. Bei unseren Recherchen sagte uns einer: Du kannst entweder Bauleiter sein oder eine Familie haben. Beides zusammen geht nicht.

Ist das dann spezifisch für die Baubranche so oder seht ihr darin eine universelle Geschichte?

Hanno Koffler: Vieles davon ist natürlich universell. Aber filmisch betrachtet ist das auch einfach ein schönes Bild, dass man sich dort aufhält, wo Träume mit den eigenen Händen umgesetzt werden. Wo im wahrsten Sinne des Wortes ein Zuhause gebaut wird. Das ist einfach ein tolles und ganz besonderes Setting. Die Konflikte, die dabei entstehen, die sind aber übertragbar. Die Existenzängste, der Leistungsdruck, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – das betrifft uns ja alle. Genauso die Frage, was wir der nächsten Generation und unseren Kindern mitgeben und mitgeben wollen. Die Gefahr ist groß, dass du am Ende ausgerechnet für diejenigen keine Zeit mehr hast, für die du das alles auf dich nimmst. Das waren alles Themen, die uns sehr beschäftigt haben und über die wir deshalb einen Film machen wollten.

Wie ist das denn bei euch, da ihr beide im Filmbereich tätig und unterwegs seid. Macht es das einfacher oder schwieriger?

Hanno Koffler: Was wir glaube ich wie alle anderen beobachten, ist dass es zunehmend schwieriger wird, wenn nur einer in der Familie das Geld verdient. Unabhängig davon, ob sich jetzt beide verwirklichen wollen und deshalb arbeiten, der finanzielle Druck zwingt inzwischen oft Familien dazu, dass zwei berufstätig sind. Es dabei zu schaffen, immer präsent zu sein im Beruf, in der Familie und der Partnerschaft, das ist schon eine Herausforderung und ein ziemlicher Spagat.

Mia Maariel Meyer: Wobei wir beide diesen Beruf natürlich auch lieben und froh sind, diese Arbeit ausführen zu dürfen. Aber selbst dann ist es nicht einfach, weil in Deutschland oft die Strukturen fehlen, um wirklich beides machen zu können. Wir können nicht einfach um fünf Uhr vom Set weg und zur Kita radeln.

Dann kommen wir zu Rainer. Er versucht das mit dem Spagat. Er versucht ganz vieles zu regeln und auf die Reihe zu bekommen, scheitert aber daran. Hatte er denn überhaupt eine Chance?

Hanno Koffler: Das ist auf jeden Fall eine interessante Frage. Ich hatte bei ihm schon das Gefühl, dass er vor einem unlösbaren Problem steht. Er will es allen recht machen und dabei auch noch ein guter Mensch sein. Und mit dieser Einstellung und auch der Empathie, die er seinen Mitarbeitern gegenüber hat, kommt er in diesem System an seine Grenzen. Er schafft es nicht, mit seinen Mitteln da durchzukommen, und gerät dabei unter die Räder. Klar haben wir uns dann auch die Frage gestellt: Was hätte er anders machen können? Wäre es akzeptiert worden, dass er das nicht alles schafft? Lässt das unser Männlichkeitsbild zu, das wir vielleicht haben, ohne es wahrhaben zu wollen? Selbst wenn wir in einem sehr fortschrittlichen Umfeld unterwegs sind, sind wir doch oft geprägt von unseren alten Rollenbildern und Vorstellungen. Wir können uns selbst für noch so liberal und feministisch halten, wir werden dann doch eingeholt und leben Muster aus, von denen wir dachten, dass wir sie überwunden haben. Vielleicht wäre es für Rainer besser gewesen, wenn er gesagt hätte: Ich kämpfe hier Kämpfe, die gar nicht meine sind.

Aber was wäre die Konsequenz? Es ist ja nicht nur Rainer, der im Film zu nett ist und damit nicht weiterkommt. Seine Tochter wird ebenfalls untergebuttert. Kann man als Gutmensch überhaupt durchkommen?

Hanno Koffler: Das sind genau die Fragen, die uns interessieren und die wir zur Diskussion freigeben wollen.

Mia Maariel Meyer: Wir haben selbst nicht unbedingt Antworten darauf, die wir anderen vorgeben können oder wollen. Ob man mit Empathie weiterkommt? Ich persönlich würde es hoffen, weil ich versuche, die Welt optimistischer zu sehen. Aber es ist schwierig.

Hanno Koffler: Genau. Wir leben in einem Kapitalismus, der auf dem Leistungsgedanken basiert, der Menschen in einen Wettbewerb miteinander zwingt und der ein ständiges Wachstum einfordert. Stillstand wird da schon als Rückschritt gesehen. Wie soll aus einer solchen Situation aber Empathie entstehen? Was kreieren wir damit für Menschen? Mitgefühl und Wettbewerb, das passt nicht wirklich zusammen. Das ist für mich deshalb eine unmenschliche Gesellschaft, in die wir hineingeraten sind.

Ihr habt in dem Zusammenhang schon Kinder und die Weitergabe von Werten angesprochen. Wie bereitet man sie auf eine Welt vor, die nicht nach den eigenen Regeln funktioniert?

Hanno Koffler: Absolut, das ist ein Problem.

Mia Maariel Meyer: Es ist auch eine Frage, die wir uns jeden Tag stellen und für die ich noch keine wirkliche Antwort habe. Wir versuchen bei unserer Tochter, den Blick über den Tellerrand mitzugeben und ihr klarzumachen: Es geht nicht nur um mich. Eine Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn wir uns gegenseitig sehen und stärken. Aber es stimmt, dass das in der Praxis nicht immer so funktioniert. Unsere Tochter ist jetzt vier und fängt jetzt schon an sich zu vergleichen, was ich furchtbar finde.

Hanno Koffler: Gleichzeitig wollen wir natürlich auch nicht, dass sie unter die Räder kommt, weswegen es wichtig ist, ihr die Mittel mitzugeben, sich in dieser Gesellschaft, wie sie nun einmal ist, durchzusetzen. Das ist schon ein sehr schmaler Grat, was wir auch in dem Drehbuch ausdrücken wollten.

Wie sah eigentlich eure Zusammenarbeit bei dem Drehbuch aus? Gab es da eine Arbeitsaufteilung?

Mia Maariel Meyer: Ich habe die erste Fassung geschrieben, später kam Hanno dazu. Mal habe ich geschrieben, mal er, mal wir auch zusammen. Im Laufe der Jahre haben wir festgestellt, wer welche Stärken hat und wie wir uns gegenseitig am besten supporten kennen. Das mussten wir erst einmal für uns selbst herausfinden, was der beste Weg ist. Und der sah definitiv nicht so aus, dass wir gemeinsam vor dem Laptop sitzen und in die Tasten hauen. Wir haben vor allem miteinander über die Stoffe geredet. Sehr viel geredet. Das letzte Jahr habe in erster Linie ich geschrieben, damit Hanno sich stärker auf seine Figur konzentrieren konnte.

Da wir es vorhin von klassischen Rollenbildern hatten: Wie war es in einem Film mitzuspielen, bei dem die eigene Frau Regie führt? Regie ist ja immer so etwas wie der Chef eines Films.

Hanno Koffler: Es ist schon irgendwie verrückt, dass wir uns tatsächlich noch über dieses Thema unterhalten müssen. Für mich ist es ganz klar, dass eine Frau ebenso Regie führen kann oder ein Chef sein kann wie ein Mann. Das ist völlig geschlechterunabhängig. Du brauchst die Fähigkeit, deinen Beruf auszuüben. Du brauchst auch eine gewisse Autorität, bei der du spürst: Er oder sie weiß, wovon er spricht. Und es steht völlig außer Frage, dass Mia ihr Handwerk besser beherrscht als viele männliche Kollegen da draußen. Von daher ist es ein Geschenk für jeden Schauspieler, mit ihr arbeiten zu können.

Und wie ist die Situation für Regisseurinnen in Deutschland? Es wurde zwar immer wieder gesagt, dass da mehr geschehen muss. Ist aber auch wirklich etwas geschehen oder waren es reine Lippenbekenntnisse?

Mia Maariel Meyer: Es ist auf jeden Fall viel geschehen. Es gab eine große Bewegung hin zu mehr weiblicher Besetzung. Da waren schon viele Fortschritte, das kann ich gar nicht anders sagen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass hier niemand nur auf sein Geschlecht reduziert wird. Außerdem ist da noch einiges, was im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert werden kann, womit wir wieder bei unserem Thema wären. Aber ich bin optimistisch, dass wir da auch noch hinkommen.

Vielen Dank für das Gespräch!



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