Tim Fischer surft momentan auf einer Erfolgswelle. Neben seinem Auftritt als Conférencier im Musical „Cabaret“ im Hansa Theater und als Zarah Leander in seinem neuen Musiktheaterabend „Ich bin die Leander – Zarah auf Probe“ stellte der Chansonnier und Schauspieler am Sonntag im St. Pauli Theater bei der Hamburg-Premiere seinen gleichfalls sehr gelungenen Abend „Tigerfest“ vor – mit rund zwei Dutzend Chansons von Georg Kreisler (1922 – 2011). Der Titel des mörderischen Chansons „Das Tigerfest“, bei dem neben dem Gastgeber nur die Tiger, aber keiner der vielen geladenen Gäste überlebt, gab nicht nur dem Abend, sondern auch der neuen CD Fischers den Namen.
Chansonfeuerwerk zum 100. Geburtstag
Wer ins Theater geht, bekommt live einen Mehrwert. Denn der Abend mit drei exzellenten Musikern hebt mit Kreislers „Opernboogie“ an, der bekanntlich einzigen Oper, in der alles logisch ist. Den Taktstock hebt dabei Oliver Potratz, der hauptsächlich Kontrabass und E-Bass spielt und den Abend musikalisch leitet. Neben ihm begleiten Hauke Renken an Vibraphon und Schlagzeug sowie Jazzpianist Sebastian Weiss den Sänger. Die vier Herren tragen Frack. Einzig die schrill roten Fingernägel von Tim Fischer weisen auf den zweiten Teil des Abends voraus.
Erst einmal darf das Publikum jedoch im Jahr des 100. Geburtstags von Georg Kreisler und zwei Tage vor seinem elften Todestag Zeuge einer großartige Reihe von Wiederbelebungen werden: Auf den „Opernboogie“ folgt der Klassiker „Der Staatsbeamte“. Darauf erklingt im – nicht nur von der Glitzerpomade des Sängers – verzauberten St. Pauli Theater mit „Wenn alle das täten“ die Hymne der Kreisler-Anarchie. Es folgt das nicht minder philosophische „Ein Haus am Grünen Bach“ mit dem unvergesslichen Reim „Und ein kleines Karnickelkind/ schnarcht so laut wie ein Wickelkind“. Kreisler hätte sich keinen besseren Interpreten seiner Chansons wünschen können, und Kreisler wusste das, arbeitete er doch in seinen letzten Jahren immer mal wieder mit Tim Fischer zusammen.
Satire, schwarzer Humor und Bitterkeit
Nun ist selbst Fischer kein Kreisler, der am Flügel die Musik viel lässiger den Textzeilen hinterherträufeln ließ, der Silben im Mundumdrehen in Melodieteile verwandeln konnte, aber es ist schon sensationell, wie nah er dem Komponisten und Sänger auf seine Art kommt. Die Wortkaskaden des pessimistischen Optimisten stürzen sich in das Meer des Lebens, Gewissheiten mitreißend und alles verstrudelnd beziehungsweise versprudelnd. Träumereien und Fantastereien entführen das Publikum in fremde Gedankenwelten. Und Satire, schwarzer Humor und eine Portion Bitterkeit machen lachen. „Glaubst Du denn die Ehe ist ein Spaß“ fragt der Meisterschüler mit dem Meister in „Die Ehe“, und beweist damit das kabarettistische Talent, mit dem Kreisler berühmt wurde. „Der Liebesbrief“ vom Album „Unheilbar gesund“, in dem Kreisler seiner Gattin seine tiefsten, unaussprechlichsten Gefühle tonmalerisch offenbart. Zum Abschluss des ersten Teils gibt es das durchweg humoristische „Mein Weib will mich verlassen“.
Den zweiten, etwas schwächeren Teil des Abends absolviert Fischer als Frau im mit orangener Perücke im längsgeschlitzten, roten Lackkleid (passend zu den Fingernägeln, na also) – die Jungs der Band tragen passend rote Pullover, Schuhe und Socken nebst roten Hosenträgern. Das ist ein prächtiges Bild. Und Fischer zieht den zweiten Teil beängstigend professionell durch, in dem nun auch die Titel der neuen CD erklingen, nach dem schönen, durch Kreislers dritte Ehefrau Topsy Küppers bekannt gewordene „Erich“.
Eifersucht und ein Ausflug ins Publikum
Zum Tigerfest aber zählen neben dem Titelsong, der hier als letzte Zugabe erklingt, „Die Wahrheit über Dich“, das Lied über den imaginären Pianisten „Sebastian“, der an diesem Abend partout nicht so imaginär erscheinen mag wie sonst. Dann entpuppt sich der „Schmetterling“, wird die Eifersucht in „Was sprichst Du mit der Andern?“ und „Sagen Sie, Frau Zimmermann“ lebendig. Einer der Höhepunkte des zweiten Teils ist ohne Frage „Kunststück“, ein weiterer der Ausflug Fischers in die vorderen Sitzreihen, in denen er sich lüstern einem Zuschauer näherte. Insgesamt war das ein fantastischer Abend, bei dem etwa ein Zehntel der 221 Chansons von Georg Kreisler lebendig auf die Bühne kam. Damit ist das Werk Kreislers so umfangreich, dass Fischer locker neun weitere Abende daraus bestreiten könnte. Der Abend wird am 21. November um 19.30 Uhr noch einmal im St. Pauli Theater gespielt.