News TBV-Lemgo Lippe

Florian Kehrmann: „Immer die Ruhe bewahren!“

Ein Blick zurück und ein ausführlicher Blick voraus. Eine aufregende, spannende und erfolgreiche Saison 20/21 liegt hinter uns und auch die Vorbereitung auf die Saison 21/22 ist bereits beendet. In Kürze beginnt die neue Saison und zum ersten Mal seit vielen Jahren ist der TBV als Pokalsieger eines der beiden Teams, die den Pixum Super Cup bestreiten dürfen. Bevor es am Samstag in Düsseldorf gegen Meister THW Kiel geht, haben wir die Gelegenheit zu einem Interview mit Trainer Florian Kehrmann genutzt.

Flo, die Saison 2020/21 war extrem lang, die Sommerpause dagegen vergleichsweise kurz. Was macht der Akku?
Florian Kehrmann: Nach den ganzen Ereignissen zum Saisonende tat die vierwöchige Pause sehr gut. Beim Trainingsauftakt war man dann aber wieder voll fokussiert und froh darüber, dass die neue Saison im Vergleich zum Vorjahr recht schnell bevorstand.

Du wirst die freie Zeit sicherlich auch dazu genutzt haben, die Saison für dich nochmal Revue passieren zu lassen. Welche Momente dieser Mammutsaison haben sich bei dir ins Gedächtnis eingebrannt?
Florian Kehrmann: Anfangs war es schon herausragend zu sehen, wie Mannschaft und Verein auch beim Thema Gehaltsverzicht zusammengestanden und die Corona-Krise generell bewältigt haben. Keiner hat dieses Boot irgendwo verlassen, alle wollten das gemeinsam durchziehen – das war von Anfang an ein besonderer Moment. Insgesamt gab es viele davon: der Saisonstart, der erschwerte Herbst mit sportlichen Rückschlägen und Verletzungen, aber auch mit schönen Entwicklungen der jungen Spieler. Ich würde lügen, wenn ich in diesem Zuge nicht auch den Pokalsieg erwähne, der schon ein ganz hervorragendes Erlebnis und ein großer Triumph war. Aber auch der neunte Platz ist für uns als riesengroßer Erfolg zu werten, gerade unter den Bedingungen, die wir hatten.

Du sprichst es an: In der Liga hat der TBV mit 18 Siegen und fünf Remis außerordentlich gut performt. Was waren die Zutaten für diesen Erfolg?
Florian Kehrmann: Dass wir trotz aller Schwierigkeiten immer die Ruhe bewahrt haben. Wir hatten immer eine Marschroute, immer einen Plan B. In diesem Fall spreche ich nicht nur für mich als Trainer, sondern auch für die Geschäftsführung und die gesamte Geschäftsstelle. Auch der Staff stand immer hinter diesen Wegen, die wir eingeschlagen haben. Das war ein wichtiger Faktor, den wir auf die Mannschaft übertragen konnten. Und natürlich hat auch jeder einzelne Spieler außerordentlich performt – auf dem Feld, im Trainingsalltag und im Miteinander. Daraus resultierte dieser Pokalsieg.

Hast du das Gefühl, dass sich die Erwartungshaltung im Umfeld durch den Pokalerfolg verändert hat?
Florian Kehrmann: Nein, aber das wird zwangsläufig so kommen, dessen bin ich mir bewusst. Als wir damals Deutscher Meister geworden sind, hat auch keiner von uns erwartet, dass wir in der Saison danach Dritter werden. Den Anspruch, sich nicht zu verschlechtern, hat man als Sportler auch immer an sich selbst. Trotzdem muss man das relativ nüchtern sehen. Unser Ziel wird bleiben, so viele Punkte wie möglich zu holen und in den Pokal-Wettbewerben so weit wie möglich zu kommen. 

Bald steht fest, gegen wen der TBV in der 2. Quali-Runde der European League spielen wird. Vorfreude?
Florian Kehrmann: Wir brennen darauf, endlich mal wieder diesen Wettbewerb spielen zu dürfen. Bei der letzten Teilnahme 2011 habe ich noch selbst gespielt, das war immer etwas ganz Besonderes. Das auch mal als Trainer mitzuerleben, war schon immer ein ganz großes Ziel von mir. Ich wünsche mir, dass wir ein attraktives, machbares Los bekommen und dann in die Gruppenphase einziehen. Das wäre ein ganz tolles Statement, wenn der TBV Lemgo Lippe nach all den Jahren wieder europaweit vertreten ist und angreifen kann.

Dem Qualifikationsspiel für die EHF European League eilen der Supercup und die ersten Ligaspiele voraus. Der September hält viele Highlights bereit. Und doch thront über allem irgendwie die große Rückkehr der Zuschauer, oder?
Florian Kehrmann: Zu einer Normalität in den Hallen zurückzukehren, wird neben allem Sportlichen definitiv eine Rolle spielen. Wir können mit unseren Leistungen dazu beitragen, dass es eine Euphorie in der Halle gibt. Wir wollen möglichst viele Menschen begeistern. Das ist ein weiteres Ziel – und ein langer, anstrengender Weg. Aber ich freue mich jetzt schon darauf, wenn wir das erste Mal wieder in die Phoenix Contact-Arena einlaufen werden, und bitte alle, in die Halle zu kommen. Wir brauchen von Beginn an die Unterstützung jedes Einzelnen, denn vor uns liegt ein hartes Programm. Die ersten Spiele werden zeigen, wohin die Reise geht.

Du sprichst es schon an: Zum Auftakt hat man mit Melsungen, Wetzlar, Leipzig und Flensburg hohe Hürden vor sich…
Florian Kehrmann: Ich unterteile ein Auftaktprogramm nicht in einfach und schwer. Jedes Spiel muss gespielt werden. Schließlich spielt auch die Form des jeweiligen Gegners eine Rolle. Mit Melsungen erwarten wir gleich eine der Top-Fünf-Mannschaften der Liga, die oben angreifen will und sich mit drei Nationalspielern noch einmal sehr gut verstärkt hat. Aber: Wir spielen zuhause, wo wir vergangenes Jahr nur knapp verloren haben. Im Pokal haben wir sie geschlagen. Wir versuchen, eine gute Leistung zu bringen und schauen dann, was diesmal geht.

Du hast mit voller Überzeugung vorzeitig bis 2025 verlängert. Zuletzt ging es für den TBV stetig etwas bergauf. Was stimmt dich zuversichtlich, dass diese Entwicklung anhält?
Florian Kehrmann: Davon auszugehen, dass man sich immer weiterentwickeln kann und es nur noch weiter bergauf geht, wäre vermessen. Wir haben in der vergangenen Saison bereits oft am Optimum gespielt, gerade wegen des Verletzungspechs. Ich weiß auch, dass es in den nächsten Jahren auch Rückschläge geben kann. Das hängt mal mit fehlendem Spielglück zusammen oder mit Verletzungspech. Auch vor größeren Umbrüchen werden wir nicht verschont bleiben, wenn sich Spieler so entwickelt haben, dass wir sie einfach nicht mehr halten können. Dann gilt es wieder andere Anker einzubauen, die dieses Konstrukt am Laufen halten. Das ist ein Prozess, von dem nicht immer auszugehen ist, dass er uns in der Tabelle stetig nach oben hievt. Das ist dem Verein bewusst, so ist nun mal das Geschäft. Deswegen heißt es, weiter Ruhe zu bewahren, weiter gut zu arbeiten und hoffen, dass wir uns in vielen Dringen trotzdem immer weiter entwickeln können.  

Beim TBV hast du es dir seit deinem Amtsantritt zur Aufgabe gemacht, junge Spieler zu fördern. Kian Schwarzer kam im Sommer aus Zweibrücken, Lukas Hutecek aus Österreich.
Florian Kehrmann: Dass Kian von seinem Vater ein gewisses Talent und sicherlich auch den Ehrgeiz mitbekommen hat, wussten wir, als wir eine Veränderung auf der Position des Linksaußen hinter Bjarki Már Elísson wollten. Kian hat im Probetraining die Chance bekommen und genutzt. Bisher macht er seine Sache wirklich sehr gut. Sein Trainingsfleiß spricht für ihn, es hier schaffen zu können.
Lukas‘ Weg habe ich sehr lange verfolgt, schon als Jugendspieler stach er regelmäßig heraus. Der Kontakt war auch sehr früh da und er bringt zweifelsfrei unglaubliches Talent mit. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, von einem 21-Jährigen zu erwarten, dass er auf der Königsposition gleich der neue Anker einer Bundesligamannschaft wird. Wir geben ihm Zeit und die Möglichkeit, Fehler zu machen. Lukas wird in der Lage sein, ganz schnell tolle Leistungen zu bringen. Aber es wird auch Rückschläge geben, die es zu verarbeiten gilt.

Traust du Lukas zu, einen ähnlichen Weg zu nehmen wie Jonathan Carlsbogård oder Tim Suton?
Florian Kehrmann: Junge, talentierte Spieler zu gestandenen, prägenden Bundesligahandballern zu formen, ist ja ein Stück weit unsere Philosophie. Wir werden versuchen, ihn auf ein konstantes Niveau zu heben. Dafür bringt er alle Voraussetzungen mit. Er ist fleißig, macht für sein Alter auch mental einen sehr gefestigten Eindruck. Kurzum: Ich freue mich unglaublich, mit ihm arbeiten zu können.

Mit Tim Suton und Andreas Cederholm werden dem TBV zum Auftakt noch zwei Leistungsträger fehlen. Liegen beide gut in der Zeit?
Florian Kehrmann: Beide befinden sich auf einem guten Weg, aber wir werden ihnen Zeit geben müssen. In den ersten Partien werden sie aber noch keine Rolle spielen.

Wie schon im Vorjahr wurde der Grundstein für eine hoffentlich erfolgreiche Saison in der Heimat gelegt. Wie zufrieden bist du mit dem bisherigen Verlauf der Vorbereitung?
Florian Kehrmann: Insgesamt haben wir eine ordentliche Vorbereitung gespielt. Wie schon in den letzten Jahren, zählen für mich nicht nur die Ergebnisse, sondern eher, wie die Spieler sich verhalten. Sie waren sehr fleißig, haben gut trainiert und haben viele Dinge umgesetzt, die wir ihnen vorgegeben haben. Zählen tut nachher dann das, was in der Saison passiert. Wir sind froh, dass sich kein weiterer Spieler langzeitverletzt hat und jetzt schauen wir, dass wir frisch werden und gut in die Saison starten und schon beim Super Cup eine gute Leistung bringen.

Dann kommt es zum Wiedersehen mit dem THW Kiel…
Florian Kehrmann: Es geht um einen Titel, auf den wir sicherlich auch diesmal nicht der Favorit sind. Man kann das nicht mit dem DHB-Pokal vergleichen, weil es ganz andere Voraussetzungen sind. Sie werden uns sehr ernstnehmen, weil die Niederlage im REWE Final4 sicherlich geschmerzt hat. Aber: Das ist ein Endspiel - und so werden wir es auch annehmen.

Danke, Florian, und viel Erfolg in der neuen Saison!

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