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Zweiter Weltkrieg Röhm-Putsch 1934

Staatsstreich – die SS ermordete ihre Konkurrenz

Am 30. Juni 1934 jagte Hitler die SS auf die Schläger der SA und weitere mögliche Gegner unter seinen Gefolgsleuten. In Berlin beobachteten SPD-Informanten die Aktionen der Todeskommandos.
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Der Wunsch war der Vater des Gedankens. „Politische Kreise“ in der Reichshauptstadt erwarteten das „Ende des NS-Regimes und seine Überführung in eine Militärdiktatur mit oder ohne Hitler in kurzer Zeit“, vermeldete im Frühsommer 1934 die Exil-SPD in ihren „Deutschlandberichten“. Der Grund dafür liege in den Spannungen zwischen Berlin und München, zwischen der überwiegend reaktionären Reichsregierung mit ihrem Beamtenapparat und der NSDAP-Bürokratie. „Die Parteileitung stimme durchaus nicht mit der Regierungspolitik überein“, hieß es.

Diese Gerüchte waren sachlich falsch, aber trotzdem vielsagend. Denn sie illustrierten die Spannung, die Ende Juni im Regierungsapparat herrschte. Am 25. Juni 1934 kamen SS-Führer aus dem ganzen Reich nach Berlin und wurden von Himmler und Heydrich auf einen angeblich unmittelbar bevorstehenden Aufstand der SA hingewiesen. Gleichzeitig unterrichtete die Reichswehr ihre Regionalkommandos und wies sie an, Waffen und Lastwagen bereit zu halten, die der SS zu übergeben seien.

Drei Tage später, am 28. Juni, legte Hitler fest, wann zugeschlagen werden sollte. Er ordnete an, für den 30. Juni um 11 Uhr eine Besprechung der SA-Führung in Bad Wiessee einzuberufen, dem Urlaubsort von Stabschef Ernst Röhm.

Es war kein Zufall, dass zuerst in der „Hauptstadt der Bewegung“ München etwas durchsickerte über den geplanten Schlag. Eine SA-Standarte erhielt aus unbekannter Quelle eine Warnung und zog daraufhin am Abend des 29. Juni mit rund 3000 Mann randalierend durch die Innenstadt.

„Überfallwagen mit Scheinwerfern und Maschinengewehren“

Trotzdem ahnten Röhm und sein Umkreis nichts. In den frühen Morgenstunden des 30. Juni tauchte Hitler theatralisch in dem oberbayerischen Kurort auf, nahm ein halbes Dutzend SA-Führer persönlich aus den Betten heraus fest und ließ sie ins Gefängnis München-Stadelheim bringen. Dort wurden sie und weitere Festgenommene in den folgenden zwei Tagen erschossen, Röhm selbst als einer der letzten.

Zeitgleich begann in Berlin der ungefähr seit einer Woche vorbereitete Schlag gegen weitere SA-Führer. Um 12.30 Uhr wurde das Haus der SA-Führung Berlin-Brandenburg in der Tiergartenstraße abgeriegelt: „Rund 15 Motorräder, annähernd 20 Flitzer und Überfallwagen mit Scheinwerfern und verdeckten Maschinengewehren und drei ,Sonderfahrt‘-BVG-Wagen halten vor der Obergruppe, das Haus wird besetzt und die SA mit erhobenen Händen herausgeführt“, fassten die „Deutschlandberichte“ Zeugenaussagen zusammen.

Die Festgenommenen wurden in die ehemalige Kadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde gebracht, nun Kaserne der „SS-Leibstandarte Adolf Hitler“. Erste offizielle Nachrichten über die Aktion erhielten die Berliner am Nachmittag des 30. Juni aus der „Nachtausgabe“, der Abendzeitung des gleichgeschalteten Scherl-Konzerns: „Röhm aus Partei und SA ausgestoßen.“

Die „BZ am Mittag“ brachte ein kostenloses Extrablatt heraus, die Abendausgaben der anderen, ebenfalls längst zu NS-Organen herabgesunkenen Berliner Zeitungen druckten eine knappe Verlautbarung Hitlers: „Ich habe mit dem heutigen Tag den Stabschef Röhm seiner Stellung enthoben und aus der Partei und der SA ausgeschlossen.“

„Alle paar Minuten ein SA-Führerauto“

Angesichts solcher vager Meldungen überrascht es nicht, dass am Abend des 30. Juni Unruhe herrschte: „Abends starke Bewegung in der Stadt. Die Heerstraße passiert alle paar Minuten ein SA-Führerauto, staubbedeckt, alle Verkehrsvorschriften unbeachtet lassend und in wahnwitzigem Tempo der Stadt zujagend. SA zieht in kleinen Trupps nach Berlin, 50 und mehr SS-Autos fahren hinaus, dazwischen Landespolizei, startbereite Wagen vor den Polizeibereitschaften usw.“

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Um 22 Uhr landete Hitlers Flugzeug in Berlin; er fuhr sofort in die Reichskanzlei, die abgesperrt worden war: „Autos wurden zur Umleitung gezwungen und Passanten durch karabinerbewehrte Doppelposten zur Umkehr gezwungen“, meldete ein Informant der Exil-SPD.

Die Stadt stand unter strikter, wenn auch verdeckter Bewachung: „An allen Brücken bis zur Stadtgrenze sind Posten aufgestellt und offenbar die letzten Polizeireserven eingespannt. Lange hat man die korpulenten Revierbeamten nicht mehr Straßendienst machen sehen.“

Bis in die Nacht hinein rasten die Wagen der Überfallkommandos mit Blaulicht und Sirenen durch die Straßen. In einigen dieser Autos saßen aber weder Polizei noch gefangene SA-Führer auf dem Weg nach Lichterfelde, sondern Mördertrupps.

Auch ein Folterknecht sprang über die Klinge

Denn Hermann Göring, Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich nutzten die Gelegenheit, unliebsame Gegner zu beseitigen. Am Mittag des 30. Juni erschoss ein SS-Trupp zum Beispiel den Ex-Reichskanzler Kurt von Schleicher und seine Frau in ihrer Wohnung in Neubabelsberg bei Berlin. Auch sein ehemaliger Mitarbeiter Generalmajor Ferdinand von Bredow starb.

Hitlers ehemaliger Organisationsleiter Gregor Strasser wurde in die Gestapo-Zentrale verschleppt und dort mit Kopfschüssen hingerichtet. Wenig später starb Ministerialrat Erich Klausener, zugleich Leiter der Katholischen Aktion, in seinem Büro im Reichsverkehrsministerium Wilhelmstraße 80 einen gewaltsamen Tod.

Der ehemalige Freikorpskämpfer Eugen von Kessel wurde daheim in der Hildebrandstraße 17 in Tiergarten getötet. Ebenfalls beseitigten Mordkommandos Herbert von Bose und Edgar Julius Jung, zwei enge Mitarbeiter Franz von Papens. Ebenfalls ermordete die SS den selbst für sie untragbar sadistischen Folterknecht Othmar Toifl, der sich im KZ Columbia-Haus einen schrecklichen Ruf „erarbeitet“ hatte.

Maßnahmen der „Staatsnotwehr“

In der Kaserne Lichterfelde begannen am Spätnachmittag des 30. Juni Erschießungen. Zu den ersten vier Toten gehörte Karl Ernst, Berlins SA-Chef. Er hatte eigentlich an diesem Tag auf eine Kreuzfahrt gehen wollen, war aber in Bremerhaven vom Schiff geholt und nach Berlin gebracht worden. Am Sonntag, dem 1. Juli, wurden weitere zwölf Delinquenten in der Kadettenanstalt hingerichtet.

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Insgesamt starben in und bei Berlin während der Mordaktion 24 Menschen. Damit verzeichnete die Reichshauptstadt nach München (29 Tote) die zweithöchste Opferzahl, vor Breslau (sieben) und Dresden (fünf). Mindestens 90 Menschen verloren bei dieser „Nacht der langen Messer“ das Leben.

Hitler aber ging so rasch wie möglich zur Tagesordnung über; am 3. Juli bereits erließ die Reichsregierung das „Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr“. Der einzige Artikel dieses wahrscheinlich kürzesten Gesetzes der deutschen Geschichte lautete: „Die zur Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli vollzogenen Maßnahmen sind als Staatsnotwehr rechtens.“

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