Selten klafften bei einem Spitzenpolitiker in Deutschland Selbstbild und Realität weiter auseinander. Am 1. Juni 1932 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg auf Einflüsterung des Generals Kurt von Schleicher einen 52-Jährigen zum Reichskanzler, der selbst kenntnisreichen Beobachtern der politischen Landschaft höchstens dem Namen nach bekannt war: Franz von Papen.
Der ehemalige Berufsoffizier und Militärdiplomat hatte sich schon als deutscher Attaché in Washington D.C. bei seiner halb geheimdienstlichen Tätigkeit gegen die USA so ungeschickt angestellt, dass er aufflog und Anfang 1916 des Landes verwiesen wurde. Anschließend vertrat er seit 1921 (mit einer Unterbrechung 1928 bis 1930) als Anhänger des reaktionären Teils der katholischen Zentrumspartei den Wahlkreis Westfalen-Nord im Preußischen Abgeordnetenhaus. Dieses Mandat verlor er bei der Wahl am 24. April 1932.
Dieser abgehalfterte „Herrenreiter“ hielt sich selbst gleichwohl für den Retter Deutschlands vor einem (möglicherweise tatsächlich drohenden) Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten. Seinem Bekannten Kurt von Schleicher, der ihn eigentlich verachtete und gern „das Fränzchen“ nannte, wenn er nicht dabei war, kam Papen jedoch im Frühjahr 1932 ganz recht. Er schlug ihn Hindenburg als Nachfolger des zu selbstständig denkenden Zentrumspolitikers Heinrich Brüning vor. Denn Schleicher glaubte, Papen unter Kontrolle halten zu können.
Sein Programm als Reichskanzler, an dem Papen freilich selbst so gut wie keinen Anteil hatte, sondern das von Vordenkern der „Konservativen Revolution“ stammte, sah einen kompletten Umbau des Staates vor. Durch eine Verfassungsänderung sollte aus der parlamentarisch-demokratischen Weimarer Republik eine autoritäre Präsidialdiktatur werden. Die Reichsregierung sollte nicht mehr vom Vertrauen des Reichstages abhängig sein, sondern nur noch von dem des Reichspräsidenten; das Parlament würde weniger Einfluss behalten, als es der Reichstag im Wilhelminischen Kaiserreich gehabt hatte. Im Grunde ging es darum, nicht nur die demokratische Revolution von 1918/1919 zurückzudrehen, sondern in Deutschland ein den Zuständen in Preußen vor 1848 ähnliches System zu etablieren – nur (vorerst) ohne erbliche Monarchie.
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Franz von Papen, geboren 1879 als drittes von fünf Kindern des katholischen Offiziers und Grundbesitzers Friedrich von Papen-Koeningen, hatte sich schon als Zehnjähriger selbst gewünscht, eine Kadettenschule zu besuchen. Er wurde Mitglied des Kaiserlichen Pagenkorps und 1913 des Großen Generalstabes; hier lernte er den etwas jüngeren, aber weitaus begabteren Schleicher kennen.
Beziehungen seines Vaters verschafften Papen schon im selben Jahr den Posten in Washington, was nach so kurzer Zugehörigkeit zum Generalstab durchaus ungewöhnlich war. In den USA scheiterte er vollkommen – sein aufgesetzter Schneid verhinderte, dass er lang andauernde Beziehungen knüpfte, seine schlecht kaschierte konspirative Tätigkeit führte zu seiner Ausweisung – und da er bei der Rückkehr Geheimdokumente in seinem Gepäck mit sich führte, die den Briten in die Hände fielen, wurde seine Tätigkeit bald durchleuchtet.
Als glühender Monarchist verweigerte sich Papen der demokratischen Weimarer Republik und trat in seiner Abgeordnetenfunktion stets als scharfer Gegner der preußischen Regierung um Ministerpräsident Otto Braun auf. Dabei war der pragmatische Sozialdemokrat der eigentliche Garant der (fragilen) Stabilität der Demokratie in Deutschland, während die Reichskanzler manchmal im Monatsrhythmus wechselten.
Als Papen als Chef der Reichsregierung die Möglichkeit bekam, Braun mithilfe des weit ausgelegten Notverordnungsrechtes des Reichspräsidenten nach Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung zu stürzen, tat er das – am 20. Juli 1932. Das und die anschließende „Säuberung“ der preußischen Polizei und Verwaltung von Demokraten ermöglichte ein Dreivierteljahr später Hitler den Durchgriff.
Seinen Mentor Kurt von Schleicher verriet Papen übrigens im Dezember 1932. Nur sechs Monate hatte er sich im Amt gehalten und keine einzige Abstimmung im Reichstag gewonnen. Nun wurde der „Herrenreiter“ zum Steigbügelhalter Hitlers und intrigierte zu seinen Gunsten – das hieß: gegen Schleicher, der den „Führer“ von der Reichskanzlerschaft fernhalten wollte.
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