Natürlichkeit von übermorgen – Original Magazin

Natürlichkeit von übermorgen

Neue Sinnbilder für Vergänglichkeit

Claudia Larcher. Foto Angela Lamprecht

In ihrer jüngsten Bildserie katapultiert Claudia Larcher barocke Stillleben in eine dystopische Zukunft. Mittels künstlicher Intelligenz entstehen neue Sinnbilder für Vergänglichkeit, aber auch ein Mahnmal für einen Baum. Von Nicole Scheyerer

Kann künstliche Intelligenz (KI) echte Kunst erschaffen? Jede Woche erreichen uns Hiobsbotschaften aus der Kulturindustrie, dass in Zukunft KI-Modelle die neuen Songs, Bilder und Filmszenen generieren werden. Eingaben am Computer sollen für jene kreativen Leistungen ausreichen, die bisher untrennbar mit dem menschlichen Schöpfergeist verknüpft erschienen. In den negativen Reaktionen auf die KI paart sich Unwissen über die neuen Technologien mit der Angst, bald selbst von diesen ersetzt zu werden. Erleben wir den Abgesang auf die Originalität des Menschen?

Claudia Larcher, Stillleben 3000, Fine Art Prints, 2023/24

„Es ist schon stark den Medien geschuldet, dass immer von der einen großen KI die Rede ist, wie so eine Art Killerroboter, der schon um die Ecke lauert“, sagt Claudia Larcher im Gespräch mit Original. Von einer Autonomie künstlicher Intelligenz könne aber noch keine Rede sein. Kulturpessimismus liegt der 1979 geborenen Künstlerin fern. Die in Lustenau aufgewachsene Wahlwienerin arbeitet medienübergreifend mit Fotografie, Collage, Video, Animation und Installation. Ihre neueren Werke verdanken unterschiedlichen KI-Modellen ihre Form. So auch die neuen Arbeiten, die unter dem Titel „Blumen aus Plastik“ in der Bregenzer Galerie Lisi Hämmerle zu sehen sind.

Larchers Ausgangspunkt könnte kaum klassischer sein: Bei einem Rundgang durch das Wiener Kunsthistorische Museum entdeckte die Künstlerin einen „Blumenstrauß“ der niederländischen Barockmalerin Rachel Ruysch. Rote Tulpen und weiße Pfingstrosen leuchten aus diesem 1706 entstandenen Gemälde; unter den aufgetürmten Blüten liegen reife Trauben. Wer würde angesichts solch üppiger Pracht bekritteln, dass Ruysch hier Frühsommerblüte und Herbstfrüchte vereint? „Ihre Stillleben sind komplett konstruiert. Viele der Blumen kommen nie gemeinsam vor“, sagt Larcher, die genau das interessierte. Die Malerin habe ihre Vorlagen in der großen botanischen Sammlung ihres Vaters gefunden. Diese Vorgangsweise erinnerte die Künstlerin an die Strategie ihrer früheren Collagen: Dafür wählte sie aus ihrem Bildarchiv architektonische Versatzstücke und komponierte stimmige Gesamtbilder aus disparaten Elementen.

„Ich habe mich gefragt, wie ein Blumenbouquet der Zukunft aussehen könnte“, erklärt die Künstlerin den Ausgangspunkt ihrer jüngsten Bildserie „Stillleben 3000“. Schon heute würden sich viele Menschen lieber Plastikblumen in die Vasen stellen; angesichts der Klimakrise könnte der Anbau von Nahrungsmitteln Vorrang bekommen. Larcher hat Ruyschs Barockbilder als ursprüngliche Motive mit bildgenerierender KI virtuell überschrieben. Die Grundkomposition bleibt gleich, aber an die Stelle der illusionistisch dargestellten Natürlichkeit tritt nun forcierte Künstlichkeit: Blumen mit glatten Oberflächen und in so knalligen Farben wie Plastikspielzeug oder Billigware aus Asia-Shops. Manche der Blüten wirken obszön aufgeblasen, andere glänzen metallisch, sind transparent wie Eiswürfel oder irisierend wie Glitzerfolie.

Es sei wie bei einem Pingpongspiel, beschreibt Larcher den digitalen Prozess. Neben viel Trial-and-Error und Widerstand habe die KI auch immer wieder für Überraschungen gesorgt. Etwa, als das Programm eine gelbe Blüte in eine Quietschente verwandelte oder inmitten der Blumen plötzlich blutunterlaufene Augäpfel auftauchten. Die vielen Insekten, die über Ruyschs Pflanzen kreuchen und fleuchen, haben sich nun in Minidrohnen und Zwergroboter verwandelt. Standen Käfer und Schmetterlinge in der Barockmalerei für Vergänglichkeit, so versinnbildlichen Larchers Techno-Nachfolger das Artensterben und den Verlust von Biodiversität.

Aber wie kam die vielfach ausgezeichnete Künstlerin überhaupt zur „artificial intelligence“? Mit ihrem Kurzfilm „Das große Baumstück“ geriet Larcher 2022 an ihre technischen Grenzen. Diese Naturstudie bezieht sich auf Albrecht Dürers Aquarell „Das große Rasenstück“, das Wiesenblumen und Gräser samt Wurzeln im Erdreich darstellt. Larcher wollte eine vertikale Kamerafahrt von der Krone eines Marillenbaums über den Stamm bis hinunter auf den Waldboden und ins Innere einer Hummel zeigen. Allerdings entsprachen die mikroskopischen Bilder des Insekts nicht dem, was der Künstlerin vorschwebte. Erst mithilfe von KI konnte sie eine entsprechende Sequenz produzieren: Die Reise führt in die blutrote Zellstruktur, ehe sie zum Soundtrack dröhnender Bässe wieder ins Blattwerk abhebt.

„In Zeiten wie diesen weiß ich oft nicht, warum ich im Atelier stehe“, sagt Larcher, die den politischen Umgang mit der Klimakrise verheerend findet. Als Befürworterin der künstlerischen KI-Nutzung thematisiert sie auch deren problematische Seiten, wie die Voreingenommenheit in Bezug auf Geschlecht und Hautfarbe oder die Gefahr von Fakes für die Demokratie. Dennoch sieht die Künstlerin in generativer KI viele Chancen: Sie sei mehr als nur ein Werkzeug der Bildbearbeitung und Postproduktion, könne sie doch „unsere Fähigkeiten erweitern, über Bilder und Filme neue Ideen und Geschichten zu erzählen“. Mit ihrem Trip in eine Epoche der Plastikblumen und in die Blutbahn einer Hummel ist Larcher das bereits gelungen.

„Blumen aus Plastik“

23. März bis 27. April 2024, Galerie Lisi Hämmerle, Bregenz. galerie-lisihaemmerle.at
claudialarcher.com


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