Kampfhandlungen haben es zuweilen an sich, dass hinterher niemand sagen kann, wer gewonnen hat. Manchmal kommt auch darauf an, wie eine militärische Operation verkauft wird. Am 15. Mai 1975 gegen drei Uhr morgens Ortszeit begann vor der Insel Koh Tang, etwa 52 Kilometer südwestlich der Küste Kambodschas, die Befreiungsaktion für 39 Seeleute des unter US-Flagge fahrenden Containerschiffs „Mayaguez“.
Als die Aktion nach 17 Stunden beendet wurde, war die Erleichterung in Washington groß: „Eine solche Szene hat das Weiße Haus seit Langem nicht mehr erlebt“, berichteten Korrespondenten: „Im Oval Office gab es strahlende Gesichter. Der Präsident riss jubelnd die Arme hoch, seine Mitarbeiter stießen Begeisterungsrufe aus.“ Nach einer Serie außenpolitischer Demütigungen und der notorisch schlechten Stimmung während der letzten beiden Jahre der Regierung Nixon herrschte auf einmal im Zentrum der US-Politik wieder unverhüllter Jubel. „Wir haben sie alle gerettet, Gott sei Dank“, triumphierte Staatsoberhaupt Gerald Ford: „Es lief perfekt, es lief ganz großartig.“
Die Zahlen und Fakten sprachen allerdings eine ganz andere Sprache: Denn die Besatzung des von kambodschanischen Kommunisten, den Roten Khmer, gekaperten Schiffs war schon am Abend vor dem Eingreifen freigelassen worden – eigentlich war die Operation also überflüssig. Und trotzdem kostete sie 18 US-Soldaten das Leben. Wirklich ein Erfolg?
Für Gerald R. Ford schon. Er war der einzige US-Präsident des 20. Jahrhunderts, der ins Weiße Haus einzog, ohne dafür von der Bevölkerung gewählt worden zu sein. In der amerikanischen Demokratie stimmen die Wähler stets ab über ein Doppel, einen Kandidaten für die Präsidentschaft und seinen Partner für die Vizepräsidentschaft (nur bei den ersten Wahlen in der Gründungsphase der USA galt das Prinzip, dass der Zweitplatzierte Vizepräsident wurde).
Die meisten Bewerber um das höchste Amt versuchten, mit der Auswahl des „Running Mate“ (zu Deutsch: „Laufpartner“) Wählerschichten anzusprechen, die sie selbst nicht erreichten. Typisch dafür war John F. Kennedys Kalkül: Mit Lyndon B. Johnson wählte der junge, katholische Ostküsten-Liberale einen erfahrenen, konservativen Texaner als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft – und gewann im November 1960 knapp gegen Richard M. Nixon.
Der wiederum acht Jahre später zusammen mit dem Gouverneur von Maryland Spiro Agnew die Präsidentschaftswahl für sich entschied und im November 1972 das Amt auch verteidigte. Im folgenden Oktober allerdings trat Agnew zurück, zermürbt von Korruptionsvorwürfen, der schlechten Zusammenarbeit mit Nixon und seinen Machenschaften. Der Präsident musste nun einen neuen Vizepräsidenten ernennen, der die Zustimmung beider Häuser des Kongresses benötigte. Er entschied sich für den als grundehrlich und seriös bekannten Gerald R. Ford.
Der stammte aus schwierigen Familienverhältnissen; seinen Namen bekam er erst im Alter von vier Jahren nach der Heirat seiner Mutter mit seinem Stiefvater 1917. Der junge Gerald, genannt „Jerry“, schloss sowohl die Highschool als auch das College als einer der Jahrgangsbesten ab und war ein begabter und erfolgreicher Football-Spieler. Nach dem Jurastudium eröffnete er eine Anwaltskanzlei, meldete sich aber nach Pearl Harbor freiwillig zur US Navy und war 1942 im Dienst, den er als Lieutenant Commander 1946 verließ.
Zwei Jahre später gewann er erstmals eine Wahl – und zog gleich ins US-Repräsentantenhaus in Washington ein. Insgesamt zwölfmal wurde er wiedergewählt und erwies sich innerhalb der republikanischen Fraktion als kompromissorientierter, professioneller Parlamentarier, dem es stets um die Sache ging. Das Angebot, 1968 an Nixons Seite als „Running Mate“ zu kandidieren, lehne Ford ab – sein politisches Ziel war die Funktion als „Speaker“ des Repräsentantenhauses, traditionell das dritthöchste Amt der USA.
Doch im Herbst 1973 hatte Gerald Ford dann keine Wahl mehr: Der bereits durch die Watergate-Affäre und sein sprunghaftes Verhalten angeschlagene Präsident Nixon nahm den loyalen, aber über Parteigrenzen hinweg angesehenen Abgeordneten in die Pflicht – er benötigte jemanden, der möglichst viele Stimmen auch der Opposition gewinnen konnte. Nach Nixons Rücktritt am 8. August 1974 rückte Ford damit automatisch ins höchste Amt der USA nach.
Und musste gleich mehrere Rückschläge einstecken: Die Midterm Elections für Repräsentantenhaus und Senat im November 1974 brachten seinen Republikanern eine deutliche Niederlage ein. Die Rezession erwischte die US-Wirtschaft voll. Ende April 1975 musste Ford die Evakuierung aller Amerikaner aus Saigon anordnen – das blamable Ende des Vietnamkrieges.
Die Kaperung der „Mayguez“ durch kambodschanische Kommunisten mochte ihm da wie ein Geschenk erscheinen: Die USA konnten Stärke zeigen. Da es noch keine für Geiselbefreiung ausgebildeten Special Forces gab, setzte Ford auf die große Keule: Er setzte rund 1000 Soldaten ein, darunter 600 Marineinfanteristen.
Doch militärisch betrachtet war das Unternehmen ein Desaster: Beim Absturz von zwei Transporthubschrauber wurden 14 Männer getötet, ein weiterer im Gefecht mit den Kambodschanern. Drei Marines blieben beim Rückzug auf Koh Tang; sie wurden gefangengenommen und ermordet. Außerdem gab es 50 Verletzte. Die Roten Khmer verloren eine unbekannte Anzahl von Kämpfern, angeblich nur 13 bis 25, was aber wohl deutlich zu niedrig geschätzt war.
Doch Gerald Ford zeigte sich demonstrativ zufrieden mit dem Einsatz – und schaffte es so, die Wahrnehmung als Sieg in den USA durchzusetzen. Ob er tatsächlich schon vor dem Einsatzbeginn wusste, dass die Besatzung der „Mayaguez“ frei gelassen worden war, bleibt umstritten.
Bei den Wahlen im November 1976 stellte sich der Präsident zur Wiederwahl – und verlor knapp gegen den Demokraten Jimmy Carter. In den folgenden Jahren wurde er ein geachteter Elder Statesman und trat noch bis in sein 94. Lebensjahr öffentlich auf; am zweiten Weihnachtstag 2006 starb er. Als besondere Ehrung gilt, dass ihm zu Ehren das 2017 in Dienst gestellte Typschiff der künftigen Flugzeugträger der US Navy USS „Gerald R. Ford“ getauft wurde.
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