Es sollte ein Fest werden, wie es im Buche stand, mit feinen Speisen, Musikern, Gauklern und Wein. Denn es ging um nichts Geringeres als um Versöhnung nach einem Krieg, der auch ein Bürgerkrieg gewesen war. Der dänische König Christian II. (1481–1559) lud seine ehemaligen Gegner ein, seiner Krönung zum Erbkönig von Schweden im Stockholmer Schloss beizuwohnen. Bereits im Vorfeld war den Gästen versichert worden, dass die alten Händel „erledigte Sachen“ seien und es nur darum ging, „herrlich und wohl bewirtet“ zu werden.
Doch die ausgelassene Stimmung nahm am 7. November 1520, drei Tage nach der Krönung, ein jähes Ende. Als „sie am lustigsten waren“, schlossen Bewaffnete plötzlich die Türen des Schlosses. Zwar wurden noch Gäste eingelassen, verlassen durfte es aber niemand mehr. Stattdessen wurde Adlige, Kirchenfürsten und die Vertreter der Bürgerschaft in einen großen Saal getrieben. Dort begann „ein anderes Gastmahl“, wie es ein Chronist sarkastisch formulierte: das Stockholmer Blutbad.
Dessen Vorgeschichte reichte bis 1513 zurück. In dem Jahr folgte Christian II. seinem Vater Johann I. auf den Thron nach. Damit wäre der damals 33-Jährige zugleich Oberhaupt der Kalmarer Union geworden, zu der sich die Kronen Dänemarks, Schwedens und Norwegens 1397 unter dem Primat des Dänenkönigs verbunden hatten. In Schweden wurde er von einem Reichsverweser vertreten. Dieses Amt hatte Sten Sture der Jüngere inne, der den Thronwechsel in Kopenhagen nutzte, um Schwedens Unabhängigkeit durchzusetzen.
Dem widersetzte sich neben anderen der Erzbischof von Uppsala, Gustav Trolle, der sich für den Beibehalt der Union aussprach. 1517 ließ Sture ihn daher vom schwedischen Reichsrat für abgesetzt erklären. Trolles Burg wurde belagert und niedergebrannt, der Kirchenmann verschwand im Gefängnis. Papst Leo X. sprach daraufhin den Bann gegen Sture aus. Der wurde in der Entscheidungsschlacht gegen Christian von einer Kanonenkugel schwer verwundet und starb, bevor der Däne im September 1520 als Sieger in Stockholm einzog.
Was nun folgte, war ein Machtspiel in bester Renaissance-Manier. Zunächst einmal garantierte Christian seinen Widersachern schriftlich, dass aller Streit „vergeben und vergessen“ sei. Im Vertrauen auf diese Generalamnestie folgten diese gern der Einladung zu dem großen Fest, ja der schwedische Reichsrat erklärte sich auch bereit, auf das traditionelle Recht der Königswahl zu verzichten und Christian als Erbherrn zu akzeptieren. Bürgermeister und Räte der Stadt Stockholm überbrachten für soviel „Gnade und Gunst“ als Geschenk einen vergoldeten Silberpokal.
Doch dann wendete sich das Blatt. Mehrere Bischöfe klagten vor Christian auf Entschädigung für die Verluste, die sie durch Sture und seine Anhänger erlitten hatten. In diesem Zusammenhang fiel erstmals das Zauberwort: Ketzer. Denn nach kirchlichem Recht waren diese grundsätzlich von Amnestieversprechen ausgenommen. Nachdem der inzwischen befreite Erzbischof von Uppsala ein halbherziges Vergleichsangebot Christians zurückgewiesen hatte, ließ dieser nun die Maske fallen, „denn er trachtete nach dem Leben vieler Männer“, wie der Chronist Olavus Petri schreibt.
Die folgende „Ketzererklärung“ wurde zur tödlichen Waffe. Denn darin war von „notorischer“ Ketzerei die Rede, ein Vorwurf, bei dem keine Beweisführung mehr erforderlich war, da die Ketzerei ja bereits offen lag. Allein der Schaden des Uppsalers wurde mit einer Million Mark in Silber angegeben, eine exorbitanten Summe, die zufälliger Weise in etwa dem Betrag entsprach, den Christian für seinen Feldzug aufgewendet hatte, schreibt der schwedische Historiker Sven Ekdahl.
Um sich sich zu verteidigen, ließ Stures Witwe Christina Gyllenstierna, die in der Schlussphase des Krieges maßgeblich bei der Verteidigung Stockholms mitgewirkt hatte, das Protokoll holen, in dem der Reichstag drei Jahre zuvor seine Entscheidung zum Sturz Gustav Trolles festgehalten hatte. Doch der Beweis, mit dem die Witwe die Rechtmäßigkeit des Verfahrens dokumentieren wollte, wurde zum Todesurteil für die anwesenden Unterzeichner, darunter vier Bischöfe sowie Bürgermeister und Ratsherren von Stockholm.
„Hier haben wir das, was man sucht“, soll Erzbischof Trolle triumphierend ausgerufen haben. Die Liste der Angeklagten wurde immer länger. Denn als Anhänger des gebannten Sture traf der Vorwurf der Ketzerei auch sie, wie tags darauf eine Kommission von 14 Geistlichen befand. Damit aber erübrigte sich ein Urteil, denn überführte Ketzer waren hinzurichten. Mit feinsten Machiavellismus hatte Christian damit „sein Ziel – eine Art juristischer Legitimation – erreicht, und die Blutarbeit konnte beginnen“, schreibt Ekdahl.
Wie die ablief, hat der Profos (Vollstreckungsbeamte) Jürgen Homuth überliefert. Danach habe ihn der Bischof Vincentius von Skara gefragt, was es denn Neues gebe. „Gnädiger Herr, nicht viel Gutes, euer Gnaden werden mir verzeihen, ich muss Euer Gnaden das Haupt abschlagen.“ Es wurde mit vielen anderen in ein Fass geworfen. Nur der Kopf des Mattias von Strängnäs wurde zwischen den Beinen platziert. Bürger und Bedienstete fanden ihr Ende am Galgen.
Insgesamt sollen allein dem Stockholmer Blutbad am ersten Tag mehr als 80 hochrangige geistliche und weltliche Männer und Frauen zum Opfer gefallen sein, ein Rekord in dem wahrlich nicht unblutigen Jahrhundert. Anschließend setzte Regen ein, der das Blut und den Schmutz vermischte, berichtete der Henker. Auch in den folgenden Tagen ging das Töten weiter, zumeist starben Bürger und Bedienstete, „denn der Galgen war oft voll und selten leer“, befand Olavus Petri.
Schließlich wurde auch Sten Stures Leichnam ausgegraben und mit den Körpern der Toten auf Södermalm verbrannt. Denn Ketzer durften nicht in geweihter Erde liegen. Christian hatte damit sein Ziel erreicht. Er war Erbkönig von Schweden, und die Opposition war vollständig vernichtet. Da er eine Schwester Kaiser Karls V. geheiratet hatte, boten sich ihm glänzende Aussichten.
Doch er hatte sich verrechnet. Einer war wohlweislich nicht zu seinem Fest gekommen: Gustav Eriksson, ein Neffe von Stures Witwe Christina Gyllenstierna, die Christian in Kopenhagen in Kerkerhaft hielt. Gustav entkam seinen Häschern und sammelte in Mittelschweden aufgebrachte Bauern unter seiner Fahne. Die entsetzlichen Nachrichten vom Stockholmer Blutbad sorgten schließlich für einen Aufstand, der die dänische Herrschaft hinwegfegte.
Am Mittsommertag des Jahres 1523 betrat Gustav als Sieger Stockholm und wurde als Gustav Wasa zum König gewählt. Er begründete Schwedens Unabhängigkeit, die auch den Bruch mit dem Papst einschloss. Schweden schloss sich der Reformation an und gewann unter Gustavs Nachfolgern die Hegemonie über die Ostsee.
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Dieser Artikel wurde erstmals im Dezember 2020 veröffentlicht.