Zusammenfassung
Der Ende der 1940er Jahre im teilautonomen Saarland produzierte Kurzfilm Ein Land baut auf. Stein auf Stein eignet sich sehr gut als Beispiel, um über die Verbindung von Architektur, Städtebau und audiovisuellen Medien nachzudenken und Spuren des Wiederaufbau- und Städtebaufilms der frühen Nachkriegszeit nachzuzeichnen. Es handelt sich dabei in mehrerlei Hinsicht um eine filmischen Zwischenform.
Einleitung
Der Ende der 1940er Jahre im teilautonomen Saarland produzierte Kurzfilm Ein Land baut auf. Stein auf Stein eignet sich sehr gut als Beispiel, um über die Verbindung von Architektur, Städtebau und audiovisuellen Medien nachzudenken und Spuren des Wiederaufbau- und Städtebaufilms der frühen Nachkriegszeit aufzuzeigen.Footnote 1 Es handelt sich dabei in mehrerlei Hinsicht um eine filmischen Zwischenform. Als Werk, das im staatlichen Auftrag entstanden ist und somit filmisches Selbstbild ist, bewirbt Ein Land baut auf. Stein auf Stein die erfolgreiche Wiederaufbauleistung des Landes und knüpft an das Genre des Kulturfilms mit fließenden Übergängen zum Werbefilm an.Footnote 2 Zudem operiert die Zwischenform mit den Registern des Dokumentarischen und Fiktionalen. Mit den vielfältigen Szenen von der Wiederherstellung und der Produktion sowie der industriellen Fertigung von Bauprodukten, aber auch über streng gefügte Bewegungsbilder und Techniken der Serialität ergeben sich inhaltliche und formale Parallelen zum Industriefilm und Überschneidungen zwischen Fabrik und Kino.
Der Film führt eine Reihe von wichtigen Akteur*innen zusammen, darunter der Fotograf Otto Steinert. Über Steinert lässt sich eine flüchtige Verbindung des Films zur zeitgleich entstehenden „subjektiven fotografie“ und zur bildenden Kunst herstellen. Bis dato stellt der Kurzfilm, trotz Steinerts Mitwirken, noch keinen forschungsrelevanten Untersuchungsgegenstand dar. Nur vereinzelt liessen sich verstreute Hinweise ausfindig machen. In ihrer Dissertation über Otto Steinerts fotografisches Werk weist Ulrike Herrmann in einer Fußnote auf Steinerts Mitarbeit an dem Film hin, bemerkt aber einschränkend, er habe „nicht in leitender Position“Footnote 3 mitgewirkt. In den Opening Credits des Films selbst wird Steinert jedoch an erster Stelle genannt. Einer Besprechung des Films in der Saarbrücker Zeitung vom 30. August 1949 ist zu entnehmen: „An der Kamera stand Dr. Steinert von der Schule für Kunst und Handwerk.“Footnote 4 In der Entstehungszeit des Films arbeitete Steinert für die Foto- und Kinohandlung Altenkirch in Saarbrücken. Als offizieller Fotograf des Saarbrücker Stadttheaters – von 1948 bis 1951 – bekam er über Rollenporträts persönlichen Kontakt zu darstellenden Künstler*innen, wie zur Hauptdarstellerin des Films Brigitte Dryander, der „Diva Saarbrückens“ (Abb. 1).Footnote 5
Die Mitarbeit an dem Film bot Steinert die Möglichkeit, sich außerhalb seiner Arbeit im Fotoatelier und am Theater zu bewegen. Für die Arbeit an einem Kulturfilm erfüllte Steinert gerade wegen seiner Tätigkeit am Theater, wo er kulturelle Ereignisse dokumentierte, die Zwecke der Auftraggeber. Mit Brigitte Dryander in der Rolle der Ehefrau des Kriegsheimkehrers griffen die Filmemacher somit auf eine prominente Schauspielerin zurück. Im Saarbrücker Stadttheater bzw. Saarländischen Staatstheater übernahm sie von 1946 bis 1984 große weibliche Charakterrollen, wie die „Mutter Courage“; im Film verkörpert sie einen schlichten bäuerlichen Typus.Footnote 6 Im Gegensatz zu Dryander, die 1941/42 ein Engagement an einem unbedeutenden Provinztheater im Protektorat Böhmen und Mähren hatte, war der Drehbuchautor Volker von Collande ein „Jungstar“ des nationalsozialistischen Filmbetriebs gewesen.Footnote 7 Nach einer Maurerlehre und dem Abschluss eines Architekturstudiums an der Staatsbauschule Dresden nahm der 1913 in Dresden geborene Collande Schauspielunterricht und gab 1933 als Valentin in Faust am Deutschen Theater Berlin sein Debüt. Ab 1947 arbeitete er am Saarbrücker Stadttheater und in den 1950er Jahren am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.Footnote 8 Die Filmhandlung von Stein auf Stein. Ein Land baut auf ist offensichtlich seinem realen Leben entlehnt, allerdings haben wir es weder mit einer Dokumentation des realen Lebens noch mit purer Fiktion zu tun. Die Collande auch äußerlich ähnelnde Hauptfigur transportiert die Geschichte.
Die existierende Forschungslücke soll im vorliegenden Kapitel zumindest partiell geschlossen werden, indem auf die medienspezifische Besonderheit und doppelte Signifikanz des Films eingegangen wird. Aufgrund fehlender Quellen und Schriftdokumente und Hintergrundinformationen zum Entstehungsprozess, zur Finanzierung und Produktion sowie zu öffentlichen Vorführungen über die Uraufführung hinaus war es im Rahmen der Publikation nicht möglich, das Filmprojekt im Detail zu rekonstruieren. Weitere Quellen oder Schriften waren nicht auffindbar. In dem „kleinen“ Film finden sich Spuren der visionären französischen Planungen im teilautonomen Saarland, die einzigartiges filmisches Quellenmaterial darstellen. Der Film hält somit nicht nur architekturhistorisch aufschlussreiches Bildmaterial bereit. Er nimmt auch eine Schlüsselstellung ein, indem er einerseits den Anschluss an die filmische Vorkriegsavantgarde sucht und andererseits versucht, sich in eine sehr konservative Nachkriegslandschaft einzupassen. Daraus ergeben sich Paradoxien, die im folgenden Kapitel aufgezeigt werden. Die Miniatur zeichnet sich durch eine doppelte „Verschwendungslogik“Footnote 9 aus: Erstens kennzeichnet den Film ein hoher Materialaufwand – zumal seinerzeit ein Rohfilmmangel herrschte. Zweitens musste er keinen Ertrag durch Besucher*innenzahlen oder ein Einspielergebnis einbringen, von ihm wurde vor allem ein Gewinn an Renommée erwartet. Vermutlich wurde er für einen spezifischen Anlass produziert und wanderte unmittelbar nach dem Aufführungsereignis bereits wieder ins Archiv.
Die filmische Praktik des „Verknüpfens“, die mit dem Versuch einher geht, filmische Formen wie die Stadtsinfonie zu „relokalisieren“, lässt sich auch auf die Aufführungspraxis des Films übertragen, der eine nomadische Bewegung aus dem Kino in einen anderen Medienzusammenhang vollzieht: Stein auf Stein erlebte seine Uraufführung am Eröffnungstag der Bauausstellung des Saarlandes und wurde am 27. August 1949 in einem Saalkino des Ausstellungsortes gezeigt.Footnote 10 In der rahmenden Spielfilmhandlung von Ein Land baut auf. Stein auf Stein wird eine Kleinfamilie über Grund und Boden bzw. das provisorische Eigenheim „krisenfest“ gemacht. Die Versorgung der „breiten Schichten“ mit Grund und Boden und damit ihre Krisenfestigkeit war zentrales Anliegen der staatlichen Wohnungsbaupolitik bürgerlicher Parteien nach 1945, so der Architekturhistoriker Joachim Petsch. Bereits in der Folge des Ersten Weltkriegs wurden Forderungen zur Verabschiedung eines Kriegsheimstättengesetzes laut, die in den 1920er Jahren praktisch umgesetzt wurden.Footnote 11 Mit Hilfe staatlicher oder kommunaler Einrichtungen sollte heimkehrenden Soldaten Wohnraum („Kriegsheimstätten“) zur Verfügung gestellt werden. Die Vergabe von Grundstücken, die als Eigentum erworben werden konnten, verpflichtete zum Bau von Einfamilienhäusern mit Nutzgärten zur selbständigen Bewirtschaftung.Footnote 12 Bezüglich der Mentalität der westdeutschen Wohnungsbaupolitik der 1950er Jahre, die weitgehend den soziokulturellen Erwartungen der westdeutschen Bevölkerung entsprachFootnote 13, resümiert Petsch: „Die rassistische Begründung des alten Blut- und Bodenmythos wurde dabei aufgegeben und stattdessen die Rückkehr zum natürlichen Leben angestrebt.“Footnote 14 Unverkennbar zeigt sich daran, wie gut sich das nationalsozialistische Gedankengut in die vermeintlich entnazifizierte Nachkriegsgesellschaft einpassen ließ.
Der soziale Wohnungsbau war Themenschwerpunkt der Bauausstellung, die auch den Aufführungsanlass des Films darstellte (Abb. 2). Auf dem Ausstellungsgelände setzten Musterhäuser u. a. neue Maßstäbe zur Verbesserung der Wohnungssituation von Bergarbeitern und ihren Familien. Das kostengünstigste der zehn Musterhäuser mit einer Wohnfläche von 54,5 Quadratmetern wurde von der staatlichen französischen „Régie des Mines de la Sarre“ errichtet, die sich bereits 1948 für die Wohnungsbauförderung durch Vergabe von Baudarlehen an Bergarbeiter entschieden hatte und damit an das Wohnungsbauförderungssystem der früheren preußischen Bergverwaltung anknüpfte.Footnote 15
Im gleichen Zeitraum entstanden in den westlichen Besatzungszonen im Rahmen einer Medienkampagne für das „European Recovery Programm“ (ERP) Re-Orientation-Filme, in denen vereinzelt das Einfamilienhaus als Leitbild und Wirtschaftsmotor propagiert wurde. Obwohl es bei der US-Entwicklungshilfe durch den Marshallplan vorrangig um den Aufbau der Wirtschaft ging, während der Wohnungsbau Angelegenheit der Bundesrepublik sein sollte, stellte das Eigenheim eine entscheidende Schnittstelle dar, wurde als modernes Wohnideal und Wirtschaftsmotor beworben und nahm „keinen unwesentlichen Einfluss auf die Städte- und Wohnungsbaudebatte“Footnote 16 in der Nachkriegszeit. Wie Ein Land baut auf. Stein auf Stein eigneten sich die Marshallplan-Filme andere Formate an und griffen u. a. auf den Animations- und Trickfilm zurück.Footnote 17 Während die Filmpolitik der US-amerikanischen Besatzungsmacht inzwischen wissenschaftlich umfassend und detailliert bearbeitet wurde,Footnote 18 setzte die Aufarbeitung der Filmpolitik und Filmproduktion unter der französischen Besatzungsmacht, die für den Kontext des hier analysierten Kurzfilms relevant ist, erst wesentlich später ein. In ihrer Studie zur Filmpolitik im Rahmen französischer Kulturpolitik während der Besatzungszeit bemerkt Madeleine Bernstorff, dass „im Bezug auf den französischen Beitrag wenig Klarheit“Footnote 19 herrscht. Der französischen Filmpolitik lag, so die Autorin, anders als bei den weiteren alliierten Besatzungsmächten, kein programmatisches Schema zugrunde. Bernstorff erwähnt unter den französischen Maßnahmen die politische Säuberung der Kinobranche als dringendstes Anliegen der Section Cinéma der französischen Militärregierung. Diese konzentrierte sich auf den Verleih- und Abspielbereich, da kein Filmstudio in der Besatzungszone existiert hatte. Zu den Demokratisierungsmaßnahmen gehörte der Aufbau einer Kommission für die Auswahl französischer Filme in Deutschland, gegründet Ende 1946.Footnote 20 Hinzu kam der Aufbau eigener Filmstudios in Remagen mit Aufnahme des Betriebs im Frühjahr 1947. Die erste filmische Produktion der Besatzer*innen war die französische Wochenschau Actualités Françaises, die in der französischen Besatzungszone ab Herbst 1945 mit deutschen Untertiteln lief und deren Produktion die neu gegründete Filmgesellschaft „Blick in die Welt“ übernahm. Diese wurde allerdings bis zur Gründung des französisch-deutschen Filmstudios der Section Cinéma in Paris entwickelt, kopiert und gemischt.Footnote 21 Im Rahmen einer Analyse französischer Europawerbefilme nennt Thomas Tode drei profranzösische Filme, die im Untersuchungszeitraum des vorliegenden Kapitels im Saarland entstanden sind und direkt vom Hohen Kommissar Frankreichs im Saarland, Gilbert Grandval, in Auftrag gegeben wurden, darunter Sarre, Pleins Feux/Saarland Glück auf! (F/Saarland 1951/52, Henri Alekan/Henry Bonnière), Saarländer in Lourdes (F/Saarland 1947, Fred Braun, Georg Kern), Lourdes – Heiliges Wasser, Heilendes Wasser (F/D/Saarland 1948, Fred Braun, Georg Kern).Footnote 22 Für die Filmproduktionen, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit in der französischen Zone oft und erfolgreich im Einsatz waren, seien stellvertretend genannt Nachtigallenkäfig (F 1944, Jean Dréville) und Die Kinder des Olymp (F 1943/45, Marcel Carné). Unter den deutschen Produktionen waren Die Mörder sind unter uns (D 1946, Wolfgang Staudte) und In jenen Tagen (D 1946/47, Helmut Käutner).Footnote 23 Zu den alliierten Co-Produktionen, die allerdings weitgehend scheiterten, gehörte die französisch-amerikanische Zusammenarbeit Le Retour/The Reunion (F/USA 1944/46, Henri Cartier-Bresson). Bei der Bewertung der französischen Maßnahmen müssen die geringen ökonomischen Ressourcen der Besatzungsmacht einbezogen werden, so Madeleine Bernstorff: „Den nachhaltigsten und produktivsten Einfluss auf die kulturelle Landschaft der späteren Bundesrepublik dürfte die Unterstützung der Filmclubarbeit […] gehabt haben.“Footnote 24
Die ersten Städtebaufilme, die in der BRD ab 1950 entstanden und an Wiederaufbaufilme wie Ein Land baut auf. Stein auf Stein anschlossen, orientierten sich wiederum am Muster der Marshallplan-Filme. Dabei stand zunächst die Ordnung des Grund und Bodens thematisch im Vordergrund. Ein Land baut auf. Stein auf Stein müht sich als Produktion der frühen Nachkriegszeit beim Versuch, das Bild der Stadt zu erfassen, noch zwangsläufig am „Schicksal“ der architektonischen Oberfläche ab. Es scheint, als würden überall Zeichen von Gestaltung gesucht. Als filmisches Plädoyer für die rasche Wiederherstellung der Stadt bemüht sich diese Produktion um die Wiederherstellung der wechselseitigen Beziehung zwischen Gebäuden und Betrachter*innen und integriert nach Möglichkeit vertraute Stadtsilhouetten. Gleichzeitig scheint die inszenierte, mechanische Reanimation der „toten Stadt“ aber auch die Frage aufzuwerfen, ob die Stadt nach der massiven Zerstörung noch vitale Lebensräume bieten kann. Im Korpus der nachfolgenden Städtebaufilme wird dann ein drastischer und extrem ausformulierter Antiurbanismus zutage treten.Footnote 25 In der Nachkriegszeit begriffen Planer*innen europaweit die Zerstörungen als einmalige Chance, Städte nach modernen Erfordernissen zu entwerfen.Footnote 26 In den Städtebaufilmen der 1950er Jahre ist Wohnen in der Stadt sehr negativ besetzt, während „Citybildung“ und damit Geschäfts- und Verkehrspolitik positiv konnotiert sind. Daraus resultiert die Umstrukturierung der Städte über die Verlagerung des Wohnens aus der Stadt und die Platzierung von Geschäften und Autos in die Stadt hinein. Anders als die Filme der 1920er Jahre behandeln die Filme der 1950er die urbane Frage nicht mehr als zu lösendes soziales Problem, sondern suchen die Ursache in der Lebensform Großstadt an sich.Footnote 27 In der Argumentation der damaligen Städtebaufilme zeigen sich Parallelen zum bundesdeutschen Heimatfilm: Beide vermitteln die idealisierte Vorstellung einer am Rand der Stadt reformierten Natur. Im Städtebaufilm bleibt das Leitmotto und die Lösung für städtebauliche Fragen in der Regel „Licht, Luft, Sonne“. Bereits seit Entstehen der ersten Industriestädte im 19. Jahrhundert war Großstadtfeindlichkeit in der Moderne latent immer vorhanden. Programmatische Beispiele sind Filippo Tommaso Marinettis „Manifest des Futurismus“ mit dem Aufruf: „Ergreift die Spitzhacken, die Äxte und Hämmer und reißt nieder, reißt ohne Erbarmen die ehrwürdigen Städte nieder!“Footnote 28 oder die Zeichnungen des Architekten Bruno Paul. Innerhalb der Stadtplanung des 20. Jahrhunderts stellten alle gleichzeitig existierenden gegenläufigen Tendenzen die Frage, ob die Natur in die Stadt gebracht werden soll oder umgekehrt. Bereits im 19. Jahrhundert existierten Heimatschutz-Bewegungen mit Rückbesinnung auf die Architektur um 1800. Nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg, zur sogenannten „Stunde Null“, sondern bereits unter dem Eindruck der Bombardierungen stellte sich das Thema erneut. In Deutschland und Großbritannien wurden während des Zweiten Weltkriegs bereits detaillierte Planungen ausgearbeitet, wie eine Stadt luftschutzgerecht gebaut werden muss, um bei einem weiteren Krieg großflächige Zerstörungen, wie z. B. in Hamburg zu vermeiden.
Auf die Gründe für die Verschärfung des Antiurbanismus kann an dieser Stelle nicht genauer eingegangen werden, allerdings sei noch kurz auf die bundesdeutsche philosophische Diskussion bei José Ortega y Gasset oder Arnold Gehlen verwiesen. Mit deren Massen- und Einsamkeitsmotiv kommt die anthropologische Argumentationsfigur auf, dass „Einsamkeit“ und ein „Zu-sich-Finden“ nur in der Natur möglich sei.Footnote 29
Filmhandlung Ein Land baut auf. Stein auf Stein
Die fiktive Rahmenhandlung von Ein Land baut auf. Stein auf Stein, die sich durch eine Abfolge kleiner Szenen und Begegnungen auszeichnet, kreist um einen Soldaten, der nach dem Zweiten Weltkrieg aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft in das zerstörte Saarland heimkehrt. Nach Ankunft in der Stadt Saarbrücken findet er Frau und Kind unversehrt auf und wird herzlich empfangen. So kümmert sich gleich nach seiner Ankunft der kleine Sohn um das Fahrrad des Vaters. Die Kleinfamilie findet wieder problemlos zusammen und richtet sich trotz räumlicher Enge eines Behelfsheimes mit einem eigenen Stück Garten für die Selbstversorgung im Alltag ein, wo sie ihr privates Glück findet. Kinder, Dynamik und Harmonie vermitteln eine positive Grundstimmung. Dass es bergauf geht, veranschaulichen im Film auch zahlreiche positiv nach oben führende Kameraschwenks. Im mittleren Teil rücken Arbeit und die Vater-Sohn-Beziehung in den Fokus der Handlung. Hier tauchen der Protagonist und sein Sohn in den Bildern immer wieder kurz auf. Für die Wiedergewinnung einer Perspektive sind nicht nur Heilung und Reintegration durch die Fürsorge der Familie zentral, sondern auch die Aufbauarbeit hat therapeutischen Wert. Seine Arbeit als Maurer gibt dem Protagonisten Struktur und ist positiv besetzt, so dass er privat und gesellschaftlich zur Stütze der Wiederaufbaugesellschaft werden kann.
Die fiktionale Rahmenhandlung korrespondiert mit den „Zeitfilmen“ der frühen Nachkriegszeit, die am Übergang zu den 1950er Jahren wieder aus den Kinos verschwanden. Hier taucht der Kriegsheimkehrer ebenfalls als zeittypische Figur auf, und körperliche und damit rechtschaffene Arbeit erweist sich als Schlüssel zur Therapie des KriegstraumasFootnote 30 wie beispielsweise in Irgendwo in Berlin (1946) oder …und über uns der Himmel (1947). Hingegen sind Heimkehr und materieller Wohlstand in Die Mörder sind unter uns mit menschlichem Ruin verbunden. In der Schlusssequenz der Rahmenhandlung des Kurzfilms Stein auf Stein. Ein Land baut auf erweitert der Heimkehrer die provisorische Unterkunft der Wohnlaube mit Gartenland und deutet mit dem Maueranschluss auf das dauerhafte Fortbestehen der architektonischen Zwischenlösung hin. Die fiktive Fallgeschichte soll die Zuschauer*innen zum Anpacken und zur Eigeninitiative – jedoch nicht hinsichtlich der eigenen Verarbeitung der jüngsten Vergangenheit – animieren und wirbt en passant mit Architektur für bessere Lebensverhältnisse, wobei das Ländliche als Erziehungsideal dient. Spielende Kinder in Trümmerresten sowie das von der Kleinfamilie bewohnte Provisorium demonstrieren, dass der Alltag bereits Einzug in die Nachkriegslandschaft gehalten hat. Diese Bilder und Muster sind für den Wiederaufbaufilm typisch und finden sich in der sechsteiligen Wiederaufbau-Serie Sieh dich um…Hessen baut auf! von 1950 oder in Wiederaufbaufilmen, wie Hamburg glaubt an seine Zukunft (D 1949, Rudolf Werner Kipp), Zwei Städte (D 1949/50, Stuart Schulberg) sowie Land im Wiederaufbau (D 1951, Alexander von Gontscharoff).Footnote 31
Inventarisierung
Der Zugang zur Stadt erfolgt über einen getauschten Raumzugang. Der vormalige Hintereingang des Hauptbahnhofs fungiert jetzt als Vorderausgang. Der Mittelteil des Films zeigt ein Mosaik der landesweiten Trümmerbeseitigung und des Wiederaufbaus. Dabei werden dokumentarische Aufnahmen aus verschiedenen Städten und dem Umland „subtil“ durchmischt, sowie Zentrum und Peripherie miteinander verwoben. Wie bei den Zeitfilmen fließt über den Dreh an Originalschauplätzen die Realität quasi dokumentarisch mit in den Kurzfilm ein. Dabei listet der Film noch existierende Gebäude schematisch auf und dokumentiert sie zum Teil in statischen Einzelaufnahmen, die keinen Bezug zum Baukörper oder der städtischen Umgebung erkennen lassen. Mit einem vertikalen Schwenk ertastet die Kamera in einer gleichförmigen Bewegung vom Erdgeschoss bis zum Dach die Oberfläche der Gründerzeitfassade des Hotel Excelsior mit markanten halbrunden Eckbalkonen. Zu sehen sind auch Bauten aus der Zeit des Nationalsozialismus, die wie die Ruinenlandschaft zu Beginn des Films nicht problematisiert werden. Eine Panoramaeinstellung versucht, die Stadt als überschaubaren Raum zu erfassen und die alte Stadtsilhouette zu rekonstruieren. Über Dächer blicken wir auf Johanneskirche und Rathausturm als den alten Landmarken. Immer wieder werden kurze Blicke auf die historischen Wahrzeichen wie Ludwigskirche (06:39), Teile des Rathauses und Rathausturm (07:38) oder die Basilika St. Johann (07:50) eingebaut.
In den temporeichen Szenen des Films repräsentieren Autoverkehr und kurze Einblendungen einiger weniger Geschäfte der Bahnhofstraße das geschäftige Saarbrücken, wie das Kaufhaus Sinn, dessen Schriftzug im Bild prominent erscheint und das noch eines der wenigen bestehenden Gebäude in der Bahnhofstraße war (07:51). Etwas später wird erneut ein Gebäude der Gebrüder Sinn eingeblendet, das in der Stadt Neunkirchen stand (13:31). Daran schließt eine Folge von repräsentativen Bauten und Kulturbauten in der Innenstadt an mit dem Gebäude des Landtags, dem heutigen Staatstheater - damals das Städtische Theater - dem Gebäude der alten Post (14:02) sowie dem Kreisständehaus. Anschließend befinden wir uns außerhalb der Stadt mit Bildern eines zerstörten Brückenkopfes am Ufer der Saar.
Gegen Ende konzentriert sich der Film auf Sakralbauten als den alten Wahrzeichen, die in Reihung hintereinander und hier als Außenmotiv gezeigt werden, da nur noch Mauerreste der Kirchenschiffe existierten und keine geschlossene Raumsituation mehr vorhanden war. Mit einem Dreiklang von Kirchen – Friedenskirche (15:27), Ludwigskirche mit Trümmern (15:40) und der Kirche St. Josef mit Nothaube – sowie einem Blick auf die markanten Innensäulen der Kirche endet die Sequenz, auf die das Abschlussbild des Films folgt. Musikalisch wird die Abfolge mit einem Zitat von Giovanni Battista Pergolesis „Stabat Mater“ (1736) untermalt.Footnote 32
Es ist so, als wolle sich Stein auf Stein hier an die Reihe von populären Trümmerbildbänden mit religiöser Dimension anschließen, wie Hermann Claasens (1899–1987) Gesang aus dem Feuerofen von 1947, der mit den überwiegenden Trümmermotiven von Kölner Kirchen die Kriegszerstörung der Stadt in eine katholisch-rheinische Perspektive rückt, sie als Gottesgericht interpretiert und zur Rückbesinnung auf christliche Tugenden mahnt.Footnote 33 In der Mitte des Buches positioniert Claasen auf einer Doppelseite die Aufnahme der Fronleichnamsprozession vom 31. Mai 1945 in den Trümmern Kölns, die sich aus zwei Fotografien zusammensetzt und den mittleren Bereich mit Häusern bzw. Ruinen und den Prozessionsteilnehmer*innen verdoppelt. Die Fronleichnamsprozession scheint sich endlos durch die Trümmerwüste fortzubewegen. Auch Stein auf Stein macht hier einen Vorstoß in Richtung einer „christlich-katholischen-renovatio“, zumal Johannes Hoffmann, der erste Ministerpräsident des Saarlandes, einen christlich-sozialen „Modellstaat“ an der Saar etablieren wollte.Footnote 34 Zur katholisch orientierten Politik an der Saar nach 1946, schreibt der Historiker Heinrich Küppers, keine weitere westdeutsche Nachkriegsverfassung sei im Schulwesen oder Familien- und Eherecht so deutlich vom Katholizismus geprägt.Footnote 35 Mit den Aufnahmen im Kurzfilm Stein auf Stein, auf denen wir die Arbeit verschiedener Handwerkergruppen oder Bauarbeiter sehen, die unter anderem an Kirchtürmen arbeiten, geht es aber auch um den Kollektivgedanken, der sich mit dem Aufbau der Kirchen zeigen lässt. Kurz vor Ende des Films tritt also explizit eine religiöse Dimension zutage.
„Mechanische Reanimation“ der Stadt
Von einem Trauer- oder KlagegestusFootnote 36 der Trümmerbilder ist keine Spur, stattdessen wird ein „Aktionsraum“ inszeniert, in dem alles in Bewegung ist. Zu den Aufnahmen der effizienten Trümmerräumung und rationalen Verteilung gehören das Verladen und der Abtransport von Trümmerschutt mit einer Trümmerbahn und mit Loren der Bergwerke im Bereich des Rathauses (06:19) oder die scheinbar mühelose Trümmerbeseitigung durch Haussprengungen.Footnote 37 Der Wirbel von Bewegungen wird wiederum vom Verkehr der Straßenbahn und von Autos fortgeschrieben. Es folgen „Bauszenen“ mit Instandsetzungsarbeiten und Reparaturen von Gebäuden, Straßen oder Brücken, darunter Bilder von effizient arbeitenden Maschinen, die den Untergrund für die Errichtung neuer Gebäude vorbereiten, einer Baggerschaufel, die Sand hebt, Betonmischern auf Baustellen, Baugerüsten, auf denen gearbeitet und aufgebaut wird, ergänzt um Aufnahmen handwerklich aktiver Männer u. a. beim Schaufeln oder bei der Steinverarbeitung. Unterschiedliche Kameraeinstellungen und der rasche Wechsel der Bilder machen die Szenen sehr lebendig und wecken die Neugierde der Betrachter*innen. Die mechanische Verlebendigung der Stadt ist in vollem Gang, dabei sind die einzelnen Arbeitstakte genau aufeinander abgestimmt und vermischen sich mit Szenen der industriellen Fertigung von Baumaterialien, so dass Stadt und Fabrik förmlich ineinander übergehen. In Naheinstellung sehen wir die Handbewegungen von Arbeiterinnen bei der Fertigung von Backsteinen, die Anfertigung von Dachziegeln und Hohlblocksteinen sowie die Arbeit in einem großen Sägewerk.Footnote 38 Miteinbezogen werden Szenen der Stahl- und Kohleindustrie mit Bildern einer Walzenstraße der Völklinger Hütte, von Hängeloren zu den Werken, den Halden Hermann und Dorothea, Aufnahmen von einem Schlackenabstrich und einem Strang im Walzwerk sowie der modernen Koksanlage in Landsweiler-Reden. Hinzu kommt die direkte Werbung für das Baugewerbe, dem eine Schlüsselrolle bei der Arbeitsbeschaffung zukam. Der Protagonist begibt sich im Film mit weiteren Arbeitssuchenden zum Arbeitsamt, das als öffentliche Institution eingeblendet wird. Am Beethovenplatz findet der Protagonist Arbeit als Maurer bei einer Baufirma, die in einem Provisorium untergebracht ist und deren Firmenschild von der Kamera erfasst wird. (08:38).
Zukünftige Stadt und utopische Momente
Mit statischen Medien wie einem städtebaulichen Modell (Abb. 3) versucht der Film, zwischen Architektur und Raum zu vermitteln. Die kurze Einblendung nach der Sequenz der Industriefertigung suggeriert den Wohnungsbau als Erweiterung der Fabrik bzw. als Fortführung des industriellen Produktionsprozesses.
Mit dem städtebaulichen Modell zeichnet sich, wenn auch nur sehr flüchtig, eine Perspektive des zukünftigen Städtebaus ab und deutet sich das Selbstbild der zukünftigen Stadt an. Bei dem gezeigten Modell handelt es sich aber nicht um eine Planung für Saarbrücken, sondern um den Generalbebauungsplan, der von der französischen Militärregierung zum Wiederaufbau der Stadt Saarlouis entwickelt wurde (1946). Als ursprünglich französische Gründung von Ludwig XIV. und Planung des französischen Festungsplaners Sébastien le Prêtre de Vauban, hatte Gilbert Grandval als Hoher Kommissar Frankreichs besonderes Interesse an der Stadt.Footnote 39 Der Pariser Architekt und Urbanist Edouard Menkès (1903–1976) erarbeitete den „Plan directeur du Grand-Sarrelouis“ von 1946 für den Wiederaufbau zerstörter Stadtteile sowie die umfassende Neuordnung des Gesamtraums von Saarlouis und Umgebung, die zu „einem zusammenhängenden Organismus“Footnote 40 verschmelzen sollten.Footnote 41 Menkès plante Saarlouis nach Maßstäben des funktionalistischen Urbanismus mit Zonierungen für Wohnraum, die mit Hochhaussiedlungen bebaut werden sollten. Unter anderem war eine Wohnstadt mit Hochhäusern für bis zu 20.000 Menschen vorgesehen, ergänzt um Industrie, Handel und Handwerk, Grünanlagen zur Erholung sowie um eine Verwaltungszone und ein Kulturzentrum in der historischen Altstadt.Footnote 42
In dem kurzen Filmschnipsel weist eine Hand in ordnendem und zeigendem Gestus auf eine großflächige Wohnbebauung mit mehrgeschossigen Wohnzeilen, die den damaligen Forderungen nach „Licht, Luft und Sonne“ entspricht (Abb. 4).
Der Film unterbricht das vordergründige Narrativ mit der Reintegration des Heimkehrers durch die Rekonstitution der Kleinfamilie im Dienste des Wiederaufbaus. Damit unternimmt der Film hier einen Exkurs in die architekturtheoretischen Debatten der Zeit und markiert einen wichtigen Teildiskurs in der Dokumentation, bei dem es um konkurrierende Vorstellungen vom Bauen in der unmittelbaren Nachkriegszeit geht.
Nach dem Ende der Verwaltung des Saarlandes durch die französische Militärbehörde und dem Übergang in ein Hochkommissariat verringerte sich Ende 1947 Menkès Einfluss, dessen Planung auch auf Widerstand bei der lokalen Bevölkerung stieß. Hinzu kamen fehlende finanzielle Mittel, so dass sich die Pläne zu diesem Zeitpunkt zerschlugen.Footnote 43 Im Jahr 1948 wurde ein Wiederaufbau-Wettbewerb ausgelobt, bei dem sechs gleichrangig qualifizierte saarländische Preisträger, als Architektengemeinschaft „Bauhütte“ nominiert waren und einen finalen Entwurf erstellten, der den Wiederaufbau auf dem weitgehend überkommenen Grundriss vorsah.Footnote 44
Der Film arbeitet mit einer Geste der utopischen Überschreibung, die zeigt, dass die Zukunft gebaut werden kann. Obwohl der Entstehungszeitraum des Kurzfilms Stein auf Stein nicht genau eingegrenzt werden kann, liegt die Vermutung nah, dass Menkès Planung für Saarlouis zu diesem Zeitpunkt und spätestens zur Uraufführung obsolet war.
Diese Zwischenform der Nachkriegszeit knüpft hinsichtlich ihrer utopischen Ausrichtung und dem filmischen Einsatz des Stadtbaumodells an den städtebaulichen Pionierfilm Die Stadt von morgen. Ein Film vom StädtebauFootnote 45 (D 1929/30, Maximilian von Goldbeck, Erich Kotzer) an, der ebenfalls mit verschiedenen Medienformaten wie Stadtmodellen arbeitet und dessen Titel bereits impliziert, dass es um die Zukunft der Stadt geht. Während das darin beworbene Neue Bauen zum Zeitpunkt der Entstehung bereits historisch geworden war, wurde Die Stadt von morgen. Ein Film vom Städtebau nach dem Zweiten Weltkrieg als Modellfilm wiederentdeckt.Footnote 46 Mit Maximilian von Goldbeck und Erich Kotzer beteiligten sich zwei städtische Akteure als Regisseure des Films, der im Auftrag des preußischen Wohlfahrtsministeriums entstand.Footnote 47 Ersterer war Städtischer Baurat, der andere Regierungsbaumeister a.D., beide kooperierten mit Svend Noldan, der sich auf grafische Trickzeichnungen spezialisiert hatte und ab 1933 an NS-Propaganda-Filmen mitwirkte.Footnote 48 Im ersten Teil des Films mit Klavierbegleitung belegen dokumentarische Aufnahmen und Fotografien die Auswirkungen und Gefahren ungeplanten Stadtwachstums, aus dem funktional durchmischte Stadtviertel resultieren. Der zweite Teil spielt mit Hilfe von Trickaufnahmen die idealtypische Planung einer neuen ‚fiktiven Landstadt‘ durch, bei der es sich um ein ‚organisches Stadtgebilde‘ handelt, das sich nur durch eine Planung realisieren lässt, die über Einzelinteressen hinausgeht. Dabei kommen wechselnde Medien wie Grafiken, Statistiken und städtebauliche Modelle zum Einsatz, während die Kameraarbeit konventionell geprägt ist und auf extreme Perspektiven oder markante Wechsel der Blickrichtung verzichtet.Footnote 49 Im Jahr 1930 veröffentlichen Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau ein Plädoyer der Filmregisseure für die Verwendung des Films zu städtebaulichen Zwecken. Der Film ermögliche Lernerfahrungen und verspreche „Optimierungsleistungen“Footnote 50 für die Entwicklung und Beurteilung von Architektur und Wachstum der Stadt: „Natürlich wäre es für den Wert der Aufklärung am besten, wenn jede Stadt hier ihren städtebaulichen Sonderfilm hätte. Schon die Darstellung des historischen Werdens einer Stadt in der Technik des Zeichentrickfilms vom ersten Urbeginn an bis auf den heutigen Zustand würde überraschende Erkenntnisfehler und Aussicht auf Besserungsmöglichkeiten vermitteln.“Footnote 51 Weitere Beispiele für das neue Medienformat des Städtebaufilms in den 1920er Jahren sind die Werbefilme für das „Neue Bauen“, die im Rahmen der „Medienoffensive“ des Neuen Frankfurt entstanden.Footnote 52 Während das Gros dieser Filme mit konventionellen filmischen Mitteln arbeitet, hebt sich Hans Richters Kurzfilm Die neue Wohnung (1930) davon ab. Richter setzt filmische Techniken ein, um die Beschleunigung von Bewegungen von Körpern oder Objekten darzustellen oder einzelne architektonische Elemente bewegen sich von selbst bzw. werden von der Architektur bewegt.
Aber auch die Nationalsozialist*innen, die die Ästhetik der Avantgarde übernahmen, führten die filmische Form zur technischen Perfektion, wie beispielsweise mit dem faschistischen Propagandafilm Das Wort aus Stein. Ein Film von den Bauten des Führers (1939), der ausschließlich mit Architekturmodellen arbeitet.Footnote 53 Dieser Film wurde von der Parteiführung der NSDAP bei der UFA (Universum-Film AG) in Auftrag gegeben und entstand unter der Regie von Kurt Rupli.Footnote 54 Mit hohem technischem Aufwand, wie dem Einsatz spezieller Tricktechnik, versuchen die Filmemacher, möglichst realitätsnahe Situationen zu simulieren und Architektur „haptisch“ erfahrbar zu machen. Durch Überblendungen werden die präzise und detailliert ausgearbeiteten, großmaßstäblichen Modelle in reale städtebauliche Situationen hineinprojiziert und alte Bausubstanz durch tricktechnische Manipulation scheinbar mühelos entfernt.Footnote 55 Mit Hilfe einer eigens für den Kurzfilm angefertigten Spiegelreflexvorrichtung konnte die Perspektive eines Fußgängers simuliert werden. Kamerafahrten entlang der Fassaden wurden durch die Installation der Kamera auf Miniaturtrickwagen ermöglicht.Footnote 56 Die Beleuchtung war technisch so ausdifferenziert, dass die Architekturkulissen in Nachtaufnahmen effektvoll inszeniert werden konnten.Footnote 57
Anknüpfen an die Avantgarde mit Eisenbahn und Stadtsinfonie
Über das Motiv des Zuges knüpft der Film Stein auf Stein an das Kino der Vorkriegsavantgarde und den sinfonischen Stadtfilm an.Footnote 58 Die Zugfahrt dient der Annäherung an die Großstadt von Außen. In einer kurzen Einstellung beobachten wir aus extremer Untersicht, wie der Zug sich im Bild bewegt und eine schmale Brücke passiert, die das Bildfeld diagonal kreuzt. An die dynamische Einstellung im Stil der Filmavantgarde schließt eine Parallelfahrt des Zuges an, bei der die Sicht mit dem projizierten Blick durch das Abteilfenster eines Waggons geprägt ist durch die am Betrachter und an der Betrachterin sowie der Kamera vorbeiziehende bewegte Landschaft, die die Kadrierung durchquert, während die Wahrnehmung durch die Geschwindigkeit des Zuges gesteuert wird. Durch die Rahmung mit Hilfe des Fensters entsteht ganz von selbst eine zweite Kadrierung im filmischen Bild, das im Vordergrund nochmals beidseitig von zwei Männern eingefasst wird. Bei weitgehend gleichbleibend distanzierter Kamera verläuft die Fahrt streckenweise parallel zum Fluss. Auf kriegszerstörte kleinteilige Bebauung in ländlicher Umgebung folgen ganze Häuserzüge städtischer Vororte, die mit ihren annähernd gleichen Gebäudeformen und sich multiplizierenden Oberflächen in ihrer repetitiven Gestalt erfasst werden und in die Abstraktion gleiten, bis der Zug schließlich am Zielbahnhof ankommt. Weitere „Zwischenbilder“ variieren in der Wiederholung von Zugein- und Durchfahrten. Dabei produziert die Kamera zum Teil Standbilder oder es erfolgen Kameraschwenks, während der Zug auf die Zuschauer*innen zufährt. Stromleitungsmaste und Schienenstränge bieten Anknüpfungspunkte in der zerschnittenen Landschaft.Footnote 59
In einer weiteren Bildvariante kommt es zu einem abrupten Einstellungswechsel von der Kamera- zur Objektbewegung, wodurch sich das gesamte Raumsystem verändert und es zu einer Inversion von Innen und Außen kommt. Die Innenansicht durch das Zugfenster wechselt zur Außenansicht auf den Zug, der einem Filmstreifen ähnelt und weiter entfernt in die kriegsbeschädigten Häuserzüge hineinschneidet, dort kurz verschwindet oder sich darin entfaltet und wieder sichtbar wird (Abb. 5). Das Auge versucht, zwei oder sogar drei parallele Darstellungsebenen gleichzeitig wahrzunehmen.
Nach dem Muster der Stadtsinfonie, die sich mit ihren seriellen Qualitäten auf jede beliebige Stadt übertragen lässt, entstand ab Mitte der 1920er Jahre europa- und weltweit von New York bis Tokio eine ganze Welle von Großstadtfilmen. Die integrierte Bahnfahrt, die sich bei Walter Ruttmanns Berlin. Die Sinfonie der Großstadt (1927) ähnlich gestaltet, stand für einen „Archetyp der Stadtbetrachtung“Footnote 60, der unablässig neue Eindrücke hervorbringt und immer neue Gestalt annehmen kann.Footnote 61 Mit einem Filmbild zitiert die Nachkriegsminiatur deutlich Ruttmanns Berlin. Die Sinfonie der Großstadt. Das Bild der Kupplungsstelle zweier Zugwaggons mit Seitenpuffer, in diagonal komponierter Aufsicht und mit bewegtem Hinter- bzw. Untergrund gefilmt, stellt einen von mehreren selbstreflexiven Verweisen auf den Film dar.
Um zu veranschaulichen, was Steinerts Fotografietechnik auslöst, ist eine ausführliche Erklärung eines weiteren Zitates von Ruttmanns Berlin. Die Sinfonie der Großstadt notwendig. In der ersten Minute nähert sich in Ruttmanns Film ein Schnellzug der Großstadt Berlin bis zur Einfahrt am frühen Morgen in den Anhalter Bahnhof. Nach sehr kurzen Landschaftseindrücken einer flachen Ebene rasen im Stakkato neben einem Bahndamm immer höher werdende Architekturen vorbei. Auf Gartenlauben folgen Wohnhäuser und Fabriken, städtische Vororte und anschließend Häuserreihen im Stadtzentrum, unterbrochen von Signalanlagen, Schienen oder rotierenden Eisenbahnrädern, zum Teil in Nahaufnahme gefilmt. Die Diagonale ist bevorzugtes Kompositionselement, so dass die Sogwirkung der Wahrnehmung durch das hohe dramatische Tempo ergänzt wird, sich immer weiter steigert und mittels schnell hintereinander geschnittenen Bildern kommentiert wird. Durch die Steigerung der Bewegung kommt es zum Distanz- und Kontrollverlust bei den Rezipient*innen und zur Auflösung und Abstraktion des Räumlichen. Helmut Weihsmann spricht von der „Raumsprengung“Footnote 62 im Weimarer Kino.
Bei der Zugfahrt von Stein auf Stein geht es weniger um die Faszination für Tempo und Beschleunigung und die gesteigerte Komplexität der Wahrnehmung. Das Tempo ist eher gedrosselt, der Zug bewegt sich in gleichmäßigem Tempo und distanzierter Fahrt voran, was den reisenden Kriegsheimkehrer in die Rolle eines Touristen und visuellen Konsumenten versetzt. Der Filmwissenschaftler Bernhard Groß identifiziert in seiner Analyse des deutschen Nachkriegsfilms von 1945 bis 1950, die neben dem Trümmerfilm auch das Genrekino und den Dokumentarfilm einbezieht, diese Art Wahrnehmung als zentralen Erfahrungsmodus. Mit den Filmfiguren, die ihre Umgebung nicht wiedererkennen oder verstehen und die sie nur mehr paralysiert beobachten können, so Groß, konfiguriere sich eine „subjektlose Subjektivität“.Footnote 63
Mit Steinerts Namen ist die „subjektive fotografie“ verbunden, als deren „Begründer“Footnote 64 er in die Fotografiegeschichte eingegangen ist. Der Begriff „subjektive fotografie“ und die damit implizierte Kategorie des Subjektiven bzw. Steinerts Verständnis von Subjektivierung ist vieldeutig. In einem Bildband von 1952 beschreibt er sein Konzept folgendermaßen: „‚subjektive fotografie‘ wird von uns somit als Rahmenbegriff verstanden, der alle Bereiche persönlichen Fotogestaltens vom ungegenständlichen Fotogramm bis zur psychologisch vertieften und bildmäßig geformten Reportage umfaßt.“Footnote 65 Auch wenn er die Fotoreportage aufzählt, geht es ihm mit der „subjektiven fotografie“ nicht um Sozialreportage und humanistisches Engagement.Footnote 66 Steinert bezieht die Kategorie des „Subjektiven“ auf den Fotografen. Die „subjektive fotografie“ war „vermenschlichte, individualisierte“ und „künstlerische“Footnote 67 Fotografie. Die Autor*innenschaft der Künstlerin oder des Künstlers, die oder der durch die Gestaltung eingreift, sollte im Bild klar hervortreten und die medienspezifischen Gestaltungsmittel der Fotografie sollten eingesetzt werden. Einen humanistischen Anspruch an die Fotografie vertrat in derselben Zeit Edward Steichen mit der Wanderausstellung „The Family of Man“ (Museum of Modern Art, New York 1955), die von ihm organisiert wurde und die ein Manifest für die Gemeinsamkeit und Verbundenheit aller Menschen sein sollte. Allerdings war Steichen dabei nicht auf der Suche nach „künstlerisch ambitionierter Fotografie“.Footnote 68
Anders als bei der Fotoreportage, die die Rezipient*innen lenken möchte, will die „subjektive fotografie“ ihnen mehrere Interpretationsmöglichkeiten offen lassen und versteht sich als Kunst. Die „subjektive fotografie“ sieht sich per se als Kunstrichtung, die mit unterschiedlichen Methoden der Technik und mit dem fotochemischen Experiment arbeitet sowie mit Formenspiel und Unschärfen – und so die Welt durch Fotografie konstruiert. Dadurch ist das Ergebnis interpretierfähig, wodurch ein weiterer Aspekt hinzukommt, sozusagen der Rückzug Steinerts – als „subjektivem Fotografen“ – in sich selbst. Neben dem Bezug auf das Neue Sehen ist die Bezugnahme auf den Surrealismus und Man Ray (1890–1976) entscheidend. Man Ray, dem es bei seiner inszenierten Fotografie um das ging, was unter der Wirklichkeit liegt, hielt sich 1952 nicht nur persönlich in der Stadt Saarbrücken auf, sondern war von 1951 bis 1954 an mehreren Ausstellungen vor Ort beteiligt.Footnote 69
Steinerts professionelle Karriere als Fotograf begann erst nach dem Zweiten Weltkrieg, ist den zeitgeschichtlichen Umständen „geschuldet“ und mit seiner NS-Vergangenheit verwoben. Der gebürtige Saarbrücker wechselte nach dem Zweiten Weltkrieg vom Arztberuf zur Fotografie, mit der er sich seit 1929 als Autodidakt und Amateur beschäftigt hatte.Footnote 70 Während seines Medizinstudiums von 1934 bis 1939 trat Steinert im Alter von 21 Jahren der NSDAP bei. Ab Herbst 1939 war er bei der Wehrmacht als Assistenzarzt tätig. Er nahm am Westfeldzug zuerst als Hilfsarzt, dann als Zugführer in einer Sanitätskompanie und als Adjutant des Divisionsarztes teil, anschließend war er im Russlandfeldzug im Einsatz.Footnote 71 Ab 1942 war er Stabsarzt bei der Heeresgruppe Mitte und ab 1943 als Referent dem Generalstab des Heeres Berlin zugeordnet und u. a. für die Ausbildung von Sanitätsoffizieren zuständig. Außerdem arbeitete er ab 1944 an Forschungsprojekten am Pharmakologischen Institut der ehemaligen Friedrich-Wilhelms-Universität (der heutigen Humboldt-Universität) in Berlin.Footnote 72 Nach Kriegsende bewarb Steinert sich 1946 von Kiel aus, wo er Assistenzarzt an der Universitätsklinik und Geschäftsführer des Studierendenwerks war, in einem Saarbrücker Krankenhaus. Um die Stelle als Arzt anzutreten, fehlte ihm ein Epurationsbescheid, den er ein Jahr später von der Verwaltungskommission des Saarlandes erhielt, als die Stelle bereits vergeben war.Footnote 73 Im Jahr 1948 wurde Steinert Leiter der neu gegründeten Fotoklasse der „Staatlichen Saarländischen Schule für Kunst und Handwerk“, deren Programmatik von der Bauhauslehre beeinflusst war. Ein Jahr später, 1949, kam es zum Zusammenschluss der Künstlergruppe „fotoform“ mit den Fotografen Toni Schneiders, Peter Keetman und Heinz Hajek-Halke sowie weiteren, die 1950 auf der ersten „photokina“ in Köln ihren Durchbruch hatte. Ein Jahr später initiierte Steinert von Saarbrücken aus die Ausstellungsreihe „subjektive fotografie“.Footnote 74
Die Einblendung der Ruinen in Ein Land baut auf. Stein auf Stein wirkt nicht beunruhigend und kurzlebig. Da der Zug in Bewegung ist und die kurzen Ruinenpassagen mit weiteren Bahnhöfen als Architekturen des Transits kombiniert werden, wird ein Übergangszustand erzeugt und beiläufig die Information an die Zuschauer*innen vermittelt, dass die Stadt in Trümmern liegt. Im Dienst der Werbung für den Wiederaufbau will der Film die Ruinenlandschaft überwinden. Die Industrielandschaft mit den rauchenden Schloten scheint die Spannung im Film zu übernehmen und setzt das nervöse Rauchen der männlichen Akteure zu Beginn des Films fort. Innen und Außen stehen in Wechselwirkung zueinander. Über der Industrielandschaft, die durch die Zugfahrt mit der Ruinenlandschaft ein Kontinuum bildet, schreibt sich eine zweite Zerstörung ein. Die Zerstörung des Raums ist nicht allein Kriegsfolge, sondern auch Resultat der technischen Industrialisierung, die zu Raumzerfall und Einschnitten in der Natur führt.
In den Folgejahren, von 1949 bis 1955, wird die Industrielandschaft zum wiederkehrenden Motiv in Steinerts Fotoarbeiten. „Kraftwerk Bexbach“ von 1953 (Abb. 6) setzt das Industriemotiv als Negativabzug effektvoll in Szene. Die Kohleförderanlage mit rhythmisch gestaffelten Bauelementen entwickelt eine starke visuelle Sogwirkung in die Tiefe des Bildraums. Aus der Tonwertumkehrung resultiert ein extremer Kontrast des strahlenden Gebäudes zum schwarzen Himmel. Zusätzlich finden sich Formkontraste und -wiederholungen, wie im Bildvordergrund, wo die Raupenspuren des organischen Untergrunds das rhythmische Muster der Architektur des Kohleförderbandes aufgreifen, es durchkreuzen und einen starken Gegensatz zum Gebäude des Kraftwerkes bilden, dessen schmale Stirnseite mit Rasterstruktur in leichter Untersicht aufgenommen ist. Schon mit seiner ursprünglichen Bildinszenierung modifiziert Steinert sein Ausgangsmotiv. Der Aufnahmewinkel lässt die Stirnseite des Gebäudes optisch breiter wirken und weckt den Eindruck, es handele sich um die Längsfassade des Baus. Durch Steinerts künstlerische Gestaltung wird das Gebäude seiner technischen Funktion enthoben.
In den 2000er Jahren gibt es in der kunstwissenschaftlichen Literatur Ansätze, die Steinerts frühe Industrielandschaften in einen (umwelt)visionären Kontext einbetten. So kommentiert Ralph Melcher: „Übrigens würde Steinerts ‚Lothringische Landschaft‘ auch heute noch als Illustration umweltaktivistischer Texte taugen. […] Vor diesem Hintergrund und angesichts unseres heute anhand der alltäglich publizierten Bilder verschiedenster Umweltkatastrophen trainierten Gesichtssinns, erscheinen Steinerts Industriefotografien in nahezu prophetischem Licht.“Footnote 75 Auf die Bildaussage von „Kraftwerk Bexbach“ bezogen, kommentiert Melcher: „Steinert geht es hier sicher nicht um die Darstellung der Funktion eines Kraftwerks, sondern um ein assoziatives Potenzial, das psychologisch auf die Stimmung des Betrachters wirkt.“Footnote 76 Weiter kommentiert er, Landschaft und Gebäude seien lebensfeindlich: „Die technischen Anlagen sind ein Rätsel. Es verfestigt sich der Eindruck ihrer Gewalt und Bedrohlichkeit.“Footnote 77 Über die Kritik am Verhältnis des Menschen zur Technik, verarbeite Steinert mit der künstlerischen Bearbeitung des Industriemotivs seine Kriegserlebnisse.Footnote 78
Im Zuge dessen ist eine andere Interpretation möglich. Auf der Abbildung des im Jahr der Aufnahme neu errichteten Gebäudes fehlen die Schornsteine. Ob dies durch Retusche entstanden ist, kann nicht abschließend geklärt werden, dennoch liegt die Vermutung nahe, dass Steinert mit seinem gestalterischen Eingriff seine NS-Vergangenheit verdeckt und den konkreten Verweis auf die Massenvernichtung im Nationalsozialismus vermeidet. Die vermeintliche Technikkritik Steinerts könnte eine ihn entlastende Funktion übernehmen. Jan Thorn-Prikker bezeichnet Steinerts „subjektive fotografie“ als „Ästhetik des totalen Geschichtsverlustes“ und den Fotografen aufgrund seiner nicht aufgearbeiteten Rolle im Dritten Reich als „Bilder-Verdränger“.Footnote 79
Bespielbare Oberflächen
Im Film wird alles zu einer Oberfläche, die wieder überspielt werden kann. Die Materie löst sich in Bild und Kommunikation auf. Die Fahrt ins Innere des Films beginnt bereits im Vorspann, in dem die Zugscheibe gestalterisch eingesetzt wird und als Display für die Opening Credits fungiert (Abb. 7). Diese wird zum Trägermedium der aufgeklebten schwarzen Großbuchstaben, die sich nomadisch durch den Raum bewegen, der selbst durchlässig geworden ist.
Zwischen dem Vorspann als dem Außen des Films und seinem Inneren, der folgenden Filmerzählung, gibt es keine strikte Trennung. Die Credits als materielle Hülle gehören zur abgebildeten Realität. Auch die leichten Hohlblocksteine, die als industriell gefertigte Produkte Leitmotiv des Films sind und eingesetzt wurden, um den Wiederaufbau preiswert und mit wenig Personaleinsatz durchzuführen, werden zur Werbefläche für den Vorspann. Der Untertitel ist in Großbuchstaben Wort für Wort auf die trägen, unbelebten Objekte aufgemalt, die in rhythmischer Wiederholung übereinandergeschichtet werden und eine gemauerte Anschlussstelle bilden (Abb. 8). Zugleich ergeben sie ein haptisch greifbares Oberflächenmuster, das in weiteren Schichten und Überlagerungen ins Bild eingearbeitet ist.
Die ersten beiden Filmbilder nutzen einen Himmelsausschnitt als Träger einer Wolkenschicht, die Bewegung und Flüchtigkeit verkörpert und als weiches Display für Logo und Haupttitel fungiert.Footnote 80 Die Überspielung vollzieht sich auch am menschlichen Körper. Zu Beginn des Films ist der Heimkehrer auf seinem Rücken deutlich als PW („Prisoner of War“) markiert und wird zur Leinwand (Abb. 9).
Im Film stellt er ein vielseitiges Instrument bzw. Medium dar. Er verschmilzt auf der Zugfahrt mit dem technischen System, lässt seine Wahrnehmung steuern und ist unbeteiligter Beobachter. Er ist Stellvertreter des Filmrezipienten oder der Filmrezipientin und soll als Bauarbeiter die Sympathien der Zuschauer*innen gewinnen. Die mediale Bespielbarkeit scheint die schnelle Anpassungsfähigkeit der Oberflächen und implizit des Menschen zu garantieren. Hinzu kommen konventionelle kommunikative Oberflächen, die die Kamera registriert, während sie die Umgebung mustert. Dazu gehören ein Eisstand mit Werbeschriftzug, eine Backpulverreklame, die die Kamera auf einer fahrenden Straßenbahn erfasst sowie die Beschriftung von Architektur als städtischem Emblem. Mit dem sich bereits im Wandel zum medialisierten Ort befindenden architektonischen Raum deutet sich ein dritter Raumverlust an. Als dessen Ausdruck können wir auch die Durchlässigkeit von fiktiver und dokumentarischer Filmform lesen.
Die Praktik des bewerbenden Zeigens geschieht im Film nicht nur über das Display bzw. die Oberfläche als verbindendem Element zwischen Zuschauer*innen und filmischen Objekten. Im Hauptteil des Films ziehen Vater und Sohn als staunende Passanten auf einem gemeinsamen Streifzug durch die Stadt. Dabei fordert der Vater den Sohn immer wieder gestikulierend dazu auf, seine Aufmerksamkeit richtig zu lenken und genau hinzuschauen. Auf symbolischer Ebene soll der Sohn den Blick des Vaters übernehmen und mit ihm auch die Zuschauer*innen den angekurbelten Fortschritt inspizieren. Primär geht es in der Entstehungszeit des Films zwar noch um das Erfüllen von reinen Grundbedürfnissen (Wohnen, Schlafen, Essen). In vielen Momenten geht der Film aber bereits darüber hinaus und entwickelt sich in andere Richtungen. Der Konsum darf wieder beginnen und mit ihm werden Dinge angestrebt, die mehr als nur Lebensnotwendigkeiten sind. Der Kapitalismus eignet sich den zweckentfremdeten Raum wieder bzw. neu an. So filmt die Kamera in einer kurzen Szene aus der Vogelperspektive das Innere eines Restaurants, das in Trümmerresten eingerichtet wurde und auch als Standfotografie mit leicht veränderter Perspektive in Steinerts fotografischem Œuvre existiert.
In einer kurzen Sequenz ereignen sich der Abriss und Kollaps mehrerer Wand- und Mauerreste in variierender Wiederholung. Der Umgang mit dem Abriss bekommt hier eine spielerische Note und weckt Assoziationen an Straßenwerbe-Stunts der Pionierzeit der filmischen Werbung, die in der Tradition des (Volks-)Streichs standen.Footnote 81 Die Filmwissenschaftlerin Jane Gaines, die die Entstehung des Promotionsdiskurses und der filmischen Werbung am Übergang von Volkskultur und Schaustellerei zu populärer Werbekultur untersucht, analysiert die erste überlieferte Werbemaßnahme des amerikanischen Schaustellers und Geschäftsmanns P. T. Barnum (1810–1891), eines Pioniers der Werbegeschichte. Barnum war bekannt für seine Reklame des „Bluffs“ und deren Aufmerksamkeitswirkung. Dabei scheute er auch nicht vor dem Gebrauch alternativer Fakten zurück.Footnote 82 Victor Klemperer spricht in seinem LTI-Notizbuch eines Philologen (erstmalig publiziert 1947), in dem er die nationalsozialistische Sprache einer kritischen Analyse unterzieht, bezüglich der Propaganda des Dritten Reichs von „Barnumiaden“Footnote 83 Barnum ließ den „Ziegelstein-Mann“Footnote 84, der ursprünglich als Arbeitsloser bei ihm um Geld gebettelt hatte und den Gaines als Beispiel nimmt für „selbst akkumulierende[s] Kapital, das immer mehr Kapital schafft und schließlich ohne Arbeit auskommt“Footnote 85, fünf Ziegelsteine für fünf Cents die Stunde von einer Straßenecke in die andere verschieben. In gewissen Abständen unterbrach er die Arbeit und machte einen Rundgang durch Barnums „American Museum“Footnote 86, ein Kuriositätenkabinett am New Yorker Broadway, wo er sein Ticket vorzeigte und schließlich zur Arbeit auf der Straße zurückkehrte. Mit dem „Spektakel der unproduktiven Arbeit“Footnote 87 erregte er schnell die Schaulust der Passant*innen, die ihm scharenweise ins Innere des Museums folgten und dafür Eintritt zahlten.Footnote 88
Bereits auf der Zugfahrt spielt Stein auf Stein mit dem bewerbenden Zeigen und vollzieht hier spielerisch einen Medienwechsel. In Nahaufnahme und bei starrer Kameraeinstellung sehen wir die Fotografie der Frau des Protagonisten, mit der dieser vor seinem Begleiter wirbt (Abb. 10). Auf der Fotografie steht die Frau als Bezugs- und Haltepunkt am Wegrand und ist Ziel der Reise. Im weiteren Sinn veranschaulicht sie aber auch die Werbeabsicht des Films, der ein attraktives Bild der Stadt gestalten soll. In der Bild-in-Bild-Einblendung formen Daumen und Zeigefinger im rechten Winkel einen improvisierten Bildkader, der durch die Rahmung des Zugfensters verdoppelt wird. Der selbstreflexive Moment pointiert, dass der Fotografierende bzw. Filmende mit Festlegung des Rahmens einen Ausschnitt festlegt und nicht die Wirklichkeit darstellt. Mit der Betrachtung der Fotografie wird das Momentum des Sehens bzw. der Sehakt, aber auch der Akt des Erinnerns miteinbezogen, der zwischen zwei verschiedenen Zeitschichten springt, während die Kriegsruinen vor dem Fenster vorbeiziehen. Das unbewegte, stillstehende (Nitrat-)Filmbild war bis zur Einführung der schwer entflammbaren Sicherheitsfilme Anfang der 1950er Jahre lange der Alptraum des Kinos, da es eine akute Brandgefahr darstellte.Footnote 89
Umgekehrt wird die vorfilmische Realität zum Ausgangsmaterial abstrahierender Kompositionen und Oberflächenkonstellationen. Kraft des Lichtes wird die Trägerstruktur einer Bahnhofsarchitektur als grafisches Muster nachgezeichnet. Das Licht-Schattenspiel überlagert als optisches Muster die Architektur. Es breitet sich als Liniengeflecht wie ein Gewebe über dem Bild aus.
Zum Teil stehen kommunikative und autonome Oberflächen einander gegenüber: Wie bei einer Einblendung des Bahnhofsschilds des Saarbrücker Hauptbahnhofs, dessen Frakturschrift von einem Schattenbild durchkreuzt und überzeichnet wird, wird die angedeutete Zeit aufgehoben und die Oberfläche wird so zum weiteren visuellen Effekt. An anderer Stelle im Film nutzt Steinert die grafischen Strukturen der Industrielandschaft und inszeniert das Motiv einer in Untersicht aufgenommenen Hängeloren-Seilbahn über die intensive Farbabstufung von Schwarz/Weiß bis Grau als klare grafische Komposition (Abb. 11). Steinert geht es um die Sichtbarkeit der Formen und Linien. Im Vordergrund des Filmbildes verlaufen Drahtseile, die den Bildausschnitt in der Diagonalen durchschneiden und strukturieren, während die bewegte Architektur der tiefschwarzen Hängeloren zu autonomer zweidimensionaler geometrischer Form wird, entbunden von ihrer technischen Funktion. Im Hintergrund gliedern Fabrikschlote die Bildfläche in der Vertikalen. Über die schwarz-weiß-grauen Helligkeitsabstufungen, also Licht und Chemie, entsteht eine neue Strukturierung der Aufnahme, die den Eindruck eines entmaterialisierten, entfremdeten Raums entstehen lässt. Mit den zeitlich nachfolgenden fotografischen Aufnahmen von Industrielandschaften setzt Steinert die grafische Abstraktion mittels fotografischer Effekte und dem Experiment im Fotolabor weiter fort. Bei „Saarländische Industrielandschaft 2“ von 1949 handelt es sich beispielsweise um eine Pseudosolarisation. Im Luminogramm „Punkte und Linien“ von 1953 löst Steinert eine Hochspannungsleitung in der Lothringischen Industrielandschaft in Punkte und Linien auf.
Gerüste und Gitter
Gerüste und Gitter spiegeln die „parasitäre Logik“ der Filmbilder, die im Dienst der Werbung stehen. Der Film bedient sich parasitär aus dem Reservoir des etablierten Kunstsystems, ohne sich stilistisch festzulegen. Schon am Filmanfang mit dem Muster der Stadtsinfonie ereignet sich die „Anverwandlung“. Beim Betreten des Bahnhofsvorplatzes registriert der Protagonist zunächst ein Gebäude aus der NS-Zeit, das kameraformatfüllend ins Bildzentrum rückt. Die Längsfassade ist weitgehend unversehrt geblieben, wird aber von einem Baugerüst partiell verstellt und dadurch fragmentiert (Abb. 12).
Bei dem schmucklosen Bau mit Fassadenverkleidung aus Sandsteinplatten handelt es sich um das Direktionsgebäude der ehemaligen Reichsbahndirektion, das 1938 von P.A. Behringer erbaut wurde und als fünfgeschossiges Gebäude mit gleichmäßig aufgereihten Fenstern und Fenstergewändern den östlichen Abschluss des Bahnhofsvorplatzes bildet. Steinert kommt in seinen Filmbildern immer wieder auf die abstrakten Strukturen von Gerüsten mit skulpturaler Anmutung zurück wie bei den Filmbildern vom kriegsversehrten Landgericht oder vom Casinogebäude, das ab 1947 Sitz des Saarländischen Landtags war. Diese bauen eine spezifische Verbindung zu ihrer Umgebung auf und nehmen ein besonderes Verhältnis zum Raum ein, indem sie parasitäre Zustände bilden. Die vor die äußere Haut der Fassade gestellte architektonische Struktur des Gerüsts ist außerdem eine von mehreren Inversionsfiguren des Films.Footnote 90
Prinzip der Reihe und Addition
Mit den Prinzipien der Reihe, Reihung und Addition passt sich die filmische Zwischenform in die unmittelbare Nachkriegszeit mit dem konsumorientierten Aufbauplan ein: Der Film ist additiv strukturiert und enthält flexible Elemente und wiederkehrende Grundmuster, statt eines unteilbaren Ganzen. Reihungen dominieren die Filmbilder: Angefangen beim Protagonisten, der zur Nachkriegsgesellschaft hinzuaddiert wird, bis zur Auflistung der Gebäude und dem Einpassen in das serielle Muster der Stadtsinfonie, mit dem der Kurzfilm seine eigene Geschichte als Stadtfilm reflektiert, sich jedoch im Gegensatz zu dieser beliebig erweiterbar zeigt. Mit seinen Reihungen bleibt der Film unabgeschlossen. Während die Sinfonie der Großstadt versucht, ein Gesamtbild zu zeigen und über die Rahmung durch Ankunft und Abfahrt oder den Tagesablauf Vollständigkeit wahren will und „die Erfahrung des städtischen Raums noch als in sich abgeschlossene Phase konfiguriert“Footnote 91, stellt Stein auf Stein seine Unvollständigkeit zur Schau. Besonders deutlich wird dies im Schlussbild, in dem der Protagonist einen Anschluss an sein provisorisches Zuhause mauert. Die gleichen Szenarien wiederholen sich in endlosen Parallelen. Das Motiv der Bewegung und menschliche Alltagshandlungen sind ebenso von der Addition und der Aneinanderreihung geprägt: Zuerst sind Kinder auf Fahrrädern zu sehen, dann der männliche Protagonist auf dem Fahrrad. Die Bewegungen sind miteinander verzahnt und getaktet wie bei der industriellen Fertigung. Die Betonung der Addition und der Struktur zeigt sich in einer kurzen Sequenz, die exemplarisch für viele kleine Momente im Film steht: Nach Ankunft auf dem Bahnhofsvorplatz, der in Totale und frontal aufgenommen wurde, sehen wir, wie sich an drei quadratischen Ausgängen der Strom der Passant*innen verteilt. Synchron verlassen den linken Ausgang ein Passant, der nach rechts aus dem Bild geht, den mittleren wiederum die beiden Kriegsheimkehrer, den rechten drei Frauen, die nach links aus dem Bild gehen. Eine Reihe weiterer Bilder betont den lateralen Zusammenhang, wie die Seite an Seite stehenden Kriegsheimkehrer im Seitenprofil, die auch ein Beispiel sind für die multiplen innerbildlichen Rahmungen im Film. Auch ihr Schauspiel ist auf wenige Gesten und Posen reduziert und bildet Muster. Entweder gehen die Blicke und Gesten der beiden Männer in dieselbe Richtung oder sind ineinander verschränkt, wie beispielsweise beim Rauchen und Feuer geben.
Eine weitere kurze Sequenz enthält drei Doppelbindungen, aus der sowohl Sukzession als auch Gleichzeitigkeit resultieren. Die gehende und fahrende Raumdurchschreitung wird parallel geführt und über einen Kameraschwenk verlinkt: Das dynamische Vorwärtsschreiten eines Passanten durch einen Bahnhofseingang auf dem rechten Bahnsteig in das Bild hinein wird gekoppelt mit der Einfahrt des Zuges, der den Betrachter*innen auf der linken Gleisspur entgegenkommt. Beide Einstellungen werden über einen Kameraschwenk von rechts nach links verbunden. Die Beziehung des einen Bildes zum folgenden und gleichzeitig zum nebenstehenden erinnert im Ansatz bereits an Doppelprojektionen des experimentellen Films.Footnote 92 Doppelte und gegenläufige Bewegungen wiederum erzeugen plastische filmische Bilder, wie die Aufnahme eines Baulastkrans, der in die Tiefe des Bildes fährt, während ein Arm nach links ausfährt. Die Kamera rastert den Raum in der Vertikalen oder Horizontalen mit Schwenks in der Manier operativer Bilder, wenn sie Gebäudefassaden abtastet. In einer der wenigen Innenaufnahmen der Wohnunterkunft sind Kleidung und Interieur von einem Karomuster überzogen. Die Bewegung ist aber nicht nur ein stark strukturierendes, sondern auch ein motivierendes Element: Wenn etwas im Film gezeigt wird, das nicht in Bewegung ist, wie die starren Ruinen, wird es in Bewegung versetzt. Auch bei der starren Verbindung der beiden Zugwaggons wird das an sich Unbewegliche durch die Bewegung belebt.
Die Hohlblocksteine als industrielle Objekte stellen ihre Qualität durch ihre Serialität unter Beweis. Der Film dokumentiert das Fertigungsverfahren und veranschaulicht mit den kurzen Sequenzen das Prinzip vom Element des einzelnen Hohlblocks zum Block bis hin zur Totale der Zeile, bei der die Steine zum Trocknen in Reihen ausgerichtet werden. Vom Kontext gelöst bilden sie im Ausschnitt wiederum ein dichtes, repetitives, abstraktes Muster.
Was für das Bild zutrifft, gilt im Ansatz auch für den Ton im Film, der im Rahmen dieses Kapitels nicht näher beschrieben werden kann. Dennoch ist kurz anzumerken: Wie die Stadtsinfonien der 1920er Jahre ist Stein auf Stein stumm gedreht, wird aber von einer eigens für den Film komponierten abwechslungsreichen Musik begleitet. Die Filmmusik von Gustav Kneip erinnert in ihrer Konzeption an eine Nummernoper, deren Programmstruktur in einzelne abgeschlossene Musikstücke mit erkennbaren Grenzen gegliedert ist.Footnote 93
Die Typologie der Flexibilität bzw. der Aspekt der funktionalen Flexibilität ist ein durchgängiges Thema im kurzen Film. Beim Kriegsheimkehrer angefangen bis hin zu einer flüchtigen Szene, in der der Film serielle Architektur und serielles Bauen zeigt. Mobile Elemente werden seriell aneinander montiert und bilden eine Kette permanenter medialer Übergänge.Footnote 94 In einer durchgehenden Einstellung von wenigen Sekunden ist ein industriell vorfabriziertes Stahlhaus zu erkennen, das auf einer Freifläche der Saarbrücker Saarwiesen (Elisenanlage) steht (Abb. 13).
Im Hintergrund auf der gegenüberliegenden Saarseite sieht man das Stadttheater, im Bildvordergrund französische Ampeln. Bei dem Stahlhaus handelt es sich um Jean Prouvés Musterhaus „Maison Sarre“ (Entwurf von 1945). Der für den Wohngebrauch entworfene Prototyp wurde in Saarbrücken in modifizierter Form errichtet und für Werbe- und Bürozwecke genutzt.Footnote 95 Neben Edouard Menkès „Plan directeur du Grand-Sarrelouis“ zeigt sich hier eine weitere Spur visionärer französischer Architektur. Das Bild der zukünftigen Stadt, ein französisches Saarbrücken, gewinnt hier flüchtig an Kontur und wird kurz zum Schauplatz architektonischer Innovation, des Industriedesigns und des Avantgardefilms. Es wirkt beinahe so, als hätte Steinert parallel zu Aufbau und Reparatur der Stadt Eindrücke gefilmt und zwei Ebenen bzw. die Parallelversion mit dem Vorhaben der Franzosen gesehen. In der Art einer Parallelmontage und durch deren Gegenläufigkeit kann er einen wahren Moment kreieren und zeigt Saarbrücken als internationale Stadt. Dadurch schafft er ein Zeitdokument. Zudem scheinen weder Prouvés industriell vorgefertigte Prototypen noch der Saarbrücker Standort anderweitig auf Filmbildern dokumentiert zu sein, so dass wir es hier mit einer seltenen, wenn nicht gar der einzigen Bildquelle zu tun haben. Die Kamera folgt einem Fußgänger oder Büroangestellten, wie er auf das Gebäude zueilt und schafft somit das einzige filmische Dokument im direkten Zusammenhang mit der „Maison Sarre”, das als Filmmaterial von großem Wert ist.
Bei der gemeinsam mit Pierre Lefèvre entwickelten „Maison Sarre“ handelt es sich wiederum um einen Prototypen, der nicht in Produktion gegangen ist und von den Ateliers J. Prouvé/Nancy in Kooperation mit der Dillinger Hütte (Saarland) ausgeführt wurde. Prouvé hatte in Zusammenarbeit mit der Dillinger Hütte eine Serienproduktion geplant, aber der Aufbau einer Stahlhausproduktion fand im Saarland kein Interesse und scheiterte am Widerstand der Behörden.Footnote 96 Das Fertighaus auf einem Grundriss von 8 × 8 Metern mit innenliegender Portalrahmenkonstruktion bestand aus vorgefertigtem Stahl, Aluminiumteilen und Holz. Es konnte leicht transportiert werden und ohne Gerüste sowie maschinelle Hilfsmittel innerhalb eines Tages von zwei Personen montiert werden.Footnote 97 Nicht nur besteht das Gebäude aus Systemteilen, die autarke Elemente sind, auch hinsichtlich seines Standortes ist es variabel. Seine geographische Positionierung ist flexibel, wie der Kriegsheimkehrer, der sich an verschiedenen Orten positionieren und einpassen lässt.
Das Theatergebäude im Bildhintergrund der mobilen Architektur akzentuiert noch zusätzlich, dass alles zur bespielbaren Oberfläche werden kann.Footnote 98 Die Stadt wird als Bühne moderner Urbanität und Industrie inszeniert und wirkt als Kontrapunkt zur alten Stadt. Selbst die ikonische Ansicht, eine der wenigen Panoramaaufnahmen des Films, die die wiedererkennbare Stadt Saarbrücken zeigen soll, wird gebrochen. Im Mittelgrund teilt die Eisenkonstruktion eines Baulastkrans das Bildfeld mittig und tendiert zur geometrisierenden Abstraktion.
Steinert und Paris
Aufgrund der provinziellen Randlage mussten Kunst und Kultur des teilautonomen Saarlandes international ausgerichtet sein, Otto Steinerts „subjektive fotografie“ war ein Aushängeschild. Etwa zeitgleich mit der Filmminiatur Ein Land baut auf. Stein auf Stein entstanden 1948/49 Steinerts „Pariser Skizzen“, mit denen er im urbanen Kontext nach einem architektonischen Formenrepertoire suchte. Steinert plante 1948/1949 gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Josef Adolf Schmoll, genannt Eisenwerth, ein Buchprojekt über Paris, das jedoch unvollendet blieb. Das Publikationsvorhaben wurde 2008 vom Folkwang Museum Essen rekonstruiert und unter dem Titel „Pariser Formen“Footnote 99 publiziert. Laut Eisenwerth sollte der Schwerpunkt der Publikation auf Urbanistik und Straßenleben liegen, um sich von der inflationären Masse an Fotobüchern über Paris abzuheben.Footnote 100 Die Fotografien darin, so Eisenwerth weiter, dienen nicht der „journalistischen Reportage“, sondern sind autonome „Einzelbilder konzentrierter Gestaltung“.Footnote 101 Allerdings hätte sich Steinerts fotografische, auf das Fragment konzentrierte Bildsprache, so die These der Essener Ausstellungsmacher*innen, wohl kaum für einen Band über Paris geeignet, der sich auf Urbanismus spezialisiert.Footnote 102
In der Aufnahme „Ein-Fuß-Gänger“ von 1950 zeichnet Steinert die Spuren der Bewegung eines Passanten mit einer Langzeitbelichtung ins Bild, durch die ein Wechselspiel von scharf abgebildeten Bildelementen und verwischten, abstrakten Partien zustande kommt (Abb. 14).
Es entsteht ein Kontrast von Bewegung und Statik. Neben einem scharf abgebildeten, polierten Schuh auf der rechten Bildhälfte, ist ein verwischter schwarzer Fleck zu sehen. Die in ihrer Stilistik an das Neue Sehen angelehnte, aus steiler Vogelperspektive aufgenommene Fotografie, setzt sich mit der unscharfen Partie jedoch davon ab und fügt mit der Entmaterialisierung der menschlichen Figur einen subjektiven Akzent hinzu. Die menschliche Figur wird von der linken Bildhälfte konterkariert. Hier sind die präzisen grafischen Strukturen eines eisernen Schutzrings zu sehen, die einen scharf abgebildeten Baum umgeben und das Pflaster dominieren, während die Aufmerksamkeit auf die abstrakten und konkreten Partien des Fußgängers gelenkt wird. Die Bewegungsspur wiederum bildet ein asymmetrisches Gegengewicht zur Statik des Baumes. Mit der Langzeitbelichtung schöpft Steinert Aspekte aus, die in der Fotografie des Neuen Sehens noch nicht so erprobt waren wie beispielsweise extreme Kameraperspektiven, optische Verzerrungen oder Montagen.Footnote 103
In „Skizzen aus Paris 2“ von 1948/49 (Abb. 15) wiederum akzentuiert ein enger hochformatiger Ausschnitt den parabelförmigen Verlauf einer Mauer, die als formal elegante Figur zum modernistischen Architekturdetail wird. Hinzu kommen Bildmotive wie Brandmauern, Gerüste, Dächer und Kamine, die Steinert isoliert und zu engen Bildausschnitten konzentriert, in denen die räumlichen Beziehungen zwischen den architektonischen Elementen sich auflösen und sich die mehrdeutigen Figur-Grund-Beziehungen zu einer klaren grafischen Komposition von Schwarz, Weiß und Grau verdichten. Sein Luminogramm „Lampen der Place de la Concorde“ (1952) transformiert den Aufnahmeort komplett in die Abstraktion.Footnote 104
„Stadtplanung für heute und morgen“ (1951)
Während Ein Land baut auf. Stein auf Stein als filmische Zwischenform schematisch inventarisiert und sich an der architektonischen Oberfläche abmüht, rücken in den ersten, in der jungen BRD entstandenen, städtebaulichen Filmen die Bodenfrage und Eigentumsgrenzen thematisch in den Vordergrund. Das früheste Beispiel ließ die Bremer Bauverwaltung 1951 produzieren. Stadtplanung für heute und morgenFootnote 105 verhandelt die Abwicklung und Koordination von Grundstücksumlegungen sowie die Neuordnung von Grund und Boden im Bremer Umlegungsgebiet 1, dabei wird das technische Vorgehen tricktechnisch animiert (03:18–04:47).Footnote 106 Zu den aufgezeigten Maßnahmen gehören Zusammenlegung und Austausch ungünstig zugeschnittener, verwinkelter Grundstücke sowie der Geldausgleich aus der Umlegungskasse. Dank der Umlegungsmaßnahmen können ausgesparte Möglichkeiten in wertvolle Baugrundstücke verwandelt werden und die geometrische Anordnung soziale Vorteile bringt. Die Wahrnehmung der Zuschauer*innen wird bereits am Filmanfang durch die Geometrie vorstrukturiert, über die eine Verhaltensanleitung vermittelt werden soll. Sukzessive kommt es zu einer Abstraktion des Raumes, die von einem Spiel um geometrische Erkenntnis geleitet wird. Zu Beginn stellt der Film eine Analogie her zwischen der elementaren geometrischen Struktur der historischen Festungsstadt und Elementen höfischer Repräsentationskultur, wie Gartenarchitektur oder Tanz, denen ebenfalls geometrische Figuren zugrunde liegen.Footnote 107 Damit wird eine Analogie zwischen dem Festungsbau und der Organisation des Staates impliziert. In den ersten Filmbildern werden kartografische Darstellungen eingesetzt und vom Raum als Territorium geprägt. In ihrer Theorie des Spacing und Mapping definiert die Raumsoziologin Martina Löw das Territorium als „räumliches Leitmodell der Moderne“Footnote 108, dem die Vorstellung zugrunde liegt, dass Territorialität über „die topographische Vermessung sowie die statistische und kartographische Erfassung der Welt und jene an die Aufklärung gekoppelte Vorstellung, […] staatlich herstellbar sei.“Footnote 109
Diese Konnotation unterstützt die grafische Gestaltung des Titelwortes „Stadtplanung“, die als Wortmarke im „Western-Look“ einer Slab Serif Schrift gestaltet ist.Footnote 110 Des Weiteren betont die Gestaltung des Vorspanns die Konstruktion, den Zuschnitt und das Durchkomponieren des Raums über ein Winkelmesser Winkelmesser, die geometrische Aufteilung der Bildfläche sowie Barockmusik. Der Film Stadtplanung für heute und morgen etabliert eine strukturelle Parallele zwischen Kartografie und allgegenwärtigem Kamerablick, die beide auf Raumkontrolle ausgerichtet sind und in den Zweiten Weltkrieg münden. Eine animierte Zeichentrick-Sequenz, die am Ende in Luftangriffe übergeht, leitet vom Motiv eines adligen Paars in Barockkleidung (dargestellt durch Scherenschnitt-Technik), das spielerisch durch die Luft schwebt, zur Silhouette eines Flugzeugs über, das wiederum in vertikaler Bewegungsrichtung das Bildfeld durchkreuzt (Abb. 16). Die Sequenz endet mit einer Vogelperspektive, die den Blick über eine geografische Karte lenkt, die in Flammen aufgeht. Im Off konstatiert der männliche Sprecher: „Die Gebäude waren nun nicht mehr. Die Aufteilung der Stücke auf engstem Raum blieb“ (01:27–01:33). Dann erst werden im Film Alltagshandlungen thematisiert und der Sprecher fordert die bessere Gestaltung des öffentlichen Raums, die sich am Bewegungsspielraum der Menschen orientieren soll. Auch hier kommt die Kamera wieder als Kontrollinstanz zum Einsatz. Die Effizienz des Bewegungsablaufs zweier Möbelpacker wird kommentiert und von der Kamera ein systemischer Blick vollzogen. Auch bei der Einblendung eines Schulhofs, der aus der Vogelperspektive beobachtet wird, ermöglicht die Kamera die visuelle Kontrolle, werden Personen und Dinge „regier- und verwaltbar“Footnote 111 gemacht. Damit knüpft der Städtebaufilm an den Industrie- und Managementfilm an, der beispielsweise Verfahren der Analysetechnik bzw. des wissenschaftlichen Managements anwendet, um Wohnungsgrundrisse auf Zirkulationswege hin zu untersuchen.
Der Bewegungsspielraum scheint sich im Film aber unterschwellig auf den autogerechten Wiederaufbau zu beziehen. Der Autoverkehr scheint ein „Sinnbild des Lebendigen“Footnote 112 zu verkörpern, was die zahlreichen Bilder von Autoschlangen illustrieren. Bereits 1945 wurde von Heinz Wolgemuth ein Verkehrsplan für Bremen entwickelt, der ein Tangentenviereck von Hauptverkehrsstraßen im Bereich der historischen Innenstadt vorsah.Footnote 113 Das Tangentenviereck stellt nach Durth und Gutschow eine historische Referenz und „Aufweitung des Urbildes eines Straßenkreuzes dar, das im Mittelalter den Kosmos abbildete“ und dem die Idee zugrunde liegt, „die wichtigsten Wege der Region hätten sich im Mittelpunkt der Stadt zu treffen.“Footnote 114
Einerseits führt die Neuordnung, die wesentlich von der neuen Verkehrsplanung bestimmt ist, zur Segmentierung des Raums. Andererseits propagiert der Film in der Umkehrung die Umlegung segmentierter Parzellen, die zur ganzheitlichen Form führen soll. Für den Film ergeben sich daraus zahlreiche Inversionsfiguren und Verschiebungen. Auch beim Anfertigen grafischer Animationen ist die Kontrolle über das Bild zentral, zumal Trickfilmzeichner*innen in jedes einzelne Filmbild eingreifen. Die Tricktechnik ist darauf fixiert, Dinge in Bewegung zu zeigen.Footnote 115 Von der historischen Stadt, die der Film als negativ besetzten Bezugsort etabliert, sehen wir dokumentarische Aufnahmen krummer Straßen mit kleinen Bremer Häusern, die unübersichtliche Straßensituationen verursachen. Ein dunkles Klassenzimmer und ein überfüllter Schulhof illustrieren zusätzlich Situationen, von denen Gefahren für Kinder ausgehen (Abb. 17).Footnote 116
Die historische Bausubstanz wird daraufhin durch serielle Rollenbildzeichnungen und Legetechnik zum Verschwinden gebracht und von einer Abfolge von Architekturzeichnungen neuer Wohngebäude abgelöst (Abb. 18). Dabei handelt es sich um unterschiedliche, überwiegend viergeschossige Wohnzeilen mit historisierenden Motiven, wie Traufdächern mit Gauben, die sich aus der architektonischen Formensprache der Renaissance und des Barocks ableiten und exemplarisch für eine in Bremen verbreitete konservative Bauauffassung stehen.Footnote 117 Die dargestellte Architektur knüpft zwar an das Vergangene an, scheint aber konkrete Bezüge vermeiden zu wollen. In den seriellen Planzeichnungen reihen sich mehrere gleich gebildete Trauffassaden aneinander, wodurch eine schematisierte, starre Ordnung zum Ausdruck kommt. Die sauber und ordentlich gezeichneten Fassaden wirken unlebendig und schablonenhaft.
Wie in vielen anderen Städten gab es in Bremen einen Streit um das Stadtbild zwischen den Modernisierer*innen als Befürworter*innen einer neuen Stadt, die nach Parametern des Wirtschaftsaufschwungs und des ansteigenden Autoverkehrs geplant werden sollte und den Traditionalist*innen, „die auch in den Ruinen starke Bindungen sahen, an die es anzuknüpfen galt.“Footnote 118 Weniger kontrovers ging es bei der Verkehrsplanung zu, im Konsens aller Parteien sollte die Entlastung der Innenstadt durch ein Tangentenviereck erfolgen.Footnote 119 Zur Lösung der städtebaulichen Probleme wird auch hier das Leitmotto „Licht, Luft und Sonne“ der 1920er Jahre propagiert. Dabei lehnt sich der Film mit der Tricktechnik auch stilistisch an diese Zeit an: Eine Zeichenanimation, die als Negativumkehrung mit weißen Linien auf schwarzem Bildgrund gestaltet ist, zeigt einen Gebäudeblock in Nachtaufnahme (03:19–03:38) (Abb. 19). Synchron zu den Bildern fordert der Sprecher mehr Licht. In ihrer Stilistik weckt die kurze Sequenz Assoziationen an Frans Masereels Grafikzyklus „Die Stadt“ von 1925, bei dem es sich um Holzschnitttafeln mit schwarz gedrucktem Grund handelt (Abb. 20).Footnote 120 Frans Masereel beschrieb in seiner Bildserie das Phänomen Großstadt in den 1920er Jahren exemplarisch an einer unbenannten Metropole, an deren sozialen Spannungen und starken Kontrasten der alltäglichen Realität zwischen Dekadenz und Armut er festhielt. Die frühe Trickanimation kam überwiegend im Werbefilm zum Einsatz, besonders der lightning sketch war für die Entstehung der Animation relevant. Lightning cartoons wurden häufig mit Tricktechnik kombiniert, um neue Effekte zu erzeugen.Footnote 121 Auch frühe Plakate für Lichtreklame lassen sich noch in die Reihe einfügen. Ein konkretes Beispiel für eine Nachtszenerie in einem frühen trickanimierten Werbefilm ist Curt Schumanns Gespensterstunde (1927), der für Produkte von Kaiser’s Kaffee wirbt.
Im Verlauf des Films rücken die Vermittlung des Expert*innenwissens und die Fertigkeiten der Akteurinnen und Akteure, die das Know How besitzen, um mit dem Raum umzugehen, immer stärker in den Vordergrund. Die Tonspur wird von einer männlichen Off-Stimme dominiert, der die filmischen Bilder untergeordnet sind. Die Zuschauer*innen sind Empfänger*innen von Information und konsumierende Rezipient*innen. In diesem frühen Film, so Goergen, gehe es noch im Besonderen darum, die vorgestellten Maßnahmen zu legitimieren, da „das Vertrauen in demokratische Verfahrensweisen noch nicht allgemein gegeben [war].“Footnote 122 Am Ende wie am Anfang des Films steht ein Buch. Zu Beginn eines, das historisches Kartenmaterial enthält und über das Blättern von Seiten „animiert“ wirdFootnote 123 und am Ende, als Resultat des Films, die Umlegungsurkunde, die „die Rechte des Einzelnen festhält und nach der das Grundbuch berichtigt werden kann“ (06:28), wie der Sprecher kommentiert. Über die Rahmung wird auch der Film zur abgeschlossenen Einheit.
Die Bodenfrage
Da in der Wiederaufbauphase der drei Westzonen auf eine grundlegende Bodenreform verzichtet wurde, verlief der Umgang mit Bodenbesitzverhältnissen innerhalb des gültigen Rechtsrahmens sehr heterogen.Footnote 124 In den 1960er Jahren stellte Alexander Mitscherlich mit seinem einflussreichen und viel zitierten Pamphlet Die Unwirtlichkeit der Städte. Anstiftung zum Unfrieden (1965) die Bodenpreis- und Bodenrechtsproblematik erneut zur Debatte, die Unantastbarkeit der Besitzverhältnisse habe in der Nachkriegszeit gestaltungshemmend auf die Neuplanung westdeutscher Städte eingewirkt.Footnote 125 Mitscherlichs Text versucht nicht nur zwischen den Disziplinen Psychologie, Soziologie und Städtebau zu vermitteln, sondern er nimmt eine entscheidende Scharnierfunktion innerhalb seines Werks ein und entsteht zwischen seiner Analyse Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft von 1963 und Die Unfähigkeit zu Trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens von 1967. Themen wie die Wiederbelebung des Toten oder die Möglichkeit des Überlebens breiten sich in Mitscherlichs gesamtem Text aus. Zu Beginn reiht Mitscherlich sein Buch Die Unwirtlichkeit der Städte. Anstiftung zum Unfrieden in die Genealogie des Pamphlets ein und beschreibt wie ihm ein Verlust eingeschrieben ist: „Dieses Buch gehört zu der in Vergessenheit geratenen Gattung der Pamphlete […] Diese Seiten werden vergilben wie Manifeste und Pamphlete vor diesem.“Footnote 126
Der Textraum beherbergt seinen eigenen Todestrieb. Mitscherlich selbst inszeniert sich hierbei als Arzt-Architekt, wie in folgender unvermittelt in den Text implementierten Passage deutlich wird, in der er versucht, eine innere Organisation freizulegen, die sich hinter der sichtbaren Oberfläche verbirgt: „Der Blick auf die Gebilde, die einstmals Städte waren, zeigt uns, dass sie einem Menschen gleichen, der verzerrt wird durch krebsige Tochtergeschwülste“.Footnote 127 Mitscherlichs drastische Sprache ist von biologistischen Metaphern und von einer „Emphase der Plötzlichkeit“Footnote 128 geprägt, die dem Zeitgeist und dem Versuch geschuldet sein mag, sich mit der jüngeren deutschen Vergangenheit auseinanderzusetzen.Footnote 129 Gebäude und gebaute Umwelt fungieren Mitscherlich zufolge als mediale Konstrukte und haben Platzhalterfunktion für traumatische Erfahrungen: „Da sie aber aus harter Materie bestehen, wirken sie auch wie Prägestöcke: wir müssen uns ihnen anpassen.“Footnote 130 Die inhumane räumliche Umgebung formt die Bewohner*innen wie ein „Prägestock“Footnote 131, der sie in eine bestimmte psychische Verfassung zwingt, die sich bis zur Neurose ausweiten kann.Footnote 132 Das Bild des Prägestocks, der eine Impression hinterlässt und sich in das Gedächtnis einschreibt, weckt Assoziationen zu Freuds Modell des psychischen Apparates und zum Wirkmechanismus der Erinnerung. Auf die Funktion der Architektur als bestimmender Erinnerungsträgerin, in der sich Geschichte manifestiert, geht Aleida Assmann in ihrem Buch Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung von 2007 ein. Assmann zufolge bildeten in Deutschland vor allem das Trauma des Nationalsozialismus und die Folgen des Zweiten Weltkriegs die Basis für die Entstehung einer gedächtnislosen Stadtgestaltung.Footnote 133 „Der Preis für den sozialen und wirtschaftlichen Sprung nach oben ist der Verlust der eigenen Vergangenheit.“Footnote 134 Das Bild des Prägestocks in Mitscherlichs Text ist aber auch eine Kippfigur. So wie die unwirtliche Stadt ihre Bewohner*innen formt, formt Mitscherlich seine Leser*innen mit der Gewalt der Sprache. Psychologische Argumente konstatiert Mitscherlich in seinem wenig strukturierten und von Wiederholungen geprägten Text nur kurz, ohne Beweise oder nähere Erläuterungen zu liefern. Bis in die Gegenwart hinein, so das Fachmagazin Arch + in dem Themenheft „The Property Issue – Von der Bodenfrage und neuen Gemeingütern“ von 2018, vermeide die Architekt*innenschaft die Auseinandersetzung mit der Eigentumsfrage und es seien noch keine produktiven Handlungsansätze gefunden worden.Footnote 135
Mit Aufnahmen von freistehenden, im Bau befindlichen Einfamilienhäusern oder Reihenhaussiedlungen in traditioneller Bauweise passt sich der Film Stein auf Stein. Ein Land baut auf in die konservative Nachkriegslandschaft ein und ist Spiegel der offiziellen Wohnungspolitik. Die neue „Heimat“, auch die der Kleinfamilie, entsteht am Stadtrand. Die dokumentarischen Filmschnipsel, die flüchtigen Spuren des modernistischen Städtebaus und der visionären französischen Planungen, sind als exzessive filmische Elemente im Sinne David Bordwells und Kristin Thompsons zu verstehen, mit denen die filmische Kontinuität aussetzt und die vordergründige Narration überschritten wird. Diese Gegenerzählung setzt sich vermutlich wiederum aus Eindrücken zusammen, die beiläufig und parallel zum eigentlichen Filmprojekt gefilmt wurden. Otto Steinert hat zwei Ebenen gesehen, einmal die offizielle und zum anderen diese Parallelversion bzw. das Vorhaben der Franzosen. Die offene Verbindung zwischen den einzelnen Teilen der Geschichte vermittelt den Anschein von Zufälligkeit und kreiert einen vermeintlich „wahren“ Moment. In diesem kurzen Augenblick verselbständigt sich die Form und das Filmbild droht wegzukippen. Die autonom agierende Hand des Experten am städtebaulichen Modell und ihr Gestus des Zeigens weisen darauf hin, dass der Zur-Schau-Stellung Vorrang gegeben wird vor dem Narrativen und der Kontinuität. Weitere solcher Paradoxien finden sich mit den multiplizierenden Oberflächen und den abstrakten Momenten in den Filmbildern, mit denen Steinert über die schlichte Dokumentation hinausgehen und zum autonomen Gestalter werden kann. Zu einer buchstäblichen weiteren Berührung der beiden Medien kommt es in einer Nahaufnahme in der Anfangssequenz, in der der Kriegsheimkehrer eine Fotografie seiner Frau in den Bildraum hält, die er mit Daumen und Zeigefinger rahmt. Der Film rahmt sich selbst und die Kadrierung wird verdoppelt.
Das Ein- und Anpassen als handlungsleitendes Motiv hat seine formale Parallele in den streng gefügten Filmbildern und knüpft damit an den Industriefilm an. Hinzu kommt die mediale Bespielbarkeit der Oberflächen, die Anpassungsfähigkeit garantieren und auf die Citybildung und den Umbau der Stadt mit Geschäftszentrum im Inneren und Wohnfunktion am Stadtrand hinweisen. Zudem bedient sich der Film in seiner Zwischenform als Werbefilm parasitär aus dem Reservoir etablierter Filmformen, wie der der Stadtsinfonie.
Mit den Prinzipien der Reihe, Reihung und Addition passt sich Stein auf Stein als filmische Zwischenform in die unmittelbare Nachkriegszeit mit konsumorientiertem Aufbauplan ein. Die Typologie der Flexibilität greift er mit der mobilen Architektur der „Maison Sarre“ auf, die mit dem Theatergebäude im Hintergrund zum emblematischen Bild des Films wird, was einmal mehr bezeugt, dass es darum geht, den Stadtraum zur bespielbaren und verwertbaren Oberfläche zu machen.
Notes
- 1.
Ich selbst habe den Film im Archiv des Saarländischen Rundfunks ausfindig machen können, eine weitere Kopie befindet sich beim Landesinstitut für Pädagogik und Medien des Saarlandes. Vielen Dank an Herrn Ulrich Wagner vom Saarländischen Rundfunk. Die Auftraggeber des Films bleiben im Vorspann verdeckt. Im Vorspann wird die Staatliche Landesbildstelle Saarland als offizielle Institution aufgelistet, außerdem die Produktionsfirma Trigon Film. Zur Entstehungsgeschichte des Films konnte ich kein weiteres Quellenmaterial ausfindig machen, auch zur Finanzierung des Films lagen mir keine Dokumente vor. Laut Information des Saarländischen Rundfunks ist der Verbleib des Originals ungeklärt.
- 2.
Vgl. „Der erste saarländische Film uraufgeführt“. In: Saarbrücker Zeitung (30.08.1949). Die Rezension spricht von „Ein Land baut auf. Stein auf Stein“ als erstem saarländischen „Kulturfilm“. In ihrer Dissertation über Otto Steinert erwähnt Ulrike Herrmann, dass es sich um eine Auftragsarbeit des Kultusministeriums handelt. Vgl. Herrmann, Ulrike: Otto Steinert und sein fotografisches Werk. Fotografie im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne. Universitätsdissertation Bochum 1999, S. 178. Zum Film Stein auf Stein. Ein Land baut auf siehe auch „Musik und Film. Zur Uraufführung des ersten saarländischen Kulturfilms – Musik von Gustav Kneip“. In: Saarbrücker Zeitung (31.08.1949) sowie Brief v. Schmoll 1999, Antwort auf Frage 18. In: Herrmann 1999, S. 178.
- 3.
Herrmann beruft sich dabei auf eine Information von Steinerts Freund und „kunsthistorischem Mentor“ Josef A. Schmoll gen. Eisenwerth, ebd.
- 4.
„Der erste saarländische Film uraufgeführt“. In: Saarbrücker Zeitung (30.08.1949).
- 5.
In den ersten Nachkriegsjahren gab es außer „(Besatzungs-)soldatenporträts und schlecht bezahlten Passbildern“ kaum Aufträge, vgl. zur Ausbildungssituation von Fotografen im Deutschland der Nachkriegszeit Sachsse, Rolf: Bilder machen lernen. Zur deutschen Photographie-Ausbildung nach 1945. In: Otto Steinert und Schüler. Fotografie und Ausbildung 1948 bis 1978. Ausst.-Kat. Fotografische Sammlung im Folkwang Museum Essen 1991, S. 144–160, S. 148.
- 6.
Vgl. „‚Mutter‘ Dryander ist tot. 38 Jahre als Schauspielerin beim Saarbrücker Ensemble“. In: Saarbrücker Zeitung (28.02.1997).
- 7.
Vgl. ebd. und vgl. dazu auch Moeller, Felix: „Ich bin Künstler und sonst nichts“. Filmstars im Propagandaeinsatz. In: Sarkowicz, Hans (Hrsg.): Hitlers Künstler. Die Kultur im Dienst des Nationalsozialismus. Frankfurt/Main 2004, S. 135–175, hier S. 140.
Volker von Collande spielte u. a. einen Gestapo-Mann im Militärspionagefilm Verräter, der 1936 auf dem NSDAP-Reichsparteitag Premiere hatte oder trat in Zwei in einer großen Stadt (1941/1942) auf. Der Film war zugleich Volker von Collandes erste Regiearbeit und ist einer der wenigen abendfüllenden Spielfilme der NS-Zeit.
- 8.
Vgl. Kührmeyer, Anette: Hörspiel bei Radio Saarbrücken von 1946 bis 1955. In: Kuderna, Michael/Hudemann, Rainer/Zimmermann, Clemens (Hrsg.): Medienlandschaft Saar. Von 1945 bis in die Gegenwart. Medien zwischen Demokratisierung und Kontrolle (1945–1955), Bd. 1, München 2010, S. 222, und weiter vgl. Moeller 2004, S. 140.
- 9.
Vgl. Hediger, Vinzenz/Vonderau, Patrick: Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Filmische Mittel, industrielle Zwecke. Das Werk des Industriefilms. Berlin 2007, S. 8–14, hier S. 11.
- 10.
Die Ausstellung stand unter dem Protektorat des ersten saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann und verzeichnete mehr als 100.000 Besucher*innen, darunter auch Besucher*innen aus den Nachbarländern Luxemburg und Frankreich.
- 11.
Petsch, Joachim: Zum Wohnungsbau der 50er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland (1983), https://e-pub.uni-weimar.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/948/file/Joachim_Petsch_pdfa.pdf (06.01.2020).
- 12.
Vgl. ebd.
- 13.
Vgl. ebd.
- 14.
Ebd.
- 15.
Vgl. Slotta, Delf: Bergarbeiterwohnungsbau im Saarland. Zwei Jahrhunderte Siedlungswesen – eine Zeitreise! (2009), https://www.delfslotta.de/download/themen/bergbau/2009-60_Jahre_Stiftung_fuer_Bergarbeiter-Wohnungsbau.pdf (08.01.2020). Daneben entstanden im Saarland die „Kettelervereine“, deren Siedlungen in Nachbarschaftshilfe bzw. Gemeinschaftsarbeit entstanden und von Wohnungsbauvereinen unterstützt wurden. Zudem etablierten sich Siedlungshausprojekte, die mit Einzel- und Doppelhäusern bebaut waren. Zur Bautätigkeit im Saarland in den Jahren 1948 bis 1949, siehe: Die Bautätigkeit im Saarland 1948/49, Einzelschriften zur Statistik des Saarlandes Nr. 1, herausgegeben vom Statistischen Amt des Saarlandes (1950), https://www.statistischebibliothek.de/mir/receive/SLAusgabe_mods_00001396 (08.01.2020).
- 16.
Staub, Alexandra: Von Stunde Null bis Tempo 100. Das Einfamilienhaus und die »Amerikanisierung« westdeutscher Wohnideale in der Nachkriegszeit, in: ZfK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1 (2017), S. 73–95, S. 73. Der amerikanische Werbefilm Dach über dem Kopf (USA 1950, Eva Kroll) greift die Thematik des Wiederaufbaus und die Wohnungsproblematik auf, mustergültig für den Film ist das Eigenheim. In dem Kurzfilm geht es um den Wiederaufbau und den Neubau von Geschäfts- und Wohnhäusern mit der Unterstützung des Marshallplans. Als Lösungsvorschlag für die Wohnungsproblematik wird im Film der Neubau von Fertighäusern in moderner Betonbauweise propagiert. Gezeigt werden der Aufbau inklusive der Anlieferung von Fertigwänden per LKW sowie das Aufrichten der Wände. Auch die Finanzierung wird im Film angesprochen und in einer fiktiven Rahmenhandlung am Beispiel eines Bergarbeiters durchgespielt, der mit seiner Familie in einer einsturzgefährdeten Wohnung lebt und nach einem Ausweg sucht und u. a. ein Beratungsgespräch bei der Bank führt. Der Tenor am Ende des Films lautet: „Nur durch Zusammenarbeit kommen Sie ans Ziel.“ Der Film arbeitet mit verschiedenen medialen Mitteln wie u. a. Zeitungsausschnitten oder Modellen von Musterhäusern. Eingesetzt wurden z. B. Überblendungen und Doppelbelichtungen. Am Ende des Films wird ein einzelnes Haus von drei Reihenhäusern überblendet. Die Lebens- und Werkdaten der Regisseurin des Films, Eva Kroll, sind bis dato ungeklärt.
- 17.
Vgl. Goergen, Jeanpaul: Werben für eine neue Stadt – Stadtplanung und Dokumentarfilm im Wiederaufbau der Bundesrepublik. In: Keim, Christiane/Schrödl, Barbara (Hrsg.): Architektur im Film: Korrespondenzen zwischen Film, Architekturgeschichte und Architekturtheorie. Bielefeld 2015, S. 115–146, S. 121.
- 18.
Zum Re-Orientation-Film siehe u. a. Goergen, Jeanpaul: Blick nach vorne: Re-Orientation-Filme unter HICOG 1949–1952. In: Heukenkamp, Ursula (Hrsg.): Schuld und Sühne? Kriegserlebnis und Kriegsdeutung in deutschen Medien der Nachkriegszeit (1945–1961). Amsterdam 2001, S. 415–428, sowie Hahn, Brigitte J.: Umerziehung durch Dokumentarfilm? Ein Instrument amerikanischer Kulturpolitik im Nachkriegsdeutschland (1945–1953). Münster 1997, zur Re-Education-Kampagne: Rother, Rainer/Schulberg, Sandra (Hrsg.): Selling Democracy. Films of the Marshall Plan: 1947–1955. Katalog der 54. Internationalen Filmfestspiele Berlin 2004.
- 19.
Bernstorff, Madeleine: Der Beitrag Frankreichs. Filmpolitik in der französischen Besatzungszone (2014), http://www.madeleinebernstorff.de/seiten/DerBeitragFrankreichs.pdf (06.01.2020).
- 20.
Im August 1946 wurden von den insgesamt 425 eröffneten Filmtheatern in der französischen Zone 65 im Saargebiet betrieben. Vgl. ebd.
- 21.
Vgl. ebd.
- 22.
Vgl. Tode, Thomas: „Recontres sur le Rhin“ – Der französische Europafilm und die Fixierung auf das französisch-deutsche Verhältnis. In: Clemens, Gabriele: Werben für Europa. Die mediale Konstruktion europäischer Identität durch Europafilme. Paderborn 2016, S. 229–300, hier S. 254 ff.
- 23.
Laut einer Meinungsumfrage im Saarland bevorzugten 80 % der Bevölkerung deutsche oder deutsch synchronisierte Produktionen. Vgl. Bernstorff 2014.
- 24.
Ebd.
- 25.
Vgl. Goergen, Jeanpaul: „Planloses Labyrinth der Unvernunft“ – Die dunkle Großstadt als Negativfolie in Stadtplanungsfilmen der 1950er Jahre. Redebeitrag Workshop „Filmer La Ville. Stadt, Moderne und Dystopie filmisch beschleunigt“ am 1. Februar 2019.
- 26.
Argumente der oben angeführten Debatte wurden während des Workshops „Filmer La Ville. Stadt, Moderne und Dystopie filmisch beschleunigt“ am 1. Februar 2019 von den Teilnehmer*innen diskutiert, darunter u. a. Prof. Volker Ziegler, Jeanpaul Goergen, Prof. Clemens Zimmermann, Dr. Salvatore Pisani.
- 27.
Vgl. ebd.
- 28.
Marinetti, Filippo Tommaso: „Manifest des Futurismus“ [1909]. In: Schmidt-Bergmann, Hansgeorg (Hrsg.): Futurismus. Geschichte, Ästhetik, Dokumente, Reinbek bei Hamburg 1993, S. 75–80, hier S. 78.
- 29.
Vgl. Prof. Clemens Zimmermann, Diskussion Workshop „Filmer La Ville. Stadt, Moderne und Dystopie filmisch beschleunigt“ am 1. Februar 2019.
- 30.
Zum Motiv des Kriegsheimkehrers siehe u. a. Agazzi, Elena/Schütz, Erhard (Hrsg.): Heimkehr: Eine zentrale Kategorie der Nachkriegszeit. Geschichte, Literatur und Medien. Berlin 2010.
- 31.
Vgl. Tode, Thomas: Zwischen Apokalypse und Erlösung. Filme zum Wiederaufbau in Frankfurt. In: Fischl, Felix (Hrsg.): Wandelbares Frankfurt. Dokumentarische und experimentelle Filme zur Architektur und Stadtentwicklung in Frankfurt am Main. Frankfurt/Main 2018, S. 86–111, hier S. 96, S. 106.
- 32.
Die Komposition entstand als Auftragswerk für eine neapolitanische Laienbruderschaft zum Gebrauch in der Karwoche. Weiterbearbeitet wurde das Werk von Johann Sebastian Bach zu „Tilge, Höchster, meine Sünden“, einem Gebet der Muttergottes. Stein auf Stein verzichtet auf einen Sprecher*innenkommentar und wird stattdessen akzentuierend mit klassischer Musik untermalt, die eigens für den Film komponiert wurde. Wie der Rezensent der Saarbrücker Zeitung bemerkt, eigne der Film sich dadurch auch für Vorführungen im Ausland.
- 33.
Mit dem Fotoband machten der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer und der ehemalige Reichskanzler Heinrich Brüning amerikanischen Politiker*innen das Ausmaß der Zerstörungen in Deutschland verständlich. Vgl. zu dem Themenkomplex Städter, Benjamin: Verwandelte Blicke: Eine Visual History von Kirche und Religion in der Bundesrepublik 1945–1980. Frankfurt/Main 2011.
- 34.
Küppers, Heinrich: Johannes Hoffmann (1890–1967). Biographie eines Deutschen. Düsseldorf 2008, S. 289.
- 35.
Vgl. ebd., S. 362.
- 36.
Den Begriff „Mechanische Verlebendigung“ verwendet Chris Tedjasukmana in einer gleichnamigen Studie, in der er den Diskurs über den Zusammenhang von Film, Leben und Tod aufgreift und verdeutlicht, wie Fotografie und Film sich fortlaufend in ihrem Verhältnis zu Leben und Tod definieren bzw. abgrenzen.
- 37.
In der Stadt Saarbrücken erfolgte die Enttrümmerung in gleichen Anteilen in Gemeinschaftsarbeit und maschinell. Zur Gemeinschaftsarbeit waren dort nur Männer aufgerufen, vgl. hierzu die Studie der Historikerin Leonie Treber zum Trümmerfrauen-Mythos im Kontext der Trümmerbeseitigung in Ost- und Westdeutschland nach 1945. Treber beschreibt darin, dass die Trümmerbeseitigung nach dem Zweiten Weltkrieg schnell von professionellen Bauunternehmen erledigt wurde, aber auch von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern und deutschen Kriegsgefangenen, die dazu zwangsverpflichtet wurden, sowie Arbeitslose und auch Bürger*innen wurden ebenfalls dazu herangezogen. In Westdeutschland wurden Frauen für die Einsätze häufig ganz abgelehnt, in Berlin und in der sowjetischen Besatzungszone waren Männer und Frauen gleichermaßen im Einsatz, vorübergehend bildeten Frauen die Mehrheit. Vgl. Treber, Leonie: Mythos Trümmerfrauen. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes. Essen 2014, S. 137, S. 221 f., S. 226, S. 238.
- 38.
Die industrielle Fertigung von Bausteinen war bereits in der NS-Zeit für die Industrie des Saarlandes von Relevanz. Der saarländische Großindustrielle Hermann Röchling (1872–1955), Nachkomme der Industriellen-Dynastie Röchling, die lange die Schwerindustrie an der Saar prägte und der über Jahrhunderte das Stahlwerk Völklinger Hütte gehörte, stieg im Dritten Reich bis an die Spitze der NS-Elite auf. Röchling wurde 1946 vor dem internationalen Militärgerichtshof in Rastatt angeklagt wegen folgender Verbrechen: Verschleppung von Personen zur Zwangsarbeit, industrieller Ausbeutung der besetzten Gebiete in Frankreich sowie der Erhöhung des deutschen Kriegspotenzials. Während der NS-Diktatur beteiligte sich Röchling maßgeblich an der Eingliederung des Saargebietes in das Deutsche Reich und wurde zu Kriegsbeginn von Josef Bürckel, dem NS-Gauleiter von Saar und Pfalz, mit der „Sicherung“ der heimischen Stahlindustrie beauftragt. Am 1. Juli 1940 ernannte ihn Göring zum „Generalbeauftragten für Eisen und Stahl“ in Lothringen. Vgl. Küppers 2008, S. 289. Durch die Zusammenarbeit mit dem Wiederaufbauamt in Saarbrücken, das für den Wiederaufbau an der Saar und in Lothringen zuständig war, bot sich Röchling die einmalige Chance, „die gesamte Hochofenschlacke als Abfallstoff seiner Stahlwerke in profitables Rohmaterial zu verwandeln.“ In der Völklinger Hütte wurde die Schlacke zu maschinell gefertigten großformatigen Leichtbausteinen verarbeitet: Mit dem neuen Verfahren errichtete Röchling in Völklingen eine Versuchsanlage, was für den sozialen Wohnungsbau des NS-Staates von großem Interesse war. Krebs, Gerhild: Nationalsozialistische Dorfarchitektur und Raumplanung im Saarland und in Lothringen (1939/1940–1944) (2009), http://www.memotransfront.uni-saarland.de/nationalsozialistische_dorfarchitektur.shtml (08.01.2020).
- 39.
Vgl. Dimmig, Oranna: Stadt und Stern/Sarrelouis – Ville et Étoile. Saarbrücken 2011, S. 154.
- 40.
Vgl. Menkès, Edouard: Das Projekt für den Aufbau von Saarlouis, in: BAU 2 (1948), S. 33–42, S. 35.
- 41.
Vgl. Cohen 2013, S. 340.
- 42.
Menkès 1948, S. 37.
- 43.
Vgl. Dimmig 2011, S. 154.
- 44.
Vgl. Baudouï, Rémi: Französische Wiederaufbaupolitik an der Saar oder: Funktionalismus als politische Doktrin (1945–1950). In: Hudemann, Rainer (Hrsg.): Grenz-Fall. St. Ingbert 1997, S. 279–291, S. 284.
- 45.
Die Stadt von morgen. Ein Film vom Städtebau (D 1930), Produktion und Gestaltung: Atelier Svend Noldan, Berlin, Format und Länge: 35 mm, s/w, stumm, 1010 m (= 44′18″ bei 20 Bildern pro Sekunde), Kopien: Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin, Landesarchiv Berlin.
Der Titel knüpft an Raymond Unwins (1863–1940) „The City of Tomorrow“ an, einer Studie über Gartenstädte und grenzt sich gleichzeitig gegen Le Corbusiers „La ville d’aujourd’hui“ ab, so Thomas Elsaesser: Die Stadt von morgen. Filme zum Bauen und Wohnen. In: Kreimeier, Klaus/Ehmann, Antje/Goergen, Jeanpaul (Hrsg.): Geschichte des Dokumentarischen Films in Deutschland. Bd. 2: Weimarer Republik 1918–1933. Stuttgart 2005, S. 381–409, S. 407.
- 46.
Ebd., S. 407 f.
- 47.
Schon 1915 wurde der zukunftsorientierte Städtebaufilm A Tale of Two Cities produziert, der den Plan of Chicago von Daniel H. Burnham und Edward H. Bennett adaptierte. Chicago war zur Entstehungszeit ein zentraler Schauplatz der City-Beautiful-Bewegung. Der zwischen 1906 und 1909 erstellte und publizierte Masterplan für den Großraum Chicago enthielt ein ausgedehntes Netz von Parkanlagen und Waldreservaten, die durch „Parkways“ miteinander verbunden waren. Dieses Konzept lehnte sich konzeptionell an die Gartenstadtbewegung in Europa an. Nach Janser könnte es sich bei dem Film, von dem keine Kopie erhalten ist, um das erste bekannte Beispiel eines „prospektiven Städtebaufilms“ handeln. Janser, Andres: Der elektrische Schatten der Stadt. In: Thesis, Wissenschaftliche Zeitschrift der Bauhaus-Universität Weimar 4 (2003), S. 189–194, S. 190.
- 48.
Vgl. Elsaesser 2005, S. 384.
- 49.
Vgl. Janser 2003, S. 190 f.
- 50.
Vgl. zum „Zusammenhang von Medien und industrieller Organisation“: Hediger, Vinzenz/Vonderau, Patrick: Record, Rhetoric, Rationalization. Film und industrielle Organisation. In: Hediger, Vinzenz/Vonderau, Patrick (Hrsg.): Filmische Mittel, industrielle Zwecke. Das Werk des Industriefilms. Berlin 2007, S. 22–33, S. 25.
In den 1930er Jahren entwickelte der Schuhfabrikant Tomáš Bat’a die Industriestadt Zlín in der Region Mähren, den Hauptstandort seiner Schuhfabrik, zu einer Musterstadt, die als Vorbild für die weltweite Errichtung von Bat’a-Satellitenstädten diente. Zum ganzheitlichen Entwurf gehörte nicht nur die städtebauliche Funktionsteilung, sondern auch die Integration von Stadt, Fabrik und einem modernen Kommunikationsnetzwerk. Zlín war auch Filmstadt. Der Bat’a-Konzern unterhielt dort eine eigene Filmproduktion mit Trickfilmstudios. Neben der Produktion von Werbefilmen wurden dort Lehrfilme für die Mitarbeiter*innen des Konzerns erstellt, es exisitierte ein Großkino sowie Studieninstitute, vgl. Szczepanik, Petr: Modernität, Industrie, Film: Der Verbund der Medien in der Firma Bat’a und in der Stadt Zlín in den dreißiger Jahren. In: Hediger/Vonderau 2007, S. 251 f.
- 51.
Goldbeck, Maximilian v./Kotzer, Erich: Die Stadt von Morgen. Ein Film vom Städtebau. In: Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau, 14/5 (1930), S. 237–239. Zur Frühgeschichte des städtebaulichen Films vgl. auch: Janser 2003.
- 52.
Vgl. Elsaesser, Thomas: Die Stadt von Morgen: Filme zum Bauen und Wohnen. In: Ehmann, Antje/Goergen, Jeanpaul/Kreimeier, Klaus (Hrsg.): Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Weimarer Republik 1919–1933. Bd. 2, Stuttgart/Leipzig 2005, S. 381–409, S. 398 ff.
- 53.
Das Wort aus Stein. Ein Film von den Bauten des Führers (D 1939), Produktion: Universum-Film AG (Ufa), Berlin, Regie und Drehbuch: Kurt Rupli, Format und Länge: 35 mm, s/w, 531 m (= 19′24″), Kopie: Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin. Ziegler, Reiner: Kunst und Architektur im Kulturfilm 1919–1945. Konstanz 2003, S. 205.
- 54.
Vgl. ebd.
- 55.
Vgl. ebd., S. 207.
- 56.
Vgl. ebd., S. 209.
- 57.
Ebd., S. 207.
- 58.
Erinnert sei auch an die Geburtsstunde des Kinos mit dem einminütigen Film L‘Arrivée d‘un train (à La Ciotat) (F 1895) der Brüder Lumière, die mit der Kamera auf dem Bahnsteig von La Ciotat die Einfahrt eines dampfbetriebenen Zuges filmten oder die Phantom Rides im frühen Kino.
- 59.
Jacques Tourneurs Film Berlin-Express von 1948 spielt in Teilen auch auf der Bahnstrecke Paris – Metz – Saarbrücken – Mainz – Frankfurt.
- 60.
Lenz, Felix: Nostalgische, historische und kosmische Sedimente – experimentelle Filme über Frankfurt am Main. In: Fischl, Felix (Hrsg.): Wandelbares Frankfurt. Dokumentarische und experimentelle Filme zur Architektur und Stadtentwicklung in Frankfurt am Main. Frankfurt/Main 2018, S. 246–265, hier S. 262.
- 61.
Vgl. ebd., S. 262 f. Ruttmann arbeitete mit Standards der zeitgenössischen Fotografie, beispielsweise der Fotoästhetik der beiden Vertreter der amerikanischen Fotoavantgarde, Paul Strand und Charles Sheeler, die vor ihm den experimentellen Kurzfilm Manhatta (USA 1921) drehten, vgl. Dähne, Chris: Stadtsinfonien der 1920er Jahre. Architektur zwischen Film, Fotografie und Literatur (Kultur- und Medientheorie). Bielefeld 2013, S. 198 f. Vgl. zur Eisenbahn als Wahrnehmungsdispositiv u. a. Schivelbusch, Wolfgang: Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert. Frankfurt/Main 1995; Gunning, Tom: Vor dem Dokumentarfilm. Frühe Non-Fiction-Filme und die Ästhetik der „Ansicht“. In: Kintop 4. Basel/Frankfurt/Main 1995, S. 111–121 sowie Blümlinger, Christa: Lumière, der Zug und die Avantgarde. In: Hagener, Malte/Schmidt, Johann N./Wedel, Michael (Hrsg.): Die Spur durch den Spiegel. Der Film in der Kultur der Moderne. Berlin 2004, S. 27–41.
- 62.
Weihsmann, Helmut: Baukunst und Filmarchitektur im Umfeld der filmischen Moderne. In: Segeberg, Harro (Hrsg.): Die Perfektionierung des Scheins. Das Kino der Weimarer Republik im Kontext der Künste, Bd. 3, München 2000, S. 177–215, hier S. 206.
- 63.
Groß, Bernhard: Die Filme sind unter uns. Zur Geschichtlichkeit des frühen deutschen Nachkriegskinos: Trümmer-, Genre-, Dokumentarfilm. Berlin 2015, S. 95. In seiner Monografie analysiert Groß das deutsche Nachkriegskino anhand von Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung und Jacques Rancières Geschichtsbegriff.
- 64.
Er selbst, so Rolf Sachsse, habe sich zum „Initiator“ erklärt und wurde „für rund drei Jahrzehnte zum Monument deutscher Fotografie in Kunst und Unterricht“, Sachsse, Rolf: Was sagen Sie zu Dr. Steinert? (Auch) Persönliches zu Otto Steinert und Saarbrücken. In: Ausst.-Kat. Otto Steinert in Saarbrücken. Galerie der HBKsaar. Saarbrücken 2012, S. 4–5, hier S. 4.
- 65.
Steinert zit. nach Augustin, Roland: subjektive fotografie, fotoform und Steinerts Klasse an der Schule für Kunst und Handwerk. In: Gebanntes Licht. Die Fotografie im Saarlandmuseum von 1844 bis 1995. Ausstellungskatalog Saarlandmuseum Saarbrücken 2009, S. 151–165, hier S. 156.
- 66.
Vgl. Augustin 2009, S. 154.
- 67.
Steinert zit. nach Augustin 2009, S. 152.
- 68.
Vgl. Augustin 2009, S. 154.
- 69.
Vgl. Augustin, Roland: Man Ray – zurück in Europa. In: Man Ray – zurück in Europa. Ausstellungskatalog Saarlandmuseum/Moderne Galerie. Saarbrücken 2019, S. 26–35, hier S. 26.
- 70.
Vgl. Eskildsen, Ute: Die Anfänge. Fotografie, Medizin, Militär, Fotografie. In: Der Fotograf Otto Steinert. Ausstellungskatalog Museum Folkwang. Essen 2000, S. 38–47, hier S. 39. Zum Themenspektrum von Steinerts Frühwerk gehörten Tier- und Landschaftsaufnahmen, Porträts, Momentfotos und Theateraufnahmen. Dabei konzentriert er sich auf extreme Lichtsituationen, städtische Nachtaufnahmen und Serien im Theater, Varieté oder Zirkus. Insgesamt beinhaltet Steinerts Nachlass ca. 400 Fotografien aus seiner Frühzeit. Vgl. ebd., S. 40.
- 71.
Vgl. zur Biografie Otto Steinerts: Eskildsen 2000, S. 40 ff.
- 72.
Zur Biografie Steinerts siehe auch u. a. Baier, Uta: Der subjektive Fotograf. Online unter: https://www.kulturstiftung.de/otto-steinert/ (06.01.2020). Baier nennt die pharmakologischen Experimente von 1944 ausdrücklich beim Namen, andere fassen die NS-Zeit eher oberflächlich zusammen.
- 73.
„Von der britischen Militärregierung hatte er, trotz NSDAP-Mitgliedschaft ab 1936, keine Einschränkungen in seinem Beruf zu befürchten. Sie hatte ihn politisch entlastet.“ Baier, Uta: Der subjektive Fotograf, https://www.kulturstiftung.de/otto-steinert/ (06.01.2020).
- 74.
Vgl. Augustin, Roland: Otto Steinert. In: Gebanntes Licht. Die Fotografie im Saarlandmuseum von 1844 bis 1995. Ausstellungskatalog Saarlandmuseum Saarbrücken 2009, S. 141–149, S. 141. Die erste Ausstellung fand in Saarbrücken statt, die zweite startete 1954 in Saarbrücken, wurde 1955 im Grand Palais in Paris und 1956 im Takashimaya Nikonbashi in Tokio gezeigt. Die dritte der Ausstellungen eröffnete 1958 zur photokina in Köln, wanderte noch im selben Jahr ins Palais des Beaux-Arts in Brüssel und 1960 über Hamburg nach Varese in Italien. Vgl. Augustin, Roland: subjektive fotografie, fotoform und Steinerts Klasse an der Schule für Kunst und Handwerk. In: Gebanntes Licht. Die Fotografie im Saarlandmuseum von 1844 bis 1995. Ausstellungskatalog Saarlandmuseum. Saarbrücken 2009, S. 151–165, hier S. 154.
- 75.
Melcher, Ralph: Fotosynthesen – Industrie und Landschaft. Fotografische Arbeiten von Otto Steinert und Bernd Lieven. In: Fotosynthesen – Industrie und Landschaft. Fotografische Arbeiten von Otto Steinert und Bernd Lieven. Ausstellungskatalog Saarlandmuseum. Saarbrücken 2008, S. 3–10, hier S. 6 f.
- 76.
Ebd., S. 6.
- 77.
Ebd.
- 78.
Ebd., S. 3.
- 79.
Thorn-Prikker, Jan: Fotografie als Kunst der Verdrängung. In: European Photography 47 (1991), S. 7–9, hier S. 8.
- 80.
Zur Wolke als Projektionsfläche vgl. Schmidt, Gunnar: „Weiche Displays“. Projektionen auf Rauch, Wolken und Nebel. Berlin 2011; Engell, Lorenz/Siegert, Bernhard/Vogl, Joseph (Hrsg.): Wolken. Archiv für Mediengeschichte 5. Weimar 2005.
- 81.
Es lässt sich auch an den Anfang des Kinos denken, etwa an das 1895 entstandene Werk Démolition d‘un mur (R: Louis & Auguste Lumière, F 1895). Gezeigt wird hier der Abriss einer Mauer durch Arbeiter.
- 82.
Vgl. Gaines, Jane: Von Elefanten zur Lux-Seife: Programmierung und „Flow“ der frühen Ereignis- und Verbundwerbung für Filme. In: Hediger, Vinzenz/Vonderau, Patrick (Hrsg.): Demnächst in Ihrem Kino. Grundlagen der Filmwerbung und Filmvermarktung. Marburg 2005, S. 76–107, hier S. 87.
- 83.
Klemperer, Victor: LTI – Notizbuch eines Philologen. Berlin 1947, S. 43.
- 84.
Gaines 2005, S. 83.
- 85.
Vgl. ebd., S. 93 f.
- 86.
Vgl. ebd., S. 87.
- 87.
Vgl. ebd., S. 93.
- 88.
Die Entstehung der Nummer mit dem Ziegelstein-Mann beschreibt Barnum in seiner Autobiographie Struggles and Triumphs: Or, Forty Years Recollections of P. T. Barnum, die 1869 erschien und zum Bestseller wurde, vgl. ebd. 2005, S. 93 f.
- 89.
Vgl. Hámos, Gusztáv/Pratschke, Katja/Tode, Thomas: Schöpferische Konstruktionen – Eine Einführung. In: Dies. (Hrsg.): VIVA FOTOFILM bewegt/unbewegt. Marburg 2010, S. 9–16, hier S. 9.
- 90.
Die Steinert-Schülerin Edith Buch geht dabei noch radikaler vor, wie beispielsweise mit der Fotografie „Paris, Place du Parvis Notre Dame“ (1956) oder auch in der frühen Arbeit „Giebeltrümmer“ (1952). Vgl. dazu Roland, Augustin: Bilder aus der Stadt. Fotografien von Edith Buch-Duttlinger und Ingeborg Knigge. In: Fotosynthesen – Bilder aus der Stadt. Fotografien von Edith Buch-Duttlinger und Ingeborg Knigge. Ausstellungskatalog Saarlandmuseum. Saarbrücken 2005, S. 4–15, hier S. 6.
- 91.
Frahm, Laura: Jenseits des Raums. Zur filmischen Topologie des Urbanen. Bielefeld 2010, S. 243.
- 92.
Vgl. dazu beispielsweise Harun Farockis Film Gegen-Musik. Analyse u. a. bei: Blumenthal-Barby, Martin: Der asymmetrische Blick: Film und Überwachung. Paderborn 2016, S. 25 ff.
- 93.
Vgl. zur detaillierten Beschreibung der Filmmusik und der Analogie zur Nummernoper: Musik und Film. Zur Uraufführung des ersten saarländischen Kulturfilms – Musik von Gustav Kneip. In: Saarbrücker Zeitung (31.08.1949).
Bei den Großstadtsinfonien entspricht die Dramaturgie vom langsamen Erwachen der Stadt, der Hektik des Tages und dem langsamen Ausklingen der Komposition der musikalischen Sinfonie und wird durch den Filmschnitt betont. Gesamtdramaturgie und Filmschnitt orientieren sich explizit an der Musik bzw. der sinfonischen Form. Auf abwechslungsreiche Musik reagiert die Stadtsinfonie mit vielen kurzen Schnitten als filmischem Mittel. Ruttmanns Sinfonie versucht ein Klangbild der Stadt zu erzeugen und etabliert markante rhythmische Leitmotive. Ruttmanns Sinfonie ist geprägt von Elementen des Arbeitsmarsches und Maschinenrhythmus, wobei der Potsdamer Platz als Kontrapunkt eine wichtige Rolle spielt. Dabei erfolgt eine Steigerung aller Geräusche der Großstadt in kontrapunktischer Darstellung.
- 94.
Vgl. Henderson 1996; Hays 1992, zit. nach Pohl, Dennis (2018): Diagrammatische Techniken der Architektur: Zirkulierende Körper und Dinge, http://www.perfomap.de/map9/diagramme/diagrammatische-techniken-der-architektur (06.01.2020).
- 95.
Vgl. Sulzer, Peter: Jean Prouvé. Œuvre Complète/Complete Works. Bd. 3: 1944–1954. Basel/Boston/Berlin 2005, S. 87 ff.; Baudouï, Rémi: Jean Prouvé. Von der Résistance zum Experiment Saarland. In: von Vegesack 2006, S. 186–193, hier S. 193.
- 96.
Vgl. Baudouï 2006, S. 193.
- 97.
Sulzer 2005, S. 17. Prouvés demontierbare Leichtbauten gingen auch in Frankreich nicht in Serie. Der Minister für Wiederaufbau und Städtebau, Eugène Claudius-Petit, ein Anhänger von Le Corbusiers Architektur, setzte sich für die Betonvorfertigung zur Lösung der Wohnungskrise ein. Im Jahr 1949 initiierte er den ersten Wohnungsbauwettbewerb für die „Grands Chantiers Expérimentaux“, bei denen es sich um Experimentalbaustellen handelte. Auf diesen Baustellen wurden im großen Maßstab neue Vorfertigungsmethoden, darunter die „Procédé Camus“ getestet. Vgl. Avermaete, Tom: Komplizen einer modernen Gesellschaft. Architektur und Politik in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Arch + 203 (6/2011), S. 30–36, S. 32. In den 1930er Jahren hatte der ehemalige Citroën-Ingenieur Raymond Camus die Technik der Großtafelbauweise aus Stahlbeton entwickelt und patentieren lassen. Gemeinsam mit dem Bauunternehmen Dietsch gründete Camus in Marienau-les-Forbach, nahe der deutschen Grenze, eine Firma für Fertigteile. Mitte der 1950er Jahre wurde das System Camus-Dietsch beim Bau einer Cité nach Plänen von G.H. Pingusson in Farébersviller eingesetzt. Vgl. https://archiwebture.citedelarchitecture.fr/fonds/FRAPN02_PINGU/inventaire/objet-10981 (02.03.2020).
- 98.
Im Film selbst wird Kinoarchitektur nicht thematisiert, jedoch werden mehrere kurze Einblendungen des Saarbrücker Stadt-Theaters gezeigt, das als Beispiel für Architektur mit transitorischer Funktion dient. In dem Wiederaufbaufilm Eine Stadt baut auf – Saarlouis (1954), Produktion: Saar-Film-Union, Regie: Dr. F. B. Nier und Berndt von Tyzska, s/w, 20 m, Kopie: Städtisches Museum Saarlouis, wird der Besuch eines Kinos in einer neu gebauten Einkaufsstraße zum Schaufensterbummel erklärt. Die Uraufführung des Films war selbst auch Programmpunkt der Festveranstaltungen zur Einweihung des neuen Rathauses, das sich im Film am Standort des Kinos befindet.
- 99.
Otto Steinert – Pariser Formen. Ausstellungskatalog Museum Folkwang Essen 2008.
- 100.
Vgl. J. A. Schmoll gen. Eisenwerth: Mit Otto Steinert in Paris. In: Der Fotograf Otto Steinert, S. 72, zit. nach: Ebner, Florian: Fotografische Lektionen. Die Pariser Formen von Otto Steinert. In: Otto Steinert – Pariser Formen. Ausstellungskatalog Museum Folkwang Essen 2008, S. 93–102, hier S. 95.
- 101.
Vgl. Ebner 2008, S. 95.
- 102.
Mit seinem fotografischen Stadtporträt Hamburg von 1930 schuf Renger-Patzsch einen Vorläufer. Allerdings ist in Renger-Patzschs Bildband der Übergang von Architekturfotografien historischer Gebäude zu stark formal komponierten Studien von Booten und Anlegern fließend, vgl. ebd., S. 95.
- 103.
Vgl. Ebner 2008, S. 98 f.
- 104.
Zum Fotogramm siehe weiterführend u. a. Fotogramm-Archiv HeyneNeusüss des ZKM Karlsruhe, https://zkm.de/de/das-fotogramm-archiv-heyneneusuess (09.01.2020). Steinert integriert in seine Pariser Skizzen auch die monumentale repräsentative Architektur, die anlässlich der Pariser Weltausstellung 1937 errichtet wurde, darunter eine Aufnahme vom monumentalen Palais de Tokyo mit dreiseitigem Portikus am Seineufer, das von den Architekten Jean-Claude Dondel, André Aubert, Paul Viard und Marcel Dastugue errichtet wurde. Hier konzentriert sich Steinert auf den Rhythmus der Kolonnaden, während es sich bei der Aufnahme vom Palais de Chaillot, das von Gabriel Davioud und Jacques Carlu 1878 für die Weltausstellung gebaut und 1937 nach Südosten verdoppelt wurde, um einen Ausschnitt der vertikal strukturierten Fassade handelt.
- 105.
Stadtplanung für heute und morgen (BRD 1951), Produktion: Glocken-Film, Bremen, Regie: Karl Strichow, Format und Länge: 35 mm, s/w, 197 m (= 7′12″), Kopie: Landesfilmarchiv Bremen. Eine digitale Kopie des Films wurde mir freundlicherweise vom Landesfilmarchiv Bremen zur Verfügung gestellt.
- 106.
Der Sprecherkommentar erläutert hierzu: Das Umlegungsgebiet bestehe aus einer Grundfläche von 12.625 m2, die sich aus über 100 Grundstücken zusammensetzt, 30 % davon sei jedoch nicht bebauungsfähiger Kleinbesitz. Die 100 Gebäude wiederum, so der Sprecher weiter, haben nur eine Hoffläche in der Größe eines normalen Hauses. (03:48–04:07).
- 107.
Obwohl die elementare Geometrie des Festungsbaus durch kriegerische Zwecke motiviert ist und nicht ästhetischer Zielsetzung diente vgl. dazu die Diskussion von Gebuhr, Ralf: Festung und Repräsentation. Zur Sozialgeometrie-These von Henning Eichberg. In: Meyer, Torsten/Popplow, Marcus (Hrsg.): Technik, Arbeit und Umwelt in der Geschichte. Münster 2006. Gebuhr bezieht sich dabei auf Henning Eichbergs Untersuchung „Festung, Zentralmacht und Sozialgeometrie“, die auf einer Untersuchung zum Kriegsingenieurwesen in den Herzogtümern Bremen und Verden im 17. Jahrhundert aufbaut, S. 181–200, hier S. 197 ff.
- 108.
Löw, Martina: Space Oddity. Raumtheorie nach dem Spatial Turn, https://www.sozialraum.de/space-oddity-raumtheorie-nach-dem-spatial-turn.php#_ftn1 (08.01.2020).
- 109.
Ebd.
- 110.
Die serifenbetonte Linear-Antiqua entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts in England, wo man sie auch als Egyptienne bezeichnete. Die serifenbetonten Fonts waren eine Antwort auf den gestiegenen Bedarf nach auffälligen Werbeschriften. Mit den balkigen Serifen konnten sie sich gut gegen konkurrierende Werbebotschaften durchsetzen, vgl. Schwemer-Scheddin, Yvonne: Egyptienne & Clarendon. Revolutionäre Schriftmodifikation oder Verfall der Schriftkultur. In: Klein, Manfred/Schwemer-Scheddin, Yvonne/Spiekermann, Erik: Typen & Typografen. Laren 1991, S. 49–56, hier S. 52.
- 111.
Vgl. zum systemischen Blick im Industrie- und Managementfilm wiederum: Reichert, Ramón: Behaviorismus, Zeichentrick und effektives Kino. Zur visuellen Kultur des Managements am Beispiel der Industrial-Management Filmreihe von McGraw-Hill. In: Hediger, Vinzenz/Vonderau, Patrick (Hrsg.): Filmische Mittel. Industrielle Zwecke. Das Werk des Industriefilms. Berlin 2007, S. 142–163, hier S. 148.
- 112.
Durth/Gutschow 1993, S. 358.
- 113.
Vgl. ebd., S. 358 ff.
- 114.
Ebd., S. 360.
- 115.
Cowan, Michael: Advertising and Animation: From the Invisible Hand to Attention Management. In: Florin, Bo/de Klerk, Nico/Vonderau, Patrick (Hrsg.): Films that Sell. Moving Pictures and Advertising. London 2016, S. 93–113, hier S. 95.
- 116.
Hier handelt es sich um ein tradiertes Argumentationsmuster der Städtebaufilme, vgl. Goergen 2015, S. 120.
- 117.
Vgl. Architekturführer Bremen, https://architekturfuehrer-bremen.de/n_anzeigen.php?id=364 (08.01.2020).
- 118.
Durth/Gutschow 1993, S. 358. 1952 wurde mit Marshallplanmitteln Bremens erstes Wohnhausprojekt finanziert, die ECA-Siedlung in der St. Magnus Straße, die von den Frankfurter Architekten Hebebrand, Schlempp, Marschall entworfen wurde. Die Siedlung besteht aus Reihenhauszeilen, die in streng gleichförmiger Ausrichtung quer zu den alten Stadtstraßen verlaufen sowie dreigeschossigen Laubenganghäusern, die in einen Grünzug eingebettet sind, siehe dazu https://www.architekturfuehrer-bremen.de/n_anzeigen.php?id=321 (06.01.2020).
- 119.
Vgl. Syring, Eberhard: Als Heimatfremde unbremisch bauten. In: taz – Die Tageszeitung (16.12.2006).
- 120.
Die Zeichnungen im Bremer Film stammen laut Credits von Horst G. Koch.
- 121.
George Meliés benutzte das Genre für seine Trickfilme, vgl. dazu u. a. Cowan, Michael: Walter Ruttmann and the Cinema of Multiplicity. Avant-Garde Film-Advertising-Modernity. Amsterdam 2014, S. 94.
- 122.
Goergen 2015, S. 120.
- 123.
Darin befindet sich u. a. der erste Bebauungsplan der Hansestadt Bremen, ein Plan der alten Neustadt (ehemals Süderort) von Johan Valckenburgh aus dem Jahr 1623, vgl. dazu https://www.bauleitplan.bremen.de/bp_index_v45.php?acti- on = erweiterte_info (06.01.2020)
- 124.
Vgl. Nipper, Josef/Nutz, Manfred/Wiktorin, Dorothea: Neuordnung des innerstädtischen Bodens: Ein Schlüssel für den erfolgreichen Wiederaufbau zerstörter Stadtzentren nach 1945. In: Erdkunde 48/4 (Oktober–Dezember 1994), S. 275–291, hier S. 275.
- 125.
Vgl. Mitscherlich 1965, S. 19 ff.
- 126.
Ebd., S. 7.
- 127.
Ebd., S. 2.
- 128.
Bohrer, Karl-Heinz: Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. München 1978, S. 141. Zur Krebsmetapher vgl. u. a. Sontag, Susan: Under the Sign of Saturn. New York 1981, S. 70.
- 129.
Der Wissenschaftshistoriker Martin Dehli resümiert in seinem Buch Leben als Konflikt. Zur Biographie Alexander Mitscherlichs, dass auch in Mitscherlichs Leben die Trauer um den Verlust der NS-„Ideale“ nicht stattgefunden hat. Dabei bezieht er sich darauf, dass Mitscherlich als Student bis 1933 den einstigen Freikorpskämpfer Ernst Jünger als Vaterfigur verehrte und mit Jüngers antidemokratischem und nationalkonservativem Kreis sympathisierte. Vgl. Dehli, Martin: Leben als Konflikt. Zur Biographie Alexander Mitscherlichs. Göttingen 2007, S. 11 ff.
- 130.
Mitscherlich 1965, S. 9.
- 131.
Ebd.
- 132.
Walter Benjamin bezieht sich auf die Korrespondenz zwischen Gebäuden und Menschen im Zusammenhang mit der Physiognomie der modernen Industriestadt. Vor ihm beriefen sich bereits Kant, Goethe und Descartes auf eine Korrespondenz zwischen Gebäuden und dem menschlichen Charakter, vgl. dazu Purdy, Daniel: On the ruins of Babel. Architectural Metaphor in German Thought. Ithaca 2011, S. 261 ff.
- 133.
Vgl. Assmann, Aleida: Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung. München 2007, S. 104 ff.
- 134.
Ebd., S. 108.
- 135.
Vgl. Brandlhuber, Arno/Grawert, Olaf/Ngo, Anh-Linh: Editorial. In: Arch + 231 (06.04.2018), The Property Issue – Von der Bodenfrage und neuen Gemeingütern, S. 1–3, hier S. 2. Siehe hierzu auch: Florian Hertweck: Architektur auf gemeinsamem Boden. Positionen und Modelle zur Bodenfrage. Zürich 2019. In den 1990er Jahren rief die Taschenbuchreihe Bauwelt-Fundamente mit dem Band: Boden: wem nützt er, wen stützt er? die Debatte erneut wach.
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Rommelfanger, T. (2024). Kapitel 3 Trümmerstadt: Otto Steinert filmt den Wiederaufbau Stein auf Stein. Ein Land baut auf (1949). In: Architektur als Medium des Zukünftigen. Media. Literaturwissenschaftliche Forschungen. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-68238-8_4
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