Zum Tod von Alt-OB Georg Kronawitter: Das lange Leben des Roten Schorsch
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Georg Kronawitter: Das lange Leben des Roten Schorsch

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Oktoberfest Anzapfen 1986Georg KronawitterGeorg Kronawitter
OB Georg Kronawitter beim Anzapfen auf der Wiesn 1986. © Heinz Gebhardt

München - Georg Kronawitter ist tot. Der Münchner Alt-Oberbürgermeister wurde 88 Jahre alt. In Erinnerung bleibt der „Rote Schorsch“ als ein Kämpfer für die kleinen Leute, für eine gemütliche Stadt – und als einer, der bis zum letzten Tag seine Überzeugungen vertrat.

Und dann war er auf einmal wieder da. Georg Kronawitter, 86 Jahre alt. Der „Rote Schorsch“, wie sie ihn in seiner SPD genannt haben. Es fiel ihm körperlich nicht leicht, das konnte jeder sehen. Aber in diesen Wochen, im Wahlkampf 2014 ging es für seine Partei um alles. Erstmals seit Jahrzehnten schien das Unvorstellbare denkbar: dass die SPD den Oberbürgermeister-Sessel verliert. Kronawitter ließ Flugblätter drucken, verteilte an Samstagvormittagen Rosen zusammen mit dem Kandidaten Dieter Reiter. Und an einem hitzigen Maiabend im Augustinerkeller, ein Parteitag hatte über die künftige Rathaus-Koalition zu entscheiden, stieg er vorsichtig noch einmal hinauf zum Rednerpult. „Wer in die Politik geht“, rief er den Genossen zu, „der muss auch Macht ausüben wollen! Das kann man aber nur, wenn man auch die Mehrheit hat!“ Tatsächlich: Hauchdünn entschieden sich die Genossen für Schwarz-Rot, das Urgestein hatte das Ruder wieder einmal rumgerissen.

Den Hochhaus-Bürgerentscheid gewann er gegen seinen Nachfolger

Es war der letzte große politische Auftritt von „Schorsch“ Kronawitter. Jenem Kronawitter, der 1984 geschafft hat, was nach dem Krieg bislang nur Karl Scharnagl, CSU, gelungen war. Er hattenach einer Zwangspause wieder  den Chefsessel im Rathaus zurückerobert. Insgesamt 15 Jahre war Kronawitter Oberbürgermeister. Von 1972 bis 1978 und von 1984 bis 1993. Und auch danach mischte er im politischen Leben der Landeshauptstadt mit und verhinderte zum Beispiel mit einem Bürgerentscheid Hochhäuser in der Innenstadt – gegen seinen Nachfolger Christian Ude, der eigentlich sein politisches Ziehkind war.

Georg Kronawitter wird die große Karriere nicht in die Wiege gelegt. Am 21. April 1928 wird er als Sohn eines Landwirts in Oberthann, Landkreis Pfaffenhofen, geboren. Er macht eine Bäckerlehre, lässt sich anschließend zum Volksschullehrer und zum Diplom-Handelslehrer ausbilden. Zwölf Jahre übt er seinen Beruf aus.

Der Bauernsohn in der Politik

Sein Ehrgeiz treibt Kronawitter in die Politik. 1961 tritt er in die SPD ein, er schafft den Sprung in den Landtag – und wird stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Er, der Bauernsohn, gilt als Agrarexperte. Und insgeheim träumt er davon, der erste sozialdemokratische Landwirtschaftsminister im Freistaat zu werden. In dieser Zeit lernt sein späterer Nachfolger Christian Ude ihn kennen. 1970 wurde die sozialdemokratische Zeitung „Münchner Post“ wiedergegründet, erinnert sich Ude am Freitag im Gespräch mit unserer Zeitung. Schorsch Kronawitter schlägt damals eine Geschichte für das Blatt vor. Thema: Ein bayerischer Großgrundbesitzer, der „ohne einen Finger zu rühren jeden Tag eine Million Mark reicher wird“, erinnert sich Ude. „Dass gleichzeitig andere arbeiten und das Geld trotzdem kaum für die Miete reicht – diese Ungerechtigkeit hat Kronawitter unheimlich umgetrieben.“

Die kleinen Leute – sie bleiben sein großes Thema, als er in die Stadt-Politik wechselt. Diesen Wechsel hat er eigentlich nicht vorgesehen. Kronawitter ist überrascht, als der damalige Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, SPD, fragt, ob er sein Nachfolger werden will. „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“, soll Kronawitter in einer ersten Reaktion geantwortet haben.

Im Wahlkampf wettert er gegen Spekulanten und Profitgier

Doch Vogel meint es ernst. Im Alter von 44 Jahren tritt Kronawitter im Juli 1972 das Amt des OB an. Im Wahlkampf wettert er gegen Spekulanten. Die wollen mit dem Boom, den die Olympischen Spiele der Stadt bringen, große Geschäfte machen wollen. Kronawitter verspricht stattdessen, die Lebensqualität in der Stadt zu verbessern. „Der Satz ,Wo Profite winken, können Luft und Wasser stinken‘ darf für München keine Geltung erhalten“, sagt er. Er gewinnt, aber nach der Wahl hat er es nicht leicht im Rathaus. Der Streit mit dem linken Flügel seiner Partei reibt ihn auf, er verzichtet darauf, 1978 noch einmal anzutreten. Für die SPD hat das gravierende Folgen: Sie verliert den OB-Sessel im Rathaus. Nachfolger: Erich Kiesl, CSU.

Kronawitter aber zeigt, dass er beharrlich sein kann – und stur. Für die nächste Wahl 1984 hat er zunächst einen neuen Kandidaten im Auge: den Mieteranwalt Christian Ude. „Am 2.2.1982“, das weiß dieser so präzise, als handele es sich um seinen Geburtstag, kommt Kronawitter in Udes Kanzlei. „Du sollst mein Nachfolger werden“, sagt Kronawitter. Aber Ude will – noch – nicht. Kronawitter trittt selbst nochmal an und erobert das Rathaus gegen Amtsinhaber Kiesl zurück. Elf Jahre nach dem Gespräch in der Kanzlei übernimmt Ude doch und bleibt mehr als 20 Jahre im Amt. „Die Geschichte zeigt, wie langfristig und strategisch Kronawitter gedacht hat“, sagt Ude.

Der OB der normalen Bürger

Kronawitter ist als Oberbürgermeister vor allem bei den normalen Münchnern beliebt. Und, so sagt Ude, er war „ökologisch, als es die Grünen noch gar nicht gab“. 1990, als Kronawitter zum dritten Mal gewählt wird, gibt es sie – er schmiedet das erste rot-grüne Rathaus-Bündnis, das bis 2014 hält. Bis zu jenem Abend also, an dem Kronawitter im Augustinerkeller für die neue, Große Koalition wirbt.

Kronawitters Amtszeit geht in der Erinnerung der Münchner oft etwas unter – zwischen Hans-

Amtsantritt: Vorgänger Hans-Jochen Vogel übergibt Kronawitter die Amtskette.
Amtsantritt: Vorgänger Hans-Jochen Vogel übergibt Kronawitter die Amtskette. © Archiv

Jochen Vogel, der die U-Bahn baute und Olympia nach München brachte und Christian Ude, dem Bürgerkönig. Dabei verändert sich München auch in seiner Amtszeit stark: Es entsteht der Westpark, die Verlagerung der Messe von der Schwanthaler Höhe nach Riem wird beschlossen. Kronawitter setzt den Spatenstich für das Kulturzentrum Gasteig und er bringt das Europäische Patentamt auf den Weg. Wirtschaftlich sind es gute Zeiten: 1991 gibt es nur 3,4 Prozent Arbeitslose – die niedrigste Quote in Deutschland.

Beinahe vergnügt liest sich in Kronawitters 2014 erschienenen Erinnerungen, wie er 1993 die CSU überrumpelt hat – und so Christian Ude ins Amt hilft. Kronawitter setzt Ude gleich nach der Wahl 1990 als Zweiten Bürgermeister durch. Was zu dem Zeitpunkt niemand ahnt: Kronawitter tritt 1993 als OB zurück, da er „die Last des kräftezehrenden Bürgermeisteramtes“ verspüre (für ein neues Landtags-Mandat übrigens reicht die Kraft ein Jahr später). Ude rückt nach – und kann sich als Amtsinhaber gegen eine überraschte CSU monatelang für den Wahlkampf warmlaufen.

Elf Jahre später muss Ude schmerzvoll erfahren, dass der pensionierte Kronawitter seinen Riecher für Stimmungen in der Bevölkerung nicht verloren hat. Kronawitter, der schon in seiner Amtszeit für das Bewahren der Münchner Gemütlichkeit gekämpft hat, stört der Bau vieler Hochhäuser. Er nennt sie „Vierkantbolzen“ und zettelt einen Bürgerentscheid an, mit der Forderung, dass neue Hochhäuser nicht höher als die Frauenkirche sein dürfen. Kronawitter setzt sich durch. Damals heißt es, die beiden gingen sich aus dem Weg. Heute sagt Ude, ihrem persönlichen Verhältnis habe der politische Streit nie geschadet.

Früher stritt er sich mit den Genossen - später wurde er verehrt

Noch 2014 hat sich Kronawitter auf SPD-Parteitagen blicken lassen. Lange beklatscht von der Partei, die sich früher oft an ihm gerieben hat. Kronawitter wirkte dankbar – und bescheiden. Eine Anekdote aus dem Jahr 2001 zeigt aber, dass er auch anders konnte. Er kommt damals mit seiner Frau Hildegard, mit der er zwei Kinder hat, aus der Oper. Auf dem Weg in die Tiefgarage drängt sie ihn, einem Obdachlosen fünf Mark in den Hut zu legen. Der Mann blickt nur kurz nach oben und sagt zum Alt-OB: „Danke, Herr Kiesl.“ Noch Jahre später schimpft Kronawitter: „Das war mir dann doch zu viel. Noch nie hatte mich jemand mit Herrn Kiesl verwechselt.“ Er geht an jenem Abend zu dem Obdachlosen zurück. „Ja, tust net gleich die fünf Mark wieder her!“, faucht er. Der Mann blickt hoch, dann fällt ihm sein Fehler auf. „Nein, nein, Herr Kronawitter, Herr Kronawitter, natürlich Herr Kronawitter.“

Eine Parkinson-Erkrankung machte Georg Kronawitter in den vergangenen Jahre den Alltag mühsam. Gejammert hat er darüber nicht. Doch als sein Vorgänger Hans-Jochen Vogel kürzlich seinen 90. Geburtstag feierte, konnte er schon nicht mehr dabei sein. Einmal aber kam er noch zu seiner Münchner SPD, um sich zu verabschieden. Die feierte im März den 70. Jahrestag ihrer Wiedergründung in einem Wirtshaus im Arbeiterviertel Berg am Laim. Als Kronawitter hereinkam, standen vielen Sozialdemokraten Tränen in den Augen, erzählen Teilnehmer. „Wir sind für die kleinen Leute da“, hat er seinen Parteifreunden an dem Tag noch einmal ins Gewissen geredet.

Am Donnerstag ist Georg Kronawitter in einem Münchner Krankenhaus an einer Lungenentzündung gestorben. Er sei friedlich eingeschlafen, sagt seine Frau Hildegard. „Er war so unglaublich tapfer.“ München trauert um einen großen Oberbürgermeister – ohne den die Stadt weniger grün und weniger gerecht wäre. Und weniger münchnerisch-gemütlich.

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