Niedersächsischer Kulturminister Falko Mohrs im Interview zu Pandemie-Nachwirkungen
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Niedersächsischer Kulturminister Falko Mohrs im Interview über Pandemie-Nachwirkungen

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Machte sich selbst ein Bild: Niedersachsens Wissenschaftsminister Falko Mohrs probierte das „Niedersachsen-Menü“ in der Mensa der Leibniz-Universität Hannover aus.
Machte sich selbst ein Bild: Niedersachsens Wissenschaftsminister Falko Mohrs probierte das „Niedersachsen-Menü“ in der Mensa der Leibniz-Universität Hannover aus. © Michael Matthey/dpa

Kulturminister Falko Mohrs plädiert für klare ehrliche Debatten und deutliche Worte und Taten. Im Interview mit unserer Zeitung verrät er, wie Kultur durch anhaltende Krisenzeiten kommen kann.

Göttingen/Hannover – Falko Mohrs ist seit November 2022 als Minister auch für den Kulturbereich zuständig. Wir sprachen mit dem Sozialdemokraten über die Pandemie-Nachwirkungen, Zuschüsse für Theater und ein anstrengendes (Krisen-)Jahr.

Herr Mohrs, Wie war das erste Minister-Jahr persönlich für Sie? Es war das erste komplette als Minister und Kabinettsmitglied.

Intensiv. Dieses Wort trifft es. Es war ein Jahr, in dem sich eine Krise auf die andere stapelte und die Corona-Pandemie noch nachwirkt. Das war auch in meinen Ressorts zu spüren. In der Kultur ist das Publikum noch nicht vollständig wieder da. Und in der Wissenschaft, dem Studium, in der Lehre hat sich etwas verändert. Die Zahl der Studierenden ist zurückgegangen.

Es hat doch auch die Studenten, das Denken und Empfinden getroffen...

Ja. Die Pandemie hat insbesondere mit den jungen Menschen etwas gemacht, die in der Pandemie ohne Kontakte angefangen haben, zu studieren. Ihnen fehlt dieses Erlebnis, dieser Spirit, welches so einen gemeinsamen Studienstart ausmachen. Zudem kam, dass nach dem Angriff der Hamas auf Israel der Antisemitismus in der Gesellschaft noch stärker geworden ist.

Ja, es ist ein intensives Jahr gewesen. Nicht nur für mich, nicht nur für die Politik, sondern für die Gesellschaft. Aber: Es ist auch viel gelungen – vor allem durch Unterstützungsmaßnahmen. Kurzum: Wir dürfen als Politiker den Kopf nicht in den Sand stecken – das erwartet man zu Recht von uns.

Das Land hat Hilfspakete geschnürt, wird es diese auch 2024 geben?

Auch in diesem Jahr ist eine Vorsorge für alle Landeseinrichtungen enthalten. Und im Kulturbereich musste kräftig nachgesteuert werden – so bei den kommunalen Theatern. Und in 2023 haben wir mit dem Nachtragshaushalt viele Kultureinrichtungen stabilisiert.

Hat Ihnen Ihre offene Art geholfen, mit von Krisen betroffenen Menschen umzugehen?

Es ist wichtig, zu erkennen, was die Menschen, die Betroffenen, brauchen. Dies in offenen, ehrlichen Gesprächen auszuloten, zu erfahren, was notwendig ist, ist Teil meiner Arbeit. Man muss offen und ehrlich miteinander umgehen, darf sich gegenseitig nichts vormachen.

Und es ist wichtig, nur die Dinge zuzusagen, die man auch einhalten kann. Sonst entsteht Enttäuschung. Insgesamt gilt: Ich bin ein offener und optimistischer Mensch, dem es Spaß macht, Dinge anzupacken, zu entwickeln und zu verändern. Dabei hilft mir eine pragmatische, ehrliche und zielgerichtete Herangehensweise.

Haben Sie ein Entgegenkommen gespürt?

Unsere Partner, die Hochschulen, die Studierenden, die Kultureinrichtungen schätzen es, wenn man ihnen auf Augenhöhe begegnet. Das ist wichtig, denn an vielen Stellen sind die Notwendigkeiten größer, als wir es im Moment ausgleichen können. Das gilt gerade für den Kulturbereich. Aber daran arbeiten wir mit viel Kraft.

Gibt es Positiv-Beispiele?

Natürlich. Die Musikschulen haben in den vergangenen 20 Jahren keine zusätzliche finanzielle Unterstützung erhalten. In diesem Jahr ist es erstmals wieder gelungen, zusätzliches Geld aus dem Haushalt zu generieren – mit 2 Mio. Euro werden die Musikschulen in ihrer Struktur gestärkt, mit 300 000 Euro das Programm „Wir machen die Musik“.

Damit ist es gelungen, einen Einstieg in die strukturelle Förderung in die Wege zu leiten. Das ist ein wichtiger Schritt, auch für die gegenseitige Akzeptanz im fairen Umgang miteinander. Das ist nur ein Beispiel.

Sie sprachen es an: Haben sich in den Kultureinrichtungen die Pandemie-Nachwirkungen aufgelöst? Kommen die Menschen wieder?

Ich nehme das sehr unterschiedlich wahr. Gerade in ländlichen Räumen haben Menschen darauf gewartet, dass die Kultureinrichtungen wieder arbeiten können. Dort funktioniert es sehr gut. In den größeren Kultur-Einrichtungen in den Städten laufen Veranstaltungen, die gut unterhalten und die Menschen emotional mitnehmen.

Dann sind die Häuser voll. Bei kleineren Werken, die weniger bekannt sind, tut sich das Publikum noch schwer. Dort muss man das eigene Programm hinterfragen: Hole ich die Leute ab? Gewinne ich neues Publikum dazu?

Gibt es weitere Auffälligkeiten?

Ein weiterer Punkt ist, dass sich Menschen viel kurzfristiger entscheiden, in Veranstaltungen zu gehen. Das spüren die Theater. Die Folge: Das Abo-Publikum ist flächendeckend weniger geworden. Viele Besucher und Besucherinnen kommen spontaner, vor allem auch jüngere Menschen, die wir vielleicht zuvor nicht erreicht hatten.

Die Kulturhäuser müssen in der Bandbreite neue und andere Zielgruppen ansprechen. Mit der Einbindung der Kultur von Migrantinnen und Migranten kann ein wichtiger Beitrag zur Integration geleistet werden.

Was ist zu tun?

Die Häuser müssen geöffnet werden, man muss stärker hinausgehen zu den Menschen und neue Zielgruppen aktiv ansprechen, um sie so in die Häuser zu holen. Beispiele sind Festivals, bei denen gezielt auch Menschen mit Behinderungen angesprochen werden, weil Angebote für sie mitgedacht werden.

Wenn man die eigene Komfortzone verlässt, dann kann es gelingen, Menschen zu begeistern, neues Publikum zu gewinnen. Auch das ist Aufgabe von Kultur – Menschen zusammenzubringen. Gesellschaft braucht Kultur. Sie ist ein Anker der Demokratie.

Welche Rolle spielt die kleine Kultur? Diese ist noch sensibler für Folgen von Krisen?

Sie ist bedeutend, gerade in einem Flächenland wie Niedersachsen. Wir brauchen die Kulturschaffenden überall. Als Land unterstützen wir mit Förderprogrammen, haben auch Unterstützungsprogramme und den Härtefallfonds für kleine Einrichtungen geschaffen, um die Energiekosten zu mindern.

Damit haben wir Einrichtungen stabilisieren und retten können. Wir schauen nicht nur auf die Dickschiffe, sondern auch auf die Kleinen, denn sie schaffen Identität mit der Heimat im positiven Sinne. Die Pflege regionaler Identitäten, wie die plattdeutsche Sprache, ist zum Beispiel wichtig.

Droht der Kultur Gefahr durch anhaltende Krisenlagen? Müssen Sie als Kulturminister im Kabinett besonders hart ums Geld kämpfen, da andere Prioritäten drastischer sind – so im Sozial- oder Gesundheitsbereich, aber auch bei der inneren Sicherheit?

Ich bin überzeugt davon, dass Kultur für eine Demokratie nicht ersetzbar ist. Demokratie braucht Kultur. Mit dem Pfund kann man argumentieren. Corona hat auch gezeigt, dass sich Debatten verhärten, wenn man sich nicht mehr persönlich begegnen kann. Ich werde selbstbewusst dafür werben, wie wichtig Kultur ist.

Wir werden aber ohne Zweifel erleben, dass finanzielle Möglichkeiten begrenzt sein werden.

Stichwort Kommunale Theater. Die haben protestiert, damit die Tariferhöhungen-Ausgleiche kommen. Das Geld kam spät. Wird es in den kommenden Haushaltsjahren ab 2025 früher festgeschrieben?

Wir wollen langfristige Planungssicherheit für die Einrichtungen schaffen und auch frühzeitig über längerfristige Perspektiven sprechen. Das wird aber kein Selbstläufer. Wir haben zwar erst für 2024 Klarheit, aber damit auch schon existenzielle Bedrohungen abgewendet, beispielsweise für das Theater Lüneburg.

Was werden die größten Herausforderungen für Sie in 2024 sein? Was haben Sie sich besonders vorgenommen?

Die Gesellschaft gut zusammenzuhalten: Die Kompromissfähigkeit hat abgenommen, man ist weniger bereit, aufeinander zuzugehen. Unsere Verantwortung ist es, Menschen zusammenzubringen und ihnen Orientierung und Sicherheit zu geben. Wir müssen klare, ehrliche und seriöse Debatten miteinander führen. Das heißt, Dinge nicht zu beschönigen, aber auch nicht alles schlecht zu reden.

Sie müssen zwei doch unterschiedliche Bereiche – Kultur und Wissenschaft – beackern, sprangen ins kalte Wasser, aus dem Bundestag ins Ministeramt. War das schwierig?

Ich denke, es ist mir gut gelungen, auch dank eines starken Ministeriums mit vielen kompetenten Mitarbeitenden, die eine hohe Expertise haben.

Persönlich und inhaltlich habe ich jeden Tag etwas dazugelernt – in einem breiten Themenrepertoire zwischen Archäologie, Quantenphysik, Unimedizin sowie wissenschaftlichen Bibliotheken, zwischen Wagner und kleinsten Kulturinitiativen im ganzen Land. Ich habe den ganzen Tag mit Menschen zu tun, die etwas gestalten wollen und dabei nach vorne schauen. Das ist sehr motivierend.

Zur Person

Falko Mohrs (39) ist Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur. Geboren wurde er in Wolfsburg, dort wuchs er auch auf. Mohrs absolvierte in 2004 sein Abitur und begann danach ein Duales Studium bei der Volkswagen AG mit den Fächern Transport- und Logistikmanagement. Mit der Bundestagswahl 2017 wurde der SPD-Politiker das erste Mal in den Deutschen Bundestag gewählt. Auch 2021 gewann er das Direktmandat, das er jedoch für den Posten des Ministers wieder niederlegte. Für die Bundestagsfraktion der SPD war Mohrs unter anderem im Ausschusss für Wirtschaft und Energie. jbr

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