Ein Raser f�hrt eine Frau ins Koma. Als sie erwacht ist die Erinnerung an alles vor dem Unfall gel�scht. Sie (er)kennt weder ihre Familie noch ihren Liebhaber – und dass ihre Ehe am Ende war, wei� sie auch nicht mehr. Doch die Partner verlieben sich erneut ineinander. Herzst�ck von „Meine fremde Frau“ ist das Ehe-Drama, das aber durchaus von der Krimi-Handlung um die Fahrerflucht profitiert. Lars Beckers Film beginnt dramaturgisch etwas unentschlossen, nimmt einen aber zunehmend gefangen und mit Ursula Strauss’ sensationaller Performance einer h�uslichen Reha hat der durchweg gro�artig gespielte Film endg�ltig gewonnen.
Foto: ZDF / Oliver RothVor wenigen Wochen lag Maria Hofer noch im Koma. Endlich geht's heim. Doch wer sich nicht mehr kennt, kann sich nur schwer freuen dar�ber, dass es k�rperlich bergauf geht. Ungeschminkt & uneitel: die sensationelle Ursula Strauss, Krassnitzer
Eine Frau wird sp�tabends in Wien von einem Auto erfasst, ein Luxusschlitten, der mit �berh�hter Geschwindigkeit auf sie zurast – und dann ist der Wagen auch schon wieder weg. Es gibt nur einen Zeugen, der zwei Personen im Tatfahrzeug gesehen haben will. Die schwer verletzte Frau, Maria Hofer, eine Krankenpflegerin (Ursula Strauss), f�llt ins Koma und leidet nach dem Erwachen unter retrograder Amnesie: Alles vor dem Unfall ist aus ihrer Erinnerung gel�scht, ihr ganzes Leben mit ihrem Mann Bruno (Harald Krassnitzer) und ihren beiden Kindern. Die Ehe muss sich in einer Krise befunden haben. Jedenfalls war der Zeuge des Unfalls, Lukas Horvath (Philipp Hochmair), Dirigent der Staatsoper, seit zwei Monaten Marias Geliebter. Tatverd�chtig ist der millionenschwere Baumogul Toni Lorant (Nicholas Ofczarek), dessen Frau (Jasmin Gerat) ungeschickt versucht, die Tat auf sich zu nehmen. Obwohl Bruno Hofer, seines Zeichens Staatsanwalt, von seinem befreundeten Kripo-Kollegen, Freddy Turek (Dominik Warta), zur�ckgepfiffen wird, beginnt der Ehemann selbst zu recherchieren. Als er herausfindet, weshalb Horvath am Unfallort war, �berschlagen sich die Ereignisse...
Foto: ZDF / Oliver RothDie Unfallverursacher? Zun�chst streiten die Lorants alles ab, dann will die Ehefrau (Jasmin Gerat) am Steuer gesessen haben. Stark wie gewohnt: Nicholas Ofczarek
Der Krimiplot ist nur das vordergr�ndige Spielfeld von Lars Becker Fernsehfilm „Meine fremde Frau“ (ZDF). Tiefgr�ndiger ist das Drama der verungl�ckten, in einer unbefriedigenden Ehe steckenden Frau und die Geschichte der zweiten Chance, die das Ehepaar bekommt. Der Unfall sorgt f�r eine Art „Bewusstseinsschub“, anfangs mehr beim Ehemann als bei seiner Frau, die erst einmal mit sich selbst und ihrem vor�bergehenden Verlust ihrer Identit�t zu k�mpfen hat. Harald Krassnitzers Bruno f�hrt wie die Story zweigleisig: Einerseits m�chte er als Staatsanwalt, dass der Verantwortliche f�r den Unfall zur Rechenschaft gezogen wird, andererseits erkennt er als Ehemann die Chance f�r einen Neuanfang der Beziehung und m�chte sie unbedingt nutzen. „Auch Bruno wacht auf: ‚Was habe ich da die ganze Zeit eigentlich gemacht?’, fragt er sich pl�tzlich“, so Krassnitzer. Das gemeinsame Suchen nach der Vergangenheit, nach sch�nen Momenten ihrer Liebe, das Durchbl�ttern der Fotoalben, das erfolglos bleibt, dahinter stecke kein Mitleid, das sei v�llig aufrichtig, interpretiert der Schauspieler seine Rolle. Und so spielt er es auch: Wirkt seine Figur anfangs noch straight, dringlich, ein Mann der Tat, wird er zwischenzeitlich zu Hause zum verst�ndnisvollen Gatten, der sich noch mal in seine Frau verliebt, und auch sie, f�r die ihre Ehe noch immer ein schwarzes Loch ist, entwickelt zunehmend Gef�hle f�r ihn.
Beziehungsgespr�ch: Ehrlichkeit ist ein guter Anfang
Sie: „Wer gef�llt dir besser, die alte oder die neue Maria?“ Er: „Beide.“ Sie: „Das ist eine Ausrede. Komm’, sag schon.“ Er: „Dann nehm’ ich die neue.“
Sie: „Und warum?“ Er: „Weil das alte Leben langweilig war. Du hast dich f�r mich nicht interessiert, ich hab mich f�r dich nicht interessiert.“ Sie: „War das so?“ Er: „Ja, das war so. Eigentlich war unsere Beziehung am Ende.“
Auch vergibt der Ehemann seiner Frau ihre Aff�re, wohl wissend, dass er einen Gro�teil der Schuld daf�r mittr�gt. Trotz H�utung kann er seine Staatsanwalt-Mentalit�t aber nicht abstreifen, was der Geschichte – das ist Interpretationssache – eine gewisse tragische Ironie gibt. Da interessieren die T�ter, der Mann, der Fahrerflucht begangen hat (und den der Zuschauer l�ngst kennt) und der, der ihm die Frau wegnehmen wollte und daf�r eine kr�ftige Abreibung bekommt, dann wieder mal mehr als das Opfer, die eigene Ehefrau. Da wird die Zukunft, die Rettung der Beziehung, wichtiger als die Gegenwart, als der wache Blick auf die Frau, die gerade noch halbtot auf der Intensivstation lag. Die Gesundung als „normal“ anzusehen, spiegelt, wenn man so will, ein St�ck weit die letzten Ehejahre der Hofers, in denen die Ehe zum unhinterfragten Normalzustand, zur Gewohnheit wurde (da fragte Bruno nat�rlich auch nicht nach den Bed�rfnissen seiner Frau). H�tte er doch die Augen weiter aufgemacht! Auch daf�r soll nun der T�ter b��en. Im Gegensatz zum Kommissar, der im Hintergrund unaufgeregt seine Ermittlungen f�hrt, sieht der Staatsanwalt pl�tzlich rot.
Foto: ZDF / Oliver RothNur einer von den Vieren wei�, was Sache ist: Lukas Horvath (Philipp Hochmair), der Dirigent der Staatsoper und Geliebte von Maria (Ursula Strauss), die sich an nichts erinnern kann. Der Kommissar (Dominik Warta) und Marias Ehemann, Staatsanwalt Hofer (Harald Krassnitzer), kommen dem Frauenheld erst sp�ter auf die Schliche.�
Die Qualit�t dieses den Zuschauer fast unmerklich packenden, aber leise und unaufgeregten Dramas ist die clevere Konstruktion der Geschichte und ihrer Figuren, deren wechselnde Koalitionen der Handlung immer wieder dramatische Wendungen geben, die zwar h�ufig einigerma�en �berraschend eintreten, aber in der Logik der Figurenkonstellation bereits angelegt sind. Daraus entsteht die intelligente Verzahnung von Drama und Krimi, die einem eher unspektakul�r pr�sentiert wird; daf�r steht sinnbildlich der Kommissar, der sich nicht aus der Ruhe bringen l�sst. An diesen Unscheinbaren muss man sich ebenso gew�hnen wie an eine Erz�hlung und vor allem einen Erz�hlton, der gerade f�r den „Nachtschicht“-Macher ungew�hnlich, ja anfangs sogar etwas unentschlossen wirkt, weil man nicht richtig wei�, welches Genre Lars Becker erz�hlen will. Sp�testens wenn man erkennt (und akzeptiert), dass es in „Meine fremde Frau“, wie es der Titel andeutet, weder um (film)�sthetische oder dramaturgische Raffinesse noch im Wesentlichen um das Verbrechen selbst geht, sondern dass die Genre-Konventionen nur Mittel zum Zweck sind, die Beziehungsgeschichte spannend auf den Weg zu bringen, ist man als Zuschauer auf der richtigen F�hrte. Da muss einen dann auch nicht mehr die belanglos konventionell eine emotionale Grundstimmung erzeugende Musik gro� st�ren. Und wenn Ursula Strauss aus dem Koma erwacht und den bis dato �berzeugend agierenden Harald Krassnitzer „unterst�tzt“, hat der Film ohnehin gewonnen, aber auch die Figur des Gatten. Litt in der Exposition die Glaubw�rdigkeit des Staatsanwalts noch etwas unter seiner mangelnden Allgemeinbildung (das Ph�nomen „retrograde Amnesie“ ist wohl v�llig an ihm vorbeigegangen), kommt er nun emotional in die Puschen.
Foto: ZDF / Oliver RothDie zweite Chance. Es scheint, als w�rden sich die beiden noch einmal ineinander verlieben. Mit ein Grund daf�r:� Hofer (Harald Krassnitzer) ist ehrlich und verschweigt seiner Frau (Ursula Strauss) die Krise ihrer Ehe vor dem Unfall nicht.
Sicherlich ebnet die Wendung der Geschichte ins Psychologisch-Private den entscheidenden Qualit�tssprung des Films. Es ist das langsame Erwachen der weiblichen Hauptfigur aus dem Koma, die zaghafte Ann�herung zweier Menschen, die sich herzlich fremd sind. Gef�hlt beginnt der Film mit dem ersten Augenaufschlag der komat�sen Krankenpflegerin. Was folgt ist physisch wie psychisch eine darstellerische Glanzleistung. Strauss veredelt jeden Film, ob leichte Kom�die („Die Abstauber“), gediegenes Suspense-Bergdrama („Tod in den Bergen“) oder d�steres Krimidrama („Spuren des B�sen – Racheengel“). In „Meine fremde Frau“ ist ihre Leistung ungleich gr��er. Die zahlreichen Phasen der k�rperlichen wie seelischen Regenerierung fordern immer wieder eine neue Pers�nlichkeit von ihr: Verst�rt begegnet die mit Verb�nden �bers�te Frau ihrer Familie das erste Mal: „Wer sind Sie?“, fragt sie und verweigert die Ber�hrung. Sp�ter fasst sie zwar Vertrauen, blickt aber noch immer wie durch eine Milchglasscheibe, als ob sie fragen wollte: Ist das tats�chlich mein Leben? Meine Familie? Mit der Zeit glaubt sie es. Aber kann sie auch jenem gut aussehenden Mann glauben, der l�chelnd behauptet, er sei ihr Geliebter (gewesen)?! Das Nichts macht Angst, verunsichert, irritiert, bereitet Schmerz. F�r all diese archetypischen Zust�nde findet Strauss den ad�quaten Ausdruck, fein nuanciert sie ihren Tunnelblick. Zuhause, wo ihre Figur anfangs noch apathisch („Das ist ein sch�nes Haus“) wirkt, arbeitet sie an sich weiter, bis erste Erinnerungsfetzen auftauchen. Strauss’ Blick �ffnet sich und ihre Figur bekommt auch schon mal ein L�cheln hin. Allein nur um der Entwicklung dieser Frau zu folgen, lohnt es sich, diesen Film anzuschauen. Ein Film, mit dem Ursula Strauss ihre Ausnahmestellung im �sterreichischen Fernsehen unterstreicht. Aber auch hierzulande fallen einem nur zwei, drei Gesichter ihrer Generation ein, die ihr das Wasser reichen k�nnen. (Text-Stand: 15.1.2016)
Die Schauspielerin Ursula Strauss zu Gast "Auf dem Roten Stuhl" – Stars der Kulturszene im pers�nlichen Gespr�ch. "Ich habe Blut und Wasser geschwitzt"
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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