Woody Allens „Ein Glüclsfall“ im Kino – Unglück im Glück
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„Ein Glücksfall“ von Woody Allen im Kino – Unglück im Glück

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Lou de Laâge, hier mit Melvil Poupaud.
Lou de Laâge, hier mit Melvil Poupaud. © ©2022 Gravier Productions, Inc.

Woody Allens fünfzigster und erster französischer Film, die Krimikomödie „Ein Glücksfall“, ist so leicht, wie sein Titel verspricht.

Nur eine Sache im Leben bereut er wirklich“, ließ Woody Allen einmal in einem Text eine seiner Figuren sagen. „Dass er nicht jemand anders ist.“ Man kann aber auch Glück haben, wie es in Allens 50. Film, „Ein Glücksfall“, ein junger Autor formuliert. „Die Chance, überhaupt geboren zu werden, ist 1:400 Milliarden. Jeder Mensch hat also schon das große Los gezogen, sobald er nur auf der Welt ist.“

Alain, der fröhliche Lockenkopf, den Niels Schneider verkörpert, wähnt sich auf der Sonnenseite des Lebens. Das zufällige Wiedersehen mit seiner Schulfreundin Fanny, der größten, wenn auch hoffnungslos einseitigen Liebe seines Lebens, bestätigt ihn nur in seinem unerschütterlichen Optimismus. Und wie es scheint, lacht ihm auf einem Pariser Boulevard nun auch endlich das Liebesglück.

Die von Lou de Laâge gespielte Angestellte eines Auktionshauses ist nicht nur mindestens so schön wie in seiner Erinnerung. Sie befindet sich auch an einem wunden Punkt ihrer Ehe. Der schwerreiche Finanzberater Jean (Melvil Poupaud) mag zwar in den Augen ihrer Mutter (Valérie Lemercier) der perfekte Schwiegersohn sein. Wie es um seine Fantasie bestellt ist, verrät schon sein liebster Besitz, eine kostspielige Erwerbung, die er offensichtlich nicht auf einer von Fannys Kunstauktionen erstanden hat. Es ist eine Märklin-Eisenbahn aus den 50er Jahren in einer zimmerfüllenden, urdeutschen Provinzlandschaft.

Dass er auch Fanny stolz herumzeigt wie eine Trophäe, entgeht ihr nicht. Doch trotz seiner Eifersucht, die mit dem Besitzerstolz einhergeht, rüttelt sie bislang nicht an den Türen des Goldenen Käfigs, den sie aus freien Stücken bezogen hat. Wie viel romantischer erscheint ihr der junge Autor in seiner lauschigen Bohémien-Wohnung, der seine Romane noch mit der Hand schreibt und das verbotene Glück in schöne Worte gießt.

Etwas weniger rosig sehen das höchstens wir, schließlich ist das nicht unser erster Woody-Allen-Film. Wie selten belohnte in ihnen das Leben einmal die unerschütterlichen Optimisten? Und so kommt es, wie es kommen muss. Der aalglatte Ehemann, der schnell Verdacht schöpft, bestellt einen Detektiv, der ihm postwendend das Geturtel der Verliebten auf Tonband präsentiert. Und als wir erfahren, dass er sich mit Hilfe osteuropäischer Auftragsmörder schon einmal eines geschäftlichen Rivalen entledigt hat, scheinen die Tage des Glückspilzes gezählt.

Der Gegner ist das Schicksal

Wer weiß, wie lange das Drehbuch zu Allens erstem französischsprachigen Film in seiner Schublade gelegen hat. Aber es verbindet die zentralen Muster seines Werks der letzten 20 Jahre kunstvoller als das meiste andere, das er zuletzt drehte – das bescheidene Streben nach dem nicht immer moralisch ganz korrekten Glück und das nicht weniger leichthändige Treiben der Schurken von nebenan. Ihr gemeinsamer Gegner ist vielleicht das Schicksal, wenn es denn existieren sollte, in jedem Fall aber das statistisch höchst begrenzte Zufallsglück.

Melvil Poupaud ist als Gatte und Finanzmanager noch der bekannteste Schauspieler in einer wunderbaren Besetzung, Hauptdarstellerin Lou de Laâge eine große Entdeckung. Hollywoodstars, die Allen seit Jahren wegen als widerlegt geltenden Kindesmissbrauchs-Anschuldigungen aus dem Weg gehen, haben etwas verpasst. Was dann auch wieder mit dem zentralen Thema das Films, dem flüchtigen Glück, zu tun haben könnte.

Das bis zuletzt überraschende Drehbuch kommt so richtig in Gang, als sich Fannys Mutter als Simenon-Leserin und Hobby-Detektivin entpuppt. In einer Neuauflage der Diane-Keaton-Figur in Allens „Manhattan Murder Mystery“ beweist sie nach dem spurlosen Verschwinden des jungen Autors beeindruckenden kriminologischen Sachverstand. Und traut dem eben noch vergötterten Schwiegersohn plötzlich das Schlimmste zu.

In einer Art, wie nur Allen zu erzählen weiß, tauscht er vor unseren Augen einen Film, den wir gerade erst liebgewonnen haben, eine romantische Liebesgeschichte, gegen einen zweiten, einen altmodischen Krimi, weniger Georges Simenon als Agatha Christie. Das ebenso überraschende Finale ist dann vielleicht schon der dritte, der uns an die Coen-Brüder erinnern könnte, wären die nicht auch nur geistige Kinder von Woody Allen und dessen Idolen, den Marx Brothers.

Dass der pausenlose Dialog diesmal französisch ist, erscheint nach wenigen Minuten selbstverständlich (wie ohnehin, wenn man die synchronisierte Fassung wählt). Da es dennoch zum Handwerkszeug des Kritikers gehört, auch im leichten Fluss nach verborgenen Geheimnissen zu suchen, machte ich mir in einer scheinbar besonders bedeutsamen Szene eine Notiz. Da kauft der junge Autor seiner Flamme einen Gedichtband. „Mein Lieblingsautor“, lobt die Verkäuferin, aber wahrscheinlich sagt sie das zu jedem, der hier etwas kauft. Denn ich habe lange nach dem Werk des vollkommen vergessenen Henri Rouger gesucht, der um die Jahrhundertwende wirkte. Der Mann ist aber keineswegs erfunden, auch wenn er nicht mal einen Wikipedia-Eintrag besitzt.

„Le jardin secret“ heißt das kleine Bändchen von 1893, dessen Titel eine Sekunde lang die Leinwand füllt. Es muss das letzte im Handel verfügbare Exemplar gewesen sein, das Allen und dem großen Kamera-Veteranen Vittorio Storaro (83) vermutlich am Pariser Drehort rein zufällig vor die Linse kam. Und wahrscheinlich kostete es dieselben drei Euro, die der Glückspilz im Film dafür bezahlt. Aber was wäre, wenn die Buchhändlerin Recht hätte in ihrer Verehrung für den unbekannten Autor? Und die Gedichte vom „geheimen Garten“ eine Entdeckung wert? „Coup de Chance“, der Titel, den Allen diesem Film über einen Pechvogel und eine unglückliche Ehefrau gegeben hat, hatte vielleicht auch diese Möglichkeit im Sinn.

Ein Glücksfall. F/GB 2023. Regie: Woody Allen. 96 Min.

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