Mehr Sachlichkeit, weniger Instrumentalisierung der Geschichte: DIE LINKE.
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Gesine Lötzsch

Mehr Sachlichkeit, weniger Instrumentalisierung der Geschichte

Die Vorsitzende der Partei DIE LINKE, Gesine Lötzsch, erklärt zum Jahrestag des Aufstandes am 17. Juni 1953:

In seinem beim Erscheinen 1974 in der Bundesrepublik Deutschland weithin gefeierten Buch "Fünf Tage im Juni" lässt Stefan Heym, der 1945 auf amerikanischer Seite an der Befreiung Deutschlands vom Faschismus beteiligt war und 1994 als Alterspräsident des Bundestages von der schwarz-gelben Regierungskoalition mit dem eisigsten und zugleich peinlichsten Schweigen der Bundestagsgeschichte bedacht wurde, seinen Protagonisten Witte am Abend des 17. Juni sagen: "Die Weltgeschichte hat sich den Spaß erlaubt, von uns zu verlangen, dass wir den Sozialismus in einem Drittel eines geteilten Landes aufbauen, und das mit Menschen, die sich den Sozialismus keineswegs alle gewünscht haben. Wie viel von der Abneigung gegen die Partei hat seinen Grund nicht in ihren Fehlern, sondern in ihren Zielen?"

Heyms Buch zeichnet sich durch die Erfassung der Widersprüche aus, und die Widersprüchlichkeit dieses Tages ist durch Gesinnungsjournalismus nicht wegzuräumen. Auch dann nicht, wenn Meinungsmachern daran gelegen ist, zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR in jenem 17. Juni 1953 nichts anderes zu sehen als einen Baustein der Delegitimierung des anderen deutschen Staates von Anfang an. Der 17. Juni ist nicht zu begreifen ohne den von beiden Seiten aufs Heftigste geführten Kalten Krieg, nicht ohne Adenauer, nicht ohne die Turbulenzen in der Sowjetunion nach Stalins Tod und ohne den gewaltigen Druck, den die sowjetische Führung auf die DDR in Sachen Reparationsleistungen ausüben zu müssen glaubte. Er ist nicht zu begreifen ohne die Frontstadt Westberlin und die - von Heym in seinem Buch vielmals zitierte - von der Politik und den Medien getragene Einflussnahme des Westens.

DIE LINKE hat aus den Fehlern der SED gelernt. Die Verfolgung von Sozialdemokraten, Kommunisten und Andersdenkenden, die Geringschätzung der Demokratie, die überstürzten Beschlüsse zum Aufbau des Sozialismus, die Umfunktionierung der Gewerkschaften von selbständig agierenden Interessenvertretern der Arbeiter zu Ausführungsorganen der SED – all das waren Ursachen für die gesellschaftlichen Explosionen des 17. Juni. Und an die Fehler, die zum 17. Juni führten, reihte sich nach diesem Tag einer, der für die weitere Entwicklung der DDR zu einem bestimmenden wurde: Das Schweigen über diesen Tag. Heyms Buch blieb in der DDR unter Verschluss. Die Chance, aus Fehlern zu lernen, wurde vertan.

Aber die Wahrheit ist auch: Am 17. Juni 1953 lag das Ende des 2. Weltkrieges gerade einmal acht Jahre zurück. Wer aus Geschichte lernen will, tut gut daran, sich dieser Zeit in ihrer Gesamtheit zu nähern. Wer an die Stelle des Verschweigen dieses Tages durch die DDR-Führung heute die einseitige Überhöhung zum "Volksaufstand" setzt, tut nichts anderes, als die eine Instrumentalisierung durch eine andere zu ersetzen. Mit einem souveränen Umgang mit der deutschen Geschichte hat das nichts zu tun. Wer Bundespräsident in unserem Land werden will, sollte diese Souveränität mitbringen.


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