Hannah Herzsprung: „Ich hatte noch nie eine stehende Ovation bekommen“ - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Film
  4. Hannah Herzsprung: „Ich hatte noch nie eine stehende Ovation bekommen“

Film Hannah Herzsprung

„Ich hatte noch nie eine stehende Ovation bekommen“

Filmredakteur
Rückkehr zu einer erfolgreichen Rolle: Hannah Herzsprung Rückkehr zu einer erfolgreichen Rolle: Hannah Herzsprung
Rückkehr zu einer erfolgreichen Rolle: Hannah Herzsprung
Quelle: Getty Images/Gerald Matzka
Für die Schauspielerin Hannah Herzsprung bedeutete der Film „Vier Minuten“ von Chris Kraus 2006 den Durchbruch. Jetzt kommt die Fortsetzung „15 Jahre“ in die Kinos. Bei der Premiere in Hof wurde sie gefeiert und musste ganz besonders mutig sein. Denn einer fehlte dort.

Eigentlich ist es ein ganz normaler Tag. Hannah Herzsprung hat ihn schon fünfzigmal erlebt, den Tag, an dem ein neuer Film von ihr Premiere hat. Sie ist mit dem ICE von Berlin nach Leipzig gefahren, verspätet angekommen, hat den Anschluss verpasst – alles ganz normal –, musste sich dann über Zwickau nach Hof durchkämpfen.

Hof an der Saale, früher im abgehängten westdeutschen „Zonenrandgebiet“, Mittelstadt, 45.000 Einwohner, nicht der prädestinierte Ort für Filmpremieren. Aber: Hof hat ein Festival, ein ziemlich renommiertes sogar.

Vom Hofer Bahnhof bis ins Hotel Strauss sind es nur 15 Gehminuten. Das Strauss gibt es seit 1826, der heutige Bau wurde 1926 errichtet. Vor 50 Jahren übernachtete der FC Bayern vor dem Europapokalspiel bei Dynamo Dresden lieber hier als in der DDR, die Stasi-Köche hätten den Spielern ja etwas ins Essen mixen können.

Lesen Sie auch
Volker Bruch als Gereon Rath. Staffel 4 läuft ab 8. Oktober
„Babylon Berlin“

Beckenbauer und Hoeneß und Sepp Maier und Gerd Müller haben im Strauss übernachtet. Man könnte dort auch einen Rainer-Werner-Fassbinder-, Wim-Wenders- oder Peter-Jackson-Room einrichten, alle waren sie bereits bei den Hofer Filmtagen.

Auch Hannah Herzsprung nächtigte schon in diesen heiligen Hallen, 17 Jahre ist das her. Sie war eine Unbekannte, hatte in zwei Dutzend Folgen einer bayerischen Familien-Soap mitgemacht. Aber der Regisseur Chris Kraus hatte ihr die erste Hauptrolle anvertraut, die der jungen Mörderin Jenny von Loeben, die im Gefängnis zur Pianistin wird. Der Film hieß „Vier Minuten“.

Herzsprungs neuer Film heißt „15 Jahre“ und ist das Sequel. Der einmalige Fall eines deutschen Autorenfilms, der eine Fortsetzung erhält, sieht man von Wenders’ „Der Himmel über Berlin“ von 1987 ab (der nach dem Mauerfall 1993 mit „In weiter Ferne, so nah!“ fortgesetzt wurde). Und wieder findet die Premiere in Hof statt.

Hannah Herzsprung ist Jenny von Loeben
Hannah Herzsprung ist Jenny von Loeben
Quelle: Dor Film-West/Four Minutes Filmproduktion, Wild Bunch Germany

Im Frühstückssaal des Strauss trifft sich das „15 Jahre“-Team kurz vor der Premiere: neben Herzsprung die Schauspieler Albrecht Schuch, Hassan Akouch und Christian Friedel, die Komponistin Annette Focks, die Kamerafrau Daniela Knapp, Herzsprungs Agentin Andrea Lambsdorff; nur der wichtigste Mann fehlt: Chris Kraus, der Regisseur.

Anzeige:
Mit WELT bei Kinobesuchen sparen: CineStar-Gutschein

Der Empfang im Strauss ist eine „Weißt du noch?“-Angelegenheit. Die Hofer Premiere von „Vier Minuten“ war einst eine Art Verlegenheitslösung, erinnert sich Herzsprung. Die Berlinale hatte den Film abgelehnt, die Verleiher wollten nicht zugreifen. Dann kam die Einladung der Festspiele in Shanghai, etwas exotisch, aber immerhin ein A-Festival.

Anzeige

„Bei der Preisverleihung saß ich neben Chris“, erinnert sich Hannah Herzsprung beim Strauss-Empfang. „Schließlich kam der Jurychef Luc Besson zum Hauptpreis und begann mit dem Satz ,Wir haben nicht länger als vier Minuten gebraucht, um uns zu entscheiden‘. Wir stiegen die Bühne hinauf, Chris bekam den Goldenen Kelch überreicht – und Besson neigte sich zu mir: ‚Und wer sind Sie?‘ Er hatte mich nicht erkannt!“

Sie drehte und drehte und drehte

Der Rest ist Geschichte: Deutschlandpremiere in Hof, ein deutscher Verleiher, eine halbe Million Kinozuschauer, Kinostarts in 20 Ländern. Einer der wenigen Kultfilme eines deutschen Autorenfilmers. Der Durchbruch für Hannah Herzsprung, die beim Dreh noch die bekannten Darsteller und ihre T-Shirts angestaunt hatte; Jasmin Tabatabai trug eines aus „Bandits“.

„Als ich aus der Premiere von ,Vier Minuten‘ kam“, erinnert sich Herzsprung, „standen Dominik Graf und Caroline Link vor dem Kino: ,Dürfen wir uns mal bei dir melden‘, fragten sie mich.“ Graf hat sich gemeldet, und in seinem Schiller-Film verkörperte Herzsprung eine der „Geliebten Schwestern“.

Ein Jahrzehnt lang versuchte Kraus, nicht mehr an diese Jenny von Loeben zu denken, während Herzsprung spielte und spielte: die kongeniale Partnerin des Komikers in „Liesl Karlstadt & Karl Valentin“, die Tochter von Ralph Fiennes in „Der Vorleser“, die junge Julia, die in der „Weissensee“-Serie lange Jahre in einem DDR-Frauenknast übersteht.

Lesen Sie auch

Dann meldete sich Kraus doch wieder und bat Herzsprung um ein Treffen: „Hättest du Lust, die Jenny nochmal zu spielen?“ Sie hatte Lust: „Ich habe nicht einmal gefragt, ob sie wieder Klavier spielen soll. Das hatte ich inzwischen verlernt.“ Herzsprung spielt wieder Klavier, sie singt sogar, obwohl sie nicht singen kann, aber sie hat das schon einmal bewältigt, als Polly in „Mackie Messer“.

15 Jahre hat Jenny abgerissen, für einen Mord, den sie nicht beging, nun muss sie sich an ein Leben in Freiheit gewöhnen – und an die Geister aus der Vergangenheit, die unvermeidlich auftauchen. Sie ist nicht mehr dieses impulsgesteuerte, wuterfüllte junge Mädchen von damals, doch Kraus nimmt viele alte Fäden wieder auf und spinnt sie weiter.

Nicht alle. Monica Bleibtreu, die gestrenge Klavierlehrerin Traude Krüger, und Vadim Glowna, Jennys übergriffiger Vater, waren inzwischen gestorben. Aber es gibt eine Parallelfigur zu Traude Krüger, und Jennys Liebhaber, dessen Mord sie auf sich genommen und der in den 15 Jahren große Karriere machte, rückt in den Mittelpunkt.

Gleichzeitig in acht Sälen

Anzeige

Es ist dunkel geworden, es ist kalt, es nieselt, aber es ist nur ein Katzensprung vom Strauss zum Scala, wo die Uraufführung von „15 Jahre“ stattfinden soll. Alle 400 Plätze sind besetzt, Festivalchef Torsten Schaumann macht den Grüßonkel, die Lichter verlöschen. Das ist der Moment, in dem sich Schauspieler bei Uraufführungen sonst in eine der hinteren Reihen setzen, um zum ersten Mal die Reaktion des Publikums mitzuerleben.

Dazu ist in Hof keine Zeit. „15 Jahre“ läuft an diesem Abend in acht verschiedenen Sälen, so groß war die Nachfrage, es muss eine ziemliche Fanbasis für den Originalfilm geben. Und so tingelt Hannah Herzsprung von Kino zu Kino, damit sie gesehen werden kann, bevor im Abstand von einer Viertelstunde jeweils die Vorstellungen beginnen: „Es war so schön, vor acht vollen Sälen zu stehen.“ Nach dem letzten macht sie eine kleine Pause in der Fußgängerzone: „Außer uns ist kein Mensch auf der Straße. Gefühlt sind alle Hofer im Kino.“

Am Ende des Parcours kehrt sie ins Scala zurück, der Film läuft noch, sie steht die letzte halbe Stunde hinten in einer Ecke. Dann folgt die große Vorstellungsarie, alle werden auf die Bühne gerufen und bekommen ihre Portion vom Beifall, als letzte Hannah Herzsprung, die gefeiert wird: „Ich hatte noch nie eine stehende Ovation bekommen“, gesteht sie später.

Dass der Spiritus rector des Ganzen, Chris Kraus, nicht erscheint, wird kurz erwähnt – „konnte leider nicht kommen“ –, aber nicht erläutert. Was keiner im Publikum weiß: Kraus ist in Berlin geblieben, in der Charité, wo seine Frau im Sterben liegt, Uta Schmidt, die viele seiner Filme geschnitten hat, zuletzt auch noch „15 Jahre“.

Kraus ist nicht anwesend bei der Premiere des Films, an dem er fünf Jahre gearbeitet hat, der ihm am Herzen liegt wie kaum ein anderer, aber wer genau hinsieht, kann ihn trotzdem entdecken: In der letzten Szene spielt Jenny von Loeben Piano in einer Bar, ihr Publikum applaudiert, und wer genau hinschaut, erblickt Chris Kraus in der linken Ecke des Bildes, und auch er klatscht. Drei Wochen nach dieser Premiere wird er seine Frau begraben müssen. Von dieser Tragik ist für die meisten Anwesenden nichts zu ahnen.

Nach Filmende steht man in Hof gerne noch eine Weile im Foyer beisammen, Zuschauer und Macher. Eine Besucherin, schon im Gehen begriffen, läuft erst an Hannah Herzsprung vorbei. Ein paar Schritte später hat sie die Frau von der Leinwand und jene, die hier steht, in Übereinstimmung gebracht. Sie dreht sich um, sagt: „Der erste Teil hat mir nicht so gefallen, aber der zweite schon. Schönen Abend noch“ und geht ab. So sind sie, die Franken in Hof.

Die ganze Last liegt auf ihr

Die unvermeidliche Premierenparty steigt in der Bürgergesellschaft, dem schönsten Veranstaltungsort der Stadt, einem Jugendstilbau. Es gibt keine Einlasskontrollen, ein jeder kann kommen. Das Büfett ist bereits vegetarisch beeinflusst, zeugt aber noch von bayerischer Rustikalität.

Viele Premierenpartys gerieren sich als Exklusiv-Event, man erhält mit der Einladung zwar Zutritt, doch braucht einen zweiten Pass, um in den VIP-Bereich mit den Stars vorzudringen. In der Bürgergesellschaft geht alles gesittet zu, keine Boulevard-Knipser, jeder ist für jeden ansprechbar, auch die Hauptdarstellerin.

Um eins in der Nacht, es schüttet, macht Hannah Herzsprung sich auf den Weg zurück ins Strauss; das erste Mal war sie diesen Weg mit der unvergessenen Monica Bleibtreu gegangen. Am nächsten Tag stehen noch ein paar Interviews, ein Publikumsgespräch in der Bürgergesellschaft und ein weiterer Auftritt bei der neunten Vorführung auf dem Programm.

Der Regisseur, auf dem sonst ein wichtiger Teil der PR-Last liegt, ist nicht da. Diesmal liegt die ganze Last auf dem Star. Sie trägt sie gern. Für Chris Kraus ist sie mutig.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema