Gottfried Benn (1886�1956): Stets ein Gefangener der Resignation
ArchivDeutsches �rzteblatt26/2006Gottfried Benn (1886�1956): Stets ein Gefangener der Resignation

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Gottfried Benn (1886�1956): Stets ein Gefangener der Resignation

G�ring, Hans-Dieter

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Gottfried Benn in seinem letzten Lebensjahr; Zeichnung von H.-D. Göring nach einer Fotografie von Prof. Dr. J. Müller, Jena
Gottfried Benn in seinem letzten Lebensjahr; Zeichnung von H.-D. G�ring nach einer Fotografie von Prof. Dr. J. M�ller, Jena
Auch 50 Jahre nach Benns Tod geht von seinen Gedichten eine fortdauernde Faszination aus.

Er hat sein Leben lang als Dermatologe praktiziert und wurde einer der bedeutendsten deutschen Dichter des 20. Jahrhunderts: Gottfried Benn. In dieses Jahr f�llt sein 120. Geburtstag und 50. Todestag. Gottfried Benn wurde am 2. Mai 1886 als zweites von neun Kindern eines evangelischen Pfarrers und einer aus der franz�sischen Schweiz stammenden Mutter in Mansfeld (Westprignitz) geboren. Nach dem Abitur 1903 am Friedrichs-Gymnasium in Frankfurt/Oder studierte Benn zun�chst Theologie und Philologie in Marburg und Berlin, ehe sich 1905 sein Wunsch, Medizin zu studieren, endlich erf�llte. Die Kaiser-Wilhelms-Akademie f�r das milit�r�rztliche Bildungswesen in Berlin bot hierf�r nahezu ideale Bedingungen: Es wurden keine Studiengeb�hren erhoben, und der fachliche Ruf war hervorragend. Die ber�hmtesten Absolventen dieser Akademie waren Virchow, Helmholtz, Leyden und Behring. Zu Benns akademischen Lehrern geh�rten der Chirurg August Bier, der Gyn�kologe Ernst Bumm, der P�diater Otto Heubner, der Internist Wilhelm His d. J., der Hygieniker Max Rubner, der Anatom Wilhelm Waldeyer, der Gerichtsmediziner Fritz Strassmann und der Dermatologe Edmund Lesser.
Schon zwei Jahre nach dem Physikum wurde Benn 1910 f�r seine Schrift ��tiologie der Pubert�tsepilepsie� mit dem Ersten Preis der Medizinischen Fakult�t der Universit�t Berlin ausgezeichnet. 1912 erhielt er nach einer mit �gut� bestandenen Pr�fung die Approbation als Arzt und wurde mit der Dissertation ��ber die H�ufigkeit des Diabetes mellitus im Heer� zum Dr. med. promoviert. Wegen einer �Wanderniere� schied Dr. Benn 1912 aus dem aktiven Milit�rdienst aus. Es folgten T�tigkeiten als Assistent an zwei Pathologischen Instituten st�dtischer Krankenh�user in Berlin, in der Psychiatrischen Klinik der Charit�, als Schiffsarzt und in einer Lungenklinik.
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurde Gottfried Benn als Milit�rarzt eingezogen und leitete eine Abteilung f�r Geschlechtskrankheiten in Br�ssel. Bei Prof. Edmund Lesser an der Hautklinik der Charit� lie� sich Benn zum Dermatologen ausbilden. M�glicherweise hat sein eigenes Ekzem die Wahl der Fachrichtung beeinflusst. Von 1917 bis 1935 f�hrte Benn eine Praxis f�r Haut- und Geschlechtskrankheiten in Berlin. 1935 gab er unter politischem Druck seine Kassenpraxis auf und lie� sich mithilfe alter Offiziersfreunde als Oberstabsarzt in der Wehrersatzinspektion Hannover reaktivieren. 1937 wurde er im Rang eines Oberstarztes in das Oberkommando der Wehrmacht in der Berliner Bendler-Stra�e versetzt, wo er Gutachten bei Dienstbesch�digungen erstattete und Statistiken �ber Selbstmorde von Wehrmachtsangeh�rigen f�hrte. F�r ihn war der Eintritt in die deutsche Wehrmacht die �aristokratische Form der Emigration�, nachdem er Anfang 1935 in das Visier der NS-Kulturpropaganda geraten war. 1945 er�ffnete Gottfried Benn wieder seine Hautarztpraxis in Berlin und f�hrte sie bis zum Jahr 1953.
Benn hat wiederholt ge�u�ert, dass ihn sein Beruf innerlich nie besch�ftigt habe und nur dem Broterwerb diene. Die �u�erungen von Zeitgenossen reichen von der Vermutung, er sei �Mediziner und nicht Arzt� gewesen bis zur Schilderung eines mitf�hlenden hilfsbereiten Arztes, der �rmere Patienten kostenfrei behandelte, ihnen in Zeiten wirtschaftlicher Not sogar Medikamente, Nahrungsmittel und Kohlen bezahlte. Seine Zweifel an der Medizin seiner Zeit hat Gottfried Benn in den Essays �Irrationalismus in der Medizin� und �Medizin in der Krise� formuliert. Er wurde in seiner Skepsis durch das Buch des Schweizer Psychiaters Eugen Bleuler �Das autistisch-undisziplinierte Denken in der Medizin� und die �Philosophie des Als-ob� von Hans Vaihinger, der ebenso wie Benn von Nietzsche beeinflusst war, best�tigt. Benn verfasste aber auch eine Reihe streng wissenschaftlicher Arbeiten.
Als Dichter wurde Gottfried Benn 1912 durch seinen ersten Gedichtband �Morgue und andere Gedichte� mit einem Schlag bekannt. Mit ihren schockierenden Sujets aus Sektionssaal, Operationsraum und Krei�saal brachen diese fr�hexpressionistischen Gedichte mit allen g�ltigen �sthetischen Normen. Die anscheinend emotionslose Schilderung konkreter Krankheitsbilder, von Obduktionen, Ausschabungen und Operationen, die Ersch�tterung und Verzweiflung dennoch nicht verhehlte, begegnet dem Leser in �Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke�, �Sch�ne Jugend�, �Kleine Aster�, �Kreislauf�, �C�rettage�, �Saal der krei�enden Frauen� und anderem. Im Gedicht �Arzt� findet sich die ungeheuerliche Zeile �Die Krone der Sch�pfung, das Schwein, der Mensch�. Sein mit griechischer Mythologie, medizinischen und naturwissenschaftlich-philosophischen Termini und Modeworten gespicktes Vokabular wird in seinen Gedichten zu einer faszinierenden Wortmagie von oszillierender kalter Spannung verkn�pft. Gleichg�ltig, ob er anfangs die Apokalypse der Pathologie oder sp�ter Rausch und Trauer in Worte fasste, immer blieb Benn ein Gefangener der Resignation.
In seiner mittleren Schaffensperiode, in der die �Statischen Gedichte� entstanden, bestimmten Fatalismus, Agnostik und Ich-Besessenheit den dichterischen Impetus. Im Sp�twerk wurden resignative Gr��e und K�lte sowie sterbende Sch�nheit in einer von Unterg�ngen bedrohten Welt zelebriert. Neben Gedichten hat Benn Essays, Dramen und Prosa ver�ffentlicht (�R�nne�, �Weinhaus Wolf�, �Diesterweg. Eine Novelle�, �Der Vermessungsdirigent�, �Kunst und Macht�, �Der Ptolom�er�, �Roman des Ph�notyp�, �Doppelleben� und anderes).
Zwischen 1928 und 1932 hatte Gottfried Benn den Gipfel seines literarischen Ruhms erreicht, er war Mitglied der Preu�ischen Akademie der K�nste. �ber die Dichterin Else Lasker-Sch�ler kam Benn mit den zur k�nstlerischen Avantgarde z�hlenden Peter Hille, Franz Werfel, Georg Trakl und George Grosz in Kontakt. Zu der 17 Jahre �lteren Else Lasker-Sch�ler entwickelte sich ab 1912 die leidenschaftlichste Liebesbeziehung, die Benn je zu einer Frau hatte. Durch ihr exzentrisches �u�eres mit kurzem Haarschnitt, Hosenanz�gen und exotischem Schmuck bildete sie bei gemeinsamen Auftritten in der �ffentlichkeit zu dem stets mit Anzug, Weste, Krawatte, Melone und Gamaschen korrekt gekleideten Gottfried Benn einen denkbar gro�en Kontrast. 1933 wurde Else Lasker-Sch�ler, eine der gr��ten deutschen Dichterinnen, aus Deutschland vertrieben. Einsam und verarmt starb sie am 22. Januar 1945 in Jerusalem. Die wichtigste m�nnliche Bezugsperson im Leben Gottfried Benns war sein langj�hriger Briefpartner, der Bremer Gro�kaufmann Dr. jur. Friedrich Wilhelm Oelze.
Anbiederung an NS-Regime
1914 heiratete Benn die acht Jahre �ltere Witwe Edith Osterloh-Bonin (K�nstlername Edith Brandt). 1915 wurde ihre Tochter Nele geboren. Sie wuchs nach dem Tod von Edith Benn im Jahr 1922 ab 1923 im Haus der d�nischen Wagner-S�ngerin und Industriellengattin Ellen Overgaard in Kopenhagen auf. Gottfried Benn hatte sie auf der R�ckfahrt von der Beerdigung seiner Frau Edith 1922 kennen gelernt und mit ihr eine kurze Aff�re gehabt. Zwischen dem Tod von Edith Benn und der zweiten Eheschlie�ung Gottfried Benns mit Herta von Wedemeyer 1938 vergingen 16 Jahre. 1945 beging Herta Benn aus Furcht vor der heranr�ckenden Roten Armee Selbstmord. Schlie�lich heiratete Benn 1946 die Zahn�rztin Dr. Ilse Kaul.
Die Hautarztpraxis diente Benn nach eigenen Aussagen nur zum Broterwerb. Foto: dpa
Die Hautarztpraxis diente Benn nach eigenen Aussagen nur zum Broterwerb. Foto: dpa
In den Jahren 1933 und 1934 verstrickte sich Gottfried Benn in unheilvoller Weise in die NS-Kulturpolitik und -ideologie. Nach dem Austritt Heinrich Manns aus der Preu�ischen Akademie der K�nste infolge einer Auseinandersetzung mit dem NSDAP-Kulturkommissar, Bernhard Rust, wurde Benn zu seinem Nachfolger als Vorsitzender der Sektion Dichtkunst berufen. Er diente sich nun in besch�mender Weise den Nationalsozialisten an. Als er eine Loyalit�tserkl�rung f�r das NS-Regime verfassen wollte, traten Thomas Mann, Alfred D�blin und Ricarda Huch aus der Akademie aus, nachdem vorher bereits Leonhard Frank, Georg Kaiser und Franz Werfel die Akademie verlassen hatten.
Auf Benns anbiedernden Rundfunkvortrag �Der Staat und die Intellektuellen� reagierte Klaus Mann am 3. Mai 1933 mit einem offenen Brief aus dem s�dfranz�sischen Exil, der seinerseits von Gottfried Benn mit einer infamen Replik unter dem Titel �Antwort auf die literarischen Emigranten� am 2. April 1933 beantwortet wurde. Hier offenbarte sich Gottfried Benns Denken, das der NS-Ideologie zumindest sehr verwandt war. Es dauerte etwa ein Jahr, bis Benn den totalit�ren NS-Staat als kunst- und geistfeindlich erkannte. Er hatte aber auch den Mut, diese gewonnene Einsicht in einem Vortrag �Verteidigung des Expressionismus� �ffentlich zu formulieren. Die Antwort der NS-Machthaber lie� dann auch nicht lange auf sich warten: Benn wurde der Vorsitz der Sektion Dichtkunst entzogen, und er wurde im �V�lkischen Beobachter� und im �St�rmer� in r�dester Weise beschimpft. Am 18. M�rz 1938 wurde er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, was f�r ihn Schreibverbot bedeutete. Die Gefahr, auch physisch vernichtet zu werden, wurde in erster Linie dadurch abgewendet, dass Benn in die Wehrmacht eingetreten war und sich seine milit�rischen Vorgesetzten sch�tzend vor ihn stellten.
Fortdauernde Faszination
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Gottfried Benn in der Bundesrepublik eine Phase sp�ten Ruhms und offizieller Anerkennung. In der DDR wurde er lange Jahre hindurch von der offiziellen SED-Kulturpolitik weitgehend abgelehnt. Der Zugang zu seinem Werk war dort f�r Interessierte sehr erschwert. Gottfried Benn starb am 7. Juli 1956 in Berlin.
Zwei Tage vor seinem Tod waren Wirbelmetastasen diagnostiziert worden. Der Prim�rtumor blieb unentdeckt, sodass die Todesursache nach heutiger Terminologie ein CUP(Carcinoma unknown primary)-Syndrom war.
W�hrend Gottfried Benn als Dermatologe heute nur noch aus biografischen Gr�nden erw�hnenswert ist, geht auch 50 Jahre nach seinem Tod von seinen Gedichten eine fortdauernde Faszination aus.

zZitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2006; 103(26): A 1806�9

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Hans-Dieter G�ring
Tumorzentrum Anhalt
am St�dtischen Klinikum Dessau e.V.
Auenweg 38, 06847 Dessau
E-Mail: tzd@klinikum-dessau.de



Der Arzt II

Die Krone der Sch�pfung, das Schwein, der Mensch � :
geht doch mit anderen Tieren um!
Mit siebzehn Jahren Filzl�use,
zwischen �blen Schnauzen hin und her,
Darmkrankheiten und Alimente,
Weiber und Infusorien,
mit vierzig f�ngt die Blase an zu laufen � :
meint ihr, um solch Geknolle wuchs die Erde
von Sonne bis zum Mond �? Was kl�fft ihr denn?
Ihr sprecht von Seele � was ist eure Seele?
Verkackt die Greisin Nacht f�r Nacht ihr Bett �
schmiert sich der Greis die m�rben Schenkel zu,
und ihr reicht Fra�, es in den Darm zu l�mmeln,
meint ihr, die Sterne samten ab vor Gl�ck . . .?
�h! � Aus erkaltendem Ged�rm
spie Erde wie aus anderen L�chern Feuer,
eine Schnauze Blut empor �:
das torkelt
den Abw�rtsbogen
selbstgef�llig in den Schatten.

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