Liberaler: Guido Westerwelle machte seinen „klaren Schnitt“ - WELT
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Guido Westerwelle machte seinen „klaren Schnitt“

Chefredakteur
Guido Westerwelle, aufgenommen in den Räumen der Westerwelle Foundation in Berlin Guido Westerwelle, aufgenommen in den Räumen der Westerwelle Foundation in Berlin
Guido Westerwelle, aufgenommen in den Räumen der Westerwelle Foundation in Berlin
Quelle: Martin U. K. Lengemann
Auf einmal ist er wieder ein ganz normaler Bürger: Guido Westerwelle spricht im Interview über seinen Abschied aus dem Auswärtigen Amt, über seine neue Stiftung und schließlich über das Elend der FDP.

Gut gelaunt, schmal und braun gebrannt führt der ehemalige Außenminister und FDP-Chef Guido Westerwelle durch den frisch renovierten Altbau am Kurfürstendamm. Zeitgenössische Kunst ziert nicht nur die Wände, sondern prägt die Zimmerfluchten. Nüchtern, elegant, urban würden Einrichtungszeitschriften wie „AD“ das wohl nennen, dazwischen hektische Betriebsamkeit vor dem offiziellen Start der Stiftungsaktivitäten. Am Donnerstag gibt es die erste öffentliche Veranstaltung der Westerwelle Foundation.

Die Welt: Wie geht es dem ehemaligen Außenminister, so fast ohne Medien, Herr Westerwelle?

Guido Westerwelle: Vielen Dank, sehr gut. Anders als Journalisten meinen, nimmt die Lebensqualität mit weniger Presse nicht ab, sondern zu.

Die Welt: Wie war der Übergang für Sie?

Westerwelle: Es war ein „clean cut“. Am 17. Dezember habe ich das Amt in einer Personalversammlung des Auswärtigen Amts an Frank-Walter Steinmeier übergeben und wurde dann von meinem bisherigen Fahrer letztmalig zum Flughafen gebracht. Nur dass ich diesmal wie alle anderen Passagiere auch durch die Sicherheitskontrolle gegangen bin – ohne bewaffnete Sicherheitsbeamten. Abends haben wir zu Hause in Köln mit Freunden zusammen gegessen.

Die Welt: War in diesem ersten Moment der Normalität auf einmal alles anders?

Westerwelle: Nein, ich bin weder in das berühmte schwarze Loch gefallen, noch musste ich für den Alltag resozialisiert werden. Das einzige Problem war, dass ich einige meiner Passwörter neu anfordern musste, weil ich sie schlichtweg vergessen hatte.

Die Welt: Das Amt des Außenministers hat Sie sehr gefordert. Wie wichtig ist Schlaf?

Westerwelle: Ich schlafe nicht mehr als sonst. Als Student habe ich gerne mal lang im Bett gelegen, aber seitdem ich Rechtsanwalt bin, gibt es das nicht mehr. Je älter ich werde, desto früher werde ich auch wach. Ich hoffe nur, dass das keine altersbedingte Bettflucht ist. Das wäre meines Erachtens etwas zu früh.

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Die Welt: Wann hatten Sie die Idee, eine Stiftung zu gründen und im NGO-Bereich zu arbeiten?

Westerwelle: Hillary Clinton hatte mir bei einem G-20-Außenministertreffen vor zwei Jahren in Los Cabos von ihren Plänen nach ihrer Zeit als Außenministerin erzählt: Sie erzählte auch über die Stiftung, die Clinton Foundation. Auch Tony Blair hat eine Stiftung gegründet. So wie Kofi Annan – wenn auch mit einem ganz anderen Auftrag. Ich finde es eine gute Haltung, das eigene Wissen und das eigene Netzwerk einzusetzen, um die internationalen Beziehungen und die internationale Verständigung zu fördern. Das ist in Deutschland ja noch neu. In Deutschland bekommen Politiker erst eine Stiftung, wenn sie sterben. Das erschien mir zu spät.

Die Welt: War von Anfang an klar, dass die Stiftung vor allem Ihre außenpolitische Arbeit weiterführen soll?

Westerwelle: Die Arbeit unserer Stiftung ist ja gesellschaftspolitisch und nicht nur außenpolitisch. Wir sind der Überzeugung, dass demokratische Stabilität eine vernünftige und gesunde wirtschaftliche Entwicklung voraussetzt. Nicht immer führt wirtschaftlicher Erfolg zu Demokratie, aber eines haben uns die deutsche Geschichte, der „arabische Frühling“ und die Umbrüche der letzten Jahre in anderen Ländern gelehrt: Ohne gute wirtschaftliche Entwicklung gibt es keine dauerhafte demokratische Stabilität.

Die Welt: Was genau wollen Sie mit Ihrer Stiftung erreichen?

Westerwelle: Wir fördern wirtschaftliche Entwicklung, um demokratische Stabilität zu unterstützen und konzentrieren uns dabei auf den Mittelstand als Wirtschafts- und vor allem als Gesellschaftsmodell. Wir wollen beispielsweise junge Existenzgründer aus sogenannten Chancenländern einladen, um in Deutschland zu lernen, und Start-ups unterstützen.

Die Welt: Wie sieht diese Hilfe aus?

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Westerwelle: Operativ, auch finanziell. Im Sommer veranstalten wir eine Konferenz mit der Bertelsmann Stiftung. Wir werden darüber diskutieren, wie man in Europa und den europäischen Anrainerländern südlich des Mittelmeers die Jugendarbeitslosigkeit überwinden und die Gefahr einer verlorenen jungen Generation vermeiden kann. Unser Prinzip der dualen Berufsausbildung beispielsweise ist untrennbar mit dem Modell „German Mittelstand“ verbunden. Darum wollen wir erfahrene Unternehmer mit jungen Einsteigern weltweit vernetzen. Das gibt es so noch nicht.

Die Welt: In Deutschland?

Westerwelle: Das Modell Mittelstand ist ja ein sehr deutsches Modell. Ich glaube, das können wir mit Fug und Recht sagen. Wir haben einen starken Mittelstand, der für uns mehr ist als eine Wirtschaftsgröße oder eine Unternehmensgröße und ein Wirtschaftsmodell. Unter dem Gesichtspunkt der unternehmerischen Freiheit und Verantwortung ist es auch ein Gesellschaftsmodell. Und wir sehen doch, wie wichtig es ist, dass sich in diesen Umbruch- und Aufbruchländern ein gesunder Mittelstand mit den entsprechenden Bildungschancen für die eigenen Kinder und Enkelkinder herausbildet. Das ist der „German Mittelstand“ – dafür gibt es kein englisches Wort. Der Mittelstand ist der eigentliche Grund, warum Deutschland so gut dasteht. In anderen Ländern ist es nicht selbstverständlich, dass junge Menschen ein Handwerk lernen, indem sie die Schule besuchen und im Betrieb mitarbeiten.

Die Welt: Wie kann man den Menschen den „deutschen Mittelstand“ vermitteln?

Westerwelle: Als Außenminister bin ich in mehr als 100 Ländern gewesen. In den meisten habe ich auch mit der lokalen Wirtschaft Gespräche geführt und enge Kontakte geknüpft. Die deutsche Wirtschaft, vor allem der deutsche Mittelstand, hat einen Ruf in der Welt, auf den wir als Land insgesamt sehr stolz sein können. Egal ob man in Afrika, in Lateinamerika oder in Asien mit den Menschen spricht: Die deutschen Firmen bringen nicht nur Arbeitsplätze, Investitionen, Know-how und Gewinnchancen mit, sondern vor allen Dingen auch soziale Standards, ökologische Verantwortung und auch Bildungsangebote – auch für die Kinder der Beschäftigten.

Die Welt: Und diese Werte lassen sich dann ganz einfach übertragen – egal, wo in der Welt sich Mittelständler engagieren?

Westerwelle: Immer maßgeschneidert. Die Reaktionen sind übrigens über alle Parteigrenzen und politischen Denkschulen hinweg sehr ermutigend. Einer der Ersten, der sich neugierig gemeldet hat, war übrigens ein Vertreter der Linkspartei aus dem Deutschen Bundestag.

Die Welt: Haben Sie auch schon mit dem Auswärtigen Amt gesprochen?

Westerwelle: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel und selbstverständlich auch Frank-Walter Steinmeier kennen unser Projekt. Auch hier kann ich mich nicht über fehlende Rückendeckung beklagen. Jetzt, wo ich aus der Politik raus bin, finden die Gespräche auch über die Parteigrenzen mit größerer Gelassenheit statt. Viele sind neugierig darauf, was wir machen. Und dafür, dass wir noch am Anfang stehen, haben wir eigentlich schon eine ganze Reihe interessanter Projekte, die wir fördern wollen. Eine von Volker Schlöndorff initiierte Filmhochschule in Ruanda, die wir unterstützen, ein Projekt der Kinderhilfsorganisation Plan in Brasilien, in dem 500 junge Frauen auf Beruf und Selbstständigkeit vorbereitet werden sollen und ein junger Designer aus Afrika, der von uns ein Stipendium bekommt, um bei der Fashion Week in Berlin zu lernen, wie man mit Mode und Design ein erfolgreicher Unternehmer werden kann.

Die Welt: Sie waren gerade in Nigeria.

Westerwelle: Ich habe dort mit der Ministerin für Bildung des Rivers State gesprochen. Auch dort ist das Interesse an der dualen Ausbildung groß. In einigen Jahren wollen wir 100 Leuchttürme gebaut haben, 100 Leuchttürme, mit denen wir die Welt vor Ort hoffentlich ein bisschen besser gemacht haben.

Die Welt: Mal hier und mal dort zu investieren: Ist das nachhaltig?

Westerwelle: Das werden wir sehen. Es soll ja auch eine Initialzündung für die Weiterentwicklung der jeweiligen Region sein.

Die Welt: Was ist mit Osteuropa?

Westerwelle: Wir schließen keine Länder aus. Es hängt immer von den Partnern ab. Wir wollen uns auch gar nicht auf bestimmte Länder beschränken. Wie wir in der arabischen Welt gesehen haben, kann sich auch ganz schnell alles ändern in einer Region. Umgekehrt weiß man, dass man manchmal nicht mehr weitermachen kann aufgrund neuer Umstände.

Die Welt: Libyen zum Beispiel im Augenblick.

Westerwelle: Ich habe mich jahrelang mit den Umbrüchen in der arabischen Welt befasst. Manch einer, der mich wegen unserer Entscheidung, nicht am Libyenkrieg teilzunehmen, sehr aggressiv bekämpft hat, ist doch heute in Anbetracht der Entwicklungen der letzten Monate und Jahre recht still.

Die Welt: Viele Chancenländer, wie Sie es nennen, haben zerrissene Gesellschaften. Reich und Arm sind unendlich weit voneinander getrennt. Ist dies für einen Liberalen eine sinnvolle Ausdifferenzierung der Gesellschaft?

Westerwelle: Das ist leider ein Phänomen, nicht nur in Osteuropa, es ist ein Phänomen auf der ganzen Welt, dass der Reichtum von einigen unvorstellbar wird. Und andererseits die Armut und Not im selben Land von Millionen Menschen zu wenig abnimmt. In den letzten 20 Jahren in meiner Zeit als Abgeordneter ist mein Engagement für Mittelstand und Mittelschicht sehr oft als Klientelismus diffamiert worden. Für mich ist Demokratie auf Dauer nur dann erfolgreich, wenn eine Gesellschaft einen starken Mittelstand und eine starke Mittelschicht hat. Und ich weiß nicht, wo die deutsche Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg gelandet wäre, hätten wir nicht ein Wirtschaftswunder gehabt, das eine Mitte, eine Mittelschicht hervorgebracht hat, wo die Mehrheit der Deutschen sich zuzählen darf.

Die Welt: In Deutschland gibt es die Mär, die Globalisierung treibe die Verelendung …

Westerwelle: … diese sehr fanatische Globalisierungskritik ist ja durch die Realität widerlegt. Aber sei es drum. Es geht gar nicht darum, recht behalten zu haben mit meiner globalisierungspositiven Haltung. Sondern: Ob wir es gut finden oder nicht, die Globalisierung findet statt. Mit uns oder ohne uns. Und wir können ja mal die Hunderten von Millionen Menschen fragen, die die letzten zehn Jahren ihr Auskommen als neue Mittelschichten in ihren Ländern bekommen haben. Ob sie für oder gegen die internationale Vernetzung, die Globalisierung und den Welthandel sind. Bei allen Missständen und bei allen Exzessen, die es nicht zu beschönigen gilt.

Die Welt: Woher kommt in Deutschland auch aus den Universitäten dieser aggressiv globalisierungsfeindliche Ton?

Westerwelle: Mich erinnert diese doch sehr ideologische und teilweise fanatische Globalisierungskritik ein bisschen an die 80er-Jahre, vor der deutschen Einheit im alten Westen. Da wurde die Weltrevolution auch vorzugsweise in Altbauwohnungen mit Stuck und Parkett bei getrüffeltem Ziegenkäse erörtert. Aber was soll’s. Ich werde immer älter und immer milder.

Die Welt: Oh je. Getrüffelter Ziegenkäse. Ist die Arbeit in dieser Stiftung der Job zum Broterwerb?

Westerwelle: Nein, ich habe meine Zulassung als Rechtsanwalt nie aufgegeben und gehe meinem Beruf mit den entsprechenden Beratungstätigkeiten wieder aktiv nach.

Die Welt: Die Lage in Europa, nicht nur im Osten, sondern auch in Frankreich ist besorgniserregend. Wie beschäftigt Sie das als „political animal“?

Westerwelle: Es gibt hier zwei Dinge, die mir auf dem Herzen liegen. Einmal: Das Schlimmste der Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa haben wir hoffentlich hinter uns. Das Schlimmste der politischen Existenzkrise Europas liegt noch vor uns. Ich hoffe, dass wir genügend Persönlichkeiten haben, die das große Ganze nicht übersehen und die vor lauter Ärger der Gegenwart noch erkennen, dass wir in Zeiten einer Welt mit neuen Kraft- und Machtzentren darauf angewiesen sind, uns als europäische Schicksalsgemeinschaft zu verstehen. Wir sind in einigen Jahren bald 9,5 Milliarden Menschen auf der Welt. Wir Europäer werden alle zusammengenommen vielleicht mal fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Und alleine das sollte Grund genug sein, dass wir Europa nicht aufgeben.

Die Welt: Gehört Russland zu Europa?

Westerwelle: Ja. Geografisch nicht das ganze Land. Aber wenn ich zum Beispiel an die großen geistigen und kulturellen Metropolen Moskau und St. Petersburg denke, ohne jede Einschränkung ja.

Die Welt: Was könnte man in der Politik mit, gegen, für Russland vielleicht noch besser machen?

Westerwelle: Wenn man Gesprächskanäle hat, dann sind die wenig wert, wenn man sie nur bei schönem Wetter nutzt. Sondern gerade dann, wenn es schwierig ist, braucht man den Dialog und diese Gespräche. Und deswegen werbe ich dafür, dass auf allen Seiten alle Beteiligten deeskalierend wirken, sowohl was Worte als auch die Taten angeht. Und dass wir das Gespräch aktiv suchen mit Russland und ausdrücklich auch mit der russischen Regierung.

Die Welt: Sie haben sich einmal seit dem Ende Ihrer Dienstzeit doch politisch geäußert, als es um homosexuelle Lebenspartnerschaften ging. Warum?

Westerwelle: Die öffentliche Erklärung von Herrn Hitzlsperger war so mutig, dass ich sie unterstützen wollte. Zumal ja jenseits der offiziellen Toleranzmelodie, die in den Medien gesungen wurde, auch die üblichen Verdächtigen schon wieder mit ihren Intoleranzen und Homophobien unterwegs waren. Für mich ist die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben in Deutschland nicht zuerst ein parteipolitisches Anliegen, sondern eine existenzielle Angelegenheit. Dass jemand wie ich vier Jahre Außenminister sein konnte und auch ganz praktisch, wenn ich nur an das Steuerrecht denke, vieles gegen die Diskriminierung durchsetzen konnte, ist ja mehr als Politik. Es ist mein eigenes Leben.

Die Welt: Allerletzte Frage: Wie sehr nimmt Sie die Lage der FDP, die ja immer noch Ihre Partei ist, mit?

Westerwelle: Jeder Tag bietet neue Chancen. Auch für die Liberalen. In der „Welt“ war jüngst ein Interview mit dem Fraktionsvorsitzenden der Union, Volker Kauder, der die Erfolge der christlich-liberalen Koalition würdigt und ausdrücklich erklärt, dass die Zusammenarbeit mit der FDP eine der Gründe dafür ist, warum es Deutschland heute so gut geht. Das dürfen wir gelegentlich auch mal selber sagen und nicht nur Politikern aus der CDU überlassen. Denn es ist die Tatsache.

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