Ein Missverständnis – oder vielleicht auch eine bewusst gestreute Fehlinterpretation. Jedenfalls hatten die deutschen Großbomber vom Typ Gotha G.IV nichts, rein gar nichts mit dem deutschen Hochadelsgeschlecht Sachsen-Coburg und Gotha zu tun; vielmehr baute die nach ihrem Standort benannte Gothaer Waggonfabrik AG diese großen zweimotorigen Maschinen.
Doch derlei Erklärungen verfingen im Sommer 1917 nicht mehr. Mehrfach attackierten Gotha G.IV London und andere Ziele in Südengland. Am 13. Juni 1917 waren beim ersten Tagesangriff auf London 162 Menschen getötet worden, darunter 18 Schulkinder; am 7. Juli folgte eine weitere Bombardierung, die 57 Menschen das Leben kostete.
Die deutschen Zeitungen feierten den Erfolg der Gotha-Bomber, zu denen das Royal Flying Corps, die britischen Luftstreitkräfte, nichts entfernt Vergleichbares im Einsatz hatte. Gerüchte darüber heizten die Stimmung beim Londoner Mob an, der natürlich antideutsch eingestellt war, zugleich aber antimonarchistisch – es kam zu schlimmen Übergriffen gegen Menschen mit deutschen oder auch nur deutsch klingenden Namen in den Großstädten wie zuletzt nach der Versenkung der RMS „Lusitania“ 1915.
Diesmal aber war der Druck, kurz vor dem Beginn des vierten Kriegsjahrs, so groß, dass der König reagieren musste. George V., seit 1910 auf dem Thron, wählte am 17. Juli 1917 die Radikallösung und benannte seine Familie nach dem traditionellen Landsitz der britischen Dynastie in Windsor um.
Dabei konnte am Britentum des Königs kein Zweifel bestehen. Gewiss, seine Großmutter, Queen Victoria, war als Tochter des Duke of Kent und seiner deutschen Frau 1817 in London geboren worden, aber sie hatte ihren deutschen Cousin Albert von Sachsen-Coburg und Gotha geheiratet. Der älteste Sohn aus dieser glücklichen Beziehung wurde 1901 bis 1910 als Edward VII. ihr Nachfolger auf dem britischen Thron. Für feine britische Ohren war der deutsche Unterton im Englisch beider Monarchen stets klar zu vernehmen.
George V., als Enkel Victorias 1865 geboren, erhielt zwar den Titel Duke of Kent, war aber eigentlich nicht als Thronfolger ausersehen – die Rolle sollte sein älterer Bruder Albert Victor übernehmen. Die beiden erhielten, da ihre Großmutter noch regierte und ihr Vater als Prince of Wales amtierte, ab 1877 eine gründliche Ausbildung als Seekadetten. Nach sechs Jahren setzte der Jüngere diese Ausbildung allein fort (sein Bruder ging an die University of Cambridge), absolvierte die Ausbildung am Royal Naval College und wurde Seeoffizier.
1889/90 kommandierte er ein Torpedoboot, anschließend das neue Kanonenboot HMS „Thrush“, ein 50 Meter langes hochseetaugliches Schiff, ehe er im Sommer 1891 das Kommando über den ebenfalls brandneuen, fast hundert Meter langen Panzerkreuzer HMS „Melampus“ erhielt.
Obwohl natürlich seine Herkunft und seine gesellschaftliche Stellung diese Karriere stark befördert hatten, war George ein richtiger Seeoffizier und Kapitän. Als sein Bruder Anfang 1892 an der Russischen Grippe starb, stieg er zum nächsten Thronfolger nach seinem Vater auf und beendete umgehend seine Marine-Karriere.
Anders als Großmutter und Vater hatte George kein Problem mit einem fremden Akzent im Englischen, sondern sprach im Gegenteil Deutsch und Französisch zumindest nach den Maßstäben von Queen Victoria nicht gut genug. Mit seinem Cousin Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen, seit 1888 Kaiser Wilhelm II., verband George eine zeitweise angespannte Beziehung. Zwar besuchten sie einander, und 1913 (da saß George V. als Nachfolger seines Vaters Edward VII. bereits drei Jahre auf dem Thron) trug der Brite zu Ehren seines Gastgebers sogar eine Pickelhaube. Aber Freundschaft, gar Vertrautheit empfanden die beiden füreinander nicht.
Das lag auch daran, dass George V. natürlich als britischer König seine Bezüge zu Deutschland so weit wie möglich in den Hintergrund drückte. Besonders nach dem Beginn des Krieges im August 1914, den das Deutsche Kaiserreich nach Nordostfrankreich und ins neutrale Belgien getragen hatte, wo der kaiserlichen Armee die British Expeditionary Forces entgegentraten.
George V., dessen Ehefrau die väterlicherseits ebenfalls aus Deutschland stammende, wiewohl in London geborene und aufgewachsene Maria von Teck war, sah sich im eigenen Land nun Vorwürfen ausgesetzt. Er stehe einem „ausländischen und langweiligen Hof“ vor und könne als „Fremder“ britische Interessen nicht angemessen vertreten. Darin verbanden sich antimonarchische und ultranationalistische, teilweise sogar rassistische Emotionen. George V. hielt dem wütend entgegen: „Ich bin vielleicht langweilig, aber verflucht noch mal kein Ausländer.“,
Nach den Bombenangriffen der Gotha-Maschinen genügte George der ständige latente Verweis auf seine deutsche Herkunft: Er entschied, den Namen seiner Familie zu wechseln. Am 17. Juli 1917 ging er in die Offensive und bestimmte in einer in der amtlichen „London Gazette“ veröffentlichten Proklamation: „Deshalb erklären und verkünden wir hiermit aufgrund unseres Königlichen Willens und unserer Autorität, dass Unser Haus und Unsere Familie ab dem Datum dieser Unserer Königlichen Proklamation als das Haus und die Familie von Windsor bezeichnet und bekannt sein werden.“
George blieb im Gegensatz zu seinem Cousin nach dem Krieg Ende 1918 noch 17 Jahre auf dem Thron – und er erwies sich als hervorragender konstitutioneller Monarch. Wiewohl natürlich jeder Form des Sozialismus abgeneigt, brachte er die Labour Party in die Regierung und vermied damit ein Anwachsen der antimonarchischen Stimmung. 1922 erreichte das British Empire seine größte Ausdehnung. Es erstreckte sich über 33,7 Millionen Quadratkilometer, was einem Viertel der Landfläche der Erde entspricht, und umfasste mit 460 Millionen Untertanen ein Viertel der damaligen Weltbevölkerung.
Zum Ende seines Lebens aber sah er große Schwierigkeiten: Mit seinem ältesten Sohn Edward, der unbedingt mit einer geschiedenen Amerikanerin zusammenleben wollte, war er zerstritten; sein zweitältester Sohn Albert stotterte bei öffentlichen Auftritten. In Deutschland hatte 1933 mit Adolf Hitler ein noch weitaus gefährlicherer Mann als Wilhelm II. die Macht übernommen. Der schwer lungenkranke George V., der trotzdem bis an sein Lebensende Kettenraucher blieb, starb am 20. Januar 1936; sein Leibarzt hatte dem Wunsch des Königs entsprechend aktive Sterbehilfe geleistet.
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