Friedemann Fromm: Porträt des Fernsehrunderneuerers - WELT
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Das deutsche „House of Cards“? Jetzt in der ARD

Redakteur Feuilleton
Der Star und sein Regisseur: Anna Loos und Friedemann Fromm am Berliner Reichstagsufer Der Star und sein Regisseur: Anna Loos und Friedemann Fromm am Berliner Reichstagsufer
Der Star und sein Regisseur: Anna Loos und Friedemann Fromm am Berliner Reichstagsufer
Quelle: ARD/Frederic Batier
Er hat „Weissensee“ miterfunden. Jetzt kommt seine Miniserie „Die Stadt und die Macht“ ins Fernsehen und kann es mit „Borgen“ & Co. aufnehmen. Eine Begegnung mit dem Filmregisseur Friedemann Fromm.

Ein bisschen gequält sieht er schon aus. Aber das liegt nicht, auf die Idee könnte man angesichts des Pensums von Friedemann Fromm kommen, an Überarbeitung. Es hat einen Unfall gegeben. Gestern auf dem Fußballplatz mit seinem Sohn. Vielleicht sollte man in unserm Alter das mit dem Kicken lieber lassen.

Wäre vielleicht ein bisschen früh. Friedemann Fromm, der (Mit-)Erfinder der Wendeserie „Weissensee“ und nicht nur damit einer der führenden Köpfe der Runderneuerung des deutschen Fernsehens, den es eben einer Rhabarberschorle entgegen ins Lokal geweht hat, ist gerade mal 52 Jahre alt.

Das deutsche „Borgen“? Im Prinzip schon, aber …

Schlank ist er, der Adidas-Sportsweater spannt nicht. Zwei abendfüllende und gefeierte Filme hat er neben der dritten Staffel von „Weissensee“ im vergangenen Jahr in die ARD gewuchtet. Kommende Woche läuft „Die Stadt und die Macht“ an, eine Miniserie, wie es sie noch nicht gab im deutschen Wohnzimmerkino, ein Sechsteiler, den manch ein Vergleichsüchtiger schon das deutsche „Borgen“ genannt hat. Und der den Vergleich nicht zu scheuen braucht, obwohl der Vergleich gar nicht taugt.

Geschichten wollen wir erzählen, von zwei Frauen vielleicht, die über Leichen gehen und auf unterschiedliche Weise zu sich selbst finden, von einem Mann mit der Bluterkrankheit und von der Berliner Lokalpolitik. Von den Mitteln und Möglichkeiten öffentlich-rechtlichen Qualitätsfernsehens. Das geht schon. Hängt alles mit Fromm zusammen.

Jetzt wäre Zeit für einen kleinen optischen Eingriff. Fromm mag so etwas. Legt sich gern Spielmaterial zurecht, das er zur Vertiefung, als dramaturgisches Ausrufezeichen, Cliffhanger, Pausenzeichen einstellt in den Fluss der Handlung. Hält die Erzählung an, wie in „Silvia S.“, der Geschichte einer am gesellschaftlichen Rollenüberdruck auf moderne Frauen zugrunde gehenden Architektin, die am Ende um sich schießt. Spult ein Stück zurück. Zeigt die Szene, wie Silvia S. sie in ihrer Wahrnehmungsverstörtheit sieht.

Wie gefährlich doch eine Flüssigkeit aussehen kann

Oder man sieht Wasser, Kaffee, irgendeine Flüssigkeit, die allmählich verwirbelt, in der sich etwas auflöst, wie in „Unter der Haut“, der Geschichte eines Mannes, der 1983, im Jahr des deutschen Bluterskandals, von seinem Hämoglobinpräparat mit Aids infiziert wird.

Oder eine fulminant geschnittene Bildraserei durchs sommerliche Berlin, in dem alle hauptstädtischen Lebenslustklischees kompiliert sind, der Aufbruch gezeigt wird, die Moderne, der Glanz der Metropole, hinter der sich die Berliner Stadtpolitik (zum Beispiel die fiktive von „Die Stadt und die Macht“) herschleppt wie ein sediertes Gürteltier.

Fromm bildet Studenten-Oscar-Gewinner aus

Von beidem, der Hauptstadt und dem Tempo, sind wir verhältnismäßig weit weg. Wir sind in Altona. Fromm lehrt an der Hamburger Filmhochschule unter anderem gerade von der Academy gewählte Studenten-Oscar-Gewinner. Der Orthopäde ist nicht weit weg. Es gibt Seelachs.

Vielleicht fangen wir mit der Geschichte von Susanne Kröhmer an, die Regierende Bürgermeisterin wird beinahe gegen ihren Willen. In der ist alles drin, was Fromm ausmacht, was Fromm will, was Fromm Nerven kostet, was das deutsche Fernsehen aber auch können kann, wenn man es lässt.

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Susanne Kröhmer, fassen wir mal kurz zusammen, ist Anfang 40, eine angehende Spätgebärende, Tochter von Karlheinz Kröhmer, kurz KK genannt, dem Paten der Konservativen im Roten Rathaus, Sozialanwältin, Spezialgebiet Integration von jugendlichen Intensivtätern. Als alles losgeht, fällt ein Mann vom Balkon (fallen, mit Schirm oder ohne, ist eine andere Bildmetapher in „Die Stadt und der Tod“, die sich durchzieht durch die sechs Stunden). Bauunternehmer im bankrotten Zustand, Sohn von KKs Kumpel.

Ein alter Bauskandal bricht wieder auf, der Bausenator wird geopfert, die große Koalition des charismatischen Regierenden von der linken SDU gerät ins Wanken, die konservative CDP, in der sicheren Ahnung, eh keine Chance gegen den Regierenden zu haben, will eine fleischgewordene Büroklammer aufstellen als Kandidat.

Susanne Kröhmer kanns nicht mitansehen, hebt die Hand und wird die neue Kraft an der Spree. Mit Ehrlichkeit, Offenheit und Transparenz (also allem, was man der Berliner Politik eh immer gewünscht hat). Mit Gefühl statt Klüngel.

Man möchte eigentlich in Fromms Berlin leben

Mit dem Versuch, Menschen wieder in die Politik hineinzuziehen, für die Demokratie zu begeistern, gerade dadurch, dass ihnen ihre Verantwortung für das Gemeinwesen, das sie letztlich selber sind, klargemacht wird. Manchmal, nein, ganz oft möchte man doch lieber in Fromms Berlin leben als im echten.

Egal. Jetzt ist wieder einmal Zeit für einen kleinen Einspieler. Friedemann Fromm würde natürlich insofern als Paradeberliner passen, weil er schwäbelt, ganz fein, sehr schön. Er ist in Stuttgart geboren. Im Schillergymnasium – da war seine Mutter Lehrerin – hat er in Wilders „Unsere kleine Stadt“ auf der Bühne gestanden.

Krzysztof Kieslowski konnte ihn nicht leiden

Als Estragon ist er mit Becketts „Warten auf Godot“ und seiner Schultheatertruppe durch sein Bundesland gezogen. Method Acting hat er in New York studiert. Und das Filmen in München und bei Krzysztof Kieslowski in Amsterdam (der hat ihn, weil er Method Acting nicht leiden konnte, ständig gepiesackt, das ist aber wieder eine andere Geschichte).

Dass er beinahe Schauspieler geworden wäre, hat ihm sehr geholfen, sagt er. Er geht direkter auf seine Darsteller zu, direkter auch auf die Figuren.

In einem aussichtslosen Kampf gegen den charismatischen Dauerregierungschef: Anna Loos ist Susanne Kröhmer
In einem aussichtslosen Kampf gegen den charismatischen Dauerregierungschef: Anna Loos ist Susanne Kröhmer
Quelle: ARD/Frédéric Batier
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Figuren sind ihm wichtig. Eigentlich ist ihm nichts wichtiger – abgesehen vom Geschichtenerzählen, aber das gehört ja irgendwie zusammen. Weil das Spiel der Figuren, ihre Glaubwürdigkeit, ihre Menschlichkeit der einzige Weg ist, Menschen dazu zu bringen, Dinge zu schauen, die sie vielleicht nicht unbedingt sehen wollen.

Berliner Landespolitik zum Beispiel, was ja so ziemlich das Allerlangweiligste ist, das man sich so denken kann. Und das nicht geringste aller Wunder von „Die Stadt und die Macht“ ist, dass die Mini-Serie keine Sekunde langweilig ist (wenn man erst mal die an Expositionen übervolle erste Folge überstanden hat).

Heraus aus der Merkel-Falle

Was auch daran liegt, dass es eben keine Kanzlerinnen-Geschichte wurde, was – sagt Fromm – zum einen eine Budget-Frage (Landespolitik lässt sich einfach kostengünstiger abfilmen), zum anderen die bewusste Vermeidung der Merkel- und der „Borgen“-Vergleichsfalle war.

Zum Dritten wollten Fromm und sein Team – auch deswegen ging dem Dreh wahrscheinlich eine eher schmerzhafte und langwierige Bucharbeit voraus – etwas ganz anderes machen. Einen eigentlich typisch amerikanischen Genremix.

Die Geschichte einer Frau, die endlich erwachsen wird

„Die Stadt und die Macht“ ist Politthriller – Geschichte einer großen Verschwörung, mit echten Leichen im Keller –, ist Politanalyse – man lernt beispielsweise eine Menge über Wahlkampagnen, so viel, dass man fast glauben könnte, Politik sei wirklich sexy.

Vor allem aber ist es – das war das Entscheidende für Fromm – die Geschichte einer Frau, die in einem Alter, in dem andere ihre Midlife-Crisis nehmen, erst im Hochdruckkessel Wahlkampf lernt, wer sie wirklich ist, was sie wirklich will und vor allem, welchen Preis sie dafür zu bezahlen bereit ist.

Diese emotionale Spur nimmt er auf (ganz besonders intensiv bei „Silvia S.“, der Geschichte der amoklaufenden Mutter), folgt ihr, so neutral es irgend geht. „Du musst“, hat ihm sein Schauspiellehrer gesagt, „jede Bewertung von der Figur wegnehmen. In dem Moment, wo du das nicht schaffst, hast du schon verloren, wirst du moralisch, wirst du langweilig.“

Ultrabreite Fernseher sind doch ein Segen

Und hinter der Figur her, ihrer Verlorenheit, ihren Abhängigkeiten geht es in die Tiefe, in alle moralischen, menschlichen Dimensionen der Geschichte. Immer wichtiger, sagt er, ist ihm dabei, und das meint er nicht fußballerisch, wegzukommen vom körperlosen Spiel ständiger Close-ups, wie sie im deutschen Fernsehen lange die Regel waren.

Die technische Ausstattung deutscher Wohnzimmer mit Ultrabreitwandbildschirmen kommt ihm da entgegen. Auf denen geht das „Unter der Haut“, das Bluterdrama hat er in Cinemascope gedreht. So kann er die Körperlichkeit einer Figur im Spiel als zusätzliche Ausdrucksebene nutzen. „Ich will wissen, wie die Leute ihren Körper einsetzen, mit ihrem Körper umgehen.“

Was Wahlkampf aus Menschen machen kann: Anna Loos als Spitzenkandidatin mit ihrem Kampagnenteam. Mastermind und Spindoktor ist Georg Lassnitz (Martin Brambach, hinten)
Was Wahlkampf aus Menschen machen kann: Anna Loos als Spitzenkandidatin mit ihrem Kampagnenteam. Mastermind und Spindoktor ist Georg Lassnitz (Martin Brambach, hinten)
Quelle: ARD/Frédéric Batier

Kleiner Einschub mal wieder. Anna Loos. Die ist Susanne Kröhmer. Und man hat ihr immer vorgeworfen, sie könne nur zwei Gesichter. Es ist fast so, als hätte sie auf diese Rolle gewartet. Sie wächst mit Susanne Kröhmer. Sie wird immer grandioser. Und das hat auch etwas mit Körperlichkeit zu tun.

Irgendwann wird Susanne Kröhmer von ihrem hyperventilierenden Spindoktor und Wahlkampfmanager (Martin Brambach, mit dessen Auftritt die Serie eigentlich erst richtig losgeht) angeschrien, dass da etwas geschehen müsse in ihrem Gesicht, ihrer Haltung. Mehr Emotion, mehr Gefühl, die Leute würden kein schwarzes Loch wählen.

Und dann geschieht etwas in und mit ihrem Körper, dann verändern sich Bewegungen. Die Spuren der Macht, des Kampfes bei einem Menschen werden sehr sichtbar in „Die Stadt und die Macht“.

Wer was will, der muss raufen können

Man kann nicht sagen, dass es einfach war, dieses vielleicht erste gelungene deutsche Politdrama überhaupt in der ARD an den Start zu kriegen. Es hingen, erzählt Fromm, etliche Fernsehredaktionen dran, die Drehbucharbeit war kompliziert, der Zeitdruck groß. So ist das halt.

Er kennt das, sagt er, er hat sich seine Narben abgeholt. „Wenn man in dem Geschäft was will, dann, das sag ich auch meinen Studenten, muss man raufen können, dann muss man geschickt sein. Niederlage wegstecken.“

Das deutsche Fernsehen, auf das er trotz allem nichts kommen lässt, weil er da mehr Freiheiten hat als beispielsweise im deutschen Kino, hinkt, sagt er, was die Produktionsstruktur angeht, einige Jahre den Amerikanern hinterher. Bei aller Rauferei allerdings ist er überzeugt, dass inzwischen was geht, dass „wir auf dem Weg sind. Wir Deutschen sind aber keine Revolutionäre, wir sind Bretterbohrer, bei uns geht’s langsam, es ist mühsam.“

Man muss die Zuschauer mitnehmen

Was die Erzählstruktur angeht, aber das sieht man seiner neuen Serie noch am allerwenigsten an, ist der Abstand zu den Spitzenprodukten von Netflix und Sky auch nicht sehr viel geringer. „Was die schon machen in ihren guten Serien, wie die mit Zeitebenen umgehen“, sagt Fromm, „davon sind wir noch sehr weit weg.“

Er macht keinen Hehl daraus, dass er da natürlich auch hinwill. „Aber ich möchte auch, dass meine Sachen gesehen werden. Und was habe ich von einer Serie, die ich ganz toll finde und dann feststelle, das hat nur 20.000 Zuschauer, dafür ist der Aufwand, den wir treiben, zu groß.“

Da sind inzwischen Türen aufgegangen, es ist mehr Mut in den deutschen Fernsehredaktionen. Trotzdem muss Fromm versuchen, die möglichen Zuschauer da abzuholen, wo sie gerade noch mitgehen, und sie dann weiterzuführen.

Und das geht halt am besten über Geschichten von Menschen, über Figuren, die Zuschauer bei der Hand nehmen und in die Abgründe von Geschichte und Gegenwart führen. Das hatten wir ja schon. Der Seelachs ist weg. Irgendwie verschwunden. Das ist eine andere Geschichte.

Fromm geht wieder dicke Bretter bohren. Wir wünschen ihm dabei viel Glück, sind sehr zuversichtlich und gehen in den Winter.

„Die Stadt und die Macht“: 12. bis 14. Januar, jeweils 20.15 Uhr, ARD.

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