Wildes deutsches M�dchen sucht ihren Platz im Leben, verliebt sich in einen Araber und konvertiert zum Islam: Ein aktuelles gesellschaftliches Thema und den Prozess einer Selbstfindung behandelt der Film „Fremde Tochter“ (SWR / Kurhaus Production). Stephan Lacant erz�hlt in starken Bildern und einer exzellenten Milieuzeichnung die Geschichte zweier K�nigskinder zwischen den Welten. Mit Elisa Schlott und Hassan Akkouch hat er zwei Akteure, die mit gro�er Kraft & enormer Intensit�t agieren. Starkes „Deb�t im Dritten“.
Foto: SWR / Michael KotschiZwei Welten prallen aufeinander. Lena (Elisa Schlott) wird mit 17 unverhofft schwanger. Der Vater des Kindes ist Moslem. Wird sie zum Islam konvertieren?
Sie ist jung, sie ist wild, sie ist impulsiv: Lena (Elisa Schlott) lebt in einem sozialen Brennpunkt, ihre Mutter Hannah (Heike Makatsch) bekommt nichts auf die Reihe und so muss sie mithelfen beim Geldverdienen. Ein Putzjob in einem Gro�raumb�ro f�hrt Lena mit Farid (Hassan Akkouch) zusammen. Am Anfang findet sie den �berzeugten Moslem bl�d: „Meinst du, ich will was mit ‘nem Arab anfangen?“, giftet sie. Er kontert: „Meinst du, ich will ‘ne Bitch?“ Dann schieben sie eine schnelle Nummer auf der Toilette im B�ro. Das war‘s. Oder doch nicht? Da ist mehr. Er ist anders als die Jungs auf der Stra�e. Und so verlieben sie sich. Das f�hlt sich gut an. Ihre Mutter kennt so was nicht. Die wird nur ausgenutzt, ihr Chef will ihr kein Zeugnis geben, da rammt sie dessen Auto. Jetzt steht sie ohne Job da. Dann erf�hrt Lena, dass sie schwanger ist. Sie will das Kind, sie will die Beziehung mit Farid, ist sogar bereit daf�r Muslima zu werden. Farids Familie reagiert zun�chst skeptisch und ihre eigene Mutter ist geschockt von Lenas pl�tzlicher Zuwendung zum Islam.�
Foto: SWR / Michael KotschiLena (Elisa Schlott) h�lt von Arabs nichts, Farid (Hassan Akkouch) nichts von Bitches, aber die Anziehung zwischen den beiden ist trotzdem unbezwingbar.
Trist und grau ist die Welt der Lena: Plattenbau, Perspektivlosigkeit. Sie wei� sich zu behaupten, hat eine gro�e Klappe und ein freches Auftreten. Aber sie sehnt sich nach Liebe und Geborgenheit. Und pl�tzlich ist da einer, der z�rtlich ist zu ihr. Was das f�r sie bedeutet, das zeigt die wohl sch�nste und intensivste Szene des Films: Abends allein im Gro�raumb�ro tollen Lena und Farid nach Herzenslust herum, spielen wie kleine Kinder Verstecken unter Schreibtischen, liebkosen sich. Hier gibt es keine Grenzen, keine Vorurteile, keine Regeln: Sie sind frei und gl�cklich. Stephan Lacant inszeniert diesen Moment herrlich unverkrampft und liebevoll; die Szenerie hat etwas M�rchenhaftes. Doch schnell springt er wieder in die soziale Wirklichkeit. „Fremde Tochter“ erz�hlt die Geschichte der K�nigskinder, die nicht zueinander kommen k�nnen, weil sie aus unterschiedlichen Welten und Kulturen kommen mit Tradition, Glauben, Vorurteilen, Widerspr�chen und Unverst�ndnis konfrontiert werden. Eine starke, unsentimentale Story zwischen Realit�t und M�rchen, politisch aktuell und sozialkritisch. Ein Selbstfindungsprozess, kompromisslos erz�hlt. Vielleicht w�re der eine oder andere Nebenstrang verzichtbar gewesen; die (Liebes-)Geschichte von Lena und Farid ist so intensiv, dass sie alleine tr�gt, und alles drumherum nur ablenkt. Der 12j�hrige Junge, der vom Vater geschlagen wird, f�r den Lena die K�nigin ist, der mit einer Pistole herumfuchtelt, um sie zu besch�tzen – diese Nebenerz�hlung h�tte es nicht gebraucht. Aber sie st�rt auch nicht.��
Foto: SWR / Michael KotschiGirlies in Feierlaune. Lena (Elisa Schlott) mit ihrer Freundin Jollie (Anna Bullard)
Lacant ist nicht nur – gemeinsam mit Karsten Dahlem – der Autor, er hat den Film auch inszeniert. Nach „Freier Fall“ (gemeinsam mit Dahlem) und dem Rechtsterrorismus-Drama „Toter Winkel“ ist „Fremde Tochter“ der dritte beeindruckende Film des Regisseurs. Er ist stets sehr nah dran an den Figuren, es gibt kaum Totalen, oft klebt die Kamera (Michael Kotschi) f�rmlich an den Gesichtern. Und ihm gelingt eine exzellente Milieuzeichnung. Die Siedlung, in der Lena lebt, der Hinterhof, der zu Farid f�hrt, die schmucklose Wohnung der Mutter, das trostlose B�ro des Autoh�ndlers, in dem der sich �ber Mutter und sp�ter Tochter hermacht – es sind starke Motive. Sie tragen zu der gro�en erz�hlerischen Kraft des Films bei, der sich mit dem Aufeinanderprallen von christlicher Lebenshaltung und dem Islam auseinandersetzt, und daf�r Bilder findet, die eher ungew�hnlich, weil g�nzlich unspektakul�r sind und den Alltag zeigen wollen. Farids Familie, der Sohn am Bett des Vaters, die Gebete in der Moschee, die spielenden Kinder im Hinterhof, der Unterricht – hier ist sp�rbar, dass man sich lange damit besch�ftigt hat, nicht die �blichen Stereotype bedienen zu wollen. Der Film hat auch einen sehr guten Rhythmus, ein gro�er Verdienst des gelungenen Schnitts. Monika Schindler, k�rzlich mit einer Lola f�r ihr Lebenswerk geehrt, zeichnet daf�r verantwortlich.
Foto: SWR / Michael KotschiLena will endlich weg von ihrer Mutter (Makatsch), die nichts auf die Reihe kriegt.
Dass „Fremde Tochter“ sehr realistisch wirkt, ist auch dem Spiel der drei Hauptdarsteller zu verdanken. Heike Makatsch �berrascht in der Rolle der Mutter Hannah; Hassan Akkouch, schon des �fteren im „Tatort“ als Verd�chtiger, Dealer oder Knacki zu sehen, �berzeugt als Farid durch sein sensibles Spiel. Und Elisa Schlott: Die nimmt einen mit auf eine Reise in die Welt einer 17-J�hrigen: kraftvoll und krachend, aber im n�chsten Moment auch wieder zart und verwundbar. Die Schauspielerin ist l�ngst keine Entdeckung mehr, spielte im „Tatort – Borowski und der Himmel �ber Kiel“ und k�rzlich in „Das Verschwinden“. Mit der Rolle der Lena wird sie – vollkommen zurecht – noch mehr Aufmerksamkeit bekommen, mit dieser „fremden Tochter“ f�hlt man mit, leidet man mit, ist nah am Verzweifeln. Der Schluss ist ein wenig s��lich, aber andererseits auch konsequent. (Text-Stand: 7.11.2017)
Trailer zu "Fremde Tochter" von Stephan Lacant aus der Reihe "Deb�t im Dritten"
Volker Bergmeister arbeitet als freier TV- und Filmkritiker f�r Zeitungen und Fachzeitschriften. Er war 25 Jahre Jurymitglied des Grimme-Preises, aktuell leitet er die Jury des Creative Energy Award beim Filmfest Emden und geh�rt der Nominierungskommission f�r den Robert-Geisend�rfer-Preis an.