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Eine echte Kennedy, aber eben „nur“ eine Frau

Kennedy-Familie 1938 Kennedy-Familie 1938
Die Kennedy Family 1938 - Links sitzend: Eunice, in der Mitte stehed: Ihr Bruder und späterer Präsident, John F.
Quelle: pa/Photoshot/Mike J rh
Eunice Shriver stammt aus der Kennedy-Dynastie. Da die Familie sie nicht wahrnahm, nutzte sie ihre Verbindungen für die Machtlosen. Was in ihrem Garten begann, ist heute eine der größten Multisportveranstaltungen der Welt: die Special Olympics.

Sein Erinnerungsvermögen ist erstaunlich. Timothy Shriver zählte keine drei Lenze, als seine Mutter Eunice im Juni 1962 erstmals junge Menschen mit geistiger Behinderung zu einem eintägigen Sportcamp auf ihre Farm in Maryland einlud. Im Gegensatz zu dem kleinen Jungen namens Wendell, mit dem Timothy damals die Stunden auf dem elterlichen Anwesen verbrachte, besitzt er kein Handicap. Dennoch schwammen, liefen und aßen die Kids zusammen. „Unser Gelände war ein großer Spielplatz. Das Besondere war, dass alle großen Spaß hatten und glücklich schienen. Nur die Zeit verging zu schnell“, weiß Shriver noch genau und schwärmt im Gespräch mit WELT AM SONNTAG von seiner Mutter: „Sie war eine mutige Visionärin, lebte in dem Glauben, dass jeder Mensch einzigartig, heilig und würdig ist.“

Im Pool des Hinterhofs der Shrivers tummelten sich an jenem Sommertag 34 Kinder zwischen sechs und 16 Jahren unterschiedlicher Hautfarbe. Beaufsichtigt von 26 Betreuern kickten sie mit Footbällen, warfen auf Basketballkörbe und ritten mit Ponys über das Gelände. Die damals 40-jährige Eunice Shriver träumte davon, Personen mit einem Down-Syndrom durchs Sporttreiben ein gleichberechtigtes Dasein in der Gesellschaft zu ermöglichen.

Die Geschädigten wurden seinerzeit in Amerika regelrecht verstoßen, was die Protagonistin selbst in der eigenen Familie erlebte. Die Ausgegrenzten galten als schwierig, unbelehrbar und kriegerisch, wurden in Haftanstalten weggeschlossen. Körperliche Aktivitäten waren tabu, um Verletzungen zu vermeiden, was dazu führte, dass viele von ihnen übergewichtig oder fettleibig wurden.

Dass aus dem ersten „Camp Shriver“ eines Tages eine globale Bewegung entstehen würde mit den Special Olympics als sportliches Highlight, das nun in Berlin seine 16. Auflage erfährt, war damals nicht absehbar, auch wenn die Initiatorin ihre Lebensaufgabe gefunden hatte. Obwohl: Gerne hätte sie auch eine andere Laufbahn eingeschlagen.

Inspiriert durch das Schicksal ihrer Schwester Rosemary

Eunice, verheiratete Shriver, war eine echte Kennedy, hineingeboren in eine Familie mit immensem Reichtum und gewaltiger Macht. Aber sie war eben „nur“ eine Frau. Für ihren Vater Joseph P. Kennedy zählten allein die Söhne John F. und Robert. Sie sollten verwirklichen, was ihm verwehrt blieb, nämlich der Aufstieg ins Weiße Haus. Eunice dagegen, geboren 1921 als fünftes Kind der Ostküsten-Dynastie, „nahm man einfach nicht wahr“, schreibt ihre Biografin. Obwohl die intelligente Frau einen Stanford-Abschluss in Soziologie hatte, bekam sie keine Chance, Karriere in der Politik oder im öffentlichen Leben zu machen. So entschied sie sich, ihre Verbindungen für die Machtlosen zu nutzen.

Eunice Shriver 1969 in Paris
Eunice Shriver 1969 in Paris
Quelle: Getty Images

Inspiriert wurde die rastlose Aktivistin nicht zuletzt durch das Schicksal ihrer drei Jahre älteren Schwester Rosemary. Sie kam mit einer leichten geistigen Behinderung zur Welt. Der Vater sah in ihr einen Störfaktor für die Ambitionen der Familie, veranlasste eine Gehirnoperation, die missglückte. Die Tochter war fortan geistig und körperlich schwerst behindert. Daraufhin schob Kennedy Senior sie in eine Heilanstalt ab und strich sie aus dem Familienleben. Gegen den Patriarchen zu opponieren, traute sich Eunice nicht. Erst als ihr Vater 1961 durch einen Schlaganfall sein Sprachvermögen verlor und nicht mehr widersprechen konnte, handelte sie und holte ihre Schwester in die Mitte ihrer Lieben zurück.

Gestartet ist Rosemary nicht, als am 20. Juli 1968 die ersten Special Olympics von ihrer Schwester im Soldier Field von Chicago mit den Worten eröffnet wurden: „Ich will gewinnen, doch wenn ich nicht gewinnen kann, so will ich mutig mein Bestes geben!“ Dieser Satz ist der heutige Eid der Athleten. Rosemary saß im Publikum, so wie Eunice Sohn Timothy, der den Vorsitz der Weltspiele von seiner 2009 verstorbenen Mutter übernommen hat.

„Werden Erlebnisse haben, die keiner mehr vergisst“

Mehr als 1000 geistig Behinderte aus 26 US-Bundesstaaten und Kanada wetteiferten in der Leichtathletik, im Schwimmen und Feldhockey um die Medaillen. Seither wurden im Sommer 14 und im Winter elf Special Olympics veranstaltet. Zum Programm gehört inzwischen auch die Förderung der Inklusion für alle, sprich, Menschen mit und ohne geistige Behinderung trainieren zusammen und bestreiten Wettbewerbe. In Berlin sind unter dem Motto „Gemeinsam sind wir unschlagbar“ über 7000 Aktive aus über 180 Ländern versammelt. Sie messen sich in 26 Sportarten.

„Wir werden Erlebnisse haben, die keiner mehr vergisst“, verspricht Timothy Shriver. Er freut sich aber nicht nur auf ereignisreiche Tage, sondern auch auf das Wiedersehen mit Bob Beamon, 76. Bereits drei Monate vor seinem fabelhaften Weltrekordsatz von 8,90 Metern bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko hatte der Jahrhundertweitspringer für einen Eintrag ins Geschichtsbuch gesorgt. Bei der Premiere der Special Olympics trat er als deren Botschafter auf – und das als Erster überhaupt.

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„Die World Games wurden für mich zu einem Lebenselixier. Wann immer es geht, bin ich dabei“, sagte Beamon WELT AM SONNTAG. Eunice Kennedy-Shriver habe ihm sehr nahegestanden, erzählt der Global Ambassador. „Sie war eine fantastische Frau. Sie sah die Gefahren der Ungleichheit und setzte neue Erwartungen an die Inklusion. Wir können auch heute noch von ihr lernen, da die Welt mit einer systemischen Aushöhlung der Rechte für marginalisierte Menschen konfrontiert ist. Ich bin froh, dass der Sohn ihr Erbe so ehrenhaft fortsetzt.“

Als Beamon im Frühjahr 1968 von Rafer Johnson, dem Olympiasieger im Zehnkampf von 1960, der im Team von Präsidentschaftskandidat Robert F. Kennedy arbeitete, angesprochen wurde, ob er sich nicht vorstellen könne, etwas für geistig und mehrfach Behinderte zu tun, willigte er sofort ein. Er war „regelrecht happy, dass man ihn dafür gewinnen wollte. Beamon hatte es seit jeher interessiert, mit sozial Benachteiligten zu arbeiten, sie auf ihrem schwierigen Weg zu unterstützen, getreu dem Slogan: „Träume können wahr werden, seht mich an.“

Beamons älterer Bruder hatte eine Hirnschädigung

Aufgewachsen in den Slums von New York, war er schon mit 14 Anführer einer Gang, konnte aber weder lesen noch schreiben. Er habe viel Elend und Leid in jungen Jahren durchgemacht und dabei erlebt, wie Behinderte seines Alters von der Gesellschaft ausgegrenzt wurden, was ihm unendlich leidtat, er aber damals nichts dagegen tun konnte.

Und noch einen gravierenden Grund gab es für den Ausnahmeathleten, dem Ansinnen Johnsons zuzustimmen. Beamons älterer Bruder Fred erblickte die Welt als Frühchen. Er hatte einen deformierten Kopf, eine Hirnschädigung und war Epileptiker, der weder laufen noch sprechen konnte. „Meine Mutter wurde von ihrem Mann während der Schwangerschaft getreten, geschlagen, misshandelt, möglicherweise rührten daher die Schädigungen. Ich machte in der eigenen Familie die Erfahrung, was es heißt, mit einem Menschen zusammenzuleben, der einen gesundheitlichen Defekt hat.“

Als sein Bruder acht oder neun war, wurde er in eine staatliche Einrichtung für behinderte Kinder verlegt. Daheim konnte er nicht mehr gepflegt werden. Der Ortswechsel erwies sich als Segen, fand er doch dadurch zum Sporttreiben. Als Rollstuhlfahrer entwickelte er sich so gut, dass er mehrmals an den National Special Olympics und sogar an den World Games teilnahm. „Fred sorgte für grandiose Glücksmomente. Ich war so stolz auf ihn“, sagte Beamon.

Er ist nun gespannt, was ihn außer der Begegnung mit Timothy Shriver beim größten Multisportevent in Deutschland seit den Sommerspielen 1972 in München erwartet. In Berlin war er letztmals vor dem Mauerfall.

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