Ob hierzulande eine Schlagersängerin namens Alemania German Furore gemacht hätte? Im viel stärker patriotisch gestimmten Frankreich war das kein Problem. Zumal Isabelle Geneviève Marie Anne, die sich France nannte und aus einer musikalischen Familie stammte, mit Nachnamen wirklich Gall hieß.
Auch jenseits des Rheins, beim ehemaligen Erbfeind, hat die am 9. Oktober 1947 geborene Pariserin immer wieder besonders für Singsang-Völkerverständigung gesorgt: etwa mit der vom bewährten Hitlieferanten (und Katja-Epstein-Gatten) Christian Bruhn komponierten Schlager-Forderung „Ein bisschen Goethe, ein bisschen Bonaparte“. Genau so nämlich habe der Mann auszusehen, auf den sie warte.
So also ließen sich die Nachkriegsdeutschen die kleinen Französinnen gefallen, gamine-haft, nicht raffiniert verführerisch, als eine Art Schulmädchen-Mireille-Matthieu mit gleichförmiger, ein wenig monotoner, einschläfernder Blechstimme und wenig Tonumfang, kumpelhaft, unkompliziert. Auch die Grande Nation hatte sich dem wandelnden Modegeschmack angepasst.
Bereits ihre erste Single zu Hause, „Ne sois pas si bête“ („Sei nicht so dumm“), rockte 1963. Mit mehrdeutigen Texten und wenig Stoff um die Hüften setzte die 16-Jährige, vom Erotomanen Serge Gainsbourg gefördert, die frivole Chansontradition des alten Frankreichs fort. Von Gainsbourg stammte auch „Poupée de cire, poupée de son“ („Ich bin eine Puppe aus Wachs, eine Puppe aus Klang“), womit France Galle 1965 den Grand Prix Eurovision de la Chanson für Luxemburg gewann.
Während danach „Les sucettes“, „die Dauerlutscher“, durchaus auch als Hymne an den Oralverkehr interpretiert werden konnte – wovon die tugendhafte douce France natürlich rein gar nichts ahnte. Außerdem hatte sie bereits die Rheinseite gewechselt. Sie lebte von nun an für einige Jahre in Deutschland.
Männersuche per Computer
„Little French Doll“ nannten sie die Amerikaner, von 1966 bis 1972 sang France Gall aber vor allem Deutsch. Ein laufender Meter mit wohlfrisiertem Blondhaar und signalfarbigem Minikleidchen, so plärrte und gurrte sie im prävirtuellen Zeitalter powackelnd zur swingenden Schweineorgel in ihr Schlaufenmikro: „Computer Nummer drei/ sucht für mich den richtigen Boy/ Und die Liebe ist garantiert/ für beide dabei.“
Und während François Truffaut 1960 auf der neuen Filmwelle surfend deutschen Lehrerinnen empfahl „Schießen Sie nicht auf den Pianisten“, sang La Gall 1970: „Dann schon eher/ der Pianoplayer/ mit den schönen Händen/ drüben am Klavier.“ Und aus Chiquo Buarques Brasil-Hit „A banda“ wurde die alberne Modeempfehlung „Zwei Apfelsinen im Haar/ Und an der Hüfte Bananen/ trägt Rosita seit heut‘/ zu einem Kokosnusskleid.“ So hörte sich also damals deutsch-französische Schlagerfreundschaft an.
Zu Galls bekanntesten Liedern in deutscher Sprache zählen „Zwei Verliebte zieh’n durch Europa“, „Unga Katunga“, „Kilimandscharo“, „Ali Baba und die 40 Räuber“, „Ich hab’ einen Freund in München“, „Links vom Rhein und rechts vom Rhein“ und „Das war eine schöne Party“. Privat war sie in dieser Zeit zwar mit dem Chansonnier Julien Clerc liiert, aber öffentlich musste sie für die Deutschen das Tingeltangel-Girlie spielen.
Private Schicksalsschläge
1973 hörte sie erstmals die Lieder von Michel Berger, der auch für Françoise Hardy komponierte. Berger machte sie nicht nur musikalisch erwachsen und schrieb für sie – angefangen bei „Mon Fils Rira Du Rock’n Roll“ – einige Hits, er wurde auch von 1976 bis zu seinem Tod 1992 ihr Mann. Und France wurde wieder Französin, konzentrierte ihre Karriere weitgehend auf ihr Heimatland. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, wobei die Tochter ebenfalls früh starb.
1988 feierte France Gall auch in Deutschland ein Comeback mit „Ella elle l’a („Ella, sie hat es“), einer Hommage an die Jazzsängerin Ella Fitzgerald. Seit der Veröffentlichung ihres letzten Studioalbums „France“ (1995) war es ruhig um sie geworden. Sie lebte zeitweilig im Senegal und engagierte sich für ehemals obdachlose Frauen, wurde Ritter der französischen Ehrenlegion. Erst 2015 meldete sie sich mit dem Musical „Résite“ zurück. Am 7. Januar ist France Gall nun an den Folgen ihrer vor zwei Jahren wieder ausgebrochenen Krebserkrankung gestorben.